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Der Film, der als reines Medium der populären Unterhaltung entstanden
ist, wurde zu Beginn des 20.Jahrhunderts und noch vor seinem Durchbruch zu einem Mittel der
Massenunterhaltung rasch zu einem wichtigen politischen Werkzeug. Neben dem Aufblühen des burlesken
Films als reines Spektakel erschienen sehr bald die ersten Filme, die eine unmittelbar politische Botschaft
vermittelten.
Nahezu erster dieses Genres war der Film
des Italieners Giovanni Pastrone, "Cabiria" (1914), an dessen Drehbuch Gabriele DAnnunzio
mitschrieb und der ein großes historisches Fresko mit nationalistischen Akzenten (die Begeisterung
für die ruhmreiche Vergangenheit des antiken Rom) malte; er unterstützte unzweideutig die
interventionistische Politik Italiens in der Stunde seiner kolonialen Expansion (vgl. "Good Morning
Babylon" [1987] von Vittorio und Paolo Taviani zur Wirkung dieses Films).
Der kolossale Erfolg dieses Films
inspirierte besonders David Wark Griffith in den USA; er realisierte die Antwort der jungen amerikanischen
Nation gegenüber dem alten Europa: "Die Geburt einer Nation" (1915), der schnell einer der
größten Welterfolge des Kinos jener Epoche wurde.
Dieser rassistische Film präsentiert
sich als ein neuer Baustein im Aufbau der nationalen Identität der USA nach dem Sezessionskrieg:
Norden und Süden, Todfeinde während des Krieges, schließen sich zusammen, um gegen die
Gefahr zu kämpfen, die vom schwarzen Mann ausgeht, und gründen den Ku Klux Klan, den Retter der
Seele der Vereinigten Staaten.
Das ist einer der ersten Filme, die mit
einer massiven internationalen Werbekampagne verbunden sind. Er wird zu einem Prototyp des
reaktionären Kinos, mit einer ziemlich homogenen formalen Kodifizierung: viel Lyrik, beeindruckende
Monumentalszenen (der Ritt des Ku Klux Klan), rasante Schnitte usw.
Auf der Gegenseite, ideologisch wie auch
filmisch, tauchen in Russland die ersten sowjetischen Filmemacher auf: Lew Kuleschow dreht 1924, lange vor
dem Kalten Krieg, seine antiamerikanische Groteske "Die Abenteuer des Mr.West im
Bolschewikenland". Und Dsiga Wertow filmt die Welt und ihre Wahrheit dokumentarisch. In einem seiner
Hauptwerke, "Der Mann mit der Kamera" (1929), macht sich Dsiga Wertow frei von den
Erzählcodes des noch jungen Kinos und erfindet buchstäblich ein revolutionäres Kino, formal
wie thematisch: halb experimentell, halb dokumentarisch wird das Bild zum lebendigen Zeugnis des
städtischen Proletariats, dem es, eingefangen vom Blick des Mannes mit der Kamera, in seinen
Arbeitstag, sein Alltagsleben folgt.
Eine andere Antwort auf die
nationalistische Lyrik eines D.W.Griffith oder die Fresken christlicher Moral eines Cecil B. DeMille, der
damals mit "Die zehn Gebote" (1923) und "König der Könige" (1927) seine
Karriere begann, gibt Sergej M. Eisenstein in der UdSSR mit einer gewaltigen "Sowjetografie":
Indem er das Monumentale der Filme von Griffith mit dem Erfindungsreichtum von Wertow verbindet, schafft er
eine neue Art, Filme zu machen und Bilder zu komponieren. Er erfindet den sowjetischen Kinorealismus mit
einem filmischen Projekt im Dienst der Revolution ("Streik" [1924], "Panzerkreuzer
Potjomkin" [1925], "Oktober" [1928]).
Eisenstein und Wertow beeinflussen die
gesamte sich herausbildende sowjetische Filmindustrie und bekommen würdige Nachfolger. Dazu
gehört Alexander Medwedkin, der mit dem Zug die gesamte Sowjetunion bereist, um seine Landsleute zu
filmen, und in "Das Glück" (1932) das Leben in den Kolchosen preist. Boris Barnet
schlägt einen unkonventionellen Ton an und dreht mit "U samogo sinjego morja" (1935) eine
musikalische Komödie zum Ruhm einer Kolchose mit dem schönen Namen "Feuer des
Kommunismus" auf einer Insel in Aserbaidschan.
Weit entfernt vom sowjetischen
revolutionären Realismus ist das Filmhandwerk für die Surrealisten ein Ort des Experiments und
der Forderung. Es entstehen die ersten Filme von Luis Buñuel ("Ein andalusischer Hund" [1929] und
"Das goldene Zeitalter" [1930]) und von Jean Cocteau ("Das Blut eines Dichters"
[1930]). Sie stellen sich gegen den im Kino bereits etablierten Klassizismus: Der Traum und die
zusammenhanglose Erzählung werden zu Gegenmodellen zu den konsumorientierten Werten der modernen
Gesellschaft.
Parallel dazu beginnt ein Regisseur seine
Karriere außerhalb aller Normen: Charlie Chaplin. Während er die filmischen Codes der damals
beliebten Burleske aufgreift, wird er (bis zu seiner späteren Ausweisung aus den USA) ein Werk mit
sehr politischer Orientierung schaffen. Dazu gehören Filme wie "Gewehr über!" (1918),
eine antimilitaristische Farce, und "Ein Hundeleben" (1918), der die Lebensbedingungen der
ärmsten Gesellschaftsschichten anprangert, sowie "Goldrausch" (1925), der den
"amerikanischen Traum" heftig aufs Korn nimmt...
Das Kino ist somit innerhalb von zehn
Jahren, vom Beginn des Ersten Weltkriegs an, zum Terrain politischen Ausdrucks geworden, das die Konflikte
und Kämpfe der Zeit widerspiegelt.
Außerhalb der Sowjetunion und abgesehen von den proletarischen Fresken Eisensteins kommt die
Arbeiterklasse erst in den 30er Jahren, während der Wirtschaftskrise, auf die Leinwand, nicht mehr als
anonyme Masse (bedrohlich oder revolutionär, je nach Filmemacher), sondern als Objekt, Subjekt,
Persönlichkeit.
Der Arbeiter gelangt kurz nach dem Ton auf
die Leinwand (der erste Tonfilm ist 1929 "Der Jazzsänger" von Alan Crosland).
