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Der AK Vorratsdatenspeicherung plant eine Verfassungsbeschwerde gegen das
jetzt vom Bundestag beschlossene Gesetz über Vorratsdatenspeicherung. Dem zufolge müssen
Telefongesellschaften und Internetdienstanbieter sechs Monate speichern, wer wen wann angerufen, wer sich
wann ins Internet eingeloggt, wer wann mit wem E-Mails ausgetauscht und wer wann von welchem Internet-
Anschluss aus seine Emails abgerufen hat. Bei Handy-Anrufen wird auch gespeichert, wo der Anruf begonnen
wurde. Parallel zur Verfassungsbeschwerde läuft ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung der
vorläufigen Aussetzung der gesetzlichen Regelungen. Meinhard Starostik ist Rechtsanwalt und wird die
Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht führen. Mit ihm sprachen Rolf und Almut Euler.
Was sind die juristischen Kernpunkte der Klage vor dem Verfassungsgericht?
Die geplante Verfassungsbeschwerde richtet sich nicht gegen alle Regelungen des Gesetzes "zur
Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie
zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG", sondern ausschließlich gegen die
Vorratsdatenspeicherung und die Auskunftserteilung über die gespeicherten Daten. Das ist in Artikel 2
des jetzt vom Bundestag beschlossenen Gesetzes geregelt und betrifft im Kern die neuen §§113a und
113b des Telekommunikationsgesetzes.
Hierin wird festgelegt, dass Telefon- bzw.
Internetanbieter diese Daten den zuständigen Behörden auf Anforderung zur Verfügung stellen
müssen: erstens zur Verfolgung von Straftaten, zweitens zur Abwehr von erheblichen Gefahren für
die öffentliche Sicherheit, drittens zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der
Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des
Militärischen Abschirmdienstes.
Damit wird ganz weitgehend in das
Fernmeldegeheimnis nach Art.10 GG und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art.2 Abs.1 und
Art.1 Abs.1 GG eingegriffen. Des weiteren sind die Eigentumsgarantie (Art.14 GG), die Berufsfreiheit
(Art.12 GG), die Meinungs- Informations-, Rundfunk- und Pressefreiheit (Art.5 Abs.1 GG) und der allgemeine
Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG betroffen.
Muss man parallel oder evtl. später vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, weil es sich
um die nationale Umsetzung europäischer Richtlinien handelt?
In der Tat stellt sich die Frage, in welchen Fällen der Grundrechtsschutz auf die europäische
Ebene verlagert wird, wenn das nationale Parlament eine europäische Richtlinie in ein nationales
Gesetz umsetzt. Entsprechend hat sich auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts letztens
geäußert. Das alles ist zur Zeit aber nicht spruchreif. Zur Zeit geht es darum, die in den
§§113a und 113b geregelte Vorratsdatenspeicherung und den Abruf dieser Daten auf den
Prüfstand des Verfassungsrechts des Grundgesetzes zu stellen. Die Notwendigkeit, als einzelner
Bürger auf europäischer Ebene rechtlich vorzugehen, sehe ich nicht. Hierbei ist auch zu bedenken,
dass dieses Gesetz mehr regelt, als in der europäischen Richtlinie vorgesehen ist. Insbesondere
schafft das Gesetz mehr Ermittlungsmöglichkeiten als die Richtlinie vorsieht.
Darf eine Justizministerin das Parlament und die Öffentlichkeit so massiv täuschen wie mit
der Aussage, das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung bedeute nur, dass man
"informiert" werden müsse, wer was speichert, wohingegen das Urteil die Verfügung
über die Daten unter Schutz stelle?
Mir ist die zitierte Aussage nicht im Einzelnen bekannt. Grundsätzlich steht es auch Ministern gut
an, die Rechtslage richtig wiederzugeben. Wenn die Justizministerin das so grob unrichtig getan hat, wie
Sie das zitieren, dann gibt das Grund zu scharfer politischer Kritik. Die beste Instanz, die das verbieten
und "aburteilen" kann, ist die informierte Öffentlichkeit.
Ist eine "Massenklage" am Verfassungsgericht sinnvoller als die eines einzelnen
Betroffenen?
Sinnvoll erschien mir die Initiative des AK Vorratsdatenspeicherung, weil damit bereits vor
Verabschiedung des Gesetzes die breite Kritik an der Vorratsdatenspeicherung kundgetan wurde. Erst wenn das
Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet sein wird, kann die Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Dann
ist es sicherlich sinnvoller, dass alle, die das gleiche Anliegen haben, sich zu einer einzigen
Verfassungsbeschwerde zusammentun, anstatt darauf zu warten, dass irgendwer diese Beschwerde erhebt.
Insofern erscheint es mir sinnvoller, eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde zu erheben.
Was kann man gegen den Vergleich tun, den der Bundesinnenminister zwischen der angeblich
"größten Verfassungsbeschwerde aller Zeiten" und dem "größten
Feldherrn" aller Zeiten (GröFaZ) also Hitler gezogen hat?
Viele meiner Mandanten sind empört über diesen Vergleich, denn er setzt den größten
Verbrecher der deutschen Geschichte mit Bürgern gleich, die ihr verfassungsmäßiges Recht
ausüben. Ich antworte diesen Mandanten, dass ich nur die Verfassungsbeschwerde mache und für
andere Verfahren, z.B. ein Strafverfahren wegen dieser Äußerung, nicht zur Verfügung stehe.
Das liegt schlicht daran, dass ich tatsächlich für weitere Verfahren keine Arbeitskapazität
habe. Es ist aber auch meine persönliche Überzeugung, dass rechtliche Verfahren gegen
irgendwelche empörenden Politikeräußerungen in der Regel nicht der richtige Kampfplatz sind.
Die öffentliche Meinung gegen den "GröFaZ"-Vergleich war so eindeutig und stark, dass
es keines anderen Vorgehens gegen diese Äußerung bedarf. Wer solche Vergleiche zieht, ist
jedenfalls kein guter Schützer meiner inneren und äußeren Sicherheit. Zu dieser gehört
vor allem ein funktionierendes System gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Staatsgewalt. Der
Rücktritt vom Ministeramt wäre eine angemessene Lösung des Problems.
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