SoZ - Sozialistische Zeitung

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Die Bertelsmann AG

Mächtiger als der Bundestag

Wie der Medienkonzern von Reinhard Mohn die Politik bestimmt

von Thomas Barth

Etwa 200 Teilnehmer versammelten sich am letzten Oktoberwochenende zu einer kritischen Bestandsaufnahme der Tätigkeit des Bertelsmannkonzerns in Frankfurt am Main. Am Ende verabschiedete die Tagung einen Aufruf, der Bertelsmann-Stiftung die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, und forderte Parteistiftungen, Gewerkschaften und Verbände auf, die Kooperation mit der Stiftung zu beenden. Die Arbeit bertelsmannkritischer Sozialwissenschaftler zeitigte schon vor der Tagung ein sichtbares Ergebnis. Ver.di hat die Zusammenarbeit mit Bertelsmann und seinem Tochterunternehmen Avarto auf dem Gewerkschaftstag Anfang Oktober auf Eis gelegt.
Einen ausgezeichneten Überblick über die Rolle des Medienkonzerns aus Gütersloh als strippenziehendes Schattenkabinett gibt das Buch Netzwerk der Macht — Bertelsmann. 25 Autoren analysieren die Ideologie und die konkrete Einwirkung des Konzerns auf einzelne Politikfelder. Sie zeichnen damit ein Bild, wie bürgerliche Herrschaft im Neoliberalismus funktioniert. Nachstehend drucken wir mit freundlicher Genehmigung des Autors einen Auszug aus dem Artikel von Thomas Barth: "Gütersloher Reformvollstrecker und ihr deutscher Sonderweg in den Neoliberalismus".
Bertelsmann AG und Bertelsmann Stiftung, die gut drei Viertel des Konzernkapitals hält, sind hochwirksame und zugleich sehr verstohlen agierende politische Akteure. Die Bertelsmann Stiftung ist ein neoliberaler Think Tank, der in zahlreichen "Reform"-Projekten (Hartz IV, Studiengebühren, Controlling in Schulen etc.), aber auch in Kampagnen wie "Du bist Deutschland" politische Macht im Sinne einer Ideologie der Privatisierung ausübt: Ziel ist ein deutscher Sonderweg in den Neoliberalismus, der auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt, den Sozialstaat aushöhlen und eine mit Marketingtechniken gesteuerte Öffentlichkeit durchsetzen will... Die Stiftung verfügt über einen Jahresetat von etwa 65 Millionen Euro sowie über etwa 300 Mitarbeiter, die mehr als 100 Projekte betreuen.
Seine Ideologie verbreitet der Gütersloher Konzern durch Verbindungen zu einer Vielzahl öffentlicher und halböffentlicher Einrichtungen. Durch Kontakte zu Universitäten, z.B. über CHE und CAP, hat sie prominenten Zugang zum Wissenschaftsfeld. So kann die Stiftung auf ein Netz von Seilschaften zurückgreifen, um gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, und sie nutzt dies ausgiebig — auch zum Wohle und Ruhme ihres Gründers Reinhard Mohn.
Reinhard Mohns Version des Neoliberalismus geht von einem auf die ganze Gesellschaft ausgeweiteten, korporatistisch organisierten Unternehmensmodell aus. Die Umsetzung neoliberalistischer Ideologie in den Stiftungsaktivitäten ist effizient, zuweilen lautlos, zuweilen öffentlichkeitswirksam wie die Kampagne einer Top-Werbeagentur. Dabei bearbeiten die Gütersloher die Politik in ihrer ganzen Breite, von den Kommunen und Bundesländern, über die deutsche Verfassung und ihre Föderalismusreform, bis auf die europäische und sogar die globale Ebene hinauf.

