SoZ - Sozialistische Zeitung |
Ein Bürgerkomitee für die Rückgabe der Bahn (Cocidirail) hat
in Mali vom 3. bis zum 25.November 2007 entlang der Eisenbahnstrecke eine "Bürgerkarawane"
organisiert. Ihr Ziel war, den Menschen die Bedeutung der Eisenbahn für ihren Alltag vor Augen zu
führen und sie für den Erhalt der Bahn zu mobilisieren. Mit fünf Personen aus Berlin und
Köln konnten wir das letzte Drittel der Karawane begleiten. Wir erlebten die Probleme und die
Empörung, die Feste, Debatten, die Wut, die Eisenbahn und die katastrophalen Wege.
Westafrika mit seinem frankophonen
kolonialen Hintergrund wird in den letzten Jahrzehnten genauso vom anlagesuchenden Kapital heimgesucht wie
andere Regionen Afrikas. So wurde im Oktober 2003 die historische Bahnstrecke von Dakar nach Bamako, die
einheimische Sklaven unter französischer Kolonialverwaltung gebaut haben, privatisiert. Einzelne
Gewerkschaftsführer in den beiden Anrainerstaaten Mali und Senegal setzten sogar ihre Unterschrift
unter den Verkauf. Später stellte dann sich heraus, dass die Gewerkschaftsführer dafür
fürstlich belohnt worden waren. Inzwischen haben sich unabhängige und kämpferische
Gewerkschaften gebildet.
Die 103 Jahre alte, rund 1200 Kilometer
lange Bahnstrecke wurde auf Druck der Weltbank an das franko-kanadische Konsortium Transrail verkauft. Die
neuen Betreiber schränkten entgegen aller Zusagen und Versprechungen den Personenverkehr drastisch
ein. Sie schlossen 26 von 36 Bahnhöfen und entließen über 600 Eisenbahner, vornehmlich
diejenigen, die gewerkschaftlich organisiert waren und gegen die Privatisierung protestierten. So wurde
auch der Sprecher des Cocidirail und aktive Eisenbahngewerkschafter, Tiècoura Traoré, wegen
Diffamierung des Unternehmens gekündigt.
Die Bahnhöfe sind Hauptumschlagplatz
für die an der Strecke von der Landbevölkerung vorwiegend Frauen und Jugendliche
produzierten Waren. Ihre Schließung führte zu einer völligen Isolation der
Dorfbevölkerung und zum Zusammenbruch der Dorfökonomie.
Neben den Eisenbahngewerkschaftern, den
aktiven wie den entlassenen, sind es vor allem die Händlerinnen und Bäuerinnen, die sich am
Widerstand gegen die Folgen der Bahnprivatisierung beteiligen. Gemeinsam haben sie deshalb Cocidirail
ein Bürgerkomitee für die Rückgabe der Bahn gegründet. Die Eisenbahner
und Cocidirail mit seinen aktiven Bäuerinnen und Händlerinnen aus den Dörfern sind ein
aktives Ferment in dieser sich langsam entwickelnden Dynamik des Widerstands. Gerade in Mali hat ihr
Beispiel auch Auswirkungen auf andere Teile der armen Bevölkerung, auf die Bauern, die Minenarbeiter
und die lohnarbeitenden wie die Handel treibenden Frauen.
Der Widerstand geht immer mehr in die Breite und nimmt, insbesondere durch die vielen kleinen, jedoch
viel gehörten lokalen Radios, immer mehr Kontur an. Auf dem Afrikanischen Sozialforum in Bamako im
Januar 2006 haben vor allem die Eisenbahner um den Eisenbahningenieur Tiècoura Traoré und die
Dorffrauen, Mitglieder des Cocidirail, ihre Forderungen nach Wiederherstellung einer öffentlichen
Bahngesellschaft, nach regelmäßigem Personenverkehr auf der Schiene und nach Öffnung der
geschlossenen Bahnhöfe lautstark zum Ausdruck gebracht.
Schon 2005 hatten sich Eisenbahner aus
Senegal und Mali mit französischen Eisenbahngewerkschaftern von Sud-Rail, der CGT aus Spanien und
Eisenbahnern aus Nordafrika in Dakar getroffen, um gemeinsame Strategien im Kampf für die
Rücknahme der Bahnprivatisierung zu überlegen. Organisiert und koordiniert wurde das Treffen vom
internationalen Bildungswerk TIE-Europe.
Im Juni 2006 kam es zum ersten Mal nach den
langen Streiks von 1947/48 zu einem staatenübergreifenden Bahnstreik. Eisenbahner aus Mali und Senegal
forderten gleiche Bezahlung, die Absetzung des weißen neokolonialen Managements und den Ausbau des
Personenverkehrs. Im Anschluss an diesen Streik wurden eine Reihe von Streikenden vom Dienst suspendiert
bzw. entlassen.
