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Der Ort liegt zentral, nur wenige Minuten vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Eine ideale
Möglichkeit aus der propagandistischen Glitzerwelt des Megabahnhofs oder dem hektischen Stadttrubel abzutauchen. Ein
Denkmal im besten Sinne und doch auch für die meisten Berliner noch unbekannt: das Zellengefängnis im
Geschichtspark Moabit.
Betritt man den Park, erkennt man eine die Westseite begrenzende Mauer. Sie trägt in ihrer ganzen Länge eine
Aufschrift, die dem Moabiter Sonett Albrecht Haushofers entnommen ist. Dies erschließt sich einem jedoch erst, wenn man
einen Zementkubus betritt, der in der Mitte des Parks steht, und dessen Sehschlitze den Blick auf die Mauer freigeben. Beim
Betreten des Kubus setzt sich ein Audiogerät in Bewegung. Ein Schauspieler rezitiert Auszüge aus dem Sonett des
ehemaligen Häftlings Albrecht Haushofer. Er war der Sohn des Geografen Karl Haushofer, der als Theoretiker der
faschistischen Geopolitik bekannt wurde. Sein Sohn wechselte die Seiten und wurde zum Hitlergegner.
Der Besucher steht nun in diesem Kubus, und zu ihm spricht
ein Mensch, den der Tod erwartet. In seinen in lyrische Form gekleideten Reflexionen setzt sich der Gefangene mit der braunen
Barbarei auseinander und lässt bekannte Figuren der Geschichte und Mythologie auftreten. Es ist das Wissen um die
Situation und der Respekt vor der ungebrochenen Haltung des Humanisten, die verbindet und nachhaltig Wirkung erzeugt.
Das Zellengefängnis Lehrter Straße war ein
preußisches Gefängnis im Berliner Stadtteil Moabit an der Lehrter Straße 15. Es wurde in den 1840er
Jahren unter Friedrich Wilhelm IV. als "Preußisches Mustergefängnis Moabit" errichtet und galt damals als
besonders moderne Haftanstalt, weil die Gefangenen in Einzel- und nicht mehr in Gemeinschaftszellen untergebracht waren. Das
ehemalige Gefängnisgelände umfasst etwas 6 Hektar und befindet sich an der Lehrter Straße, die an der
Invalidenstraße
in der Nähe des früheren Lehrter Stadtbahnhofs, des
heutigen Berliner Hauptbahnhofs, beginnt und in die Perleberger Straße mündet. Zum Gedenken an die Opfer des
Faschismus wurde auf der Verkehrsinsel Lehrter Straße/ Seydlitzstraße ein Gedenkstein aufgestellt, der jetzt in den
Eingangsbereich des Gedenkparks versetzt wurde. Nicht zu verwechseln mit dem Zellengefängnis ist das noch heute genutzte
Gefängnis in der Lehrter Straße 60, eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Plötzensee.
Der Planung zum Bau eines Mustergefängnisses ging eine
Gefängnisreform Friedrich Wilhelms IV. voraus. Vorbild für das Gefängnis in Moabit war das Pentonvillee in
London, das nach dem sog. panoptischen System errichtet war. Von einem mit einer Kuppel versehenen Zentralbau zweigen vier
Zellenbauten und ein Verwaltungsflügel sternförmig ab. Der Vorteil dieses Bautyps war die personalsparende
Überwachung. 1849 waren die Arbeiten beendet.
Neben dem Zellengebäude mit 520 Einzelzellen enthielt
der Gesamtkomplex Wohnhäuser für die Gefängnisbeamten, Gärten, Friedhöfe, eine Kirche,
Schulhöfe und eine Hinrichtungsstätte.
Um die Isolationshaft konsequent durchführen zu
können, mussten die Gefangenen, sobald sie ihre Zellen verließen, eine Mütze mit heruntergeklapptem Schirm
tragen, der ihr Gesicht verdeckte. In der Kirche und in den Schulräumen saßen sie in senkrechten Holzkisten, die
nur den Blick nach vorne gestatteten. Da es bei Hofgängen trotz starker Bewachung immer wieder zu geflüsterten
Gesprächen kam, wurden nach einigen Jahren drei Spazierhöfe angelegt, die in 20 Einzelhöfe unterteilt wurden.