In Frankreich bringt einer der
bedeutendsten Filmemacher, Jean Renoir, die Arbeiter ins Kino. Schon in seinen ersten Filmen etabliert
Renoir das Proletariat als vollwertige Gestalt, sogar als Hauptfigur. Aber erst mit "Toni" (1934)
wird der Arbeiter zum Helden der Tragödie, ein Schicksal, das im Film bis dato Bürgern, Adligen
und Göttern vorbehalten war. Weitere Filme folgen: 1936, in der Zeit der Volksfront, dreht Renoir vier
Filme mit starken politischen Botschaften an die Arbeiterklasse, die massenhaft in die Kinosäle
strömt, wo endlich von ihr die Rede ist:
"Das Verbrechen des Herrn
Lange" (unterstützt von der Gruppe Oktober, zu der Jacques Prévert gehört und die den
Film vor den Fabriktoren aufführt) erzählt, wie Arbeiter gegen ihren kriminellen Unternehmer den
Betrieb übernehmen und als Kooperative weiterführen.
"Nachtasyl", nach Maxim Gorki,
eine nicht gerade harmlose Autorenwahl in diesen Zeiten des Antikommunismus.
"Das Leben gehört uns".
Hier kommt die politische Entscheidung auch auf der Ebene der Produktion zum Ausdruck: Der Film wird
für die Wahlkampagne der KP gedreht, als "Gaststars" treten Maurice Thorez und Jacques
Duclos auf.
Andere Filmemacher leisten ihren Beitrag
zum Klassenkampf auf der Leinwand: Marcel Carné mit "Der Tag bricht an" (1939) und Jean
Duvivier mit "Zünftige Bande" (1936); Jean Vigo brandmarkt den bourgeoisen Geist in "À
propos de Nice" (1930) und gibt mit "Betragen ungenügend" (1933) Autorität und
Willkür der Lächerlichkeit preis.
Auch neue Schauspieler und
Schauspielerinnen gelangen oft ohne ihr Wissen und entgegen ihren eigenen politischen Auffassungen
zur Berühmtheit und werden zu fiktiven Sprachrohren des Proletariats: Jean Gabin und Arletty
sind vom Bild des französischen Proletariers der 30er Jahre nicht zu trennen.
Aber auch in anderen Ländern stehen
die Zeichen auf Klassenkampf.
1927 beschreibt Fritz Lang in Deutschland
in "Metropolis" eine futuristische Klassengesellschaft, in der die Arbeiter, die unter Tage
für das Glück der in hängenden Gärten lebenden Besitzenden arbeiten, revoltieren und
triumphieren. In den USA drehen nur einige isolierte Filmemacher, oft unter enorm schwierigen
Produktionsbedingungen, Filme, die sich an das neue Massenpublikum der Erwerbslosen und der durch die
Große Depression verarmten Saisonarbeiter richten.
Charlie Chaplin setzt sein Werk fort mit
"Lichter der Großstadt" (1931) und "Moderne Zeiten" (1936) und bringt ein
geschärftes Bewusstsein von den Klassenkonflikten zum Ausdruck, wenn er die Abstumpfung der Massen
durch die Fließbandarbeit feststellt.
John Ford prangert in "Der
Verräter" (1935) die Leere des "amerikanischen Traums" an und unterstützt die IRA
einziger Geldgeber des Films ist der Vater des späteren US-Präsidenten Kennedy. Mit
"Früchte des Zorns" (1940) zeichnet er ein kompromissloses Porträt des Klassenkampfs in
den USA, er geht jedoch nicht soweit wie Gregory La Cava und dessen politische Komödien "Gabriel
Over the White House" und "Mein Mann Godfrey" (1936).
Nicht vergessen werden darf das Meisterwerk
von Orson Welles, "Citizen Kane" (1941), eine Reflexion über Macht, besonders die politische
Macht. Der präfaschistische Pressemagnat William Randolph Hearst, Eigentümer eines Imperiums von
28 Zeitungen, 13 Zeitschriften und 8 Radiostationen, wird in der Gestalt des Charles Foster Kane
dargestellt. Orson Welles enthüllt den politischen Inhalt seines Films mittels eines Dialogs: Kane
erklärt, dass er Geld und Grundbesitz hat. "Wenn ich mich nicht um die Benachteiligten
kümmere, könnte sich vielleicht jemand ohne Geld und Gut ihrer annehmen, und das wäre sehr
fatal." Darauf antwortet Welles in Gestalt des von Joseph Cotten dargestellten Leland: "Es wird
dir überhaupt nicht gefallen, wenn du feststellst, dass deine Arbeiter ihre Rechte als etwas
betrachten, das ihnen zusteht, und nicht als Geschenk."
Gleichzeitig produziert Hollywood weiter
offen rassistische Film: W.S. van Dyke dreht 1932 den ersten Tarzan-Film, wo die Tatsache, ein Schwarzer zu
sein, einen zuverlässigen und raschen Tod verspricht (Sturz von einem Felsen, Krokodile...). Merian C.
Cooper und Ernest B. Schoedsack drehen 1933 "King Kong und die weiße Frau", der
diesbezüglich mindestens zweideutig ist.
Erst mit der Ankunft zahlreicher Exilanten
aus Österreich, Deutschland und Italien, die vor dem Faschismus flüchten, entsteht in den USA
eine wirkliche Welle des sozialen Kinos, in dem auch der Arbeiter seinen Auftritt erhält: Von Josef
von Sternberg (und seiner romanhaften Vision vom Klassenkampf in "Eine amerikanische
Tragödie", 1931) bis Ernst Lubitsch, von Otto Preminger bis zu Douglas Sirk und den ersten Filmen
Billy Wilders leisten diese Regisseure ihren Beitrag durch ihre Ästhetik, aber auch durch eine andere
Weltsicht und folglich ihre Fähigkeit, den durch die Krise von 1929 heftig in Mitleidenschaft
gezogenen "amerikanischen Traum" in Frage zu stellen.
Das Beispiel Frank Capra zeigt dies sehr
gut. Der italienische Emigrant schaut mit halb beißendem, halb naivem Blick auf die amerikanische
Gesellschaft, und seine Filme sind heftige, aber begrenzte Angriffe auf die herrschenden Gewalten:
"Mr.Deeds geht in die Stadt" (1936) mit seinen anrüchigen Geschäftsleuten,
"Mr.Smith geht nach Washington" (1939) mit seiner korrupten Politikerkaste, "Hier ist John
Doe" (1941) mit seinen zynischen Medien. All diese Filme glorifizieren den einfachen Mann, den
"Durchschnittsamerikaner", der gerade so über die Runden kommt, und lassen schließlich
großherzige Ideen über die Institutionen triumphieren, die einem ungezügelten Kapitalismus
dienen. Der linke Humanismus bei Capra und den anderen Filmemachern, die begeistert die Devise ihrer neuen
Heimat aufgreifen ("A government by the people, for the people"), ist jedoch nur Begleitmusik zu
Roosevelts New Deal, er stellt nicht die Grundlagen der Gesellschaft in Frage.
Andere Zeiten kündigen sich bereits an... Als André Malraux mit
"Die Hoffnung" (1938) seine Kunst in den Dienst der Verteidigung der spanischen Republik stellt,
warnt allein er vor der Gefahr des Faschismus. In der UdSSR verlässt Eisenstein das Terrain des
Kampfs, um mit "Alexander Newski" (1938) einem panrussischen Nationalismus zu dienen. Allein
Fritz Lang gibt mit seinem visionären Werk "M" (1931) eine Vorahnung vom Deutschland
Hitlers, dessen Machtergreifung 1933 ein anderes Kino schaffen wird, ein Kino mit zwei antagonistischen
Gestalten: dem Arier und dem Juden.
