SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 24

Eine politische Geschichte des Films

von Charlotte Daix, Ivan Guimbert und Emmanuel Chanial

Der Film ist unlösbar mit seinem politischen Inhalt verbunden. Aus einer bloßen Unterhaltung wurde er zu einer politischen Waffe, einer Form des Protests oder einfach zu einem Zeugen der Kämpfe seiner Epoche.

Der Film, der als reines Medium der populären Unterhaltung entstanden ist, wurde zu Beginn des 20.Jahrhunderts und noch vor seinem Durchbruch zu einem Mittel der Massenunterhaltung rasch zu einem wichtigen politischen Werkzeug. Neben dem Aufblühen des burlesken Films als reines Spektakel erschienen sehr bald die ersten Filme, die eine unmittelbar politische Botschaft vermittelten.
Nahezu erster dieses Genres war der Film des Italieners Giovanni Pastrone, "Cabiria" (1914), an dessen Drehbuch Gabriele D‘Annunzio mitschrieb und der ein großes historisches Fresko mit nationalistischen Akzenten (die Begeisterung für die ruhmreiche Vergangenheit des antiken Rom) malte; er unterstützte unzweideutig die interventionistische Politik Italiens in der Stunde seiner kolonialen Expansion (vgl. "Good Morning Babylon" [1987] von Vittorio und Paolo Taviani zur Wirkung dieses Films).
Der kolossale Erfolg dieses Films inspirierte besonders David Wark Griffith in den USA; er realisierte die Antwort der jungen amerikanischen Nation gegenüber dem alten Europa: "Die Geburt einer Nation" (1915), der schnell einer der größten Welterfolge des Kinos jener Epoche wurde.
Dieser rassistische Film präsentiert sich als ein neuer Baustein im Aufbau der nationalen Identität der USA nach dem Sezessionskrieg: Norden und Süden, Todfeinde während des Krieges, schließen sich zusammen, um gegen die Gefahr zu kämpfen, die vom schwarzen Mann ausgeht, und gründen den Ku Klux Klan, den Retter der Seele der Vereinigten Staaten.
Das ist einer der ersten Filme, die mit einer massiven internationalen Werbekampagne verbunden sind. Er wird zu einem Prototyp des reaktionären Kinos, mit einer ziemlich homogenen formalen Kodifizierung: viel Lyrik, beeindruckende Monumentalszenen (der Ritt des Ku Klux Klan), rasante Schnitte usw.
Auf der Gegenseite, ideologisch wie auch filmisch, tauchen in Russland die ersten sowjetischen Filmemacher auf: Lew Kuleschow dreht 1924, lange vor dem Kalten Krieg, seine antiamerikanische Groteske "Die Abenteuer des Mr.West im Bolschewikenland". Und Dsiga Wertow filmt die Welt und ihre Wahrheit dokumentarisch. In einem seiner Hauptwerke, "Der Mann mit der Kamera" (1929), macht sich Dsiga Wertow frei von den Erzählcodes des noch jungen Kinos und erfindet buchstäblich ein revolutionäres Kino, formal wie thematisch: halb experimentell, halb dokumentarisch wird das Bild zum lebendigen Zeugnis des städtischen Proletariats, dem es, eingefangen vom Blick des Mannes mit der Kamera, in seinen Arbeitstag, sein Alltagsleben folgt.
Eine andere Antwort auf die nationalistische Lyrik eines D.W.Griffith oder die Fresken christlicher Moral eines Cecil B. DeMille, der damals mit "Die zehn Gebote" (1923) und "König der Könige" (1927) seine Karriere begann, gibt Sergej M. Eisenstein in der UdSSR mit einer gewaltigen "Sowjetografie": Indem er das Monumentale der Filme von Griffith mit dem Erfindungsreichtum von Wertow verbindet, schafft er eine neue Art, Filme zu machen und Bilder zu komponieren. Er erfindet den sowjetischen Kinorealismus mit einem filmischen Projekt im Dienst der Revolution ("Streik" [1924], "Panzerkreuzer Potjomkin" [1925], "Oktober" [1928]).
Eisenstein und Wertow beeinflussen die gesamte sich herausbildende sowjetische Filmindustrie und bekommen würdige Nachfolger. Dazu gehört Alexander Medwedkin, der mit dem Zug die gesamte Sowjetunion bereist, um seine Landsleute zu filmen, und in "Das Glück" (1932) das Leben in den Kolchosen preist. Boris Barnet schlägt einen unkonventionellen Ton an und dreht mit "U samogo sinjego morja" (1935) eine musikalische Komödie zum Ruhm einer Kolchose mit dem schönen Namen "Feuer des Kommunismus" auf einer Insel in Aserbaidschan.
Weit entfernt vom sowjetischen revolutionären Realismus ist das Filmhandwerk für die Surrealisten ein Ort des Experiments und der Forderung. Es entstehen die ersten Filme von Luis Buñuel ("Ein andalusischer Hund" [1929] und "Das goldene Zeitalter" [1930]) und von Jean Cocteau ("Das Blut eines Dichters" [1930]). Sie stellen sich gegen den im Kino bereits etablierten Klassizismus: Der Traum und die zusammenhanglose Erzählung werden zu Gegenmodellen zu den konsumorientierten Werten der modernen Gesellschaft.
Parallel dazu beginnt ein Regisseur seine Karriere außerhalb aller Normen: Charlie Chaplin. Während er die filmischen Codes der damals beliebten Burleske aufgreift, wird er (bis zu seiner späteren Ausweisung aus den USA) ein Werk mit sehr politischer Orientierung schaffen. Dazu gehören Filme wie "Gewehr über!" (1918), eine antimilitaristische Farce, und "Ein Hundeleben" (1918), der die Lebensbedingungen der ärmsten Gesellschaftsschichten anprangert, sowie "Goldrausch" (1925), der den "amerikanischen Traum" heftig aufs Korn nimmt...
Das Kino ist somit innerhalb von zehn Jahren, vom Beginn des Ersten Weltkriegs an, zum Terrain politischen Ausdrucks geworden, das die Konflikte und Kämpfe der Zeit widerspiegelt.

