SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2008, Seite 05

"Es ist die Papierlage, die sie überwinden müssen"

Klaus Heimann über die Chancen ausländischer Jugendlicher am Arbeitsmarkt

In der aktuellen Debatte um straffällig gewordene Jugendliche mit Migrationshintergrund kommt ein Aspekt kaum zur Sprache — die Diskriminierung, der diese Jugendlichen selbst ausgesetzt sind, insbesondere bei der Ausbildung und am Arbeitsmarkt.
Klaus Heimann, Funktionsbereichsleiter der IG Metall für Jugend, Bildungs- und Qualifizierungspolitik, spricht im Gespräch mit der SoZ über seine Studie zu Trends auf dem Arbeitsmarkt, die sich besonders mit der Situation Jugendlicher nichtdeutscher Herkunft befasst. Kurt Heimann war Mitte Januar Gast bei der Sendung Tagesgespräch von WDR 5; einige Passagen des Gesprächs, das Angela Huemer für die SoZ führte, beziehen sich auf diese Sendung, in der Betroffene ihre Situation schilderten.
Die IG Metall hat vor kurzem eine Studie zur Trends auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt, in der besonders auf Jugendliche nichtdeutscher Herkunft eingegangen wird. Können Sie kurz die wesentlichen Ergebnisse erläutern?
Das größte Problem ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich schlechtere Chancen haben. Während 40% der deutschen Jugendlichen den Ausbildungsplatz bekommen, den sie anstreben, erreichen dies nur 29% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das Schlimme ist, dass sich die Benachteiligung in den letzten Jahren nicht nivelliert hat, sie bleibt konstant hoch. Das hat auch mit dem angespannten deutschen Ausbildungsmarkt zu tun.
Ein weiteres Ergebnis lautet: Auch bei höheren Bildungsabschlüssen wie Abitur verbessert sich die Situation nicht. Im Gegenteil, sie verschlechtert sich sogar, denn die Ausbildungsplätze, für die sich Abiturienten bewerben, sind begehrter. Leider sehen die Betriebe das, was diese Jugendlichen mitbringen, nicht als Chance: nämlich Kompetenzen und Fähigkeiten, die andere nicht haben und die für die Betriebe von Vorteil wären. Es ist die Papierlage, die man überwinden muss, das bedeutet, die Jugendlichen müssen über die Bewerbungshürde kommen.
Werden denn viele dieser Jugendlichen gar nicht erst zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen?
Aus den Unterlagen, die sie einreichen, geht hervor, aus welchem Bereich die Jugendlichen kommen. Sie werden von vornherein aussortiert. Diese Papierhürde muss man erst einmal überwinden, damit man seine Qualifikation zeigen kann. Dann sieht die Ausgangslage schon anders aus. Dabei sind diese Jugendlichen in der Mehrzahl gar keine Ausländer mehr, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Jedes Jahr wird umfangreiches Material ausgewertet — die Unterlagen der Bundesagentur für Arbeit, des Statistischen Bundesamts und des Instituts für Berufsbildung. Auf dieser Basis wird die Ausbildungssituation auf dem Stellenmarkt ausgewertet.
Wie sieht es mit dem Vorurteil aus, dass die Leistungen dieser Jugendlichen hinter denen ihrer Kollegen deutscher Herkunft nachhinken?
Es gibt Vorurteile in beide Richtungen, dass die Leistungen vermeintlich besser oder schlechter sind. Es gibt auch Fälle wie der Kollege, der im Radio aufgetreten ist (ein betroffener Jugendlicher, der auf WDR 5 umfangreich seine Schwierigkeiten mit der Bundesagentur für Arbeit schilderte), der eine Umschulung machen wollte und abgelehnt wurde. Solche negativen Erfahrungen ziehen sich durch, die gibt es bei Behörden und Betrieben.
Spielt die Herkunft der Jugendlichen eine Rolle, haben es Russlanddeutsche beispielsweise leichter als Türken?
In den Statistiken steht nichts zu den Herkunftsländern. Russlanddeutsche werden nicht erfasst, das wird nicht als Migrationshintergrund gewertet. Es gibt keine Information dazu. Die einzelnen Geschichten zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund beziehen sich auf Stichproben, eigentlich wären aber Einzeluntersuchungen nötig, um Genaueres herauszufinden, denn formal sind diese Jugendlichen ja Deutsche. Damit sind sie statistisch nicht mehr zu unterscheiden. Die offiziellen Ausländerzahlen gehen zurück, die Menschen mit ausländischem Pass, werden weniger.
Wie betten sich diese Ergebnisse in die allgemeine Diskussion ein, die Roland Koch über jugendliche Straftäter losgetreten hat?
Wenn die Bildungsmöglichkeiten geringer sind, wenn Jugendliche ihre Lebenschancen nicht einlösen können, dann besteht die Gefahr, dass sie in Gewalt abrutschen, das ist keine neue Erkenntnis. Man muss ihnen die entsprechenden Bildungs- und Ausbildungschancen geben. Die Politik sollte nicht Gefängnisse bauen und Gesetze verschärfen, sondern Ausbildungssysteme verbessern.
Wie ist Ihre Haltung zum deutschen Bildungssystem, das in letzter Zeit vermehrt kritisiert wird?
Es müssen mehr Ausbildungsplätze angeboten werden, mehr betriebliche Ausbildungsplätze. Der jetzige Zustand des deutschen Bildungssystems ist reformbedürftig. Die frühkindliche Bildungssituation muss reformiert werden, es muss schon früh die Möglichkeit geben, Kindergärten und Tagesstätten zu besuchen. Die Ganztagsschulen müssen gefördert werden, man muss über Inhalte nachdenken. Außerdem ist es fraglich, ob denn auch der richtige Lernstoff angeboten wird. Die Klassen sind viel zu groß, sie machen zu wenig. Dazu kommen die Missstände an den deutschen Hochschulen, es gibt viel zu wenig Dozenten für die vielen Studierenden. Es ist kein Zustand, wenn die Vorlesungen überfüllt sind und kein persönlicher Arbeitskontakt herrscht. Das muss verbessert werden in einem Land, das von Bildung lebt. Die nachwachsende Generation bekommt weniger Bildung als die, die jetzt im Erwerbsleben stehen.
Wie sieht es mit den jeweiligen Leistungen von Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft aus?
Es sind keine Leistungsunterschiede festzustellen. Ich kenne keine derartigen Untersuchungen. Die Erfahrung eines Diskussionsteilnehmers im Radio (auf WDR 5), dass Studenten mit Migrationshintergrund schlechter sind, schlechter formulieren, kann ich nicht nachvollziehen. Die Klage, dass Schüler und Studierende heute schlechter sind als vor einigen Jahren kenne ich schon lange. Fundiert zu sagen, wie das der Diskussionsteilnehmer tat, dass Schüler mit Migrationshintergrund das Abitur nachgeschmissen bekommen, lässt sich nicht bestätigen.
Wie sieht die Situation bei geduldeten Jugendlichen aus, die ja nach der Schulausbildung kein Recht auf einen Ausbildungsplatz haben?
Ihre Situation hat sich nicht verbessert, obwohl es doch eine äußerst nutzbringende Initiative wäre, diese Jugendliche eine Ausbildung machen zu lassen, egal ob sie im Endeffekt in Deutschland bleiben können oder nicht.
Wie weit verbreitet ist denn noch die Unterscheidung zwischen "echten" Deutschen und Einwanderern?
Vom allgemeinen Klima her ist es schon noch so, dass man unterscheidet. Sonst würden so populistische Geschichten wie in Hessen nicht funktionieren, wenn es keinen Nährboden gäbe; wenn Roland Koch dafür abgestraft wird, dann ändert sich das. Er geht aber davon aus, dass sich das politisch auszahlt. Noch weiter rechts davon ist es noch schlimmer, die NPD arbeitet nur mit solchen Klischees.
Greift denn die Kampagne von Koch? Was sagen Sie als Frankfurter dazu?
Nein, den Eindruck hab ich nicht. Frankfurt hat einen hohen Ausländeranteil, hier leben viele verschiedene Gruppen, trotzdem ist es eine friedliche Stadt. Es gibt zwar ein Drogenproblem, das hat aber nichts mit Ausländern zu tun, die Stadt ist eben das Drogeneinzugsgebiet der ländlichen Umgebung, sonst wäre das Durchschnitt. Ich glaube nicht, dass sich das politisch auszahlt und die Leute haben das offensichtlich kapiert. Es ist gut, dass die deutschen Richter sich dazu geäußert haben und darauf hinwiesen, dass die Rückfallquote nach dem Knast sehr, sehr hoch ist.
Wie sieht denn die Ausbildungssituation für straffällig gewordene Jugendliche aus?
Da gibt es relativ viele Initiativen, es wird dort eine Menge angeboten. Es gibt Versuche, dass Jugendliche sich Teilqualifikationen erwerben, teilweise machen sie sogar vollständige Berufsausbildungen. Dort wo Gefängnisse mit Firmen kooperieren, werden in diesem Bereich auch die Ausbildungen gemacht.
Was tut die IG Metall gegen die Ungleichbehandlung von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft?
Im schulischen Bereich gibt es weniger Möglichkeiten. Im betrieblichen Bereich muss bei den Einstellungen genauer hingeschaut werden, wir versuchen die Betriebsräte dahingehend zu motivieren, dass sie bei der Auswahl von Bewerbern auf mehr Sorgfalt pochen. Es gibt in den Betrieben viele Kollegen, die aus anderen Ländern kommen, zudem sind ja ihre eigenen Kinder davon betroffen und sie wollen dafür sorgen, dass die einen Ausbildungsplatz bekommen.
Gibt es bei der IG Metall eine Stelle, an die man sich in Diskriminierungsfällen wenden kann, eine Art Diskriminierungsstelle?
Wir raten den Leuten, sich an den Betriebsrat zu wenden. Außerdem gibt es Rechtsberatung in unseren Regionalstellen, unsere Mitglieder haben Rechtsschutz.
Wie wirkt sich in diesem Zusammenhang die Anti-Diskriminierungsrichtlinie der EU aus?
Wir führen Seminare durch, in denen gezeigt wird, was sie konkret für den Betrieb bedeutet. Es gibt relativ viele Informationen zu diesem Thema, die Personalchefs verhalten sich da sehr vorsichtig. Das alles zeitigt Wirkung. In den Dokumenten der Unternehmen finden sich kaum noch diskriminierende Formulierungen. Das heißt jedoch nicht, dass die Probleme weg sind. Ein Anrufer der Sendung, ein Anwalt, hat ja auf Klagemöglichkeiten hingewiesen. Natürlich kann man klagen, die Beweislage ist aber nicht einfach. Der Klagende bekommt vielleicht Geld, aber keinen Ausbildungsplatz. Da ist es günstiger, mit positiven Beispielen zu operieren, so wie es die IG Metall versucht. Wir stellen regelmäßig Leute vor, die ihren Weg gegangen sind.


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