SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der Bundestag hat am 9.November weitreichende Gesetze zur
Telekommunikationsüberwachung beschlossen. Zu den Auswirkungen dieser Gesetze sprach Rolf Euler mit
Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, seit 2007 stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der
Freien Hansestadt Bremen sowie Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Wenn wir mit Ihnen per Telefon oder E-Mail kommunizieren werden wir dann schon
"aussortiert" aus dem Datenberg der Telekommunikationsgesellschaften?
Sicherlich nicht, sofern Sie nicht Auslandsgespräche führen. Denn dann kann es passieren,
dass der Bundesnachrichtendienst im Zuge der strategischen Kontrolle solche Gespräche näher unter
die Lupe nimmt, sofern darin bestimmte Begriffe auftauchen wie etwa "Terrorismus" oder
Worte, die damit oder mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden können.
Grenzüberschreitende Gespräche werden schon seit langem mit Hilfe von wechselnden Wortbanken
automatisch nach bestimmten Begriffen durchforstet und gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen
gegen die Gesprächspartner aussortiert.
Die Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten soll "verdachtsunabhängig"
erfolgen, um darauf zum Zwecke der Strafverfolgung zugreifen zu können. Welches sind die zentralen
Argumente von Datenschützern und Verfassungsrechtlern gegen diese Neuregelung?
Die vom Bundestag beschlossene Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungs- und Standortdaten,
also der Verbindungsdaten von Telefon, Handy, E-Mail und Internet, ist ein Anschlag auf die freie
Kommunikation und Meinungsäußerung. Denn es handelt sich hier um die vorsorgliche Speicherung von
Milliarden sensibler Daten, ohne jeglichen Verdacht sechs Monate lang. Dies greift in die geschützte
Privatsphäre ein und führt letztlich zu einer pauschalen Nutzer-Überwachung, verletzt das
informationelle Selbstbestimmungsrecht und dürfte gegen den Verfassungsgrundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Zugriff auf die Kommunikationsdaten
wer hat unter welcher Nummer oder IP-Adresse von wo aus wann mit wem wie lange kommuniziert erhalten
Polizei, Staatsanwälte, Nachrichtendienste und auch ausländische Behörden, die sich davon
eine verbesserte Strafverfolgung und internationale Terrorbekämpfung versprechen. 80 Millionen
Bürger zu erfassen, nur um verschwindend wenige Verdächtige möglicherweise leichter
ausfindig machen zu können, ist aber unverhältnismäßig.
Die gigantische Datenspeicherung ist nicht
nur teuer für die TK-Anbieter (die Kosten werden wohl an die Nutzer weitergegeben), mit diesem
Datenvorrat sind auch Privatsphäre und Vertraulichkeit nicht mehr zu gewährleisten: Mit den
Informationen können Bewegungs- und Kommunikationsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte
rekonstruiert und soziale Beziehungen identifiziert werden.
Eine Auswertung des individuellen
Kommunikationsverhaltens erlaubt auch Rückschlüsse auf den Inhalt vertraulicher Kommunikation,
auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden. Das eröffnet eine neue
Dimension der Überwachung und Kontrolle von unschuldigen Personen, die ein starkes
Missbrauchspotenzial birgt.
Einige Zeitungen und Internetseiten erschienen am 9.November, dem Tag der Verabschiedung des
Gesetzes im Bundestag, aus Protest mit schwarzen Seiten, Ärzte und Anwälte protestierten. Welche
Folgen haben die neuen Gesetze für Journalisten und andere bisher geschützte Berufsgruppen?
Mit der zwangsweisen Vorratsdatenspeicherung werden auch Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit praktisch
ausgehebelt. Besonders für Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte oder Journalisten
kann dieser Datenvorrat zum existenziellen Problem werden, weil sich damit besondere hochsensible
Vertrauensverhältnisse kaum noch schützen lassen. Das Arzt- und Mandatsgeheimnis ist nicht mehr
zu gewährleisten und auch nicht der für investigativen Journalismus und Medienfreiheit so
notwendige Informantenschutz. Für kritische Journalisten kann das zur Folge haben, dass ihre Quellen
versiegen, weil die Informanten ihre Aufdeckung befürchten müssen denn künftig wird
jede elektronische Kontaktaufnahme von oder zu einem Pressevertreter monatelang rückverfolgbar sein.
Die Kontaktdaten können dann auch für Ermittlungen gegen Journalisten wegen (Beihilfe zum)
Geheimnisverrat(s) herangezogen werden und zu Wohnungs- und Redaktionsdurchsuchungen führen.
Sind solche Gesetze "planmäßige" Bestandteile einer Salamitaktik, mit der die
Grundrechte allmählich ausgehöhlt werden?
Seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 kommt es weltweit zu gravierenden
Menschenrechtsverletzungen nicht allein durch Terrorakte, sondern gerade durch die weltweite
"Terrorbekämpfung". Auch in der Bundesrepublik übertrafen sich nach den Anschlägen
von New York, Madrid und London Parteien und Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesplänen, die
der Sicherheit der Bürger dienen sollen, mit Sicherheit aber ihre Freiheitsrechte einschränken.