Außerhalb der Sowjetunion und abgesehen von den proletarischen Fresken Eisensteins kommt die Arbeiterklasse erst in den 30er Jahren, während der Wirtschaftskrise, auf die Leinwand, nicht mehr als anonyme Masse (bedrohlich oder revolutionär, je nach Filmemacher), sondern als Objekt, Subjekt, Persönlichkeit.
Der Arbeiter gelangt kurz nach dem Ton auf die Leinwand (der erste Tonfilm ist 1929 "Der Jazzsänger" von Alan Crosland).
In Frankreich bringt einer der bedeutendsten Filmemacher, Jean Renoir, die Arbeiter ins Kino. Schon in seinen ersten Filmen etabliert Renoir das Proletariat als vollwertige Gestalt, sogar als Hauptfigur. Aber erst mit "Toni" (1934) wird der Arbeiter zum Helden der Tragödie, ein Schicksal, das im Film bis dato Bürgern, Adligen und Göttern vorbehalten war. Weitere Filme folgen: 1936, in der Zeit der Volksfront, dreht Renoir vier Filme mit starken politischen Botschaften an die Arbeiterklasse, die massenhaft in die Kinosäle strömt, wo endlich von ihr die Rede ist:
"Das Verbrechen des Herrn Lange" (unterstützt von der Gruppe Oktober, zu der Jacques Prévert gehört und die den Film vor den Fabriktoren aufführt) erzählt, wie Arbeiter gegen ihren kriminellen Unternehmer den Betrieb übernehmen und als Kooperative weiterführen.
"Nachtasyl", nach Maxim Gorki, eine nicht gerade harmlose Autorenwahl in diesen Zeiten des Antikommunismus.
"Das Leben gehört uns". Hier kommt die politische Entscheidung auch auf der Ebene der Produktion zum Ausdruck: Der Film wird für die Wahlkampagne der KP gedreht, als "Gaststars" treten Maurice Thorez und Jacques Duclos auf.
Andere Filmemacher leisten ihren Beitrag zum Klassenkampf auf der Leinwand: Marcel Carné mit "Der Tag bricht an" (1939) und Jean Duvivier mit "Zünftige Bande" (1936); Jean Vigo brandmarkt den bourgeoisen Geist in "À propos de Nice" (1930) und gibt mit "Betragen ungenügend" (1933) Autorität und Willkür der Lächerlichkeit preis.
Auch neue Schauspieler und Schauspielerinnen gelangen — oft ohne ihr Wissen und entgegen ihren eigenen politischen Auffassungen — zur Berühmtheit und werden zu fiktiven Sprachrohren des Proletariats: Jean Gabin und Arletty sind vom Bild des französischen Proletariers der 30er Jahre nicht zu trennen.
Aber auch in anderen Ländern stehen die Zeichen auf Klassenkampf.
1927 beschreibt Fritz Lang in Deutschland in "Metropolis" eine futuristische Klassengesellschaft, in der die Arbeiter, die unter Tage für das Glück der in hängenden Gärten lebenden Besitzenden arbeiten, revoltieren und triumphieren. In den USA drehen nur einige isolierte Filmemacher, oft unter enorm schwierigen Produktionsbedingungen, Filme, die sich an das neue Massenpublikum der Erwerbslosen und der durch die Große Depression verarmten Saisonarbeiter richten.
Charlie Chaplin setzt sein Werk fort mit "Lichter der Großstadt" (1931) und "Moderne Zeiten" (1936) und bringt ein geschärftes Bewusstsein von den Klassenkonflikten zum Ausdruck, wenn er die Abstumpfung der Massen durch die Fließbandarbeit feststellt.
John Ford prangert in "Der Verräter" (1935) die Leere des "amerikanischen Traums" an und unterstützt die IRA — einziger Geldgeber des Films ist der Vater des späteren US-Präsidenten Kennedy. Mit "Früchte des Zorns" (1940) zeichnet er ein kompromissloses Porträt des Klassenkampfs in den USA, er geht jedoch nicht soweit wie Gregory La Cava und dessen politische Komödien "Gabriel Over the White House" und "Mein Mann Godfrey" (1936).
Nicht vergessen werden darf das Meisterwerk von Orson Welles, "Citizen Kane" (1941), eine Reflexion über Macht, besonders die politische Macht. Der präfaschistische Pressemagnat William Randolph Hearst, Eigentümer eines Imperiums von 28 Zeitungen, 13 Zeitschriften und 8 Radiostationen, wird in der Gestalt des Charles Foster Kane dargestellt. Orson Welles enthüllt den politischen Inhalt seines Films mittels eines Dialogs: Kane erklärt, dass er Geld und Grundbesitz hat. "Wenn ich mich nicht um die Benachteiligten kümmere, könnte sich vielleicht jemand ohne Geld und Gut ihrer annehmen, und das wäre sehr fatal." Darauf antwortet Welles in Gestalt des von Joseph Cotten dargestellten Leland: "Es wird dir überhaupt nicht gefallen, wenn du feststellst, dass deine Arbeiter ihre Rechte als etwas betrachten, das ihnen zusteht, und nicht als Geschenk."
Gleichzeitig produziert Hollywood weiter offen rassistische Film: W.S. van Dyke dreht 1932 den ersten Tarzan-Film, wo die Tatsache, ein Schwarzer zu sein, einen zuverlässigen und raschen Tod verspricht (Sturz von einem Felsen, Krokodile...). Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack drehen 1933 "King Kong und die weiße Frau", der diesbezüglich mindestens zweideutig ist.
Erst mit der Ankunft zahlreicher Exilanten aus Österreich, Deutschland und Italien, die vor dem Faschismus flüchten, entsteht in den USA eine wirkliche Welle des sozialen Kinos, in dem auch der Arbeiter seinen Auftritt erhält: Von Josef von Sternberg (und seiner romanhaften Vision vom Klassenkampf in "Eine amerikanische Tragödie", 1931) bis Ernst Lubitsch, von Otto Preminger bis zu Douglas Sirk und den ersten Filmen Billy Wilders leisten diese Regisseure ihren Beitrag durch ihre Ästhetik, aber auch durch eine andere Weltsicht und folglich ihre Fähigkeit, den durch die Krise von 1929 heftig in Mitleidenschaft gezogenen "amerikanischen Traum" in Frage zu stellen.
Das Beispiel Frank Capra zeigt dies sehr gut. Der italienische Emigrant schaut mit halb beißendem, halb naivem Blick auf die amerikanische Gesellschaft, und seine Filme sind heftige, aber begrenzte Angriffe auf die herrschenden Gewalten: "Mr.Deeds geht in die Stadt" (1936) mit seinen anrüchigen Geschäftsleuten, "Mr.Smith geht nach Washington" (1939) mit seiner korrupten Politikerkaste, "Hier ist John Doe" (1941) mit seinen zynischen Medien. All diese Filme glorifizieren den einfachen Mann, den "Durchschnittsamerikaner", der gerade so über die Runden kommt, und lassen schließlich großherzige Ideen über die Institutionen triumphieren, die einem ungezügelten Kapitalismus dienen. Der linke Humanismus bei Capra und den anderen Filmemachern, die begeistert die Devise ihrer neuen Heimat aufgreifen ("A government by the people, for the people"), ist jedoch nur Begleitmusik zu Roosevelts New Deal, er stellt nicht die Grundlagen der Gesellschaft in Frage.

Andere Zeiten kündigen sich bereits an... Als André Malraux mit "Die Hoffnung" (1938) seine Kunst in den Dienst der Verteidigung der spanischen Republik stellt, warnt allein er vor der Gefahr des Faschismus. In der UdSSR verlässt Eisenstein das Terrain des Kampfs, um mit "Alexander Newski" (1938) einem panrussischen Nationalismus zu dienen. Allein Fritz Lang gibt mit seinem visionären Werk "M" (1931) eine Vorahnung vom Deutschland Hitlers, dessen Machtergreifung 1933 ein anderes Kino schaffen wird, ein Kino mit zwei antagonistischen Gestalten: dem Arier und dem Juden.
In "Die große Illusion" (1937) entgeht selbst Jean Renoir seiner Epoche nicht und setzt unbewusst die Klischees um, die damals im Schwange waren: die antisemitischen (in der Gestalt des von Marcel Dalio verkörperten Rosenthal), die antienglischen (besonders in der Tennisszene), die deutschfreundlichen und klassenübergreifenden (in der Beziehung zwischen Boeldieu und Rauffenstein).
Neben den auf Kommando produzierten antisemitischen Filmen wie "Jud Süss" von Veit Harlan (1940) greift in Deutschland Leni Riefenstahl, die offizielle Regisseurin des Regimes, die Darstellungsmittel von Griffith und Eisenstein auf und schafft Filme, die ganz und gar der Glorifizierung der "arischen Rasse" dienen. "Triumph des Willens" (1934) basiert auf der visuellen und narrativen Komplementarität zwischen Führer (Hitler) und Volk — ein Ensemble gewaltiger, entmenschlichter Massen. Der Film zeigt abwechselnd Ausschnitte aus insgesamt 15 Hitlerreden, gewaltige Aufmärsche und Szenen des "Alltagslebens", die das Regime verherrlichen.
Riefenstahl setzt ihr Werk in dieser Richtung mit "Olympia" (1938, über die Olympischen Spiele in Berlin 1936) und mit dem 1940 begonnenen, aber erst 1954 fertig gestellten "Tiefland" fort, bei dem sie, da sie keine echten spanischen Schauspieler bekommen kann, Zigeuner aus den Konzentrationslagern einsetzt... Ihr Einfluss ist beträchtlich geblieben, und sie hat besonders in George Lucas einen Nachfolger gefunden, der sie in seiner Hexalogie "Krieg der Sterne" (1977ff.) zitiert.

Nachdem das Kino in Friedenszeiten zu einem Werkzeug politischer Propaganda geworden ist, wird es ab 1939 rasch zu einem Mittel der Kriegführung.
Bereits zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und mit den ersten Anfängen des Medienkrieges (Roosevelt, Churchill, De Gaulle setzen erstmals das Radio als Propagandainstrument ein) leistet das Kino unmittelbar seinen Beitrag zur Propaganda.
Zunächst propagieren vor dem Kriegseintritt der USA einige Filme den Krieg gegen die Nazis, erst in Form der Komödie mit "Der große Diktator" (1940) von Charlie Chaplin, dann mit Ernst Lubitschs Meisterwerk "Sein oder Nichtsein" (1941). Beide Filme geben Hitler und seine Gefolgsleute der Lächerlichkeit preis. Den Kriegseintritt propagieren auch Dramen wie Frank Borzages "Tödlicher Sturm" (1940) oder Michael Curtiz‘ "Casablanca" (1941). In letzterem verkörpert Humphrey Bogart die USA, die sich zu Anfang weigern, Partei zu ergreifen.
Nach Pearl Harbor bringt Hollywood schwere Artillerie in Stellung: General Marshall appelliert an Frank Capra, einen Propagandafilm zur Unterstützung der Kriegführung der USA zu drehen: "Why We Fight" (1942) bringt ein hochkarätiges Team zusammen (Walt Disney, den Schriftsteller Robert Flaherty, die Regisseure John Huston und William Wyler, Dimitri Tiomkin für die Musik, Anatole Litvak für das Drehbuch...).
Es folgen eine Menge Antinazifilme, die in ihrer Mehrheit rein propagandistische Ziele verfolgen. Die ganze Traumfabrik engagiert sich in dieser Richtung, bis hin zu Tex Avery und seinen Zeichentrickfilmen, darunter eine geniale Version der Geschichte von den drei kleinen Schweinchen: "Blitz Wolf" (1942). Es entstehen sogar einige, seltene, Filme, die die Verdienste des sowjetischen Verbündeten rühmen, wie "Botschafter in Moskau" von Michael Curtiz (1943).
Gegen Ende des Krieges wird Europa wieder aufgebaut, und davon zeugen seine Filme, besonders in Italien, wo zahlreiche Regisseure mit dem Neorealismus das Banner des sozialen Realismus wieder aufnehmen: Auf Roberto Rossellinis Trilogie "Rom, offene Stadt" (1947), "Paisà" (1946), "Deutschland im Jahre Null" (1947) folgt Luchino Viscontis "Die Erde bebt" (1948), und Vittorio De Sica dreht sein Meisterwerk "Fahrraddiebe" (1949).
In dem von den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki heimgesuchten Japan explodiert die Filmindustrie mit einer Folge von oftmals kitschigen Anti-Atomkraft-Filmen (wie die Serien über Godzilla und andere von der Atomspaltung geschaffene Monster). Daneben dreht ein Filmemacher wie Akira Kurosawa unmittelbar nach dem Krieg ein reichhaltiges, shakespearesches, anspruchsvolles Werk mit historischen Epen wie "Die sieben Samurai" (1954) oder "Rotbart" (1965) und zeitgenössische Dramen wie "Die Bösen schlafen gut" (1960). Seine Filme weisen eine große politische Schärfe und sehr kritische Sicht auf die japanische Gesellschaft auf, die sich leicht auf die Welt jenseits des Archipels übertragen lässt.

Für die USA, deren Territorium vom Krieg nicht berührt wurde, geht der Kampf weiter, nur ist der Feind ein anderer: nicht mehr der oft steife blonde Arier, sondern der skrupellose rote Rohling. Die Stunde des Kalten Kriegs hat geschlagen...
Schon 1939 hatte Ernst Lubitsch mit seiner antikommunistischen Satire "Ninotschka" das Thema auf liebenswürdige Weise angeschnitten: Sie schildert mit Humor das Dilemma einer strengen GPU-Agentin, die sich in einen lebenslustigen US- Amerikaner verliebt.
In der Folge werden Hunderte antikommunistischer Filme produziert, die meisten auf niedrigem Niveau und wenig einfallsreich. Sie werden oft von Handlangern wie Gordon Douglas gedreht, ehemals Regisseur von Streifen mit Laurel und Hardy, dessen Filme so bezeichnende Titel tragen wie "I Was a Communist for the FBI" (1951). Bemerkenswerte Ausnahmen bleiben Billy Wilders Komödie "Eins, zwei, drei" (1961), worin Coca-Cola die Freiheit made in USA repräsentiert, und Leo McCareys "My Son John" (1952), worin gläubige und patriotische Eltern mit Schrecken feststellen müssen, dass ihr Sohn ein Kommunist ist.
Aber erst mit dem Wettlauf zur Eroberung des Weltraums dreht das amerikanische Kino des Kalten Krieges seine denkwürdigsten antikommunistischen Filme: Die Bedrohung durch die Sowjetunion wird nun intelligenter als vorher als Bedrohung durch Außerirdische dargestellt. Christian Nybys "Das Ding aus einer anderen Welt" (1951) und Byron Haskins "Kampf der Welten" (1954, nach H.G.Wells‘ Roman "Krieg der Welten") sind typische Vertreter des Genres.
Doch man muss auch gegen den inneren Feind kämpfen. Bei der Begleitung von McCarthys Hexenjagd auf Rote legt Hollywood großen Eifer an den Tag und säubert seine Reihen in aufsehenerregenden Prozessen, in denen die Stars sich gegenseitig denunzieren. Eine Schwarze Liste angeblicher Mitglieder der KP wird veröffentlicht; mehrere Filmschaffende gehen ins Exil — darunter Joseph Losey, Jules Dassin, Charlie Chaplin.
Elia Kazan, ein ehemaliger Kommunist, kauft eine ganze Seite in der "New York Times", um ein Reuebekenntnis abzulegen und seine ehemaligen Genossen zu denunzieren. Mit "Die Faust im Nacken" (1952) produziert er eine Ode an den Verrat. Selten sind jene, die sich dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten zu widersetzen wagen: Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Gene Kelly organisieren Kundgebungen zur Unterstützung der sog. Hollywood Ten, die auf der Schwarzen Liste stehen. Fred Zinnemann dreht als Antwort auf Elia Kazan "Zwölf Uhr Mittags" (1952), mit der er die Feigheit angreift, und Chaplin produziert in seinem britischen Exil "Ein König in New York" (1957), ein Film über die Verheerungen des Antikommunismus in Amerika.
Auf sowjetischer Seite gab es keine antiamerikanische Film: Man entscheidet sich, Filme zu produzieren, die für ein internationales Publikum geeignet und oft melodramatisch sind und auf sentimentale Weise das Glück zum Ausdruck bringen, in der UdSSR zu leben. Dieses Kino hat zum Teil auch internationalen Erfolg; davon zeugt das unglaubliche Echo auf Michail Kalatosows "Wenn die Kraniche ziehen" (1957) — der Regisseur drehte später "Soy Cuba" (1966). Allenfalls in Frankreich gibt es noch Filme mit so bezeichnenden Titeln wie "Vive Staline, l‘homme que nous aimons le plus!" (1949).

Zum ersten Mal verlässt das Kino nun auch seine Beschränkung auf den westlichen Kulturkreis: Die Dritte Welt, mitten im Prozess der Entkolonialisierung, drängt nun auf die Leinwand, wenngleich anfangs unter der Leitung europäischer Regisseure wie Jean Renoir ("Der Strom", 1951), Roberto Rossellini ("India", 1960), René Vautier ("Afrique 50", 1950) oder Jean Rouch ("Les Maîtres fous", 1954).
In ihrem Windschatten drehen die ersten Filmemacher der Dritten Welt ihre Erstlingswerke: Satyajit Ray in Indien ("Apus Weg ins Leben", 1955), Ousmane Sembène im Senegal ("Afrique-sur-Seine", 1955, gedreht in ... Paris), Glauber Rocha in Brasilien ("Barravento", 1962) usw.
Auch in den USA, dem Land des Western, wird der Indianer zum ersten Mal auf der Leinwand als menschliches Wesen dargestellt. Delmer Daves‘ "Der zerbrochene Pfeil" (1950) ist der erste Film dieser Art, gefolgt von Anthony Manns "Fluch des Blutes" (1950) und Howard Hawks‘ "Der weite Himmel" (1952). In diesen frühen indianerfreundlichen Filmen werden die Rothäute allerdings noch von weißen Schauspielern dargestellt (z.B. Jeff Chandler oder Robert Taylor). Die Afroamerikaner werden noch ein Jahrzehnt warten müssen, um das Ende der Rassentrennung auf der Leinwand zu erleben, zusammen mit der Revolution der Menschenrechte und dem Kampf für Gleichberechtigung.
Das Kino der Zukunft spielt nun weit entfernt von Hollywood, und neue Generationen auf dem ganzen Planeten zählen auf ihre Kamera, um die Welt zu verändern...

Ende der 50er Jahre wird die Kinolandschaft, wie man sie seit fast dreißig Jahren kennt, tief erschüttert durch den Einbruch eines unvorhergesehenen Gegners: des Fernsehens. Um dem zu begegnen, flüchten sich die Hollywood-Studios in immer teurere Großproduktionen, während anderswo eine Protestbewegung aufsteigt, welche filmkünstlerische Bewegungen in Gang setzt, die von den großen Strukturen unabhängig sind: die Nouvelle Vague in Frankreich, das Free Cinema in England, das Cinema Novo in Südamerika...
Im Osten weht ein Wind der Freiheit durch das Kino, und es gibt eine gewisse Liberalisierung, die 1968 mit der Unterdrückung des Prager Frühlings endet. Roman Polanski und Andrzej Wajda in Polen, Jiri Menzel und Milos Forman in der CSSR, Otar Iosseliani in Georgien, Nikita Michalkow und Andrej Tarkowski in Russland drehen in dieser Zeit ihre ersten Filme, aber viele von ihnen müssen, um ihr Werk fortzusetzen, ins Exil gehen.
In Europa lebt in den 60er Jahren die erste Generation, die nicht nur den Krieg im eigenen Land nicht mehr erlebt hat, sondern in ihrer Mehrheit bis zum Beginn der 70er Jahre Zugang zu einem gewissen materiellen Wohlstand gelangt. Es ist auch eine Generation, die wissen will, was ihre Eltern während des Zweiten Weltkriegs getan haben, und mit der "alten Welt" Schluss machen will.
In Frankreich provoziert Bertrand Blier einen Skandal mit "Hitler... connais pas!" (1963); in Deutschland stellt Rainer Werner Fassbinder in Filmen wie "Die Ehe der Maria Braun" (1979) oder "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982) Fragen zur deutschen Vergangenheit und will wissen, ob man nach dem Schock des Zweiten Weltkriegs eine nichtbarbarische Gesellschaft aufbauen kann.
Die Erinnerung arbeitet noch, und in Frankreich wütet im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg eine radikale Zensur: Der erste Film, der das Thema, das schamhaft "die Ereignisse" genannt wird, direkt behandelt, "Les Réfugiés" von Cecile De Cuijs (1956), bringt der Regisseurin zwei Jahre Gefängnis ein... Jean-Luc Godard und sein Streifen "Der kleine Soldat" (1963) werden gleichermaßen zensiert. Aus diesem Grund geben sich französische Filme oft damit zufrieden, den Krieg auf Umwegen zu thematisieren, über Gespräche oder als bedrohlicher Hintergrund, wie der Film "Adieu Philippine" (1960) von Jacques Rozier oder auch "Die Regenschirme von Cherbourg" von Jacques Demy (1964).
Erst Anfang der 70er Jahre, zehn Jahre nach den Verträgen von Évian (zwischen dem französischen Staat und der algerischen Befreiungsfront FLN, die den Algerienkrieg beendeten), sind die ersten offen kritischen Filme zu sehen wie Yves Boissets "Kommando R.A.S." (1973), René Vautiers "Mit 20 Jahren in den Aures" (1972) oder die Verfilmung eines Pamphlets von Henri Alleg, "La Question" (1976) durch Laurent Heynemann.

