SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die politische Klasse verfällt in blinden Aktionismus und will der
Bevölkerung ein vermeintliches Sicherheitsgefühl vermitteln. Von den staatlichen Organen werden
wir Bürger dabei unter Generalverdacht gestellt und unter dem Deckmantel der Terrorismusabwehr werden
Grundrechte außer Kraft gesetzt.
Das Ganze ist lediglich ein Alibi. Denn
jedem ist klar, dass man Terroristen nicht mit Bundestrojanern begegnen kann. Auch mit dem Abhören von
Telefongesprächen in Arztpraxen ein ungeheuerlicher Angriff auf die ärztliche
Schweigepflicht wird man keine kriminelle Machenschaften in nennenswertem Umfang aufdecken.
Wir Ärzte sind in großer Sorge um
das Weiterbestehen eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses auf der Grundlage der seit
Jahrtausenden bestehenden ärztlichen Schweigepflicht. Seit mehreren Jahren werden die Freiheitsrechte
der Ärzteschaft eingeschränkt. Staatliche Kontrolle, Budgetierung und Bürokratie bestimmen
den Tagesablauf in Arztpraxen. Wir brauchen aber Freiheit und Unabhängigkeit für Entscheidungen
im Sinne der Patienten ohne eine kontrollierende Obrigkeit, die vorschreibt, wie die Bürger
nach Kassenlage zu behandeln sind.
Zu allem Übel kommt nun die
elektronische Gesundheitskarte (eGK). Was hat ein Chip auf einer Karte mit Vorratsdatenspeicherung und
Datensammlungswahn zu tun?
Seit Jahren haben der Staat und die
Krankenkassen die Bevölkerung falsch informiert, indem sie behaupten, dass in Zukunft sämtliche
Patientendaten auf einer elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden sollen. Die Informations-
Industrie verspricht, dass der Bürger seine informationelle Selbstbestimmung erhält. Dies war und
ist in Wirklichkeit aber nicht beabsichtigt. Bürger und Ärzte wurden und werden systematisch
getäuscht. Diese elektronische Gesundheitskarte wird nur wenige Patientendaten speichern, sie ist
jedoch der Schlüssel zu einer gigantischen Vernetzung des Gesundheitswesens über das Internet
mit zentraler Speicherung auf Zentralservern darunter auch die intimsten Patientendaten.
Wichtige Informationen über Gesundheit und Krankheit werden der Obhut der Ärzte entzogen, und die
patientenbezogenen Daten verlieren den Schutz durch die ärztliche Schweigepflicht.
Nervenzusammenbruch, AIDS,
Alkoholabhängigkeit, Herzkrankheit oder Brustkrebs demnächst im Internet. Nach
Schätzungen werden 2 Millionen Menschen Zugriffsrechte auf dieses System und die Krankheitsdaten
haben. Diese sollen bald in Form elektronischer Patientenakten gleich beim Kostenträger Krankenkasse
gespeichert werden. So entsteht in naher Zukunft nicht nur der gläserne Patient, sondern auch der
gläserne Arzt. Die Versicherten können so in Risikoklassen eingeteilt werden. Kostenintensive
Patienten werden leicht ausgemacht, und es kann kontrollierend an den Menschen gespart werden.
Viele Fragen tauchen dabei auf:
Wie lange werden die Daten auf Servern
sicher sein?
Wann werden die patientenbezogenen
Informationen durch das Internet kursieren?
Kleine Gesetzesänderungen reichen, und
der Staatsapparat hat Zugriff auf Patientendaten. Begehrlichkeiten auf diese Informationen gibt es viele,
z.B. von Seiten der Versicherungen und Arbeitgeber!
Mit der elektronischen Gesundheitskarte
will die politische Klasse das Berufsbild "Arzt" komplett verändern. In Zukunft wird der
Arzt zum Datenlieferanten von Patientendaten für kranke Kassen und Versicherungen. Er sitzt am Rechner
und verwaltet die Patienten. Die Nähe zum Arzt, das Persönliche, das Empathische wird verloren
gehen. Wichtige ärztliche Entscheidungen sollen demnächst an Nicht-Ärzte übertragen
werden, nach dem Muster der USA, wo man dies Managed Care nennt, also "gesteuerte Versorgung".
Der Staat betreibt Akzeptanzmarketing
für ein neues industrielles Geschäftsfeld. Patientendaten sollen kontrolliert und
Patientenströme geleitet werden. Die Industrie sowohl die IT-Industrie als auch die
Gesundheitsindustrie steht in den Startlöchern, um die bewährte Gesundheitsversorgung in
eine "Gesundheitswirtschaft" zu überführen.
Die elektronische Gesundheitskarte hat
nicht nur ein Datensicherheitsproblem, sie ist auch das Instrument, mit dem die Gesundheitsversorgung der
Bevölkerung komplett neu geordnet wird. Das Ziel ist die "patientenzentrierte
Gesundheitsindustrie".
Für die elektronische Gesundheitskarte
gibt es keine Kosten-Nutzen-Analysen. Der Nachweis des medizinischen Vorteils fehlt vollständig. Die
versprochenen Verbesserungen werden am Ende teuer von den Bürgern und Patienten sowohl
finanziell als auch mit ihrer Gesundheit bezahlt.
Nach Artikel 20 Grundgesetz heißt es
"Alle Macht geht vom Volk aus" und nicht: "Der Staatsapparat bemächtigt sich des
Volkes."
Wer seine Freiheit aufgibt, um Sicherheit
zu gewinnen, wird beides verlieren.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |