SoZ - Sozialistische Zeitung |
DDie Novemberausgabe der SoZ enthielt einen Überblick über die
Anträge zum letzten Gewerkschaftstag der IG Metall; dabei wurden Erfahrungen reflektiert, die den Wert
einer guten Beschlusslage relativieren. Mit HANS KÖBRICH, der als Ersatzdelegierter am
Gewerkschaftstag teilnahm, sprach Jochen Gester.
Welchen Eindruck hattest du vom Gewerkschaftstag, und was war anders als vor vier Jahren?
Ich war unentschlossen, ob ich überhaupt kandidieren soll. Die Erfahrungen mit dem letzten
Gewerkschaftstag waren ernüchternd. Weniger wegen des Gewerkschaftstages selbst, sondern weil aus
beschlossenen Anträgen nichts gefolgt ist. Ich hatte den Eindruck, dass die Delegierten der Basis, die
hier zu Wort kommen, nicht viel ändern können. Dabei beziehe ich mich u.a. auf den Antrag der
Wolfsburger (siehe SoZ 11/07) zur internationalen Gewerkschaftsarbeit. Wir haben die Erfahrung gemacht,
dass viele der beschlossenen Anträge, die auf die Finanzierung unserer praktischen Arbeit abzielten,
vom Vorstand nicht umgesetzt wurden. Im Arbeitskreis Internationalismus konnten wir von der positiven
Beschlusslage gar nicht oder nur wenig profitieren.
Wenn man diesen mit dem letzten
Gewerkschaftstag vergleicht, muss man sagen: Die Situation war 2003 viel zugespitzter. Wir waren damals mit
einer wesentlichen Verschärfung der Sozialpolitik konfrontiert. Die Hartz-Gesetze lagen gerade auf dem
Tisch und wurden von der Gewerkschaftsbasis scharf kritisiert, besonders die Zustimmung der
Gewerkschaftsspitzen dazu. Davon haben viele Linke profitiert, weil sie mit ihrer Kritik die Stimmen
für ein Mandat zum Gewerkschaftstag erringen konnten. Auch der Abbruch des Streiks für
Arbeitszeitverkürzung im Osten war ein heißes Thema, das kontrovers diskutiert wurde. Das war
Stoff für eine spannende Veranstaltung.
2007 herrschte das Bedürfnis nach
Harmonie und Einheit vor. Aufgefallen ist mir diesmal auch, welch geringer zeitlicher Rahmen für
Diskussionen zur Verfügung stand ganze zwei Tage für die Debatte um die inhaltliche
Ausrichtung der Organisation. Dominierend war die Repräsentanz nach außen. Meiner Meinung nach
reicht das für eine demokratische Willensbildung nicht aus. Über Personalvorschläge wurde
überhaupt nicht diskutiert. 2003 hatte Klaus Ernst noch eine Gegenkandidatur gegen die Agenda 2010
versucht, was auch einer der Grundsteine für die Parteibildung zur WASG war. Die Frage des
1.Vorsitzenden ist vorab entschieden worden. Ob damit eine Richtungsentscheidung verbunden ist, wurde nicht
explizit diskutiert.
Ist es denn eine?
Huber als sog. Modernisierer steht für einen ausgeprägten Pragmatismus, der auf Kosten von
Grundsatzpositionen geht und uns schon oft Schwierigkeiten bereitet hat. In unserer zentralistischen
Organisation hat der Vorsitzende eine große Bedeutung, vor allem für die Öffentlichkeit,
welche die IG Metall über diesen Weg wahrnimmt. Der bisherige NRW-Bezirksleiter Detlef Wetzel war
wegen seiner klientelbezogenen Tarifpolitik umstritten. Er hat Abweichungen vom Tarifvertrag nach unten
vereinbart, bei denen IG-Metall-Mitglieder teilweise einen Ausgleichsbonus bekamen. Bei Kollegen, die immer
auf Nichtmitglieder als Trittbrettfahrer schimpfen, ist so was populär. Doch diese Politik läuft
auf einen Abschied vom gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag hinaus, vom Anspruch, die Dinge für alle
zu regeln.
Ich selbst bin ja auch nicht der typische
Repräsentant der Berliner Betriebe, die in der IG Metall organisiert sind. Wegen meiner oft kritischen
Position in der Gewerkschaft und als Vertreter einer linken Strömung bin ich nur Ersatzdelegierter
geworden. In Berlin hat meine Kritik der vereinbarten Sozialtarifverträge eine Rolle gespielt,
für die hier gestreikt wurde. Die Mehrheit der Vertreterversammlung sieht die Rolle der IGM positiver
als ich.