Die Länder Lateinamerikas ihrerseits befragen die Situation unter den verschiedenen Diktaturen: In Brasilien begründet Nelson Pereira dos Santos mit "Vidas secas — Nach Eden ist es weit" (1963) das Cinema Novo, ein wirklich politisches Manifest; ihm folgen Glauber Rocha mit "Gott und Teufel im Land der Sonne" (1963) und "Antonio das Mortes" (1967) sowie der Argentinier Fernando Solanas mit "Die Stunde der Hochöfen" (1968). In ihren Filmen, die in Studios außerhalb der Kontrolle von Hollywood produziert werden, prangern diese Regisseure das menschliche Elend und die Komplizenschaft der heimischen Machthaber mit dem US-Imperialismus an.
In den USA — der Vietnamkrieg ist voll im Gang — setzt sich mit Western wie "Cheyenne" (1964) von John Ford, "Das Wiegenlied vom Totschlag" (1970) von Ralph Nelson und "Little Big Man" (1970) von Arthur Penn bis hin zum Klassenkampfepos "Heaven‘s Gate" (1980) von Michael Cimino die Befragung der eigenen Vergangenheit fort, insbesondere hinsichtlich des Völkermords an den Indianern.
Dabei geht es auch darum, die Befragung der barbarischen Gegenwart zu vermeiden: Die Rassentrennung ist kaum abgeschafft, die soziale Lage der Schwarzen in den USA hat sich seit den symbolischen Siegen im Kampf für ihre Bürgerrechte kaum verändert, und im Kino bleiben sie auf die Rolle des Hauspersonals beschränkt (auch wenn eine solche Rolle in "Vom Winde verweht" der Schauspielerin Hattie McDaniel 1940 einen Oscar einbringt).
Selbst der erste schwarze Star, Sidney Poitier — berühmt seit "Rat mal, wer zum Essen kommt?" von Stanley Kramer (1967) und "In der Hitze der Nacht" von Norman Jewison (1967) — begnügt sich damit, Personen darzustellen, die in jeder Hinsicht präsentierbar sind und aus der Mittelschicht kommen, aber von der weißen Gesellschaft, in die sie aufsteigen, eher toleriert als akzeptiert werden.
Da er den Rassismus in dem Film, den er drehen will, nicht offen behandeln kann, sieht sich George Romero gezwungen, sich eines Filmgenres zu bedienen, das ihm erlaubt, die direkte Zensur zu umgehen. In "Die Nacht der lebenden Toten" (1968) spießt er die individualistischen Schwächen der US-Gesellschaft und ihre Familienwerte auf und attackiert den Rassismus, der sie durchzieht: Ein kleines Mädchen tötet seine Mutter mit Messerstichen, ein zum Zombie gewordener Bruder kehrt zurück, um seine Schwester zu verschlingen, während sich draußen die Menschen in faschistischen Milizen zusammenrotten und schließlich die einzige positive Gestalt im Film töten, der die Zombies überlebt, aber das Pech hat, ein Schwarzer zu sein...
Erst mit Melvin van Peebles‘ "Sweet Sweetback Baad Asssss Song" (1971), schon damals als nicht jugendfrei eingestuft, erscheint, was später Blaxploitation genannt wird: von US-amerikanischen Schwarzen gedrehte und gespielte Filme, die sich an ein US-amerikanisches schwarzes Publikum richten. Daraus entwickeln sich in der Folge neue Stars wie Pam Grier, und der erste schwarze Filmheld, "Shaft" (1971) von Gordon Parks (gespielt von Richard Roundtree) sowie ein schwarzer Vampir in William Crains "Blacula" (1972).

