SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 05

Schwarzer Freitag für die Demokratie

Rolf Gössner über die Gesetze zur Überwachung der Telekommunikation

Der Bundestag hat am 9.November weitreichende Gesetze zur Telekommunikationsüberwachung beschlossen. Zu den Auswirkungen dieser Gesetze sprach Rolf Euler mit Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, seit 2007 stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.

Wenn wir mit Ihnen per Telefon oder E-Mail kommunizieren — werden wir dann schon "aussortiert" aus dem Datenberg der Telekommunikationsgesellschaften?

Sicherlich nicht, sofern Sie nicht Auslandsgespräche führen. Denn dann kann es passieren, dass der Bundesnachrichtendienst im Zuge der strategischen Kontrolle solche Gespräche näher unter die Lupe nimmt, sofern darin bestimmte Begriffe auftauchen — wie etwa "Terrorismus" oder Worte, die damit oder mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden können. Grenzüberschreitende Gespräche werden schon seit langem mit Hilfe von wechselnden Wortbanken automatisch nach bestimmten Begriffen durchforstet und gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen gegen die Gesprächspartner aussortiert.

Die Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten soll "verdachtsunabhängig" erfolgen, um darauf zum Zwecke der Strafverfolgung zugreifen zu können. Welches sind die zentralen Argumente von Datenschützern und Verfassungsrechtlern gegen diese Neuregelung?

Die vom Bundestag beschlossene Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungs- und Standortdaten, also der Verbindungsdaten von Telefon, Handy, E-Mail und Internet, ist ein Anschlag auf die freie Kommunikation und Meinungsäußerung. Denn es handelt sich hier um die vorsorgliche Speicherung von Milliarden sensibler Daten, ohne jeglichen Verdacht sechs Monate lang. Dies greift in die geschützte Privatsphäre ein und führt letztlich zu einer pauschalen Nutzer-Überwachung, verletzt das informationelle Selbstbestimmungsrecht und dürfte gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Zugriff auf die Kommunikationsdaten — wer hat unter welcher Nummer oder IP-Adresse von wo aus wann mit wem wie lange kommuniziert — erhalten Polizei, Staatsanwälte, Nachrichtendienste und auch ausländische Behörden, die sich davon eine verbesserte Strafverfolgung und internationale Terrorbekämpfung versprechen. 80 Millionen Bürger zu erfassen, nur um verschwindend wenige Verdächtige möglicherweise leichter ausfindig machen zu können, ist aber unverhältnismäßig.
Die gigantische Datenspeicherung ist nicht nur teuer für die TK-Anbieter (die Kosten werden wohl an die Nutzer weitergegeben), mit diesem Datenvorrat sind auch Privatsphäre und Vertraulichkeit nicht mehr zu gewährleisten: Mit den Informationen können Bewegungs- und Kommunikationsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und soziale Beziehungen identifiziert werden.
Eine Auswertung des individuellen Kommunikationsverhaltens erlaubt auch Rückschlüsse auf den Inhalt vertraulicher Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden. Das eröffnet eine neue Dimension der Überwachung und Kontrolle von unschuldigen Personen, die ein starkes Missbrauchspotenzial birgt.

Einige Zeitungen und Internetseiten erschienen am 9.November, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag, aus Protest mit schwarzen Seiten, Ärzte und Anwälte protestierten. Welche Folgen haben die neuen Gesetze für Journalisten und andere bisher geschützte Berufsgruppen?

Mit der zwangsweisen Vorratsdatenspeicherung werden auch Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit praktisch ausgehebelt. Besonders für Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte oder Journalisten kann dieser Datenvorrat zum existenziellen Problem werden, weil sich damit besondere hochsensible Vertrauensverhältnisse kaum noch schützen lassen. Das Arzt- und Mandatsgeheimnis ist nicht mehr zu gewährleisten und auch nicht der für investigativen Journalismus und Medienfreiheit so notwendige Informantenschutz. Für kritische Journalisten kann das zur Folge haben, dass ihre Quellen versiegen, weil die Informanten ihre Aufdeckung befürchten müssen — denn künftig wird jede elektronische Kontaktaufnahme von oder zu einem Pressevertreter monatelang rückverfolgbar sein. Die Kontaktdaten können dann auch für Ermittlungen gegen Journalisten wegen (Beihilfe zum) Geheimnisverrat(s) herangezogen werden und zu Wohnungs- und Redaktionsdurchsuchungen führen.

Sind solche Gesetze "planmäßige" Bestandteile einer Salamitaktik, mit der die Grundrechte allmählich ausgehöhlt werden?

Seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 kommt es weltweit zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen — nicht allein durch Terrorakte, sondern gerade durch die weltweite "Terrorbekämpfung". Auch in der Bundesrepublik übertrafen sich nach den Anschlägen von New York, Madrid und London Parteien und Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesplänen, die der Sicherheit der Bürger dienen sollen, mit Sicherheit aber ihre Freiheitsrechte einschränken.
Für diese Art von Sicherheitspolitik stehen besonders die Antiterrorgesetze: Mit ihnen wurden Polizei- und Geheimdienstbefugnisse ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf "lebens- und verteidigungswichtige Betriebe" ausgedehnt, biometrische Daten in Ausweispapieren digital erfasst, Migranten unter Generalverdacht gestellt und einer intensiven Überwachung unterzogen. Inzwischen ist auch die von Polizei und Geheimdiensten gemeinsam genutzte Antiterrordatei Realität, der Staat will sich als PC- Hacker betätigen (Online-Durchsuchungen) — und ein Ende dieser staatlichen Nachrüstungen ist nicht in Sicht.
Der staatliche "Antiterrorkampf" stellt sich immer mehr als ein enormes Umorientierungs-, ja Umerziehungsprogramm heraus — ein Programm der Demontage hergebrachter Grundsätze der Menschen- und Bürgerrechte und des demokratischen Rechtsstaats. Im Kern geht es dabei um die Entgrenzung staatlicher Macht: Der Bundeswehreinsatz im Inland und damit die Militarisierung der "Inneren Sicherheit" sowie die Zentralisierung und Vernetzung aller Sicherheitsbehörden stehen für diese verhängnisvolle Entwicklung.

Werden in Deutschland Gesetze dieser Art auch auf Druck von amerikanischen Behörden gemacht, wie etwa im Fall der Übermittlung von Flugpassagier- und Bankdaten?

Beim Transfer von Flugpassagier- und Bankdaten ist es offenkundig, dass hier Begehrlichkeiten der US- Sicherheitsbehörden den Ausschlag gaben. Der politische Druck aus den USA ist auch darüber hinaus nicht zu leugnen — so etwa im Zusammenhang mit der Biometrisierung der Ausweispapiere, also ihrer Aufrüstung mit digitalem Gesichtsbild und Fingerabdrücken, die auf einem — aus der Ferne unbemerkt auslesbaren - RFID-Funkchip gespeichert werden.

Ältere Generationen werden an die Zeit von vor 40 Jahren erinnert, als eine Große Koalition die Notstandsgesetze durch den Bundestag brachte. Vergleichbar scheint nicht nur der demokratiefeindliche Inhalt, sondern vor allem die politische Art, wie in Deutschland Gesetze gegen starke Bewegungen durchgebracht werden. Was bleibt den Gegenbewegungen zu tun?

Leider gibt es in Deutschland eine solche starke Gegenbewegung — noch — nicht. Insofern hat die Große Koalition ein relativ leichtes Spiel, solche Überwachungsgesetze durchzudrücken. Allerdings gibt es durchaus eine nicht zu unterschätzende außerparlamentarische Opposition, speziell auch gegen Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung von Computern. Über 30 namhafte Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsverbände haben dagegen Front gemacht; auch Gewerkschaften, Ärzte-, Anwalts- und Juristenvereinigungen, Journalisten- und Medienverbände sowie die Internetwirtschaft, Telefonseelsorge und Verbraucherzentralen brachten ihren Protest zum Ausdruck.
In Berlin sind über 15000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen diese Überwachungsprojekte zu demonstrieren. Inzwischen hat sich eine Initiative zu einer Massenbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht zusammengefunden, die von über 20000 Menschen getragen wird, wovon sich mehr als 13000 zu einer Teilnahme entschlossen haben (www.vorratsdatenspeicherung.de). Noch kann man sich an dieser größten Massenbeschwerde in der bundesdeutschen Geschichte beteiligen.
Eine solche Beschwerde dürfte große Aussicht auf Erfolg haben, weil man doch spätestens seit dem Volkszählungs- und dem Rasterfahndungsurteil des Bundesverfassungsgerichts wissen müsste, dass das systematische Ansammeln sensibler Daten ohne konkreten Verdacht verfassungswidrig ist. Bis zu einem Urteil könnte zumindest die Ausforschung der Internetkommunikation verhindert werden: mit dem "PrivacyDongle" zum anonymen Internetsurfen (Bezug über: https://shop.foebud. org) und einem Verschlüsselungsprogramm für E-Mails (z.B. "Pretty Good Privacy", www.pgpi.com)
Im Übrigen ist an eine alte Erkenntnis zu erinnern: In starken politisch-sozialen Bewegungen, wie wir sie etwa in den 60er und 80er Jahren in der Bundesrepublik erlebten, ist die Bürgerrechtsfrage in der Regel gut verankert, denn dort geht es ja um die Inanspruchnahme dieser Rechte und um die Verteidigung und den Erhalt Erfolg versprechender Aktionsbedingungen. Je stärker diese Bewegungen, desto stärker auch der Kampf um demokratische Rechte. Insoweit sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden — zumal es ja ernstzunehmende Ansätze für ein Wiedererstarken der Bewegungen gibt.


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