In "Die große Illusion"
(1937) entgeht selbst Jean Renoir seiner Epoche nicht und setzt unbewusst die Klischees um, die damals im
Schwange waren: die antisemitischen (in der Gestalt des von Marcel Dalio verkörperten Rosenthal), die
antienglischen (besonders in der Tennisszene), die deutschfreundlichen und klassenübergreifenden (in
der Beziehung zwischen Boeldieu und Rauffenstein).
Neben den auf Kommando produzierten
antisemitischen Filmen wie "Jud Süss" von Veit Harlan (1940) greift in Deutschland Leni
Riefenstahl, die offizielle Regisseurin des Regimes, die Darstellungsmittel von Griffith und Eisenstein auf
und schafft Filme, die ganz und gar der Glorifizierung der "arischen Rasse" dienen. "Triumph
des Willens" (1934) basiert auf der visuellen und narrativen Komplementarität zwischen
Führer (Hitler) und Volk ein Ensemble gewaltiger, entmenschlichter Massen. Der Film zeigt
abwechselnd Ausschnitte aus insgesamt 15 Hitlerreden, gewaltige Aufmärsche und Szenen des
"Alltagslebens", die das Regime verherrlichen.
Riefenstahl setzt ihr Werk in dieser
Richtung mit "Olympia" (1938, über die Olympischen Spiele in Berlin 1936) und mit dem 1940
begonnenen, aber erst 1954 fertig gestellten "Tiefland" fort, bei dem sie, da sie keine echten
spanischen Schauspieler bekommen kann, Zigeuner aus den Konzentrationslagern einsetzt... Ihr Einfluss ist
beträchtlich geblieben, und sie hat besonders in George Lucas einen Nachfolger gefunden, der sie in
seiner Hexalogie "Krieg der Sterne" (1977ff.) zitiert.
Nachdem das Kino in Friedenszeiten zu einem Werkzeug politischer
Propaganda geworden ist, wird es ab 1939 rasch zu einem Mittel der Kriegführung.
Bereits zu Beginn des Zweiten Weltkriegs
und mit den ersten Anfängen des Medienkrieges (Roosevelt, Churchill, De Gaulle setzen erstmals das
Radio als Propagandainstrument ein) leistet das Kino unmittelbar seinen Beitrag zur Propaganda.
Zunächst propagieren vor dem
Kriegseintritt der USA einige Filme den Krieg gegen die Nazis, erst in Form der Komödie mit "Der
große Diktator" (1940) von Charlie Chaplin, dann mit Ernst Lubitschs Meisterwerk "Sein oder
Nichtsein" (1941). Beide Filme geben Hitler und seine Gefolgsleute der Lächerlichkeit preis. Den
Kriegseintritt propagieren auch Dramen wie Frank Borzages "Tödlicher Sturm" (1940) oder
Michael Curtiz "Casablanca" (1941). In letzterem verkörpert Humphrey Bogart die USA,
die sich zu Anfang weigern, Partei zu ergreifen.
Nach Pearl Harbor bringt Hollywood schwere
Artillerie in Stellung: General Marshall appelliert an Frank Capra, einen Propagandafilm zur
Unterstützung der Kriegführung der USA zu drehen: "Why We Fight" (1942) bringt ein
hochkarätiges Team zusammen (Walt Disney, den Schriftsteller Robert Flaherty, die Regisseure John
Huston und William Wyler, Dimitri Tiomkin für die Musik, Anatole Litvak für das Drehbuch...).
Es folgen eine Menge Antinazifilme, die in
ihrer Mehrheit rein propagandistische Ziele verfolgen. Die ganze Traumfabrik engagiert sich in dieser
Richtung, bis hin zu Tex Avery und seinen Zeichentrickfilmen, darunter eine geniale Version der Geschichte
von den drei kleinen Schweinchen: "Blitz Wolf" (1942). Es entstehen sogar einige, seltene, Filme,
die die Verdienste des sowjetischen Verbündeten rühmen, wie "Botschafter in Moskau" von
Michael Curtiz (1943).
Gegen Ende des Krieges wird Europa wieder
aufgebaut, und davon zeugen seine Filme, besonders in Italien, wo zahlreiche Regisseure mit dem
Neorealismus das Banner des sozialen Realismus wieder aufnehmen: Auf Roberto Rossellinis Trilogie
"Rom, offene Stadt" (1947), "Paisà" (1946), "Deutschland im Jahre Null"
(1947) folgt Luchino Viscontis "Die Erde bebt" (1948), und Vittorio De Sica dreht sein
Meisterwerk "Fahrraddiebe" (1949).
In dem von den Bombenabwürfen auf
Hiroshima und Nagasaki heimgesuchten Japan explodiert die Filmindustrie mit einer Folge von oftmals
kitschigen Anti-Atomkraft-Filmen (wie die Serien über Godzilla und andere von der Atomspaltung
geschaffene Monster). Daneben dreht ein Filmemacher wie Akira Kurosawa unmittelbar nach dem Krieg ein
reichhaltiges, shakespearesches, anspruchsvolles Werk mit historischen Epen wie "Die sieben
Samurai" (1954) oder "Rotbart" (1965) und zeitgenössische Dramen wie "Die
Bösen schlafen gut" (1960). Seine Filme weisen eine große politische Schärfe und sehr
kritische Sicht auf die japanische Gesellschaft auf, die sich leicht auf die Welt jenseits des Archipels
übertragen lässt.
Für die USA, deren Territorium vom Krieg nicht berührt wurde,
geht der Kampf weiter, nur ist der Feind ein anderer: nicht mehr der oft steife blonde Arier, sondern der
skrupellose rote Rohling. Die Stunde des Kalten Kriegs hat geschlagen...
Schon 1939 hatte Ernst Lubitsch mit seiner
antikommunistischen Satire "Ninotschka" das Thema auf liebenswürdige Weise angeschnitten:
Sie schildert mit Humor das Dilemma einer strengen GPU-Agentin, die sich in einen lebenslustigen US-
Amerikaner verliebt.
In der Folge werden Hunderte
antikommunistischer Filme produziert, die meisten auf niedrigem Niveau und wenig einfallsreich. Sie werden
oft von Handlangern wie Gordon Douglas gedreht, ehemals Regisseur von Streifen mit Laurel und Hardy, dessen
Filme so bezeichnende Titel tragen wie "I Was a Communist for the FBI" (1951). Bemerkenswerte
Ausnahmen bleiben Billy Wilders Komödie "Eins, zwei, drei" (1961), worin Coca-Cola die
Freiheit made in USA repräsentiert, und Leo McCareys "My Son John" (1952), worin
gläubige und patriotische Eltern mit Schrecken feststellen müssen, dass ihr Sohn ein Kommunist
ist.