Doch die USA haben ein Kino, das Forderungen stellt, keineswegs aufgegeben, denn die 60er und 70er Jahre bringen eine gewaltige Welle von Antikriegsfilmen als Antwort auf den Krieg in Vietnam. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, während der Kubakrise, als die Angst vor einem Atomkrieg akut ist, dreht Stanley Kubrick "Dr.Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" (1963). Nicht ohne Humor gibt er weder den Russen noch den USA Recht, aber die antikommunistische Paranoia eines Generals löst ein höllisches Szenario aus, das schließlich zum Weltuntergang führt. Mit "M.A.S.H." (1970) greift Robert Altman auf humorvolle Weise die Schrecken des Koreakrieges auf, vermeidet jedoch, vom aktuellen Krieg zu sprechen.
Der einzige Film der Kriegszeit, der das Thema direkt positiv behandelt, ist "Die grünen Teufel" (1968) des rechten Republikaners John Wayne. Gleichzeitig setzt Brian DePalma mit "Grüße" (1968) auf komische Weise eine Gruppe von drei Freunden in Szene (dargestellt u.a. von Robert DeNiro), die mit allen Mitteln versuchen, der Einberufung zu entgehen.
Eine andere Darstellung des Krieges taucht erst auf, als Francis Ford Coppola mit "Apocalypse Now" (1979) ein unmittelbareres Porträt des Vietnamkriegs zeichnet; im selben Jahr dreht Michael Cimino "Die durch die Hölle gehen". Milos Formans "Hair" (1979) stellt in Form eines Musicals die große Bewegung der Kriegsdienstverweigerer unter den Jugendlichen vor. Der Film zeigt auch den in der Jugend verbreiteten Willen, ihre Lebensweise zu ändern und eine freie Gesellschaft jenseits alter Gewohnheiten zu schaffen. Später, 1987, erscheint Stanley Kubricks "Full Metal Jacket", der sich lange mit den Bedingungen auseinandersetzt, denen frisch einberufene US-Marineinfanteristen während der Ausbildung ausgesetzt sind, bevor sie nach Vietnam geschickt werden, um dort Massaker zu verüben.
Die 60er und 70er Jahre sind auch die Jahre einer ersten Befreiung, die aus dem Alltagsleben: In diesen Jahren entsteht ein Kino, das junge Menschen zeigt, die so gut es geht versuchen, auf andere Weise zu leben, und zwar überwiegend vermittelt über individuelle statt kollektive Erfahrungen.
Das beginnt schon mit "Der Wilde" (1953) von Laszlo Benedek oder "...denn sie wissen nicht, was sie tun" (1955) von Nicholas Ray. Diese Filme widmen sich den jungen Rebellen, dargestellt von Marlon Brando und James Dean, doch folgen ihnen bald Werke, die viel weiter gehen: "Easy Rider" von Dennis Hopper, oder zwei Filme, die auf jeweils sehr unterschiedliche Weise die Grenzen darstellen, an die die Gesellschaft beim Versuch stößt, jugendliche Instinkte zu domestizieren: "Uhrwerk Orange" (1971) von Stanley Kubrick und "Einer flog über das Kuckucksnest" (1975) von Milos Forman. Im Bereich der Komödie bringt Blake Edwards in "Der Partyschreck" (1968) einen von Peter Sellers gespielten trotteligen Hindu auf die Leinwand, der unfreiwillig auf der Party eines Filmproduzenten, der ihn auf eine Schwarze Liste gesetzt hatte, eine Reihe von Katastrophen auslöst.
Auch der Zeichentrickfilm entgeht dieser Welle nicht: Ralph Bakshi und Robert Crumb zeichnen in "Fritz the Cat" (1972) eine Jugend zwischen Drogen und Sexualität, die sich am Rande der Gesellschaft amüsiert.
Andererseits leisten einige Regisseure Widerstand gegen das, was sie als einen Verlust von Werten und Bezugspunkten und schließlich als moralische Dekadenz begreifen: so Martin Scorsese und sein sehr ambivalenter Taxi "Driver" (1976), dessen Drehbuchautor, Paul Schrader, später selber "Blue Collar" (1978) dreht (der schonungslos den Klassenkampf in den USA und die Spaltung unter den Arbeitern einer Fabrik schildert), sowie "Hardcore — Ein Vater sieht rot" (1979), eine bittere Reflexion über die Möglichkeit, Gerechtigkeit zu üben, wenn man ein puritanischer Familienvater ist, der erlebt, wie seine Tochter in die Pornografie abrutscht.
Auch die Katastrophenfilme reiten auf dieser Welle, wenn sie die Gefahr des Zusammenbruchs der US-Gesellschaft durch den Verlust von Moral thematisieren — dazu gehören ("Flammendes Inferno" von John Guillermin, "Erdbeben" von Mark Robson, "Giganten am Himmel" von Jack Smight, alle entstanden im Jahr 1974, nach der Niederlage in Vietnam. In den beiden letztgenannten spielt der äußerst reaktionäre Charlton Heston die Rolle des Retters. Zu erwähnen sind hier auch die Filme mit Charles Bronson, die die Selbstjustiz rechtfertigen [z.B. Michael Winners Machwerk "Ein Mann sieht rot" (1974) mit diversen Fortsetzungen]; die James-Bond-Filme (seit 1962) mit ihrem zügellosen Machismo, in denen die Frau wieder ihren traditionellen Platz in der Gesellschaft einnimmt, während der Mann überall auf dem Planeten den Kommunismus bekämpft; sowie Don Siegels "Dirty Harry" (1971), der die libertären Bewegungen seiner Zeit deutlich ablehnt.

Die Befreiung der Sitten ist jedoch nicht allein eine Sache des amerikanischen Kinos, auch der europäische Film steht da nicht zurück. Schon 1960 beschreibt Federico Fellini in "Das süße Leben" die Änderungen im Lebensstil der italienischen jeunesse dorée. Pier Paolo Pasolini rühmt die Vorzüge der individuellen Freiheit und der freien Sexualität und kritisiert die bürgerliche Moral: in "Teorema — Geometrie der Liebe" (1968), "Der Schweinestall" (1969), "Decameron" (1971) und in dem schockierenden "Die 120 Tage von Sodom" (1976). Aber ebenso wie Fassbinder in Deutschland interessiert er sich auch für die Herrschaftsverhältnisse, die eine solche Freiheit mit sich bringt oder erlaubt.
In England will das Kino frei sein; einige junge Filmemacher lancieren das Free Cinema mit Filmen, die stark von einem sozialen Bewusstsein und einem sehr freien Ton gekennzeichnet sind: "Samstagnacht bis Sonntagmorgen" von Karel Reisz (1960), oder Lindsay Andersons "If..." (1968), der eine bewaffnete Revolte von Schülern gegen das Bildungssystem schildert. Peter Watkins vertritt eine Filmsprache von großer politischer Kraft, z.B. in "Punishment Park" (1971), einer politischen Fiktion im Stil einer TV-Reportage, die kaum von der zeitgenössischen Realität entfernt ist, oder in "Edvard Munch" (1973), eine sehr "bergmaneske" und in der Erzählung sehr ausführliche Biografie des gleichnamigen Malers.
Die unschätzbare Komikertruppe Monty Python mit ihrem absurden und ätzenden Humor, rechnet erst in BBC-Shows mit einigen Aspekten der britischen Gesellschaft ab, bevor sie ihre Angriffe räumlich und zeitlich mit Filmen ausweitet, die sie mit Terry Gilliam und Terry Jones produziert: "Die Ritter der Kokosnuss" (1975), "Das Leben des Brian" (1979) und "Der Sinn des Lebens" (1983) — regelrechte Anti-Thatcher- Attacken.
In Frankreich interessiert sich Luis Buñuel in Filmen wie "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" (1972) oder "Dieses obskure Objekt der Begierde" (1977) für den Widerspruch zwischen individueller Entfaltung, Sexualität sowie bürgerlicher und christlicher Moral.
Auch in Frankreich ändern sich die Sitten, aber mehr als die Sexualität sind es hier die Frauen, die Befreiung benötigen, im Leben wie auf der Leinwand. Die Stellung der Frau wandelt sich, sie bekommen Zugang zu Verhütungsmitteln und schließlich auch zur Abtreibung, und auf der Leinwand treten sie nicht mehr nur als Gegenstand von Verführung oder Errettung auf. In den 60er Jahren drängen Frauen auch mehr und mehr in das traditionell den Männern vorbehaltene Handwerk des Regisseurs.
Jean-Luc Godard gibt mit "Eine Frau ist eine Frau" (1961) eine Zustandsbeschreibung der Lage der Frauen. In "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß" (1967) zeigt er zugleich eine Gesellschaft in Bewegung, ihre zunehmende Urbanisierung und der Aufbau der Pariser Vorstädte. Marina Vlady spielt eine Mutter, die als Prostituierte arbeitet, um sich und ihre zwei Kinder durchzubringen. Godard fragt nach dem Platz der Frau in einer sich wandelnden Gesellschaft; auf der Leinwand findet diese Fragestellung ihren Höhepunkt im Meisterwerk von Jean Eustache, "Die Mama und die Hure" (1973). Zur selben Zeit tauchen Regisseurinnen auf, von denen einige vorher Schauspielerinnen oder Autorinnen waren. Einige behandeln die Lage der Frauen, wie Catherine Breillat ("Ein Mädchen", 1976), Coline Serreau ("Mais qu‘est-ce qu‘elles veulent?", 1977) oder Agnès Varda ("Die eine singt, die andere nicht", 1976).