Für diese Art von Sicherheitspolitik
stehen besonders die Antiterrorgesetze: Mit ihnen wurden Polizei- und Geheimdienstbefugnisse ausgeweitet,
Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf "lebens- und verteidigungswichtige
Betriebe" ausgedehnt, biometrische Daten in Ausweispapieren digital erfasst, Migranten unter
Generalverdacht gestellt und einer intensiven Überwachung unterzogen. Inzwischen ist auch die von
Polizei und Geheimdiensten gemeinsam genutzte Antiterrordatei Realität, der Staat will sich als PC-
Hacker betätigen (Online-Durchsuchungen) und ein Ende dieser staatlichen Nachrüstungen ist
nicht in Sicht.
Der staatliche "Antiterrorkampf"
stellt sich immer mehr als ein enormes Umorientierungs-, ja Umerziehungsprogramm heraus ein Programm
der Demontage hergebrachter Grundsätze der Menschen- und Bürgerrechte und des demokratischen
Rechtsstaats. Im Kern geht es dabei um die Entgrenzung staatlicher Macht: Der Bundeswehreinsatz im Inland
und damit die Militarisierung der "Inneren Sicherheit" sowie die Zentralisierung und Vernetzung
aller Sicherheitsbehörden stehen für diese verhängnisvolle Entwicklung.
Werden in Deutschland Gesetze dieser Art auch auf Druck von amerikanischen Behörden gemacht,
wie etwa im Fall der Übermittlung von Flugpassagier- und Bankdaten?
Beim Transfer von Flugpassagier- und Bankdaten ist es offenkundig, dass hier Begehrlichkeiten der US-
Sicherheitsbehörden den Ausschlag gaben. Der politische Druck aus den USA ist auch darüber hinaus
nicht zu leugnen so etwa im Zusammenhang mit der Biometrisierung der Ausweispapiere, also ihrer
Aufrüstung mit digitalem Gesichtsbild und Fingerabdrücken, die auf einem aus der Ferne
unbemerkt auslesbaren - RFID-Funkchip gespeichert werden.
Ältere Generationen werden an die Zeit von vor 40 Jahren erinnert, als eine Große
Koalition die Notstandsgesetze durch den Bundestag brachte. Vergleichbar scheint nicht nur der
demokratiefeindliche Inhalt, sondern vor allem die politische Art, wie in Deutschland Gesetze gegen starke
Bewegungen durchgebracht werden. Was bleibt den Gegenbewegungen zu tun?
Leider gibt es in Deutschland eine solche starke Gegenbewegung noch nicht. Insofern hat
die Große Koalition ein relativ leichtes Spiel, solche Überwachungsgesetze durchzudrücken.
Allerdings gibt es durchaus eine nicht zu unterschätzende außerparlamentarische Opposition,
speziell auch gegen Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung von Computern. Über 30 namhafte
Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsverbände haben dagegen Front gemacht; auch
Gewerkschaften, Ärzte-, Anwalts- und Juristenvereinigungen, Journalisten- und Medienverbände
sowie die Internetwirtschaft, Telefonseelsorge und Verbraucherzentralen brachten ihren Protest zum
Ausdruck.
In Berlin sind über 15000 Menschen
auf die Straße gegangen, um gegen diese Überwachungsprojekte zu demonstrieren. Inzwischen hat
sich eine Initiative zu einer Massenbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem
Bundesverfassungsgericht zusammengefunden, die von über 20000 Menschen getragen wird, wovon sich mehr
als 13000 zu einer Teilnahme entschlossen haben (www.vorratsdatenspeicherung.de). Noch kann man sich an
dieser größten Massenbeschwerde in der bundesdeutschen Geschichte beteiligen.
Eine solche Beschwerde dürfte
große Aussicht auf Erfolg haben, weil man doch spätestens seit dem Volkszählungs- und dem
Rasterfahndungsurteil des Bundesverfassungsgerichts wissen müsste, dass das systematische Ansammeln
sensibler Daten ohne konkreten Verdacht verfassungswidrig ist. Bis zu einem Urteil könnte zumindest
die Ausforschung der Internetkommunikation verhindert werden: mit dem "PrivacyDongle" zum
anonymen Internetsurfen (Bezug über: https://shop.foebud. org) und einem Verschlüsselungsprogramm
für E-Mails (z.B. "Pretty Good Privacy", www.pgpi.com)
Im Übrigen ist an eine alte Erkenntnis
zu erinnern: In starken politisch-sozialen Bewegungen, wie wir sie etwa in den 60er und 80er Jahren in der
Bundesrepublik erlebten, ist die Bürgerrechtsfrage in der Regel gut verankert, denn dort geht es ja um
die Inanspruchnahme dieser Rechte und um die Verteidigung und den Erhalt Erfolg versprechender
Aktionsbedingungen. Je stärker diese Bewegungen, desto stärker auch der Kampf um demokratische
Rechte. Insoweit sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden zumal es ja ernstzunehmende
Ansätze für ein Wiedererstarken der Bewegungen gibt.
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