Aber erst mit dem Wettlauf zur Eroberung
des Weltraums dreht das amerikanische Kino des Kalten Krieges seine denkwürdigsten antikommunistischen
Filme: Die Bedrohung durch die Sowjetunion wird nun intelligenter als vorher als Bedrohung durch
Außerirdische dargestellt. Christian Nybys "Das Ding aus einer anderen Welt" (1951) und
Byron Haskins "Kampf der Welten" (1954, nach H.G.Wells Roman "Krieg der Welten")
sind typische Vertreter des Genres.
Doch man muss auch gegen den inneren Feind
kämpfen. Bei der Begleitung von McCarthys Hexenjagd auf Rote legt Hollywood großen Eifer an den
Tag und säubert seine Reihen in aufsehenerregenden Prozessen, in denen die Stars sich gegenseitig
denunzieren. Eine Schwarze Liste angeblicher Mitglieder der KP wird veröffentlicht; mehrere
Filmschaffende gehen ins Exil darunter Joseph Losey, Jules Dassin, Charlie Chaplin.
Elia Kazan, ein ehemaliger Kommunist, kauft
eine ganze Seite in der "New York Times", um ein Reuebekenntnis abzulegen und seine ehemaligen
Genossen zu denunzieren. Mit "Die Faust im Nacken" (1952) produziert er eine Ode an den Verrat.
Selten sind jene, die sich dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten zu widersetzen wagen:
Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Gene Kelly organisieren Kundgebungen zur Unterstützung der sog.
Hollywood Ten, die auf der Schwarzen Liste stehen. Fred Zinnemann dreht als Antwort auf Elia Kazan
"Zwölf Uhr Mittags" (1952), mit der er die Feigheit angreift, und Chaplin produziert in
seinem britischen Exil "Ein König in New York" (1957), ein Film über die Verheerungen
des Antikommunismus in Amerika.
Auf sowjetischer Seite gab es keine
antiamerikanische Film: Man entscheidet sich, Filme zu produzieren, die für ein internationales
Publikum geeignet und oft melodramatisch sind und auf sentimentale Weise das Glück zum Ausdruck
bringen, in der UdSSR zu leben. Dieses Kino hat zum Teil auch internationalen Erfolg; davon zeugt das
unglaubliche Echo auf Michail Kalatosows "Wenn die Kraniche ziehen" (1957) der Regisseur
drehte später "Soy Cuba" (1966). Allenfalls in Frankreich gibt es noch Filme mit so
bezeichnenden Titeln wie "Vive Staline, lhomme que nous aimons le plus!" (1949).
Zum ersten Mal verlässt das Kino nun auch seine Beschränkung
auf den westlichen Kulturkreis: Die Dritte Welt, mitten im Prozess der Entkolonialisierung, drängt nun
auf die Leinwand, wenngleich anfangs unter der Leitung europäischer Regisseure wie Jean Renoir
("Der Strom", 1951), Roberto Rossellini ("India", 1960), René Vautier
("Afrique 50", 1950) oder Jean Rouch ("Les Maîtres fous", 1954).
In ihrem Windschatten drehen die ersten
Filmemacher der Dritten Welt ihre Erstlingswerke: Satyajit Ray in Indien ("Apus Weg ins Leben",
1955), Ousmane Sembène im Senegal ("Afrique-sur-Seine", 1955, gedreht in ... Paris), Glauber
Rocha in Brasilien ("Barravento", 1962) usw.
Auch in den USA, dem Land des Western, wird
der Indianer zum ersten Mal auf der Leinwand als menschliches Wesen dargestellt. Delmer Daves
"Der zerbrochene Pfeil" (1950) ist der erste Film dieser Art, gefolgt von Anthony Manns
"Fluch des Blutes" (1950) und Howard Hawks "Der weite Himmel" (1952). In diesen
frühen indianerfreundlichen Filmen werden die Rothäute allerdings noch von weißen
Schauspielern dargestellt (z.B. Jeff Chandler oder Robert Taylor). Die Afroamerikaner werden noch ein
Jahrzehnt warten müssen, um das Ende der Rassentrennung auf der Leinwand zu erleben, zusammen mit der
Revolution der Menschenrechte und dem Kampf für Gleichberechtigung.
Das Kino der Zukunft spielt nun weit
entfernt von Hollywood, und neue Generationen auf dem ganzen Planeten zählen auf ihre Kamera, um die
Welt zu verändern...
Ende der 50er Jahre wird die Kinolandschaft, wie man sie seit fast
dreißig Jahren kennt, tief erschüttert durch den Einbruch eines unvorhergesehenen Gegners: des
Fernsehens. Um dem zu begegnen, flüchten sich die Hollywood-Studios in immer teurere
Großproduktionen, während anderswo eine Protestbewegung aufsteigt, welche filmkünstlerische
Bewegungen in Gang setzt, die von den großen Strukturen unabhängig sind: die Nouvelle Vague in
Frankreich, das Free Cinema in England, das Cinema Novo in Südamerika...
Im Osten weht ein Wind der Freiheit durch
das Kino, und es gibt eine gewisse Liberalisierung, die 1968 mit der Unterdrückung des Prager
Frühlings endet. Roman Polanski und Andrzej Wajda in Polen, Jiri Menzel und Milos Forman in der CSSR,
Otar Iosseliani in Georgien, Nikita Michalkow und Andrej Tarkowski in Russland drehen in dieser Zeit ihre
ersten Filme, aber viele von ihnen müssen, um ihr Werk fortzusetzen, ins Exil gehen.
In Europa lebt in den 60er Jahren die erste
Generation, die nicht nur den Krieg im eigenen Land nicht mehr erlebt hat, sondern in ihrer Mehrheit bis
zum Beginn der 70er Jahre Zugang zu einem gewissen materiellen Wohlstand gelangt. Es ist auch eine
Generation, die wissen will, was ihre Eltern während des Zweiten Weltkriegs getan haben, und mit der
"alten Welt" Schluss machen will.
In Frankreich provoziert Bertrand Blier
einen Skandal mit "Hitler... connais pas!" (1963); in Deutschland stellt Rainer Werner Fassbinder
in Filmen wie "Die Ehe der Maria Braun" (1979) oder "Die Sehnsucht der Veronika Voss"
(1982) Fragen zur deutschen Vergangenheit und will wissen, ob man nach dem Schock des Zweiten Weltkriegs
eine nichtbarbarische Gesellschaft aufbauen kann.