Diese Höfe blieben bis 1910 bestehen.
Bereits vor Fertigstellung des Gesamtbaus wurde 1847 ein
Schauprozess gegen 256 polnische Freiheitskämpfer geführt, die einen Aufstand im preußisch besetzten Posen
planten. Sie wurden in der Märzrevolution 1848 befreit.
Ein weiterer prominenter Zelleninsasse war der Schuster
Wilhelm Voigt ("Hauptmann von Köpenick"). Er verbrachte als 17-Jähriger hier eine dreijährige
Strafe. 1978 wurde der 21-jährige Max Hödel wegen eines Attentatsversuchs auf Kaiser Wilhelm I. hingerichtet.
Während des Ersten Weltkriegs traf es vor allem Sozialisten wie Georg Ledebour, die wegen ihres Widerstands gegen den
Krieg nach Moabit kamen. Nach Kriegsende machte Karl Radek Bekanntschaft mit dem Knast wegen seiner Teilnahme am
Spartakusaufstand.
Mit der Herrschaft der Nazis begann das grausamste Kapitel
dieser Anstalt, die ab dem Jahre 1940 sowohl von der Wehrmacht als auch der Polizei und ab 1941 auch von der Gestapo als
Untersuchungshaftanstalt genutzt wurde.
In dieser Zeit saß der Schriftsteller Wolfgang Borchert
hier sechs Monate Haft wegen "Zersetzung der Wehrkraft" ab, und Ernst Busch
war unter schärfsten Bedingungen eingekerkert. Am Ende
des Zweiten Weltkriegs wurden 306 Widerstandskämpfer eingeliefert, von denen nur 35 das Ende der Nazizeit
überlebten. Aus Angst vor Zeugenaussagen wurden noch in der Nacht vom 22. zum 23.April 1945 16 Häftlinge ermordet,
darunter Klaus Bonhoeffer (der ältere Bruder Dietrich Bonhoeffers) und Albrecht Haushofer, bei dessen Leiche die im
Gefängnis entstandenen "Moabiter Sonette" gefunden wurden. Der junge Kommunist Herbert Kosney überlebte
die Hinrichtung schwer verletzt und konnte später als Augenzeuge berichten. Diese Exekutionen sind, ähnlich wie die
verbrannte Erde beim Rückzug der Wehrmacht als Verbrechen in der allerletzten Phase des Krieges bezeichnet.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gefängnis vergleichsweise
wenig zerstört. Die Kirche sowie Teile eines Zellenflügels wurden ausgebombt, schwerwiegender waren die
Plünderungen der Inneneinrichtung vom 26.April 1945. Von Oktober 1945 bis März 1955 nutzten die Alliierten den
Gebäudekomplex als Haftanstalt. Ende 1946 wurde hier die einzige Hinrichtungsstelle des Westsektors eingerichtet.
Zwischen Januar 1947 und Mai 1949 fanden dort insgesamt zwölf Hinrichtungen statt. In den Jahren 1957/58 wurde das
Gefängnis abgerissen. Erhalten blieben lediglich Teile der Gefängnismauer und drei Beamtenwohnhäuser, die
heute unter Denkmalschutz stehen.
Im Jahr 2003 begannen die Arbeiten für den 3,1 Millionen
Euro teuren "Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit". Am 26.Oktober 2006 wurde der Park der Presse
präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Am 17.Februar 2007 erhielt das Projekt des Berliner
Landschaftsarchitektenbüros Glaßer und Dagenbach einen von zwei ersten Preisen im Bundeswettbewerb des Bundes
Deutscher Landschaftsarchitekten für die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes, die Zusammenarbeit
mit den Anwohnern und die gelungene Gestaltung der Details.
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