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In der aktuellen Debatte um straffällig gewordene Jugendliche mit
Migrationshintergrund kommt ein Aspekt kaum zur Sprache die Diskriminierung, der diese Jugendlichen
selbst ausgesetzt sind, insbesondere bei der Ausbildung und am Arbeitsmarkt.
Klaus Heimann, Funktionsbereichsleiter der
IG Metall für Jugend, Bildungs- und Qualifizierungspolitik, spricht im Gespräch mit der SoZ
über seine Studie zu Trends auf dem Arbeitsmarkt, die sich besonders mit der Situation Jugendlicher
nichtdeutscher Herkunft befasst. Kurt Heimann war Mitte Januar Gast bei der Sendung Tagesgespräch von
WDR 5; einige Passagen des Gesprächs, das Angela Huemer für die SoZ führte, beziehen sich
auf diese Sendung, in der Betroffene ihre Situation schilderten.
Die IG Metall hat vor kurzem eine Studie zur Trends auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt, in der
besonders auf Jugendliche nichtdeutscher Herkunft eingegangen wird. Können Sie kurz die wesentlichen
Ergebnisse erläutern?
Das größte Problem ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich schlechtere
Chancen haben. Während 40% der deutschen Jugendlichen den Ausbildungsplatz bekommen, den sie
anstreben, erreichen dies nur 29% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das Schlimme ist, dass sich
die Benachteiligung in den letzten Jahren nicht nivelliert hat, sie bleibt konstant hoch. Das hat auch mit
dem angespannten deutschen Ausbildungsmarkt zu tun.
Ein weiteres Ergebnis lautet: Auch bei
höheren Bildungsabschlüssen wie Abitur verbessert sich die Situation nicht. Im Gegenteil, sie
verschlechtert sich sogar, denn die Ausbildungsplätze, für die sich Abiturienten bewerben, sind
begehrter. Leider sehen die Betriebe das, was diese Jugendlichen mitbringen, nicht als Chance: nämlich
Kompetenzen und Fähigkeiten, die andere nicht haben und die für die Betriebe von Vorteil
wären. Es ist die Papierlage, die man überwinden muss, das bedeutet, die Jugendlichen müssen
über die Bewerbungshürde kommen.
Werden denn viele dieser Jugendlichen gar nicht erst zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen?
Aus den Unterlagen, die sie einreichen, geht hervor, aus welchem Bereich die Jugendlichen kommen. Sie
werden von vornherein aussortiert. Diese Papierhürde muss man erst einmal überwinden, damit man
seine Qualifikation zeigen kann. Dann sieht die Ausgangslage schon anders aus. Dabei sind diese
Jugendlichen in der Mehrzahl gar keine Ausländer mehr, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Jedes Jahr wird umfangreiches Material ausgewertet die Unterlagen der Bundesagentur für
Arbeit, des Statistischen Bundesamts und des Instituts für Berufsbildung. Auf dieser Basis wird die
Ausbildungssituation auf dem Stellenmarkt ausgewertet.
Wie sieht es mit dem Vorurteil aus, dass die Leistungen dieser Jugendlichen hinter denen ihrer
Kollegen deutscher Herkunft nachhinken?
Es gibt Vorurteile in beide Richtungen, dass die Leistungen vermeintlich besser oder schlechter sind.
Es gibt auch Fälle wie der Kollege, der im Radio aufgetreten ist (ein betroffener Jugendlicher, der
auf WDR 5 umfangreich seine Schwierigkeiten mit der Bundesagentur für Arbeit schilderte), der eine
Umschulung machen wollte und abgelehnt wurde. Solche negativen Erfahrungen ziehen sich durch, die gibt es
bei Behörden und Betrieben.
Spielt die Herkunft der Jugendlichen eine Rolle, haben es Russlanddeutsche beispielsweise leichter
als Türken?
In den Statistiken steht nichts zu den Herkunftsländern. Russlanddeutsche werden nicht erfasst,
das wird nicht als Migrationshintergrund gewertet. Es gibt keine Information dazu. Die einzelnen
Geschichten zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund beziehen sich auf Stichproben, eigentlich wären
aber Einzeluntersuchungen nötig, um Genaueres herauszufinden, denn formal sind diese Jugendlichen ja
Deutsche. Damit sind sie statistisch nicht mehr zu unterscheiden. Die offiziellen Ausländerzahlen
gehen zurück, die Menschen mit ausländischem Pass, werden weniger.
Wie betten sich diese Ergebnisse in die allgemeine Diskussion ein, die Roland Koch über
jugendliche Straftäter losgetreten hat?
Wenn die Bildungsmöglichkeiten geringer sind, wenn Jugendliche ihre Lebenschancen nicht
einlösen können, dann besteht die Gefahr, dass sie in Gewalt abrutschen, das ist keine neue
Erkenntnis. Man muss ihnen die entsprechenden Bildungs- und Ausbildungschancen geben. Die Politik sollte
nicht Gefängnisse bauen und Gesetze verschärfen, sondern Ausbildungssysteme verbessern.
Wie ist Ihre Haltung zum deutschen Bildungssystem, das in letzter Zeit vermehrt kritisiert wird?
Es müssen mehr Ausbildungsplätze angeboten werden, mehr betriebliche Ausbildungsplätze.
Der jetzige Zustand des deutschen Bildungssystems ist reformbedürftig. Die frühkindliche
Bildungssituation muss reformiert werden, es muss schon früh die Möglichkeit geben,
Kindergärten und Tagesstätten zu besuchen. Die Ganztagsschulen müssen gefördert werden,
man muss über Inhalte nachdenken. Außerdem ist es fraglich, ob denn auch der richtige Lernstoff
angeboten wird. Die Klassen sind viel zu groß, sie machen zu wenig. Dazu kommen die Missstände an
den deutschen Hochschulen, es gibt viel zu wenig Dozenten für die vielen Studierenden. Es ist kein
Zustand, wenn die Vorlesungen überfüllt sind und kein persönlicher Arbeitskontakt herrscht.
Das muss verbessert werden in einem Land, das von Bildung lebt. Die nachwachsende Generation bekommt
weniger Bildung als die, die jetzt im Erwerbsleben stehen.
Wie sieht es mit den jeweiligen Leistungen von Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft
aus?
Es sind keine Leistungsunterschiede festzustellen. Ich kenne keine derartigen Untersuchungen. Die
Erfahrung eines Diskussionsteilnehmers im Radio (auf WDR 5), dass Studenten mit Migrationshintergrund
schlechter sind, schlechter formulieren, kann ich nicht nachvollziehen. Die Klage, dass Schüler und
Studierende heute schlechter sind als vor einigen Jahren kenne ich schon lange. Fundiert zu sagen, wie das
der Diskussionsteilnehmer tat, dass Schüler mit Migrationshintergrund das Abitur nachgeschmissen
bekommen, lässt sich nicht bestätigen.
Wie sieht die Situation bei geduldeten Jugendlichen aus, die ja nach der Schulausbildung kein Recht
auf einen Ausbildungsplatz haben?
Ihre Situation hat sich nicht verbessert, obwohl es doch eine äußerst nutzbringende
Initiative wäre, diese Jugendliche eine Ausbildung machen zu lassen, egal ob sie im Endeffekt in
Deutschland bleiben können oder nicht.
Wie weit verbreitet ist denn noch die Unterscheidung zwischen "echten" Deutschen und
Einwanderern?
Vom allgemeinen Klima her ist es schon noch so, dass man unterscheidet. Sonst würden so
populistische Geschichten wie in Hessen nicht funktionieren, wenn es keinen Nährboden gäbe; wenn
Roland Koch dafür abgestraft wird, dann ändert sich das. Er geht aber davon aus, dass sich das
politisch auszahlt. Noch weiter rechts davon ist es noch schlimmer, die NPD arbeitet nur mit solchen
Klischees.
Greift denn die Kampagne von Koch? Was sagen Sie als Frankfurter dazu?
Nein, den Eindruck hab ich nicht. Frankfurt hat einen hohen Ausländeranteil, hier leben viele
verschiedene Gruppen, trotzdem ist es eine friedliche Stadt. Es gibt zwar ein Drogenproblem, das hat aber
nichts mit Ausländern zu tun, die Stadt ist eben das Drogeneinzugsgebiet der ländlichen Umgebung,
sonst wäre das Durchschnitt. Ich glaube nicht, dass sich das politisch auszahlt und die Leute haben
das offensichtlich kapiert. Es ist gut, dass die deutschen Richter sich dazu geäußert haben und
darauf hinwiesen, dass die Rückfallquote nach dem Knast sehr, sehr hoch ist.
Wie sieht denn die Ausbildungssituation für straffällig gewordene Jugendliche aus?
Da gibt es relativ viele Initiativen, es wird dort eine Menge angeboten. Es gibt Versuche, dass
Jugendliche sich Teilqualifikationen erwerben, teilweise machen sie sogar vollständige
Berufsausbildungen. Dort wo Gefängnisse mit Firmen kooperieren, werden in diesem Bereich auch die
Ausbildungen gemacht.
Was tut die IG Metall gegen die Ungleichbehandlung von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft?
Im schulischen Bereich gibt es weniger Möglichkeiten. Im betrieblichen Bereich muss bei den
Einstellungen genauer hingeschaut werden, wir versuchen die Betriebsräte dahingehend zu motivieren,
dass sie bei der Auswahl von Bewerbern auf mehr Sorgfalt pochen. Es gibt in den Betrieben viele Kollegen,
die aus anderen Ländern kommen, zudem sind ja ihre eigenen Kinder davon betroffen und sie wollen
dafür sorgen, dass die einen Ausbildungsplatz bekommen.
Gibt es bei der IG Metall eine Stelle, an die man sich in Diskriminierungsfällen wenden kann,
eine Art Diskriminierungsstelle?
Wir raten den Leuten, sich an den Betriebsrat zu wenden. Außerdem gibt es Rechtsberatung in
unseren Regionalstellen, unsere Mitglieder haben Rechtsschutz.
Wie wirkt sich in diesem Zusammenhang die Anti-Diskriminierungsrichtlinie der EU aus?
Wir führen Seminare durch, in denen gezeigt wird, was sie konkret für den Betrieb bedeutet.
Es gibt relativ viele Informationen zu diesem Thema, die Personalchefs verhalten sich da sehr vorsichtig.
Das alles zeitigt Wirkung. In den Dokumenten der Unternehmen finden sich kaum noch diskriminierende
Formulierungen. Das heißt jedoch nicht, dass die Probleme weg sind. Ein Anrufer der Sendung, ein
Anwalt, hat ja auf Klagemöglichkeiten hingewiesen. Natürlich kann man klagen, die Beweislage ist
aber nicht einfach. Der Klagende bekommt vielleicht Geld, aber keinen Ausbildungsplatz. Da ist es
günstiger, mit positiven Beispielen zu operieren, so wie es die IG Metall versucht. Wir stellen
regelmäßig Leute vor, die ihren Weg gegangen sind.
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