Die Erinnerung arbeitet noch, und in
Frankreich wütet im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg eine radikale Zensur: Der erste Film, der das
Thema, das schamhaft "die Ereignisse" genannt wird, direkt behandelt, "Les
Réfugiés" von Cecile De Cuijs (1956), bringt der Regisseurin zwei Jahre Gefängnis
ein... Jean-Luc Godard und sein Streifen "Der kleine Soldat" (1963) werden gleichermaßen
zensiert. Aus diesem Grund geben sich französische Filme oft damit zufrieden, den Krieg auf Umwegen zu
thematisieren, über Gespräche oder als bedrohlicher Hintergrund, wie der Film "Adieu
Philippine" (1960) von Jacques Rozier oder auch "Die Regenschirme von Cherbourg" von Jacques
Demy (1964).
Erst Anfang der 70er Jahre, zehn Jahre nach
den Verträgen von Évian (zwischen dem französischen Staat und der algerischen Befreiungsfront
FLN, die den Algerienkrieg beendeten), sind die ersten offen kritischen Filme zu sehen wie Yves Boissets
"Kommando R.A.S." (1973), René Vautiers "Mit 20 Jahren in den Aures" (1972) oder
die Verfilmung eines Pamphlets von Henri Alleg, "La Question" (1976) durch Laurent Heynemann.
Die Länder Lateinamerikas ihrerseits befragen die Situation unter
den verschiedenen Diktaturen: In Brasilien begründet Nelson Pereira dos Santos mit "Vidas secas
Nach Eden ist es weit" (1963) das Cinema Novo, ein wirklich politisches Manifest; ihm folgen
Glauber Rocha mit "Gott und Teufel im Land der Sonne" (1963) und "Antonio das Mortes"
(1967) sowie der Argentinier Fernando Solanas mit "Die Stunde der Hochöfen" (1968). In ihren
Filmen, die in Studios außerhalb der Kontrolle von Hollywood produziert werden, prangern diese
Regisseure das menschliche Elend und die Komplizenschaft der heimischen Machthaber mit dem US-Imperialismus
an.
In den USA der Vietnamkrieg ist voll
im Gang setzt sich mit Western wie "Cheyenne" (1964) von John Ford, "Das Wiegenlied
vom Totschlag" (1970) von Ralph Nelson und "Little Big Man" (1970) von Arthur Penn bis hin
zum Klassenkampfepos "Heavens Gate" (1980) von Michael Cimino die Befragung der eigenen
Vergangenheit fort, insbesondere hinsichtlich des Völkermords an den Indianern.
Dabei geht es auch darum, die Befragung der
barbarischen Gegenwart zu vermeiden: Die Rassentrennung ist kaum abgeschafft, die soziale Lage der
Schwarzen in den USA hat sich seit den symbolischen Siegen im Kampf für ihre Bürgerrechte kaum
verändert, und im Kino bleiben sie auf die Rolle des Hauspersonals beschränkt (auch wenn eine
solche Rolle in "Vom Winde verweht" der Schauspielerin Hattie McDaniel 1940 einen Oscar
einbringt).
Selbst der erste schwarze Star, Sidney
Poitier berühmt seit "Rat mal, wer zum Essen kommt?" von Stanley Kramer (1967) und
"In der Hitze der Nacht" von Norman Jewison (1967) begnügt sich damit, Personen
darzustellen, die in jeder Hinsicht präsentierbar sind und aus der Mittelschicht kommen, aber von der
weißen Gesellschaft, in die sie aufsteigen, eher toleriert als akzeptiert werden.
Da er den Rassismus in dem Film, den er
drehen will, nicht offen behandeln kann, sieht sich George Romero gezwungen, sich eines Filmgenres zu
bedienen, das ihm erlaubt, die direkte Zensur zu umgehen. In "Die Nacht der lebenden Toten"
(1968) spießt er die individualistischen Schwächen der US-Gesellschaft und ihre Familienwerte auf
und attackiert den Rassismus, der sie durchzieht: Ein kleines Mädchen tötet seine Mutter mit
Messerstichen, ein zum Zombie gewordener Bruder kehrt zurück, um seine Schwester zu verschlingen,
während sich draußen die Menschen in faschistischen Milizen zusammenrotten und schließlich
die einzige positive Gestalt im Film töten, der die Zombies überlebt, aber das Pech hat, ein
Schwarzer zu sein...
Erst mit Melvin van Peebles
"Sweet Sweetback Baad Asssss Song" (1971), schon damals als nicht jugendfrei eingestuft,
erscheint, was später Blaxploitation genannt wird: von US-amerikanischen Schwarzen gedrehte und
gespielte Filme, die sich an ein US-amerikanisches schwarzes Publikum richten. Daraus entwickeln sich in
der Folge neue Stars wie Pam Grier, und der erste schwarze Filmheld, "Shaft" (1971) von Gordon
Parks (gespielt von Richard Roundtree) sowie ein schwarzer Vampir in William Crains "Blacula"
(1972).
Doch die USA haben ein Kino, das Forderungen stellt, keineswegs
aufgegeben, denn die 60er und 70er Jahre bringen eine gewaltige Welle von Antikriegsfilmen als Antwort auf
den Krieg in Vietnam. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, während der Kubakrise, als die Angst
vor einem Atomkrieg akut ist, dreht Stanley Kubrick "Dr.Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu
lieben" (1963). Nicht ohne Humor gibt er weder den Russen noch den USA Recht, aber die
antikommunistische Paranoia eines Generals löst ein höllisches Szenario aus, das schließlich
zum Weltuntergang führt. Mit "M.A.S.H." (1970) greift Robert Altman auf humorvolle Weise die
Schrecken des Koreakrieges auf, vermeidet jedoch, vom aktuellen Krieg zu sprechen.
Der einzige Film der Kriegszeit, der das
Thema direkt positiv behandelt, ist "Die grünen Teufel" (1968) des rechten Republikaners
John Wayne. Gleichzeitig setzt Brian DePalma mit "Grüße" (1968) auf komische Weise eine
Gruppe von drei Freunden in Szene (dargestellt u.a. von Robert DeNiro), die mit allen Mitteln versuchen,
der Einberufung zu entgehen.
Eine andere Darstellung des Krieges taucht
erst auf, als Francis Ford Coppola mit "Apocalypse Now" (1979) ein unmittelbareres Porträt
des Vietnamkriegs zeichnet; im selben Jahr dreht Michael Cimino "Die durch die Hölle gehen".
Milos Formans "Hair" (1979) stellt in Form eines Musicals die große Bewegung der
Kriegsdienstverweigerer unter den Jugendlichen vor. Der Film zeigt auch den in der Jugend verbreiteten
Willen, ihre Lebensweise zu ändern und eine freie Gesellschaft jenseits alter Gewohnheiten zu
schaffen. Später, 1987, erscheint Stanley Kubricks "Full Metal Jacket", der sich lange mit
den Bedingungen auseinandersetzt, denen frisch einberufene US-Marineinfanteristen während der
Ausbildung ausgesetzt sind, bevor sie nach Vietnam geschickt werden, um dort Massaker zu verüben.
