SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 09

VW-Prozess

Sturzflug eines eingebildeten Managers

Klaus Volkert bezieht die Prügel für das System VW

von Stephan Krull

Der Prozess geht gegen Lustreisen und Bordellbesuche. Aber das ist Rosstäuscherei. Vor dem Braunschweiger Landgericht wird dem "System VW" der Prozess gemacht, es hat VW hohe Profite beschert, aber unter den heutigen Bedingungen will das Haus Porsche nichts mehr davon wissen.
Es ist für ihn schwer zu begreifen: Jahrelang hofiert, offene Türen beim Management, im Kanzleramt, Ehrendoktor der Uni Braunschweig, Bundesverdienstkreuz, Schröder und Gorbatschow auf Betriebsversammlungen — und dann der Sturz. Im November begann der Prozess gegen den "mächtigen Betriebsrat" von VW, Klaus Volkert.
Die Geschichte von VW spielt eine Rolle. Es gab gute Beziehungen zwischen Unternehmen, Regierung und der betrieblichen Interessenvertretung. Als Volkert 1990 Betriebsratsvorsitzender wurde, brachen Mauer, UdSSR und Sozialismus gerade zusammen, der Markt für Autos und Arbeitskräfte vergrößerte sich, bei VW wurden die Weichen neu gestellt. Daniel Goedevert, der mit Prof. Steger ökologische Verantwortung in Automobilproduktion und Verkehrspolitik umsetzen wollte, wurde entsorgt. Statt seiner wurde der ehrgeizige Techniker Ferdinand Piëch, Enkel des Wehrwirtschafts- und SS-Führers Porsche und Miteigentümer der Firma Porsche, 1992 Vorstandsvorsitzender bei VW. Sicher entsprach Piëchs Mentalität den Kapitalvertretern im Aufsichtsrat, ohne "Arbeitnehmervertreter" wäre diese Kehrtwende jedoch unmöglich gewesen. Es folgten die Abwerbung des "Kostenkillers" Ignacio Lopez bei General Motors und die Anstellung von SPD- und Gewerkschaftsmitglied Peter Hartz als Personalvorstand.
All diese Entscheidungen wurden von Volkert und seinen Aufsichtsratskollegen in der Belegschaft offensiv vertreten — das ist der Punkt, inhaltlich und zeitlich, an dem er die Seite wechselt. Als VW ihn und seine engen "Mitarbeiter" wie Manager bezahlt, hat Piëch die Truppe in der Hand.
Volkert und Hartz gelten als "Erfinder" der 4-Tage-Woche. Unmittelbar nach dem Antritt von Peter Hartz als Personalvorstand 1993 wurde ein Personalüberhang von 30000 Beschäftigten erklärt und von Volkert in der Belegschaft "kommuniziert", kämpferisch wurde gefordert, dass niemand entlassen werden dürfe. Unter höchstem Zeitdruck und mit medialer Inszenierung wurden 20% Arbeitszeit und Entgelt gekürzt. Daraufhin schnellte die Produktion wieder hoch, das Unternehmen realisierte einen Produktivitätsschub durch Leistungsverdichtung in allen Bereichen. Die Belegschaft sank von 1992 bis 2007 in den sechs Werken der VW AG um 36000 Beschäftigte, davon wurden 17000 in Wolfsburg abgebaut. Ähnlich überfallartig wurde das Projekt Auto 5000 inszeniert.
Als der Bundespräsident Johannes Rau Volkert 2001 das Bundesverdienstkreuz umhängte, erklärte er, dieser vertrete die Interessen der VW-Arbeitnehmer in aller Welt kreativ und unkonventionell. In seinem Dank zur Verleihung des Dr.h.c. bezeichnete Volkert "Mitbestimmung als Garant für sozialen Frieden und Innovationsmotor". Wer sich so der Elite zugehörig fühlt, der möchte wie die Elite leben und bezahlt werden — zumindest stellte sich Volkert das so vor.
Im aktuellen Verfahren um Sonderzahlungen und Vergünstigungen hat Volkert interessante Verteidigungsansätze. Einer besteht darin, dass er mit seinem Tun VW keine Kosten verursacht, sondern Milliarden gespart hat. Die "Beweisführung" lehnt das Gericht ab. Würde dieser "Argumentation" gefolgt, käme die andere Seite der Medaille ans Licht: Volkert hat die Beschäftigten betrogen. Davon will auch die Gewerkschaft nichts wissen.
Eine zweite Strategie besteht darin, Piëch als Drahtzieher und Mitwisser zu enttarnen. Logisch, dass kein Schaden entstanden sein kann, wenn der oberste Boss Begünstigung anordnet, weil er ein "natürliches" Interesse hat, den Gewinn zu mehren.
Das "System Volkswagen" lief lange wie geschmiert. VW wurde zum drittgrößten Automobilkonzern der Welt, die Beschäftigten wurden gut entlohnt, das Land profitierte von Steuern und Kaufkraft. Neben diesen komparativen Vorteilen hatte es in den letzten 15 Jahren aber auch erhebliche Nachteile. Viele Beschäftigte spürten die autoritäre "Führung" von Hartz, Volkert und Co., die mit Zuckerbrot und Peitsche ihre Linie durchsetzten. Wo es Belohnung gibt, muss auch Strafe sein. Wenn Volkert mehr will, müssen andere weniger bekommen. Wenn die VW-Beschäftigten ihren Lohn behalten wollen, müssen die Auto-5000- Beschäftigten für weniger Geld länger arbeiten.

