SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 14

"Unsere Freiheit liegt in den Bergen"

Die Frauenguerilla der PKK im Kampf für eine neue Gesellschaft

von Brigitte Kiechle

Frauen spielen in der kurdischen Guerilla eine besondere Rolle. Brigitte Kiechle war Ende September im Nordirak hat dort mit den Frauen gesprochen.

Nisteman kommt aus einem Dorf in Kurdistan-Türkei, ist 25 Jahre alt und seit 12 Jahren bei der Guerilla. "In einem normalen Leben kann man sich als Frau nicht entwickeln. Die Repressionen, denen Frauen unterliegen, sind für mich unerträglich. Ich wollte nicht mit 13 Jahren verheiratet werden. Wenn du jung bist, dein Vater im Gefängnis ist, die Soldaten dich, deine Geschwister und deine Mutter schlagen und demütigen, sie dich in der Schule zwingen türkisch zu sprechen, obwohl du es nicht kannst, dann musst du ausbrechen oder sie zerbrechen dich."In dieser Situation gab es für sie nur den Weg, sich der kurdischen Befreiungsbewegung anzuschließen. "Ich habe mich für den Kampf entschieden. Es war ein inneres Bedürfnis. Nur so habe ich für mich und auch andere Frauen eine Perspektive gesehen. Die Berge sind die Basis, um uns selbst zu organisieren und uns selbst zu finden. Mit unserer Entscheidung für die Frauenguerilla sind wir auch ein Symbol für die anderen Frauen. Wir zeigen praktisch, dass es für Frauen auch eine andere Lebensentscheidung geben kann, als die traditionell vorgegebene."
Nisteman ist Kommandantin einer Guerrillaeinheit der Frauenarmee der PKK in den Kandil-Bergen, einer Bergregion im irakisch-iranischen Grenzgebiet. Die Kommandantinnen tragen keine Rangabzeichen und werden von der jeweiligen Einheit gewählt. Die Einheit von Nisteman besteht aus 30 Frauen zwischen 17 und 30 Jahren. Das Camp befindet sich in strategisch wichtiger Lage, auf einer kleinen bewaldeten Hochebene. Die Grenze zum Iran verläuft auf dem Grat der nächsten Bergkette, deren Gipfel bis zu 3800 Meter hoch sind. Die Unterkünfte sind aus herumliegenden Steinbrocken selbst gebaut und gleichen in die Erde eingelassenen Iglus. Sie sind selbst aus geringer Entfernung kaum zu erkennen.
Es gibt eine Vielzahl solcher Frauenguerillaeinheiten, je nach Aufgabe und politisch-militärischer Notwendigkeit wechseln sie immer wieder den Standort. "Umzüge" finden mit Eseln statt, oder die Utensilien des Camps werden selbst getragen. Der Tagesablauf hängt vor allem von den Bedingungen des Krieges, der Lage des Camps und der Jahreszeit ab. Finden keine unmittelbaren Kampfhandlungen statt, sind die Tage ausgefüllt mit Aufklärungs- und Späheraufgaben, militärischem Training und politischen Schulungen.

Ein gewaltiger Schritt

Die Motive, sich der Guerilla anzuschließen, sind so unterschiedlich wie die soziale Herkunft und Bildung der Frauen. Die unterschiedlichen Erfahrungen — je nachdem ob die Frauen aus den kurdischen Dörfern kommen und sich aus persönlicher Notsituation der Guerilla angeschlossen haben, oder ob sie in Europa aufgewachsen sind und sich aus programmatischen Gründen für die Frauenguerilla entschieden haben — werden als Bereicherung empfunden und für den gemeinsamen Kampf nutzbar gemacht.
Wie groß ihr politischer Schritt ist, lässt sich nur vor dem Hintergrund der stark patriarchalisch und islamisch geprägten kurdischen Gesellschaft erkennen, in der Frauen nach wie vor in breiten Gesellschaftsschichten jegliche Selbstbestimmung abgesprochen wird. Zwangsverheiratung, Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und tägliche Gewalterfahrungen bestimmen nach wie vor das Leben vieler kurdischer Frauen. Die Propaganda der türkischen Regierung hat in der Vergangenheit genau an diesen konservativen Familienstrukturen angesetzt und die Frauen der Guerilla in ihren Hetzkampagnen als unislamisch, als Mannweiber und Prostituierte bezeichnet. Damit sollte Druck auf die Familien ausgeübt und die Töchter davon abgehalten werden, "in die Berge zu gehen"; gleichzeitig wurden diejenigen in ihrer Ehre verletzt, deren Töchter bereits gegangen sind. Für Polizei und Armee dienen diese Zuschreibungen bei Festnahmen regelmäßig als Freibrief für sexistische Folter und frauenspezifische Demütigung der Kämpferinnen.