Die 60er und 70er Jahre sind auch die Jahre
einer ersten Befreiung, die aus dem Alltagsleben: In diesen Jahren entsteht ein Kino, das junge Menschen
zeigt, die so gut es geht versuchen, auf andere Weise zu leben, und zwar überwiegend vermittelt
über individuelle statt kollektive Erfahrungen.
Das beginnt schon mit "Der Wilde"
(1953) von Laszlo Benedek oder "...denn sie wissen nicht, was sie tun" (1955) von Nicholas Ray.
Diese Filme widmen sich den jungen Rebellen, dargestellt von Marlon Brando und James Dean, doch folgen
ihnen bald Werke, die viel weiter gehen: "Easy Rider" von Dennis Hopper, oder zwei Filme, die auf
jeweils sehr unterschiedliche Weise die Grenzen darstellen, an die die Gesellschaft beim Versuch
stößt, jugendliche Instinkte zu domestizieren: "Uhrwerk Orange" (1971) von Stanley
Kubrick und "Einer flog über das Kuckucksnest" (1975) von Milos Forman. Im Bereich der
Komödie bringt Blake Edwards in "Der Partyschreck" (1968) einen von Peter Sellers gespielten
trotteligen Hindu auf die Leinwand, der unfreiwillig auf der Party eines Filmproduzenten, der ihn auf eine
Schwarze Liste gesetzt hatte, eine Reihe von Katastrophen auslöst.
Auch der Zeichentrickfilm entgeht dieser
Welle nicht: Ralph Bakshi und Robert Crumb zeichnen in "Fritz the Cat" (1972) eine Jugend
zwischen Drogen und Sexualität, die sich am Rande der Gesellschaft amüsiert.
Andererseits leisten einige Regisseure
Widerstand gegen das, was sie als einen Verlust von Werten und Bezugspunkten und schließlich als
moralische Dekadenz begreifen: so Martin Scorsese und sein sehr ambivalenter Taxi "Driver"
(1976), dessen Drehbuchautor, Paul Schrader, später selber "Blue Collar" (1978) dreht (der
schonungslos den Klassenkampf in den USA und die Spaltung unter den Arbeitern einer Fabrik schildert),
sowie "Hardcore Ein Vater sieht rot" (1979), eine bittere Reflexion über die
Möglichkeit, Gerechtigkeit zu üben, wenn man ein puritanischer Familienvater ist, der erlebt, wie
seine Tochter in die Pornografie abrutscht.
Auch die Katastrophenfilme reiten auf
dieser Welle, wenn sie die Gefahr des Zusammenbruchs der US-Gesellschaft durch den Verlust von Moral
thematisieren dazu gehören ("Flammendes Inferno" von John Guillermin,
"Erdbeben" von Mark Robson, "Giganten am Himmel" von Jack Smight, alle entstanden im
Jahr 1974, nach der Niederlage in Vietnam. In den beiden letztgenannten spielt der äußerst
reaktionäre Charlton Heston die Rolle des Retters. Zu erwähnen sind hier auch die Filme mit
Charles Bronson, die die Selbstjustiz rechtfertigen [z.B. Michael Winners Machwerk "Ein Mann sieht
rot" (1974) mit diversen Fortsetzungen]; die James-Bond-Filme (seit 1962) mit ihrem zügellosen
Machismo, in denen die Frau wieder ihren traditionellen Platz in der Gesellschaft einnimmt, während
der Mann überall auf dem Planeten den Kommunismus bekämpft; sowie Don Siegels "Dirty
Harry" (1971), der die libertären Bewegungen seiner Zeit deutlich ablehnt.
Die Befreiung der Sitten ist jedoch nicht allein eine Sache des
amerikanischen Kinos, auch der europäische Film steht da nicht zurück. Schon 1960 beschreibt
Federico Fellini in "Das süße Leben" die Änderungen im Lebensstil der
italienischen jeunesse dorée. Pier Paolo Pasolini rühmt die Vorzüge der individuellen
Freiheit und der freien Sexualität und kritisiert die bürgerliche Moral: in "Teorema
Geometrie der Liebe" (1968), "Der Schweinestall" (1969), "Decameron" (1971) und in
dem schockierenden "Die 120 Tage von Sodom" (1976). Aber ebenso wie Fassbinder in Deutschland
interessiert er sich auch für die Herrschaftsverhältnisse, die eine solche Freiheit mit sich
bringt oder erlaubt.
In England will das Kino frei sein; einige
junge Filmemacher lancieren das Free Cinema mit Filmen, die stark von einem sozialen Bewusstsein und einem
sehr freien Ton gekennzeichnet sind: "Samstagnacht bis Sonntagmorgen" von Karel Reisz (1960),
oder Lindsay Andersons "If..." (1968), der eine bewaffnete Revolte von Schülern gegen das
Bildungssystem schildert. Peter Watkins vertritt eine Filmsprache von großer politischer Kraft, z.B.
in "Punishment Park" (1971), einer politischen Fiktion im Stil einer TV-Reportage, die kaum von
der zeitgenössischen Realität entfernt ist, oder in "Edvard Munch" (1973), eine sehr
"bergmaneske" und in der Erzählung sehr ausführliche Biografie des gleichnamigen
Malers.
Die unschätzbare Komikertruppe Monty
Python mit ihrem absurden und ätzenden Humor, rechnet erst in BBC-Shows mit einigen Aspekten der
britischen Gesellschaft ab, bevor sie ihre Angriffe räumlich und zeitlich mit Filmen ausweitet, die
sie mit Terry Gilliam und Terry Jones produziert: "Die Ritter der Kokosnuss" (1975), "Das
Leben des Brian" (1979) und "Der Sinn des Lebens" (1983) regelrechte Anti-Thatcher-
Attacken.
In Frankreich interessiert sich Luis Buñuel
in Filmen wie "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" (1972) oder "Dieses obskure Objekt der
Begierde" (1977) für den Widerspruch zwischen individueller Entfaltung, Sexualität sowie
bürgerlicher und christlicher Moral.
Auch in Frankreich ändern sich die
Sitten, aber mehr als die Sexualität sind es hier die Frauen, die Befreiung benötigen, im Leben
wie auf der Leinwand. Die Stellung der Frau wandelt sich, sie bekommen Zugang zu Verhütungsmitteln und
schließlich auch zur Abtreibung, und auf der Leinwand treten sie nicht mehr nur als Gegenstand von
Verführung oder Errettung auf. In den 60er Jahren drängen Frauen auch mehr und mehr in das
traditionell den Männern vorbehaltene Handwerk des Regisseurs.
Jean-Luc Godard gibt mit "Eine Frau
ist eine Frau" (1961) eine Zustandsbeschreibung der Lage der Frauen. In "Zwei oder drei Dinge,
die ich von ihr weiß" (1967) zeigt er zugleich eine Gesellschaft in Bewegung, ihre zunehmende
Urbanisierung und der Aufbau der Pariser Vorstädte. Marina Vlady spielt eine Mutter, die als
Prostituierte arbeitet, um sich und ihre zwei Kinder durchzubringen. Godard fragt nach dem Platz der Frau
in einer sich wandelnden Gesellschaft; auf der Leinwand findet diese Fragestellung ihren Höhepunkt im
Meisterwerk von Jean Eustache, "Die Mama und die Hure" (1973). Zur selben Zeit tauchen
Regisseurinnen auf, von denen einige vorher Schauspielerinnen oder Autorinnen waren. Einige behandeln die
Lage der Frauen, wie Catherine Breillat ("Ein Mädchen", 1976), Coline Serreau ("Mais
quest-ce quelles veulent?", 1977) oder Agnès Varda ("Die eine singt, die andere
nicht", 1976).
Erschüttert von der Folge von "Revolutionen" auf der
Leinwand geht das Filmestablishment in den 80er Jahren in die Gegenoffensive, unterstützt von
verschiedenen politischen Machthabern. Hollywood schluckt schließlich die Generation der jungen
rebellischen Filmemacher, die ihre Messer außerhalb der Studios gewetzt hatten (Bogdanovich, Cimino,
Coppola, Pakula...), und bringt seine Kriegsmaschine in die Kinosäle der ganzen Welt, während
Ronald Reagan seine eigene Version des Kriegs der Sterne ankurbelt. Das Zeitalter der Blockbuster hat
begonnen, und wenn sie sich im Weltraum abspielen, lässt es sich leichter vermeiden, von dem zu
sprechen, was auf der Erde geschieht: "Der Krieg der Sterne" von George Lucas (1977),
"Superman" von Richard Donner (1978), "Tron" von Steven Lisberger (1982) preisen die
traditionelle Moral und Familie und reagieren damit auf die Bedürfnisse des Publikums nach Utopie, das
im Goldenen Zeitalter des fanatischen Neoliberalismus von Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit betroffen
ist.
In anderen Länder erfährt die
Filmindustrie einen beispiellosen Rückgang: Das deutsche Kino ist begraben, die russischen Studios
gehen Pleite, das italienische Kino stirbt unter den ersten Attacken von Berlusconis Fernsehen, Margaret
Thatcher zerschlägt in einem Zug den britischen Bergarbeiterstreik und das englische Autorenkino, das
spanische Kino baut sich nach der Franco-Ära erst langsam wieder auf.
In Frankreich schlägt die Stunde des
Unterhaltungsfilms, fern von sozialen Inhalten ("Drei Männer und ein Baby", 1985; "Jean
Florette", 1986; "Im Rausch der Tiefe", 1988). Drei Ausnahmen sind zu erwähnen: Chris
Marker, Jean-Luc Godard sowie Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, die ihr sehr politisches Werk
fortsetzen, aber vom großen Publikum kaum wahrgenommen werden. Der Erstgenannte dreht entweder allein,
so "Le Fond de lair est rouge" (1977), oder mit der Gruppe Medwedkin, die mit den Arbeitern
von Sochaux oder Besançon u.a. die Filme "À bientôt jespère" (1967) und "Classe
de lutte" (1969) realisiert. Der Zweite dreht in den 70er Jahren nur noch im Rahmen der Gruppe
"Dziga Wertow", was zu mehreren maoistisch inspirierten und sehr engagierten Filmen führt
wie "Ici et Ailleurs" (1974) über den israelisch-palästinensischen Konflikt. In den
80er Jahren geht er diese Themen wieder allein an. Straub und Huillet wenden sich mit
"Klassenverhältnisse" (1984), nach Franz Kafka, entschieden gegen den Kapitalismus, mit
"Sicilia!" (1998), nach Elio Vittorini, gegen den Faschismus.
Nach der Überfülle der 60er und
70er Jahre sind die Kämpfe in den 80er Jahren, von der Leinwand verschwunden; es ist die Ära der
Golden Boys und des politischen Krebsgangs. Es dauert weitere zehn Jahre, bis das Kino das Engagement
wieder aufnimmt.
Nach der Flaute der 80er Jahre und dem
allgemeinen Rückgang der sozialen Bewegung führen die 90er Jahre nahezu überall auf der Welt
zu einer Versöhnung von Film und Politik.
In Frankreich betreten Ende der 80er Jahre
die Vorstadtbevölkerung und die Migranten die politische Sphäre (Marche des Beurs, S.O.S. Racisme
u.a.). Dadurch werden neue Orte sichtbar (Straße, Wohnviertel, Stadt) und neue Gestalten. Von 1991 bis
1995 gelangt eine Welle von Filmen "aus den Banlieues" in die Kinos und hat bei Kritik und
Publikum einen gewissen Erfolg.
Die aus der Immigration stammenden jungen
Franzosen geraten im Film zunächst ins Blickfeld "weißer" Filmemacher ("Hass"
von Mathieu Kassovitz [1995], "États des lieux" [1995] und "Ma 6-T va cracker" [1997]
von Jean-François Richet, "Raï" [1994] von Thomas Gilou, "Le Gone du chaâba" [1997] von
Christophe Ruggia). Aber auch das persönlich Erlebte der jungen Migranten, die Regisseure werden und
im Film allgemeine Anerkennung finden, verschafft sich ein Daseinsrecht im Kino und animiert sie, von ihrer
Geschichte und Kultur zu sprechen mit Dokumentationen wie "Mémoires
dimmigrés" (1997) von Yamina Benguigui oder Dramen wie "Hexagone" (1993) und
"Douce France" (1995) von Malik Chibane, "Bye bye" (1995) von Karem Dridi, "Wesh
wesh, quest-ce qui se passe?" (2002) von Rabah Ameur-Zaïmeche bis zum jüngsten Erfolg von
"LEsquive" (2002) von Abdellatif Kechiche, dem Regisseur von "Voltaire ist
schuld" (2000).
Ähnliche Entwicklungen gibt es in
England mit der indisch-pakistanischen Immigration ("Mein wunderbarer Waschsalon" [1985] und
"Kleine schmutzige Tricks" [2002] von Stephen Frears, "Fish and Chips" [2000] von
Damien ODonnell, "Brothers in Trouble" [1996] und "My Son the Fanatic" [1998] von
Udayan Prasad) sowie in Deutschland mit der türkischen Einwanderung (von dem Vorläufer
"Angst essen Seele auf" von Rainer Werner Fassbinder [1974] bis zu "Gegen die Wand" von
Fatih Akin [2004]).
Parallel zu den neuen Kämpfen gegen
die Globalisierung und den großen Streikwellen, dem Anstieg der Massenerwerbslosigkeit und der
Prekarisierung erfährt dieses Jahrzehnt auch eine Wiederkehr des sozialen, engagierten, die
Realität aufgreifenden Kinos, im Spielfilm ebenso wie im Dokumentarfilm: zunächst als
Komödie ("Mohamed Bertrand-Duval" [1991] von Alex Métayer, "Tolle Zeiten"
[1991] von Gérard Jugnot und "Die Krise" [1992] von Coline Serreau), worin die
Erwerbslosigkeit nur eine Panne ist; dann als lyrisches Drama wie in Leos Carax "Die Liebenden
von Pont-Neuf" (1991), in dem fast zum ersten Mal Menschen, die auf der Straße leben, die
Hauptpersonen sind.