Insbesondere der BSH-Streik hat zu
Anträgen für die Erweiterung des Streikrechts angeregt. Die kamen auch aus anderen
Verwaltungsstellen, so z.B. aus dem Fachbereich Holz und Kunststoff. Diese Kollegen wollten die
Bereitschaft zum politischen Streik in die Satzung aufzunehmen. Ihnen wurde entgegnet, dies würde das
verfassungsmäßig garantierte Widerstandsrecht einengen. Hier haben wir nicht aufgepasst, so dass
das Ganze mit der Begründung abgebügelt wurde, die bestehende Satzungsformulierung in §2 sei
weitergehender. Zwölf Verwaltungsstellen hatten Anträge für das politische Streikrecht
gestellt, doch es gab kaum eine Debatte, was mich schwer enttäuschte. Das Ganze wurde mit dem Hinweis
in Entschließung 1 auf die Gültigkeit des Art.6 der Europäischen Sozialcharta für
erledigt erklärt.
Bei welchen Themen gab es kontroverse Diskussionen und zu welchem Ergebnis haben sie geführt?
Die Hauptdiskussion drehte sich um die Sozialpolitik, war jedoch wenig kontrovers, weil einiges an
Kritik in die Hauptentschließungen 1 und 4 aufgenommen wurde. Das Thema "Rente mit 67" ist
an einigen Stellen durch Ergänzungsanträge nachgeschärft worden. Die Methode, sich auf
Abänderungen der Hauptresolutionen zu konzentrieren, war ein Ergebnis der Erfahrung, dass separate
Anträge meist mit der Floskel "erledigt durch Entschließung" ad acta gelegt wurden.
Kritisiert wurde im Plenum, dass der Kampf gegen die Rente mit 67 zu spät aufgenommen und vorzeitig
abgebrochen wurde. Solche Anträge gingen als Material an den Vorstand. Darin steht auch, dass diese
Kampagne nicht beendet ist, sondern spätestens 2009 anlässlich der Wahlen weitergeführt
werden soll. Nicht einverstanden war die Mehrheit, dass 1-Euro-Jobs als "eine Möglichkeit"
gelten sollen; sie plädierte für ihre Abschaffung.
Intensiv diskutiert wurde das Erstarken
rechtsradikaler Strömungen und Parteien insbesondere in den neuen Bundesländern auch die
Infizierung der eigenen Reihen. Es bestand große Einmütigkeit, dass die IG Metall hier gefordert
ist; das ist eine wichtige gesellschaftspolitische Positionierung.
Die Äußerungen von Berthold Huber
zur Arbeitszeitpolitik von der Presse als Abschied von der 35-Stunden-Woche und von weiteren
Arbeitszeitverkürzungen interpretiert brachte noch mal richtig Schwung in die Debatte. Huber
hatte in seinem Zukunftsreferat erklärt, die IGM könne die 35-Stunden-Woche nicht wie eine
Monstranz vor sich hertragen. Man müsse den unterschiedlichen Bedingungen bei der Arbeit Rechnung
tragen. Es seien jedoch weitere Arbeitszeitverkürzung für besonders belastete Gruppen wie
Schicht- und Bandarbeiter nötig; bei den sog. "Kreativarbeitern". (wie
Entwicklungsingenieure) müsse es andere "Arbeitszeitgestaltungen" geben. In diesem Bereich
wird die gewerkschaftliche Schutzaufgabe ja wenig wahrgenommen. Anträge für weitere Schritte der
Arbeitszeitverkürzung wurden als Material angenommen.
Natürlich wurde das Thema Pforzheimer
Abkommen kontrovers diskutiert. Anträge, die seine Aufkündigung forderten, blieben erfolglos.
Jedoch sollen die Kriterien für Abweichungen vom Tarifvertrag schärfer kontrolliert werden.
Ich hatte den Einruck dass die
Diskussionskultur besser geworden ist. Moderation und Antragsberatung gingen auf
Änderungsvorschläge ein, und es wurde weniger formal abgebügelt. Die
Antragsberatungskommission zeigte sich manchmal flexibel, war öfter auch bereit, nach entsprechendem
Diskussionsverlauf ihre Empfehlungen zu ändern.
Ausgesprochen linke Gewerkschafter (mit
außerparlamentarischem Ansatz) waren auf diesem Gewerkschaftstag im Gegensatz zu 2003 als
Strömung nicht zu erkennen. 2003 hatten sich die linken Delegierten in einer eigenen Versammlung
getroffen, über 20 Delegierte hatten daran teilgenommen. Natürlich war die parlamentarische Linke
präsent.
Bewegung gab es bei diesem Gewerkschaftstag
noch bei den Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Der als "erledigt durch Praxis" abgewimmelte Antrag
von 2003 wurde erneut gestellt. Etwa 40% der Delegierten stimmten für die Aufhebung der
Unvereinbarkeitsbeschlüsse.
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