Gütersloh goes global

Die Macht der Gütersloher Stiftung haben gerade linke Kritiker der Reformagenda 2010 bislang kaum ausreichend wahrgenommen, denn anders als etwa die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", die schnell als propagandistische Söldnertruppe des Arbeitgeberlagers entlarvt wurde, wendet sich die Bertelsmann-Stiftung meist nicht direkt an das breite Publikum. Die Bertelsmann Stiftung ist ein politischer Akteur, der sich selbst durch professionelle PR-Arbeit mit einem salbungsvollen Image ausgestattet hat. Aus ihrer Zentrale in Gütersloh, gegenüber dem Konzerngebäude, betreibt sie hinter den Kulissen effiziente Lobbyarbeit. Mit allein in der letzten Dekade etwa 400 Millionen Euro wirkte sie an vielen rotgrün-neoliberalen Sozialabbau-"Reformen" (Hartz I, III, IV, Agenda 2010) bis hinein in Gesundheits- und Sicherheitspolitik mit. Bertelsmann übt immensen politischen Einfluss über seine Stiftung und die mit ihr verbundenen halbprivaten Organisationen, wie das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) oder das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) aus.
Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet gern mit anderen Stiftungen zusammen, bis hin zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Dabei nahm Gütersloh sogar Einfluss auf die deutsche Verfassung: Zusammen mit den Parteistiftungen von CDU, CSU und FDP trommelte Bertelsmann in der "Stiftungsallianz Bürgernaher Bundesstaat" für die neoliberale Ausrichtung der jetzigen "Föderalismusreform". Die Ersetzung der Formulierung "einheitliche" durch nur mehr "gleichwertige" Lebensverhältnisse im Artikel 72 unserer Verfassung wird es Unternehmern noch leichter machen, die Bundesländer gegeneinander auszuspielen.
Spätestens mit ihrem "Bertelsmann Transformation Index" (BTI), 2005 bereits zum zweiten Mal publiziert, wurde die Bertelsmann Stiftung auch geopolitischer Akteur, der ähnlichen Projekten der OECD zur Seite springt. Der BTI propagiert das Leitbild der neoliberal geprägten "marktwirtschaftlichen Demokratie" indem er alle zwei Jahre die Reformbereitschaft von 119 Entwicklungs- und Schwellenländern überprüft. Vom CAP im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt, bewertet der BTI die Willigkeit von Regierungen, sich neoliberalen Rezepten zu unterwerfen und spart nicht an ungefragter Politikberatung.
Nahe liegt daher auch die Beschäftigung mit militärischen Aspekten. Laut German-foreign-policy prognostizierte die Bertelsmann-Stiftung das baldige Ende der globalen US-Dominanz und verlangte über das Münchner CAP eine dramatische Aufrüstung der Europäischen Union. Im EU-Parlament wurde Militärforschung im Haushaltsplan jüngst mit jährlich 500 Millionen Euro veranschlagt, wobei möglicherweise Bertelsmänner als Rüstungslobbyisten fungierten. So machte Tobias Pflüger jüngst darauf aufmerksam, dass der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok (CDU), auf der Gehaltsliste von Bertelsmann steht.
Über die Beteiligung am ERT (European Round Table of Industrialists) agierte der Bertelsmann-Konzern bis hinauf in die WTO-Verhandlungen. Hauptziel des ERT ist es, Europapolitik als europäische Industrie- und Wettbewerbspolitik zu betreiben. Ein wichtiges Feld ist dabei die Bildungspolitik, auch für Bertelsmann, denn der Konzern strebt seit langem auf den Markt der Wissensgesellschaft und der privatisierten Bildungsdienstleistungen. Der ERT verfolgt in seiner sog. Hochschulreform das Ziel, Bildung und Wissenschaft als Teil der Industriepolitik zu propagieren, ganz im Sinne der Gütersloher, denn mit Sicherheit zielt man dort auf eine Kommerzialisierung des Bildungswesens ab. Schließlich wäre Bertelsmann als führender europäischer Medienkonzern mit traditionell großen Ambitionen im "Geschäftsfeld Bildung" ein Hauptprofiteur.