Das Unterhaltungs- oder Konsumkino der 80er
Jahre hat in der Gunst des Publikums schnell einem Kino des Alltags, der täglichen Sorgen Platz
gemacht (nicht nur wegen der Themen, sondern auch wegen der Technik, die Nahaufnahmen und eine
Kameraführung in Schulterhöhe bevorzugt).
In England etabliert sich neben Ken Loach,
dem Veteranen aus der Vor-Thatcher-Ära, eine neue Welle des sozialen, sogar proletarischen Kinos: die
Bergleute von Mark Hermans "Brassed Off Mit Pauken und Trompeten" (1998), die Erwerbslosen
von Peter Cattaneos "Ganz oder gar nicht" (1997), die "Prolos" von Mike Leighs
"Nackt" (1993) oder "All or Nothing" (2002) usw.
In einer direkt vom Neorealismus
übernommenen Art setzen die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne direkt, sogar brutal, mit der
Kamera auf der Schulter die auf ein besseres Leben hoffenden Proletarier, Prekarisierten und
Arbeitsimmigranten in Szene so in "Das Versprechen" (1996) und "Rosetta" (1999),
der ihnen die Goldene Palme von Cannes einbrachte.
In Frankreich haben die sozialen
Auseinandersetzungen vom Winter 1995 direkte Spuren im Filmschaffen hinterlassen: "Nadia et les
Hippopotames" (2000) von Dominique Cabrera, "Marius et Jeannette" (1997) und andere Filme
von Robert Guédiguian. Eine ganze neue Generation von Filmemachern des "Klassenkampfs" tritt
auf: Laurent Cantet mit "Ressources humaines" (1999), Jean-Marc Moutout mit "Violences des
échanges en milieu tempéré" (2004).
Vor allem aber gibt es eine neue Welle von
Regisseurinnen, sie liefern erstaunlicherweise die meisten Filme zu den Themen, die die sozialen Bewegungen
umtreiben: Laetitia Masson ("En avoir (ou pas)", 1996; "Zu verkaufen", 1998), Sandrine
Veysset ("Gibt es zu Weihnachten Schnee?", 1996), Marion Vernoux ("Rien à faire",
1999), Pascale Ferran ("LÂge des possibles", 1997) sowie Claire Denis, Laurence Ferreira-
Barbosa, Agnès Merlet, Noémie Lvovsky, Catherine Breillat, Catherine Corsini, Anne Fontaine,
Solveig Anspach, Brigitte Roüan usw.
Als Gegenstück zum sozialrealistischen
Drama erfährt der direkt politische Dokumentarfilm einen bisher nie gekannten Erfolg an der Kinokasse.
In Frankreich sind es Reportagen von
Kämpfen und Streiks, die auf die Leinwand gelangen die von 68 dank Hervé Le Roux mit
"Reprise" (1997), die der Obdachlosen mit Christophe Otzenbergers "Fragments sur la
misère" (1998), die der Bergleute mit Jean-Michel Carrés "Charbon ardents" (1999),
andere mit "Parole de Bibs" (2001) von Jocelyne Lemaire-Darnaud, "Les Prolos" (2003)
von Marcel Trillat, "Rêve dusine" (2003) von Luc Decaster neben vielen anderen.
In der übrigen Welt sind die Filme von
Michael Moore ("Bowling for Columbine", 2002; "Fahrenheit 9/11", 2003 u.v.a.), Fernando
Solanas ("Chronik einer Plünderung", 2004), Jonathan Nossiter ("Mondovino Die
Wahrheit liegt im Wein", 2004), Hubert Sauper ("Darwins Albtraum", 2005), Naomi Klein und
Avi Lewis ("The Take Die Übernahme", 2005) Teil einer globalen Kultur des Widerstands
gegen den Kapitalismus und seine Auswirkungen, seien sie politischer, sozialer oder imperialistischer
Natur.
Auf der Gegenseite produzieren Hollywood
und die etablierte Filmindustrie nicht länger in der Lage, das Terrain des Realen zu besetzen
Filme, die sich, dank neuer Technologien, visuell immer weiter überbieten. Doch der Erfolg des
engagierten Protestkinos bringt sie dazu, eine noch klarere, noch reaktionärere politische Botschaft
zu verbreiten. Gleichzeitig bedienen sich diese Filme nach dem Vorbild des Che-Guevara-Porträts auf T-
Shirts der Ikonografie der Revolte, um die Jugend besser zu erreichen so David Fincher und seine
Filme mit z.T. faschistoider Botschaft ("Sieben", 1995; "Fight Club", 1999), die
nationalistischen Filme von Roland Emmerich ("Universal Soldier", 1992; "Stargate",
1994; "Independence Day", 1996; "Der Patriot", 2000), das ultrareaktionäre Duo
Michael Bay/Jerry Bruckheimer ("Armageddon", 1997; "Pearl Harbor", 2001) sowie die
fälschlich als Rebellen vermarkteten Larry und Andy Wachowski ("Matrix", 1998) und Danny
Boyle ("Trainspotting Neue Helden", 1996; "The Beach", 2000).
Feinheiten sind nicht mehr die Sache der
Hüter der Reaktion. Paul Verhoeven parodiert diese reaktionären Tendenzen auf intelligente Weise
in seinem vergnüglichem Film "Starship Troopers" (1998). Auch David ORussell
lässt es sich nicht nehmen, mit "Three Kings" (2000) die US-Intervention im Irak
während des ersten Golfkriegs lächerlich zu machen, indem er eine Handvoll Marineinfanteristen
präsentiert, die zu allem bereit sind, um nicht mit leeren Händen aus dem Krieg
zurückzukommen.
In ihrem Wunsch, ein neues,
intellektuelleres Publikum zu erreichen, wenden sich die großen Studios sogar an Regisseure, die vom
Autorenfilm kommen, und vertrauen ihnen Superproduktionen an. Doch diese Regisseure erlauben sich, das
System zu kritisieren!, wie "Spiderman" (2002) von Sam Raimi, "X-Men" (2000) von Bryan
Singer, "Der Herr der Ringe" (20012003) von Peter Jackson, "Hulk" (2002) von Ang
Lee.
Der Rückgang in der Gunst des
Publikums schlägt sich in einer Krise der Studios mit ihren oft desaströsen Ausgaben nieder. Die
geballte Propaganda der Pro-Bush-Kräfte richtet sich nun auf den TV-Bildschirm mit
Fernsehserien wie "Alias" (deren Hauptdarstellerin Jennifer Garner aus "reinem
Patriotismus" an einer Rekrutierungskampagne der CIA beteiligt war), "24",
"Stargate" u.a.
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