Angelpunkt für gesellschaftliche Veränderung

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat von Anfang an programmatisch festgeschrieben, dass eine befreite neue Gesellschaft ohne befreite Frau nicht möglich sein wird. Sie hat nicht nur versucht, wie andere Befreiungsbewegungen auch, Frauen in die Bewegung einzubinden und für den Kampf zu gewinnen, sondern gleichzeitig in den eigenen Reihen mit der Auseinandersetzung um Geschlechterrollen begonnen.
Bereits im ersten Programm der PKK von 1978 wird die "Abschaffung aller Arten feudaler Unterdrückung der Frauen und die Festschreibung der Gleichheit von Männern und Frauen" gefordert. Gerade die Haltung zur Frauenfrage machte in den Folgejahren die besondere Anziehungskraft der Bewegung PKK für die kurdischen Frauen aus und wurde gleichzeitig zur organisatorischen Herausforderung. Die theoretischen Ansätze in die Praxis umzusetzen war selbst in den eigenen Reihen schwierig. Auch innerhalb der Bewegung bestand die Gefahr der Reproduktion traditioneller Rollenbilder. Die kontinuierliche Auseinandersetzung um diese Fragen und die praktischen Erfahrungen der Frauen in gemischten Guerillaeinheiten führten schließlich Mitte der 90er Jahre zum Aufbau einer eigenen Frauenarmee mit eigener Kommandostruktur innerhalb des militärischen Flügels der PKK. Die Frauen waren dadurch gezwungen, selber Leitungsaufgaben wahrzunehmen und eigenverantwortliche Entscheidungen auch auf militärischer Ebene zu treffen.
Nach der Umstrukturierung der Partei 1999 wurde auch eine eigene Frauenpartei gegründet, die heute den Namen "Partei der Freien Frau" (PJA) trägt. Dilan Derek, Mitglied der Führung der PJA, beschreibt deren Hauptziele wie folgt: "Wir werden mit allen unseren Kräften den kurdischen Befreiungskampf aktiv unterstützen und den Kampf bis zur Erreichung unserer Ziele fortführen. Es geht uns darum, eine neue, demokratische und freie Gesellschaft aufzubauen, in der Frauenrechte fest verankert sind." Außerdem gehe es darum, den Kampf gegen Gewalt und Unterdrückung in der Familie zu führen, für die Gleichheit und Freiheit der Frauen einzutreten. Innerhalb aller Strukturen der PKK gelte es bereits heute, die frauenpolitischen Prinzipien umzusetzen. Alle Strukturen der PKK sind inzwischen obligatorisch mit je 40% Frauen und Männern besetzt. 20% der Funktionen kann frei besetzt werden. In der Praxis bedeutet dies, dass es Gremien mit einem Frauenanteil von mehr als 50% gibt.
Die Frauenfrage steht auch im Mittelpunkt des aktuellen Programms der PKK. Es geht davon aus, dass die Befreiung der Frau der Schlüssel zur gesellschaftlichen Neuformierung ist, und betont die Sprengkraft dieser Frage für die Entwicklung im ganzen Nahen Osten. Entlang der vorgegebenen Positionen von Abdullah Öcalan werden die besondere Rolle der kurdischen Frau und ihr gesellschaftliches Potenzial für die Entwicklung einer demokratischen und friedlichen Gesellschaft aus der Frühgeschichte Mesopotamiens abgeleitet. Dem weiblichen Geschlecht werden dabei — biologisch abgeleitet — soziale Fürsorglichkeit und Friedenswillen zugesprochen. Im Parteiprogramm bildet die Frauenfrage den Mittelpunkt eines neuen Organisations- und Gesellschaftsmodells der "Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans" (KCK), das in eine herrschaftsfreie Gesellschaft münden soll.
Die programmatische Herleitung der Bedeutung der Frauenfrage ist sicher kritikbedürftig. Unabhängig davon haben die Frauen innerhalb der kurdischen Befreiungsbewegung — und dazu gehört auch die Frauenguerilla — in den letzten Jahren viele Veränderungsprozesse in der kurdischen Gesellschaft in Gang gesetzt und dazu beigetragen, die Rolle der Frauen zu stärken. Frauen sind heute in allen Bereichen der kurdischen Gesellschaft aktiv. Die Frauen in der Guerilla haben darüber hinaus ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Sie haben radikal mit dem traditionellen Frauenbild gebrochen und versuchen, neue Formen des kollektiven Zusammenlebens zu praktizieren.

Das Recht zur Selbstverteidigung

Die Frauenguerilla definiert die eigenen bewaffneten Aktionen als Selbstverteidigung gegen Angriffe auf Frauen und auf die kurdische Bevölkerung und Gesellschaft allgemein. In diesem Zusammenhang finden frauenspezifische Aktionen statt, über die hier fast nie etwas zu hören ist.
"Wir beteiligen uns nicht nur an den allgemeinen bewaffneten Aktionen. Zu den Aktionen der Frauenguerilla gehören auch Angriffe auf Symbole der Frauenunterdrückung: Zum Beispiel wurde in Dersim ein Nachtclub angegriffen", erzählt Nurije, eine junge Guerillakämpferin. "Der Feind nutzt viele Angriffsebenen, um die Persönlichkeit der Menschen zu zerstören. Wir gehen nicht als Frauenguerilla hin und greifen überall an. Das könnten wir auch nicht. Aber in den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe in einigen Städten in Kurdistan-Türkei."
Zum Beispiel in Batman. In dieser Stadt haben die "Ehrenmorde" an Frauen stark zugenommen. Andererseits nimmt auch die Prostitution zu. "Wir bekämpfen nicht die Prostituierten, sondern das System, das Frauen zwingt, in eine solche Rolle zu kommen. Wir bekämpfen den Sexismus als Teil des gesellschaftlichen Systems und die Doppelmoral. Die Prostitution in Ahmed und anderen Städten in Kurdistan weitet sich in den letzten Jahren aus. Von Zeit zu Zeit greifen wir zentrale Plätze, Bars usw. an, um zu zeigen, dass dies die Gesellschaft zerstört und mit unseren Zielen nicht zu vereinbaren ist."
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zunehmenden Islamisierung des Nahen Ostens und der damit einhergehenden massiven Angriffe auf Frauenrechte gehören die "Partei der Freien Frau" und die Frauenguerilla zu den politischen Kräften in der Region, die dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen haben. Das Verbot der PKK in der BRD und die damit verbundene Kriminalisierung auch der Unterstützerinnen der "Partei der Freien Frau", behindert den gerade auch von den kurdischen Frauen gewünschten Meinungsaustausch und die Entwicklung einer anzustrebenden solidarisch-kritischen Zusammenarbeit.


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