Lockrufe nach links

Gerne werden von den Güterslohern auch ausgewählte kritische Gruppen und Projekte gefördert, von denen eigentlich eine Kritik an Bertelsmann zu erwarten wäre. Wer mit Preisen oder Publikationsmöglichkeiten bedacht wird, hält sich möglicherweise aber mit Kritik zurück, so im Fall von Transparency International (der Organisation, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat, wurde 2002 der Carl-Bertelsmann-Preis verliehen) oder im Falle des aktuellen Buches "Beraten und Verkauft" (C.Bertelsmann Verlag), in dem die Beratungsindustrie kritisch untersucht wird, in dem man aber nichts über die tiefe Verstrickung der Bertelsmann Stiftung in das dubiose Beratungswesen findet.
Verflechtungen bestehen bzw. bestanden auch zur Wochenzeitung "Die Zeit", die mit dem CHE zusammenarbeitet, sowie zur Zeit-Stiftung, was Reinhard Mohn zusammen mit Stern und Spiegel eine bedeutende, aber oft übersehene Machtposition im linksliberalen Mediensegment sichert. Selbst die Taz kooperiert heute mit dem Medienmoloch aus Gütersloh, wenn sie Studenten ein "creative village Praktikum" in Kooperation mit der Bertelsmannfirma UFA Film & TV Produktion GmbH anbietet, begleitet von einem warmen Geldregen durch Anzeigen der Gütersloher.
Als höchst wirksam hat sich vor allem die Gütersloher Strategie erwiesen, gerade Forderungen der Linken, der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen aufzugreifen, sie aber in der Umsetzung neoliberal zu reartikulieren. Wenn die Gewerkschaften etwa Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung fordern, am besten die Umwandlung von Unternehmen in Genossenschaften, so gibt der "rote Mohn" seinen Mitarbeitern Genussscheine, mit Gewinnbeteiligung, aber ohne Mitbestimmungschance — bei geteiltem Verlustrisiko versteht sich. Wollen fortschrittliche Lehrer die Schule für gesellschaftliche Praxis öffnen, so lässt Bertelsmanns "offene Schule" Unternehmerinteressen in den Lehrplan hinein und öffnet das Schultor für McKinsey, Nike & Co.
Mahnen Medienpädagogen angesichts Computer- und TV-Konsum der Kinder eine Förderung der Medienkompetenz an, trägt man aus dem Hause Bertelsmann (inoffiziell) mit Mediasmart zur "Werbekompetenz" bei, d.h. zur kindlichen Konsumkompetenz, im Einklang mit RTL-Kinderkanal-Werbekunden Lego, McDonald‘s, Burger King usw. Fordern Studenten den Abbau professoraler Machtstrukturen, um in den Genuss von Freiheit in Forschung und Lehre zu kommen, so ersetzt das Gütersloher CHE die Strukturen durch andere, mit Controlling und Budgetierung auf Industrieinteressen zugeschnitten.
Bertelsmann hat demonstriert, dass auch rote und grüne Bildungspolitik dem Lockruf der Stifter nicht widerstehen können. Wenn die paternalistische Bevormundung nur subtil genug tönt, wenn der Medienmogul nur durch ein Dickicht von Kommissionen und Stiftungen flüstert, dann besiegt der angebliche Sachverstand die Vernunft. Die aber sagt uns, dass demokratische Partizipation sich nicht mit Marketingmethoden von Rating und Ranking umsetzten lässt, dass menschliche Lernprozesse sich nicht wie Stückgutkosten im Sinne betriebswirtschaftlichen Controllings messen lassen und dass Bildung und Wissenschaft weniger eine Ideologie der Effizienz als gerade heute eine Besinnung auf ethische Grundlagen und gesellschaftliche Problemlösungskompetenz brauchen.


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