Erschüttert von der Folge von "Revolutionen" auf der Leinwand geht das Filmestablishment in den 80er Jahren in die Gegenoffensive, unterstützt von verschiedenen politischen Machthabern. Hollywood schluckt schließlich die Generation der jungen rebellischen Filmemacher, die ihre Messer außerhalb der Studios gewetzt hatten (Bogdanovich, Cimino, Coppola, Pakula...), und bringt seine Kriegsmaschine in die Kinosäle der ganzen Welt, während Ronald Reagan seine eigene Version des Kriegs der Sterne ankurbelt. Das Zeitalter der Blockbuster hat begonnen, und wenn sie sich im Weltraum abspielen, lässt es sich leichter vermeiden, von dem zu sprechen, was auf der Erde geschieht: "Der Krieg der Sterne" von George Lucas (1977), "Superman" von Richard Donner (1978), "Tron" von Steven Lisberger (1982) preisen die traditionelle Moral und Familie und reagieren damit auf die Bedürfnisse des Publikums nach Utopie, das im Goldenen Zeitalter des fanatischen Neoliberalismus von Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit betroffen ist.
In anderen Länder erfährt die Filmindustrie einen beispiellosen Rückgang: Das deutsche Kino ist begraben, die russischen Studios gehen Pleite, das italienische Kino stirbt unter den ersten Attacken von Berlusconis Fernsehen, Margaret Thatcher zerschlägt in einem Zug den britischen Bergarbeiterstreik und das englische Autorenkino, das spanische Kino baut sich nach der Franco-Ära erst langsam wieder auf.
In Frankreich schlägt die Stunde des Unterhaltungsfilms, fern von sozialen Inhalten ("Drei Männer und ein Baby", 1985; "Jean Florette", 1986; "Im Rausch der Tiefe", 1988). Drei Ausnahmen sind zu erwähnen: Chris Marker, Jean-Luc Godard sowie Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, die ihr sehr politisches Werk fortsetzen, aber vom großen Publikum kaum wahrgenommen werden. Der Erstgenannte dreht entweder allein, so "Le Fond de l‘air est rouge" (1977), oder mit der Gruppe Medwedkin, die mit den Arbeitern von Sochaux oder Besançon u.a. die Filme "À bientôt j‘espère" (1967) und "Classe de lutte" (1969) realisiert. Der Zweite dreht in den 70er Jahren nur noch im Rahmen der Gruppe "Dziga Wertow", was zu mehreren maoistisch inspirierten und sehr engagierten Filmen führt wie "Ici et Ailleurs" (1974) über den israelisch-palästinensischen Konflikt. In den 80er Jahren geht er diese Themen wieder allein an. Straub und Huillet wenden sich mit "Klassenverhältnisse" (1984), nach Franz Kafka, entschieden gegen den Kapitalismus, mit "Sicilia!" (1998), nach Elio Vittorini, gegen den Faschismus.
Nach der Überfülle der 60er und 70er Jahre sind die Kämpfe in den 80er Jahren, von der Leinwand verschwunden; es ist die Ära der Golden Boys und des politischen Krebsgangs. Es dauert weitere zehn Jahre, bis das Kino das Engagement wieder aufnimmt.
Nach der Flaute der 80er Jahre und dem allgemeinen Rückgang der sozialen Bewegung führen die 90er Jahre nahezu überall auf der Welt zu einer Versöhnung von Film und Politik.
In Frankreich betreten Ende der 80er Jahre die Vorstadtbevölkerung und die Migranten die politische Sphäre (Marche des Beurs, S.O.S. Racisme u.a.). Dadurch werden neue Orte sichtbar (Straße, Wohnviertel, Stadt) und neue Gestalten. Von 1991 bis 1995 gelangt eine Welle von Filmen "aus den Banlieues" in die Kinos und hat bei Kritik und Publikum einen gewissen Erfolg.
Die aus der Immigration stammenden jungen Franzosen geraten im Film zunächst ins Blickfeld "weißer" Filmemacher ("Hass" von Mathieu Kassovitz [1995], "États des lieux" [1995] und "Ma 6-T va cracker" [1997] von Jean-François Richet, "Raï" [1994] von Thomas Gilou, "Le Gone du chaâba" [1997] von Christophe Ruggia). Aber auch das persönlich Erlebte der jungen Migranten, die Regisseure werden und im Film allgemeine Anerkennung finden, verschafft sich ein Daseinsrecht im Kino und animiert sie, von ihrer Geschichte und Kultur zu sprechen — mit Dokumentationen wie "Mémoires d‘immigrés" (1997) von Yamina Benguigui oder Dramen wie "Hexagone" (1993) und "Douce France" (1995) von Malik Chibane, "Bye bye" (1995) von Karem Dridi, "Wesh wesh, qu‘est-ce qui se passe?" (2002) von Rabah Ameur-Zaïmeche bis zum jüngsten Erfolg von "L‘Esquive" (2002) von Abdellatif Kechiche, dem Regisseur von "Voltaire ist schuld" (2000).
Ähnliche Entwicklungen gibt es in England mit der indisch-pakistanischen Immigration ("Mein wunderbarer Waschsalon" [1985] und "Kleine schmutzige Tricks" [2002] von Stephen Frears, "Fish and Chips" [2000] von Damien O‘Donnell, "Brothers in Trouble" [1996] und "My Son the Fanatic" [1998] von Udayan Prasad) sowie in Deutschland mit der türkischen Einwanderung (von dem Vorläufer "Angst essen Seele auf" von Rainer Werner Fassbinder [1974] bis zu "Gegen die Wand" von Fatih Akin [2004]).
Parallel zu den neuen Kämpfen gegen die Globalisierung und den großen Streikwellen, dem Anstieg der Massenerwerbslosigkeit und der Prekarisierung erfährt dieses Jahrzehnt auch eine Wiederkehr des sozialen, engagierten, die Realität aufgreifenden Kinos, im Spielfilm ebenso wie im Dokumentarfilm: zunächst als Komödie ("Mohamed Bertrand-Duval" [1991] von Alex Métayer, "Tolle Zeiten" [1991] von Gérard Jugnot und "Die Krise" [1992] von Coline Serreau), worin die Erwerbslosigkeit nur eine Panne ist; dann als lyrisches Drama wie in Leos Carax‘ "Die Liebenden von Pont-Neuf" (1991), in dem fast zum ersten Mal Menschen, die auf der Straße leben, die Hauptpersonen sind.
Das Unterhaltungs- oder Konsumkino der 80er Jahre hat in der Gunst des Publikums schnell einem Kino des Alltags, der täglichen Sorgen Platz gemacht (nicht nur wegen der Themen, sondern auch wegen der Technik, die Nahaufnahmen und eine Kameraführung in Schulterhöhe bevorzugt).
In England etabliert sich neben Ken Loach, dem Veteranen aus der Vor-Thatcher-Ära, eine neue Welle des sozialen, sogar proletarischen Kinos: die Bergleute von Mark Hermans "Brassed Off — Mit Pauken und Trompeten" (1998), die Erwerbslosen von Peter Cattaneos "Ganz oder gar nicht" (1997), die "Prolos" von Mike Leighs "Nackt" (1993) oder "All or Nothing" (2002) usw.
In einer direkt vom Neorealismus übernommenen Art setzen die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne direkt, sogar brutal, mit der Kamera auf der Schulter die auf ein besseres Leben hoffenden Proletarier, Prekarisierten und Arbeitsimmigranten in Szene — so in "Das Versprechen" (1996) und "Rosetta" (1999), der ihnen die Goldene Palme von Cannes einbrachte.
In Frankreich haben die sozialen Auseinandersetzungen vom Winter 1995 direkte Spuren im Filmschaffen hinterlassen: "Nadia et les Hippopotames" (2000) von Dominique Cabrera, "Marius et Jeannette" (1997) und andere Filme von Robert Guédiguian. Eine ganze neue Generation von Filmemachern des "Klassenkampfs" tritt auf: Laurent Cantet mit "Ressources humaines" (1999), Jean-Marc Moutout mit "Violences des échanges en milieu tempéré" (2004).
Vor allem aber gibt es eine neue Welle von Regisseurinnen, sie liefern erstaunlicherweise die meisten Filme zu den Themen, die die sozialen Bewegungen umtreiben: Laetitia Masson ("En avoir (ou pas)", 1996; "Zu verkaufen", 1998), Sandrine Veysset ("Gibt es zu Weihnachten Schnee?", 1996), Marion Vernoux ("Rien à faire", 1999), Pascale Ferran ("L‘Âge des possibles", 1997) sowie Claire Denis, Laurence Ferreira- Barbosa, Agnès Merlet, Noémie Lvovsky, Catherine Breillat, Catherine Corsini, Anne Fontaine, Solveig Anspach, Brigitte Roüan usw.
Als Gegenstück zum sozialrealistischen Drama erfährt der direkt politische Dokumentarfilm einen bisher nie gekannten Erfolg an der Kinokasse.
In Frankreich sind es Reportagen von Kämpfen und Streiks, die auf die Leinwand gelangen — die von 68 dank Hervé Le Roux mit "Reprise" (1997), die der Obdachlosen mit Christophe Otzenbergers "Fragments sur la misère" (1998), die der Bergleute mit Jean-Michel Carrés "Charbon ardents" (1999), andere mit "Parole de Bibs" (2001) von Jocelyne Lemaire-Darnaud, "Les Prolos" (2003) von Marcel Trillat, "Rêve d‘usine" (2003) von Luc Decaster neben vielen anderen.
In der übrigen Welt sind die Filme von Michael Moore ("Bowling for Columbine", 2002; "Fahrenheit 9/11", 2003 u.v.a.), Fernando Solanas ("Chronik einer Plünderung", 2004), Jonathan Nossiter ("Mondovino — Die Wahrheit liegt im Wein", 2004), Hubert Sauper ("Darwins Albtraum", 2005), Naomi Klein und Avi Lewis ("The Take — Die Übernahme", 2005) Teil einer globalen Kultur des Widerstands gegen den Kapitalismus und seine Auswirkungen, seien sie politischer, sozialer oder imperialistischer Natur.
Auf der Gegenseite produzieren Hollywood und die etablierte Filmindustrie — nicht länger in der Lage, das Terrain des Realen zu besetzen — Filme, die sich, dank neuer Technologien, visuell immer weiter überbieten. Doch der Erfolg des engagierten Protestkinos bringt sie dazu, eine noch klarere, noch reaktionärere politische Botschaft zu verbreiten. Gleichzeitig bedienen sich diese Filme nach dem Vorbild des Che-Guevara-Porträts auf T- Shirts der Ikonografie der Revolte, um die Jugend besser zu erreichen — so David Fincher und seine Filme mit z.T. faschistoider Botschaft ("Sieben", 1995; "Fight Club", 1999), die nationalistischen Filme von Roland Emmerich ("Universal Soldier", 1992; "Stargate", 1994; "Independence Day", 1996; "Der Patriot", 2000), das ultrareaktionäre Duo Michael Bay/Jerry Bruckheimer ("Armageddon", 1997; "Pearl Harbor", 2001) sowie die fälschlich als Rebellen vermarkteten Larry und Andy Wachowski ("Matrix", 1998) und Danny Boyle ("Trainspotting — Neue Helden", 1996; "The Beach", 2000).
Feinheiten sind nicht mehr die Sache der Hüter der Reaktion. Paul Verhoeven parodiert diese reaktionären Tendenzen auf intelligente Weise in seinem vergnüglichem Film "Starship Troopers" (1998). Auch David O‘Russell lässt es sich nicht nehmen, mit "Three Kings" (2000) die US-Intervention im Irak während des ersten Golfkriegs lächerlich zu machen, indem er eine Handvoll Marineinfanteristen präsentiert, die zu allem bereit sind, um nicht mit leeren Händen aus dem Krieg zurückzukommen.
In ihrem Wunsch, ein neues, intellektuelleres Publikum zu erreichen, wenden sich die großen Studios sogar an Regisseure, die vom Autorenfilm kommen, und vertrauen ihnen Superproduktionen an. Doch diese Regisseure erlauben sich, das System zu kritisieren!, wie "Spiderman" (2002) von Sam Raimi, "X-Men" (2000) von Bryan Singer, "Der Herr der Ringe" (2001—2003) von Peter Jackson, "Hulk" (2002) von Ang Lee.
Der Rückgang in der Gunst des Publikums schlägt sich in einer Krise der Studios mit ihren oft desaströsen Ausgaben nieder. Die geballte Propaganda der Pro-Bush-Kräfte richtet sich nun auf den TV-Bildschirm — mit Fernsehserien wie "Alias" (deren Hauptdarstellerin Jennifer Garner aus "reinem Patriotismus" an einer Rekrutierungskampagne der CIA beteiligt war), "24", "Stargate" u.a.

Leicht gekürzt aus: www.lcr-rouge.org(Übersetzung aus dem Französischen und Bearbeitung: Hans-Günter Mull). Bei den Filmtiteln wird der deutsche Verleihtitel angegeben, soweit ein solcher vorhanden ist oder ermittelt werden konnte; in den anderen Fällen wird nur der Originaltitel aufgeführt.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang