SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 08

IGM-Gewerkschaftstag

Zäher Widerstand gegen den Geist der Anpassung

Hans Köbrich über die wichtigsten Debatten und Beschlüsse

DDie Novemberausgabe der SoZ enthielt einen Überblick über die Anträge zum letzten Gewerkschaftstag der IG Metall; dabei wurden Erfahrungen reflektiert, die den Wert einer guten Beschlusslage relativieren. Mit HANS KÖBRICH, der als Ersatzdelegierter am Gewerkschaftstag teilnahm, sprach Jochen Gester.

Welchen Eindruck hattest du vom Gewerkschaftstag, und was war anders als vor vier Jahren?

Ich war unentschlossen, ob ich überhaupt kandidieren soll. Die Erfahrungen mit dem letzten Gewerkschaftstag waren ernüchternd. Weniger wegen des Gewerkschaftstages selbst, sondern weil aus beschlossenen Anträgen nichts gefolgt ist. Ich hatte den Eindruck, dass die Delegierten der Basis, die hier zu Wort kommen, nicht viel ändern können. Dabei beziehe ich mich u.a. auf den Antrag der Wolfsburger (siehe SoZ 11/07) zur internationalen Gewerkschaftsarbeit. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele der beschlossenen Anträge, die auf die Finanzierung unserer praktischen Arbeit abzielten, vom Vorstand nicht umgesetzt wurden. Im Arbeitskreis Internationalismus konnten wir von der positiven Beschlusslage gar nicht oder nur wenig profitieren.
Wenn man diesen mit dem letzten Gewerkschaftstag vergleicht, muss man sagen: Die Situation war 2003 viel zugespitzter. Wir waren damals mit einer wesentlichen Verschärfung der Sozialpolitik konfrontiert. Die Hartz-Gesetze lagen gerade auf dem Tisch und wurden von der Gewerkschaftsbasis scharf kritisiert, besonders die Zustimmung der Gewerkschaftsspitzen dazu. Davon haben viele Linke profitiert, weil sie mit ihrer Kritik die Stimmen für ein Mandat zum Gewerkschaftstag erringen konnten. Auch der Abbruch des Streiks für Arbeitszeitverkürzung im Osten war ein heißes Thema, das kontrovers diskutiert wurde. Das war Stoff für eine spannende Veranstaltung.
2007 herrschte das Bedürfnis nach Harmonie und Einheit vor. Aufgefallen ist mir diesmal auch, welch geringer zeitlicher Rahmen für Diskussionen zur Verfügung stand — ganze zwei Tage für die Debatte um die inhaltliche Ausrichtung der Organisation. Dominierend war die Repräsentanz nach außen. Meiner Meinung nach reicht das für eine demokratische Willensbildung nicht aus. Über Personalvorschläge wurde überhaupt nicht diskutiert. 2003 hatte Klaus Ernst noch eine Gegenkandidatur gegen die Agenda 2010 versucht, was auch einer der Grundsteine für die Parteibildung zur WASG war. Die Frage des 1.Vorsitzenden ist vorab entschieden worden. Ob damit eine Richtungsentscheidung verbunden ist, wurde nicht explizit diskutiert.

Ist es denn eine?

Huber als sog. Modernisierer steht für einen ausgeprägten Pragmatismus, der auf Kosten von Grundsatzpositionen geht und uns schon oft Schwierigkeiten bereitet hat. In unserer zentralistischen Organisation hat der Vorsitzende eine große Bedeutung, vor allem für die Öffentlichkeit, welche die IG Metall über diesen Weg wahrnimmt. Der bisherige NRW-Bezirksleiter Detlef Wetzel war wegen seiner klientelbezogenen Tarifpolitik umstritten. Er hat Abweichungen vom Tarifvertrag nach unten vereinbart, bei denen IG-Metall-Mitglieder teilweise einen Ausgleichsbonus bekamen. Bei Kollegen, die immer auf Nichtmitglieder als Trittbrettfahrer schimpfen, ist so was populär. Doch diese Politik läuft auf einen Abschied vom gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag hinaus, vom Anspruch, die Dinge für alle zu regeln.
Ich selbst bin ja auch nicht der typische Repräsentant der Berliner Betriebe, die in der IG Metall organisiert sind. Wegen meiner oft kritischen Position in der Gewerkschaft und als Vertreter einer linken Strömung bin ich nur Ersatzdelegierter geworden. In Berlin hat meine Kritik der vereinbarten Sozialtarifverträge eine Rolle gespielt, für die hier gestreikt wurde. Die Mehrheit der Vertreterversammlung sieht die Rolle der IGM positiver als ich.
Insbesondere der BSH-Streik hat zu Anträgen für die Erweiterung des Streikrechts angeregt. Die kamen auch aus anderen Verwaltungsstellen, so z.B. aus dem Fachbereich Holz und Kunststoff. Diese Kollegen wollten die Bereitschaft zum politischen Streik in die Satzung aufzunehmen. Ihnen wurde entgegnet, dies würde das verfassungsmäßig garantierte Widerstandsrecht einengen. Hier haben wir nicht aufgepasst, so dass das Ganze mit der Begründung abgebügelt wurde, die bestehende Satzungsformulierung in §2 sei weitergehender. Zwölf Verwaltungsstellen hatten Anträge für das politische Streikrecht gestellt, doch es gab kaum eine Debatte, was mich schwer enttäuschte. Das Ganze wurde mit dem Hinweis in Entschließung 1 auf die Gültigkeit des Art.6 der Europäischen Sozialcharta für erledigt erklärt.