Das ganze Erbe von Porsche

Dieses Co-Management hat sich aus Sicht des Porsche-Piëch-Clans verbraucht. Die politisch labile Situation und die Massenproteste gegen Hartz vor der Bundestagswahl 2005 wurden genutzt, um klar Schiff zu machen. Es sollte Schluss sein mit einer "Betriebsgemeinschaft", die den erreichbaren Profit schmälerte.
Der "Zukunftsvertrag" von 2004 wurde gekündigt, die Arbeitszeit verlängert, der Lohn reduziert, Personal beschleunigt abgebaut. Volkert und Hartz hätten das auch durchgesetzt — aber sie wären dabei nicht glaubwürdig geblieben. Es bedurfte dieses Bruchs, um den Gewinn auf 10 Milliarden Euro hochzutreiben. Die Begleitmusik liefern Presse, Funk und Fernsehen, die voyeuristisch über Sex and Crime schreiben und "Ausmisten" im Auge haben.
Dass es bei Piëch und Porsche um das endgültige Ende der Nachkriegszeit, um "Normalisierung" und Wiederherstellung der "natürlichen" Besitzverhältnisse geht, wird in Piëchs Autobiografie klar, wo er, Bezug nehmend auf Porsche, schreibt, ihm habe "die ganze Geschichte imponiert", sie habe ihn "nicht eine Sekunde belastet, warum auch?" Piëch hat sich im Jahr 1992 mit Hilfe von Volkert und Co. zum Vorstandsvorsitzenden, im Jahr 2002 zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates "wählen" lassen. Brecht schreibt: "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber."
Zum Einstieg von Porsche bei VW erklärt der Betriebsrat zunächst, ihm sei es "egal, wem das Unternehmen gehöre, Hauptsache es ist erfolgreich". Porsche verbucht durch Aktiensprünge bei Volkswagen einen Gewinn wie nie zuvor und schüttet 5000 Euro Bonus an die Belegschaft aus. Porsche und Piëch haben nie verheimlicht, dass sie gegen das VW-Gesetz sind; sie wollen das ganze Erbe von Porsche nebst sprudelnden Gewinnen antreten. Staatsbeteiligung und weltweite Mitbestimmung stören dabei.
Die Alternative "Heuschrecke oder Porsche" ist keine, die Alternative wäre die Verteidigung des VW-Gesetzes, die Ausweitung der Mitbestimmung, die Überführung von Volkswagen in gesellschaftliches Eigentum. Die Geschichte gibt das Recht, dieses durchzusetzen. 1938 von Porsche im Auftrage der Nazis gebaut, mit dem 1933 beschlagnahmten Vermögen des ADGB und mit Sklavenarbeit bezahlt, nach dem Krieg "herrenlos" von den Briten treuhänderisch der BRD übergeben, wurde VW 1960 weitgehend privatisiert. Um den Widerstand dagegen zu brechen, verabschiedete der Bundestag 1959 das VW-Gesetz. Darin ist geregelt, dass 60% Kapital als "Volksaktien" an die Börse gehen, je 20% blieben beim Bund und beim Land Niedersachsen, bei Aktionärsversammlungen gibt es eine Stimmrechtsbeschränkung von 20%, wesentliche Beschlüsse bedürfen im Aufsichtsrat einer Zweidrittelmehrheit. Seit den 80er Jahren betreiben CDU, FDP und Bundesregierung die Abschaffung des Gesetzes.
Mit der Gründung der Porsche-Holding ist nach der Rolle der IG Metall und dem Verhalten von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat zu fragen. Die Porsche-Eigner haben geschickt die Betriebsräte von Porsche und VW gegeneinander in Stellung gebracht, der Porsche-Betriebsratschef gefällt sich als Stimme seines Herren bei der Verteidigung des undemokratischen Vertragswerks, führt einen lauten Streit mit dem VW-Betriebsrat. Weder die Holding noch die Gesellschaft nach Europäischem Recht sind notwendig zur Privatisierung von VW, bringen den Eigentümern aber den Vorteil, dass die internationalen Gremien der Interessenvertretung (der Konzernbetriebsrat) auf einen Schlag entmachtet werden. Wer daran Interesse hat, liegt auf der Hand.

Co-Management am Ende

Mit der Durchsetzung des Finanzmarktkapitalismus und explodierenden Märkten für Produktion, Absatz und Arbeitskräfte ist für Gewerkschaft und Betriebsräte eine neue Situation entstanden. Vorbei mit "Sozialpartnerschaft". Selten nehmen die Multis taktische Rücksichten auf Stimmungen in Belegschaften und Bevölkerung; andererseits betreiben sie über Medien und Werbung eine fast nie gekannte Manipulation der Menschen. Wir sind wieder bei Marx angekommen: "Sie [die Bourgeoisie] hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt. Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend- sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt."
Die Zeit der kooperativen Konfliktlösung, der "Win-Win-Situation", in der Unternehmen "freiwillig" Zugeständnisse an Belegschaften gemacht haben, in der die Beschäftigten an den Extraprofiten aus der Ausbeutung der Dritte Welt beteiligt wurden, ist vorbei. Wie im Fall des Porsche-Piëch-Clans wollen die Multis den Profit mit niemandem mehr teilen, schon gar nicht mit den Beschäftigten.
Auf diese Situation müssen Gewerkschaften reagieren, kämpferischer als bisher. Es geht um die Qualität der Arbeit, Nützlichkeit der Produkte und eine faire Verteilung der Arbeitszeit, es geht auch um eine alternative Verkehrspolitik und ein Umsteuern bei der Energienutzung. Die IG Metall war da mit dem Programm "Auto, Umwelt und Verkehr" im Jahr 1990 weiter als heute. Darin hat sie ein integriertes Verkehrssystem, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Vernetzung der Verkehrsträger gefordert. Programmatische Arbeit ist notwendig, um Perspektiven für Beschäftigte und Gesellschaft zu entwickeln. Dann gewinnt die Gewerkschaft Vertrauen und Politikfähigkeit zurück.


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