SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 13

"No Dal Molin"

Daten und Fakten

Seit 1954 gibt es eine US-amerikanische Militärbasis in Vicenza, die Caserma Ederle. Seit 1965 ist dort die Southern European Task Force (SETAF) stationiert. Die amerikanische Präsenz teilt sich auf mehrere Orte auf, die jeweils durch ein großes unterirdisches Netzwerk miteinander verbunden sind. Vor einigen Jahren stellten italienische Behörden eine erhöhte radioaktive Strahlung nahe den unterirdischen Depots fest. Zudem gab es eine außergewöhnliche hohe Anzahl von Leukämieerkrankungen in der Gegend. Man vermutet unterirdisch gelagerte Atomwaffen als Ursache.

Ein sehr großer Teil der Bürger von Vicenza schätzt die US-Army als wichtigsten Arbeitgeber der Stadt. Nach langjährigen Planungen wurde im Sommer 2006 das Projekt Ausbau der Militärbasis auf dem Gelände "Dal Molin" bekannt gegeben. Im Herbst 2006 stimmte die Stadtregierung zu. Die Amerikaner wollen mit dem Neubau ihre 173.Brigade an einem Ort zusammen legen, derzeit teilt sie sich auf Italien und Deutschland auf.
Mit der Zustimmung der Stadtverwaltung begann auch der Protest. Im Dezember demonstrierten rund 20000 Menschen. Als am 16.Januar 2007 Ministerpräsident Prodi die Entscheidung seines Vorgängers Berlusconi bestätigte und die Basis befürwortete, bauten Bürgerinitiativen ein Zelt, das sog. "presidio", auf einem Maisfeld nahe des Flughafens auf. Das Zelt ist ständig besetzt, zweimal wöchentlich gibt es Versammlungen von 200—300 Menschen. Die Protestgruppen sind nach Stadtteilen organisiert, die Bewegung ist sehr vielfältig, und man bemüht sich sehr, jede politische Vereinnahmung zu verhindern.

Der Protest richtet sich gegen mehrere Aspekte, u.a. den Ort und die Dimension der neuen Basis. Nur 2,5 km ist "Dal Molin" vom berühmten Dom des Renaissancearchitekten Palladio entfernt. Vicenza ist Unesco-Kulturerbe. Die Basis würde, zusammen mit der bereits bestehenden Basis Ederle, den größten Militärstützpunkt in Europa bilden. Es werden auch große Umweltschäden befürchtet, nicht zuletzt aufgrund bisheriger Erfahrungen (siehe oben). Zudem liegt unter dem Flughafen eines der größten Grundwasserreservoire, das nicht nur Vicenza, sondern auch Padua und Rovigo versorgt.

Die Ironie des Schicksals will es, dass das Gelände des geplanten Neubaus und die mittlerweile eingemeindeten Ortschaften rund um Vicenza im Zweiten Weltkrieg Opfer massiver Bombardierungen durch die Alliierten wurden. Die Engländer verwechselten die Gegend um Vicenza mit Kroatien, aber auch die Amerikaner warfen ihre Bomben auf Vicenza ab. Das hat sich tief ins Gedächtnis der Stadt eingegraben.

Ausdrückliches Ziel der Protestbewegung ist es, mit allen nur erdenklichen friedlichen Mitteln die Arbeiten zu verzögern, zu behindern und wenn irgend möglich zu verhindern. Die Amerikaner haben es eilig. Anfang November sollten die sog. "Reinigungsarbeiten" beginnen, die Säuberung des Gebiets von den alliierten Bomben. Die Bewegung "No Dal Molin" reagierte prompt. Sie blockierte die Einfahrt zum Gelände. Einer der Protestierenden wurde dabei von einem italienischen Soldaten mit dem Auto angefahren und leicht verletzt. Drei Tage lang dauerte die Blockade, und sie hatte Erfolg. Die Arbeiter machten kehrt. Zwei Monate vorher hatte man, unbehelligt von der Polizei, die den Protestierenden (rund 4000) den Zugang zum Gelände gewährte, 150 Bäume auf dem Flughafengelände gepflanzt — begleitet von einem Camp und einem Festival mit Konzerten und verschiedenen kulturellen Aktivitäten.
Bei der Blockadeaktion im November wurde die Bewegung erweitert um Aktivisten aus den Städten, aus denen die Firmen kommen, welche die Bombenräumung vornehmen. In Vicenza trainierte man in den letzten Monaten den gewaltlosen Widerstand.

Mitte November wurde eine Projektänderung bekannt gegeben. Statt der Ostseite des Flughafens soll nun die Westseite genutzt werden. Dafür muss eine Landepiste verlegt werden, was den Flughafen über Jahre hinweg unbenutzbar macht — das macht mittlerweile auch die vor allem auf ihr Geld bedachten Vicentiner nervös. Der Hauptaktionär der Flughafenunternehmens, Dino Menarin, seines Zeichens auch "Commissario" der örtlichen Handelskammer, hat mit Schadenersatzforderungen gedroht.
Das zuständige "Komitee der Region" hat eine erste inoffizielle Zustimmung gegeben, ebenso die Amerikaner. 170 Parlamentarier sprechen sich gegen den Bau der neuen Militärbasis aus, überlassen es aber der Bürgerbewegung, mit einer Unterschriftenaktion soviel Druck zu entfalten, dass der Protest vors Parlament kommt.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang