SoZ - Sozialistische Zeitung |
In den vergangenen Monaten erlebte Deutschland den heftigsten Arbeitskampf
seit der Wiedervereinigung den der Eisenbahner für einen eigenen Tarifvertrag, höhere
Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Und doch gab es dafür von der Linken so wenig
Solidarität wie kaum zuvor.
Nahezu jede betriebliche Auseinandersetzung
der vergangenen Jahre hat (mindestens moralisch) mehr Unterstützung erfahren. Die fehlende
Solidarität reichte vom Wegducken bis hin zu klaren Distanzierungen. Thies Gleiss schrieb, die Partei
Die Linke sei gelähmt. Die Solidaritätserklärung, die der Parteivorstand schließlich
verabschiedete, wurde gegen den Gewerkschaftsflügel durchgesetzt das lag weniger an den hehren
gewerkschaftlichen Sympathien Lafontaines als an seinem klaren Gespür für gesellschaftliche
Stimmungen.
Aber auch linke Gewerkschafter waren
handlungsunfähig, gerade auch solche, die keine Sozialdemokraten sind, sondern sich vielfach in den
verschiedenen Netzwerken der Gewerkschaftslinken tummeln oder bis vor kurzem getummelt haben.
Eines der zentralen Argumente gegen die GDL war der Erhalt der Einheitsgewerkschaft und die Furcht vor
Zersplitterung. Dieses Argument kann jedoch nur vorgebracht werden, wenn die westdeutsche
Gewerkschaftsbewegung nach 1945 gehörig mystifiziert wird.
Der Wunsch nach Einheit bildete
tatsächlich das zentrale Motiv bei den vielen örtlichen gewerkschaftlichen Neugründungen
nach Ende des Krieges. Unter Einheit verstand man dabei die Aufhebung der parteipolitischen,
konfessionellen und beruflichen Zersplitterung und die gemeinsame Interessenvertretung von Arbeitern und
Angestellten. Der Wunsch nach einer Einheitsgewerkschaft resultierte aus der spaltungsbedingten
Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung gegenüber dem Faschismus. Damit verband sich das Ziel
einer Neuordnung der Wirtschaft, die Überführung wesentlicher Industriebereiche in Gemeineigentum
und eine weitgehende Mitbestimmung der Arbeiter auf betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene. Dieses Ziel
scheiterte, trotz einer in breiten Bevölkerungskreisen vorherrschenden antikapitalistischen
Grundstimmung und obwohl sich das Bürgertum durch seine profaschistische Haltung diskreditiert hatte.
Es dauerte jedoch nur kurze Zeit, bis die
neu gegründeten Gewerkschaften wieder von Sozialdemokraten dominiert waren. Die anfängliche
Einheit mit den kommunistischen Kollegen war spätestens Anfang der 50er Jahre zu Ende, als
kommunistische Funktionäre in den Gewerkschaften "Revers" unterschreiben mussten, die sie
vor die Wahl stellten, Loyalität zur Gewerkschaft oder zu ihrer Partei zu wahren. Dass die KPD mit
ihrer Politik das Ihre dazu beigetragen hat, sich ins Abseits zu manövrieren, steht auf einem anderen
Blatt.
In den 70er Jahren erlebte der Kampf um die
sozialdemokratische Vorherrschaft in den Gewerkschaften eine Neuauflage, Unvereinbarkeitsbeschlüsse
gegenüber verschiedenen ML-Gruppen wurden durchgesetzt. Auch die christlichen Kollegen fühlten
sich in den Industriegewerkschaften unterrepräsentiert und an den Rand gedrängt. Der Christliche
Gewerkschaftsbund spaltete sich 1955 vom DGB ab und spielte danach keine Rolle mehr das mag
politisch erfreulich sein, widerspricht aber entschieden der Behauptung der parteipolitischen
Neutralität der Industriegewerkschaften und des von ihnen 1949 gegründeten DGB.
Ebenso wird verdrängt, dass der Einheitsgedanke ursprünglich einen zentralen Verband vorsah,
dem Arbeiter und Angestellte gleichermaßen unmittelbar angehören sollten und der in
unselbstständige Wirtschaftsgruppen gegliedert sein sollte. Der massive Druck und die anfängliche
Nichtanerkennung überörtlicher Zusammenschlüsse durch die Besatzungsbehörden
führten jedoch ab Sommer 1946 zur Herausbildung von Industriegewerkschaften, und im Ergebnis zur
Abspaltung der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG).
Dieser Prozess war von Anfang an von
Organisationsegoismen geprägt. So wollte die ÖTV in der britischen Zone anfänglich keine
Eisenbahnergewerkschaft zulassen und die Beschäftigten dort selber organisieren. Erst ein
außerordentlicher Bundeskongress des DGB in der britischen Besatzungszone 1948 machte den Weg frei
für die Bildung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands. Die Frage der Abgrenzung von
Organisationsbereichen bleibt bis heute ein Streitpunkt u.a. kämpfen Ver.di und Transnet um die
Organisierung der Beschäftigten im Logistikbereich, was auch mit der Geschäftsfelderweiterung der
DB AG zu tun hat.
Die Neugliederung der Gewerkschaften in
Ostdeutschland nach der Wende hatte mit Einheitsgedanken gar nichts mehr zu tun. Auch für die
Gewerkschaften ging es hier nur um die Übertragung des westdeutschen Systems der Arbeitsbeziehungen
auf den Osten. Noch vor der Volkskammerwahl 1990 erklärten Ernst Breit für den DGB und Klaus
Murmann für den Arbeitgeberverband am 12.März, die DDR-Ökonomie müsse nach
kapitalistischen Grundsätzen umgestaltet werden.
So wie die westdeutsche Bourgeoisie die
ostdeutsche Wirtschaft nach ihren Vorstellungen organisierte, machten es auch die westdeutschen
Gewerkschaften mit der Interessenvertretung im Osten. Für beide war es ausgemachte Sache, dass das
"Lohnniveau zunächst noch deutlich unter dem bundesdeutschen Standard liegen" werde. Diese
gewerkschaftliche Ostpolitik findet bis heute ihre Fortsetzung in der Besetzung der gewerkschaftlichen
Spitzengremien: In den geschäftsführenden bzw. Hauptvorständen des DGB, von Ver.di, Transnet
und der IG Metall sitzt kein einziger Ossi; auf der Ebene von Landesbezirksleitungen sieht es kaum besser
aus. Das ist Ausdruck eines Machtverhältnisses.
Die GDL war bis 1989 eine kleine Beamten-Berufsorganisation, deren Führungsstamm konservativ war
und sich an der CDU orientierte. Nach der Wende gelang es der damaligen Gewerkschaft der Eisenbahner
Deutschlands (GdED; heute Transnet) im Westen nicht, das Personal der Reichsbahn komplett in den DGB zu
überführen. Die Lokführer entschieden sich im Sommer 1990 für die GDL und gegen die
GdED; damit wuchs der Mitgliederbestand der GDL in kürzester Zeit um fast 15000.
Die GDL organisiert heute mit etwa 34000
Mitgliedern rund 7080% der Lokführer bei der DB AG (15000 von 20000), sowie 30% des restlichen
Fahrpersonals. In Ostdeutschland sind nahezu alle Lokführer in der GDL organisiert, 80 von rund 200
Ortsgruppen der GDL liegen im Osten, das sind 40%. Einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden, Claus
Weselsky, kommt aus Dresden und wird im Mai 2008 für die Nachfolge des dann in Rente gehenden Manfred
Schell kandidieren. Aller Voraussicht nach wird die GDL die erste Gewerkschaft im "vereinigten"
Deutschland sein, die einen Ossi zum Vorsitzenden hat.
Zugespitzt formuliert ändert sich seit
einigen Jahren der Charakter der GDL von einer ehemals eher konservativen Berufsorganisation verbeamteter
westdeutscher Eisenbahner in eine Organisation ostdeutscher Eisenbahner, eine Arbeiter- und
Angestelltengewerkschaft, die auch rechtlich streikfähig ist. Die weitere politische Orientierung und
Entwicklung der GDL ist nicht ausgemacht. Klar ist, sie ist weder revolutionär, noch linksradikal noch
besonders aufrührerisch; zu Glorifizierung und linker Mythenbildung gibt es hier keinen Anlass. Was
sie aber von anderen unterscheidet ist: Sie handelt als normale Gewerkschaft, die ihre Kraft zugunsten
ihrer Mitglieder einsetzt. Sie nimmt dabei weniger parteipolitische Rücksichten auf die
Regierungskoalition als die DGB-Gewerkschaften.
Eine weitere Besonderheit ist: Sie
bemüht in ihrer Argumentation kein vermeintliches "Gesamtwohl", sondern im besten Sinne ein
"Partikularinteresse". Oskar Negt hat einmal darauf hingewiesen, dass es in der deutschen
Arbeiterbewegung nur selten Ansätze einer autonomen Arbeiter- und Klassenpolitik gegeben hat. Zumeist
haben Parteien und Gewerkschaften ein Allgemeinwohl formuliert und damit den eigenen Anliegen ein
klassenübergreifendes Interesse unterstellt. Der jüngste Kampf der Eisenbahner unterscheidet sich
angenehm davon und stößt damit in den Umfragen auf enorme Zustimmung in der
Bevölkerung.
Der Eisenbahnerstreik war innerhalb von vier Jahren die dritte große gesellschaftspolitische
Auseinandersetzung, deren Initialzündung von Ostdeutschland ausging bzw. die dort ihren Schwerpunkt
hatte und die von westdeutscher Seite bestenfalls ignoriert, im schlechtesten Fall bekämpft
wurde. Der erste Konflikt war der Streik der ostdeutschen Metaller für die Arbeitszeitverkürzung
auf 35 Stunden im Jahr 2003. Westdeutsche Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende und der IG-Metall-
Flügel um Klaus Zwickel haben diesem Arbeitskampf ein Ende und damit den Gewerkschaften insgesamt eine
tief sitzende Niederlage bereitet.
Der zweite Großkonflikt waren die
Montagsdemonstrationen 2004. Der Aufstand der Ostdeutschen gegen die Agenda 2010 wurde von
Spitzenfunktionären der sich in Westdeutschland gerade gründenden WASG ignoriert. Der damalige
WASG-Bundesvorstand ließ eine schon produzierte Zeitungsauflage von 30000 Exemplaren einstampfen, weil
u.a. im Impressum die Adressen der westdeutschen WASG-Gruppen fehlten. Im GDL-Streik ist die von Westlinken
beschworene Einheit der Linken zum dritten Mal an ihre Grenzen gestoßen. Das wird sich in das
kollektive Gedächtnis der ostdeutschen Arbeiterbewegung eingraben, die ganz offensichtlich dabei ist
sich neu zu formieren.
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