Bei welchen Themen gab es kontroverse Diskussionen und zu welchem Ergebnis haben sie geführt?

Die Hauptdiskussion drehte sich um die Sozialpolitik, war jedoch wenig kontrovers, weil einiges an Kritik in die Hauptentschließungen 1 und 4 aufgenommen wurde. Das Thema "Rente mit 67" ist an einigen Stellen durch Ergänzungsanträge nachgeschärft worden. Die Methode, sich auf Abänderungen der Hauptresolutionen zu konzentrieren, war ein Ergebnis der Erfahrung, dass separate Anträge meist mit der Floskel "erledigt durch Entschließung" ad acta gelegt wurden. Kritisiert wurde im Plenum, dass der Kampf gegen die Rente mit 67 zu spät aufgenommen und vorzeitig abgebrochen wurde. Solche Anträge gingen als Material an den Vorstand. Darin steht auch, dass diese Kampagne nicht beendet ist, sondern spätestens 2009 anlässlich der Wahlen weitergeführt werden soll. Nicht einverstanden war die Mehrheit, dass 1-Euro-Jobs als "eine Möglichkeit" gelten sollen; sie plädierte für ihre Abschaffung.
Intensiv diskutiert wurde das Erstarken rechtsradikaler Strömungen und Parteien insbesondere in den neuen Bundesländern — auch die Infizierung der eigenen Reihen. Es bestand große Einmütigkeit, dass die IG Metall hier gefordert ist; das ist eine wichtige gesellschaftspolitische Positionierung.
Die Äußerungen von Berthold Huber zur Arbeitszeitpolitik — von der Presse als Abschied von der 35-Stunden-Woche und von weiteren Arbeitszeitverkürzungen interpretiert — brachte noch mal richtig Schwung in die Debatte. Huber hatte in seinem Zukunftsreferat erklärt, die IGM könne die 35-Stunden-Woche nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Man müsse den unterschiedlichen Bedingungen bei der Arbeit Rechnung tragen. Es seien jedoch weitere Arbeitszeitverkürzung für besonders belastete Gruppen wie Schicht- und Bandarbeiter nötig; bei den sog. "Kreativarbeitern". (wie Entwicklungsingenieure) müsse es andere "Arbeitszeitgestaltungen" geben. In diesem Bereich wird die gewerkschaftliche Schutzaufgabe ja wenig wahrgenommen. Anträge für weitere Schritte der Arbeitszeitverkürzung wurden als Material angenommen.
Natürlich wurde das Thema Pforzheimer Abkommen kontrovers diskutiert. Anträge, die seine Aufkündigung forderten, blieben erfolglos. Jedoch sollen die Kriterien für Abweichungen vom Tarifvertrag schärfer kontrolliert werden.
Ich hatte den Einruck dass die Diskussionskultur besser geworden ist. Moderation und Antragsberatung gingen auf Änderungsvorschläge ein, und es wurde weniger formal abgebügelt. Die Antragsberatungskommission zeigte sich manchmal flexibel, war öfter auch bereit, nach entsprechendem Diskussionsverlauf ihre Empfehlungen zu ändern.
Ausgesprochen linke Gewerkschafter (mit außerparlamentarischem Ansatz) waren auf diesem Gewerkschaftstag — im Gegensatz zu 2003— als Strömung nicht zu erkennen. 2003 hatten sich die linken Delegierten in einer eigenen Versammlung getroffen, über 20 Delegierte hatten daran teilgenommen. Natürlich war die parlamentarische Linke präsent.
Bewegung gab es bei diesem Gewerkschaftstag noch bei den Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Der als "erledigt durch Praxis" abgewimmelte Antrag von 2003 wurde erneut gestellt. Etwa 40% der Delegierten stimmten für die Aufhebung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse.


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