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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 24

"Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt..."

Der "Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit" in Berlin

von Jochen Gester

Der Ort liegt zentral, nur wenige Minuten vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Eine ideale Möglichkeit aus der propagandistischen Glitzerwelt des Megabahnhofs oder dem hektischen Stadttrubel abzutauchen. Ein Denkmal im besten Sinne und doch auch für die meisten Berliner noch unbekannt: das Zellengefängnis im Geschichtspark Moabit.
Betritt man den Park, erkennt man eine die Westseite begrenzende Mauer. Sie trägt in ihrer ganzen Länge eine Aufschrift, die dem Moabiter Sonett Albrecht Haushofers entnommen ist. Dies erschließt sich einem jedoch erst, wenn man einen Zementkubus betritt, der in der Mitte des Parks steht, und dessen Sehschlitze den Blick auf die Mauer freigeben. Beim Betreten des Kubus setzt sich ein Audiogerät in Bewegung. Ein Schauspieler rezitiert Auszüge aus dem Sonett des ehemaligen Häftlings Albrecht Haushofer. Er war der Sohn des Geografen Karl Haushofer, der als Theoretiker der faschistischen Geopolitik bekannt wurde. Sein Sohn wechselte die Seiten und wurde zum Hitlergegner.
Der Besucher steht nun in diesem Kubus, und zu ihm spricht ein Mensch, den der Tod erwartet. In seinen in lyrische Form gekleideten Reflexionen setzt sich der Gefangene mit der braunen Barbarei auseinander und lässt bekannte Figuren der Geschichte und Mythologie auftreten. Es ist das Wissen um die Situation und der Respekt vor der ungebrochenen Haltung des Humanisten, die verbindet und nachhaltig Wirkung erzeugt.
Das Zellengefängnis Lehrter Straße war ein preußisches Gefängnis im Berliner Stadtteil Moabit an der Lehrter Straße 1—5. Es wurde in den 1840er Jahren unter Friedrich Wilhelm IV. als "Preußisches Mustergefängnis Moabit" errichtet und galt damals als besonders moderne Haftanstalt, weil die Gefangenen in Einzel- und nicht mehr in Gemeinschaftszellen untergebracht waren. Das ehemalige Gefängnisgelände umfasst etwas 6 Hektar und befindet sich an der Lehrter Straße, die an der Invalidenstraße
in der Nähe des früheren Lehrter Stadtbahnhofs, des heutigen Berliner Hauptbahnhofs, beginnt und in die Perleberger Straße mündet. Zum Gedenken an die Opfer des Faschismus wurde auf der Verkehrsinsel Lehrter Straße/ Seydlitzstraße ein Gedenkstein aufgestellt, der jetzt in den Eingangsbereich des Gedenkparks versetzt wurde. Nicht zu verwechseln mit dem Zellengefängnis ist das noch heute genutzte Gefängnis in der Lehrter Straße 60, eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Plötzensee.
Der Planung zum Bau eines Mustergefängnisses ging eine Gefängnisreform Friedrich Wilhelms IV. voraus. Vorbild für das Gefängnis in Moabit war das Pentonvillee in London, das nach dem sog. panoptischen System errichtet war. Von einem mit einer Kuppel versehenen Zentralbau zweigen vier Zellenbauten und ein Verwaltungsflügel sternförmig ab. Der Vorteil dieses Bautyps war die personalsparende Überwachung. 1849 waren die Arbeiten beendet.
Neben dem Zellengebäude mit 520 Einzelzellen enthielt der Gesamtkomplex Wohnhäuser für die Gefängnisbeamten, Gärten, Friedhöfe, eine Kirche, Schulhöfe und eine Hinrichtungsstätte.
Um die Isolationshaft konsequent durchführen zu können, mussten die Gefangenen, sobald sie ihre Zellen verließen, eine Mütze mit heruntergeklapptem Schirm tragen, der ihr Gesicht verdeckte. In der Kirche und in den Schulräumen saßen sie in senkrechten Holzkisten, die nur den Blick nach vorne gestatteten. Da es bei Hofgängen trotz starker Bewachung immer wieder zu geflüsterten Gesprächen kam, wurden nach einigen Jahren drei Spazierhöfe angelegt, die in 20 Einzelhöfe unterteilt wurden. Diese Höfe blieben bis 1910 bestehen.
Bereits vor Fertigstellung des Gesamtbaus wurde 1847 ein Schauprozess gegen 256 polnische Freiheitskämpfer geführt, die einen Aufstand im preußisch besetzten Posen planten. Sie wurden in der Märzrevolution 1848 befreit.
Ein weiterer prominenter Zelleninsasse war der Schuster Wilhelm Voigt ("Hauptmann von Köpenick"). Er verbrachte als 17-Jähriger hier eine dreijährige Strafe. 1978 wurde der 21-jährige Max Hödel wegen eines Attentatsversuchs auf Kaiser Wilhelm I. hingerichtet. Während des Ersten Weltkriegs traf es vor allem Sozialisten wie Georg Ledebour, die wegen ihres Widerstands gegen den Krieg nach Moabit kamen. Nach Kriegsende machte Karl Radek Bekanntschaft mit dem Knast wegen seiner Teilnahme am Spartakusaufstand.
Mit der Herrschaft der Nazis begann das grausamste Kapitel dieser Anstalt, die ab dem Jahre 1940 sowohl von der Wehrmacht als auch der Polizei und ab 1941 auch von der Gestapo als Untersuchungshaftanstalt genutzt wurde.
In dieser Zeit saß der Schriftsteller Wolfgang Borchert hier sechs Monate Haft wegen "Zersetzung der Wehrkraft" ab, und Ernst Busch
war unter schärfsten Bedingungen eingekerkert. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden 306 Widerstandskämpfer eingeliefert, von denen nur 35 das Ende der Nazizeit überlebten. Aus Angst vor Zeugenaussagen wurden noch in der Nacht vom 22. zum 23.April 1945 16 Häftlinge ermordet, darunter Klaus Bonhoeffer (der ältere Bruder Dietrich Bonhoeffers) und Albrecht Haushofer, bei dessen Leiche die im Gefängnis entstandenen "Moabiter Sonette" gefunden wurden. Der junge Kommunist Herbert Kosney überlebte die Hinrichtung schwer verletzt und konnte später als Augenzeuge berichten. Diese Exekutionen sind, ähnlich wie die verbrannte Erde beim Rückzug der Wehrmacht als Verbrechen in der allerletzten Phase des Krieges bezeichnet.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gefängnis vergleichsweise wenig zerstört. Die Kirche sowie Teile eines Zellenflügels wurden ausgebombt, schwerwiegender waren die Plünderungen der Inneneinrichtung vom 26.April 1945. Von Oktober 1945 bis März 1955 nutzten die Alliierten den Gebäudekomplex als Haftanstalt. Ende 1946 wurde hier die einzige Hinrichtungsstelle des Westsektors eingerichtet. Zwischen Januar 1947 und Mai 1949 fanden dort insgesamt zwölf Hinrichtungen statt. In den Jahren 1957/58 wurde das Gefängnis abgerissen. Erhalten blieben lediglich Teile der Gefängnismauer und drei Beamtenwohnhäuser, die heute unter Denkmalschutz stehen.
Im Jahr 2003 begannen die Arbeiten für den 3,1 Millionen Euro teuren "Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit". Am 26.Oktober 2006 wurde der Park der Presse präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Am 17.Februar 2007 erhielt das Projekt des Berliner Landschaftsarchitektenbüros Glaßer und Dagenbach einen von zwei ersten Preisen im Bundeswettbewerb des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten für die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes, die Zusammenarbeit mit den Anwohnern und die gelungene Gestaltung der Details.


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