Im Dezember 2006 fand in Dakar das zweite
große internationale Treffen der Eisenbahner mit den Bürgerkomitees und dem Cocidirail statt.
Dabei beschloss man, alle aktiven Gewerkschafter in Westafrika zur Gründung von Bürgerkomitees in
ihren Ländern für die Verteidigung einer öffentlichen Bahn aufzurufen.
Während des G8-Gipfels in Heiligendamm
führten die in der Internationalen Bauernorganisation Via Campesina zusammengeschlossenen
Bauernverbände in Sikasso, einem regionalen Zentrum in Mali, einen "Gegengipfel des
Südens" durch. Hier ging es vor allem um die Perspektive des Südens, aus dem auch die
Mehrheit der 500 Delegierten stammte.
Eingeladen waren Bewegungen der Landlosen
aus Lateinamerika, wie die MST aus Brasilien. Das Veranstaltungsdorf wurde aus den Baumaterialien der
Region gebaut, womit Eigenständigkeit symbolisiert werden sollte. Ein zentrales Thema des Gegengipfels
war die Frage des öffentlichen Transports und seine Bedeutung für das Leben und die Ökonomie
der Dorfbevölkerungen, vor allem für die Frauen als Trägerinnen der lokalen
Subsistenzökonomie.
Im September 2007 verknüpfte das Cocidirail die Feiern für sein vierjähriges Bestehen mit
der Organisation einer großen Bürgerkarawane, die 23 Tage dauerte. Auf zehn Etappen entlang der
Bahnstrecke von Bamako nach Kayes in Mali fuhr sie Orte an, deren Bahnhöfe geschlossen worden waren.
Hier gab es Volksversammlungen der betroffenen Bevölkerung, gespickt mit Filmen und
Theateraufführungen. Diese Fahrt, die strukturiert war wie eine Karawane, war ein Höhepunkt des
Widerstands gegen die Bahnprivatisierung.
Diese Karawane blieb nicht ohne Wirkung.
Die private Bahngesellschaft organisierte einige Tage vor der Ankunft der Karawane in Kayes, dem Zentrum
der Eisenbahner, das erste Bahnfestival in der langen Geschichte der Bahn, und der Präsident von Mali
verkündete den Kauf von neuen Eisenbahnwaggons, die ab Januar 2008 zum Einsatz kommen sollen.
Auf den Versammlungen kam es zu bewegenden
Begegnungen zwischen der Bevölkerung und den Akteuren der Karawane. Das rücksichtslose Vorgehen
der Bahngesellschaft kam in den Schilderungen der Anwohner immer wieder deutlich zum Ausdruck. Die
Betroffenen demonstrierten eindrucksvoll ihren Willen, durch eigenes Handeln und direkte Aktionen etwas zu
bewegen, etwa durch Blockaden des Güterverkehrs.
Erklärte Ziele der Karawane waren die
Wiedereinstellung aller entlassenen Eisenbahner, die Anerkennung der unabhängigen Gewerkschaften, die
Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe, die Rückübertragung der Bahn in die
öffentlichen Hände sowie ihre demokratische Kontrolle durch Bürgerkomitees.
Die Organisatoren wollten die betroffene
Bevölkerung direkt einbeziehen, die allenthalben vorhandene Ohnmacht und Isolation aufbrechen und Mut
machen zum gemeinsamen Handeln. Viele Hoffnungen und Erwartungen konnten geweckt werden. Zu Beginn des
neuen Jahres ist eine Versammlung des Cocidirail geplant, die weitere Aktionsvorschläge machen soll.
Aus europäischer Sicht erweisen sich
die demokratischen Bewegungen in Westafrika als Teil eines gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses, der
die Periode des Kampfes um die staatliche Unabhängigkeit abgelöst hat.
Die Hoffnungen auf Hilfe von oben, auf eine
diesen Prozess fördernde staatliche Macht, sind nicht verschwunden, aber sie verbinden sich in diesem
Teil des Kontinents nicht mehr mit den aktuellen Regierungen, sondern mit dem Bild von afrikanischen
Führern, von einfachen Menschen und historischen Momenten, die diese Hoffnungen symbolisieren.
Prägend für diesen Teil Afrikas
sind Ereignisse wie der große sechsmonatige Bahnstreik 1947/48 gegen die französische
Kolonialmacht, Menschen wie der Gewerkschafter und Filmemacher Ousmane Sembène aus dem Senegal, oder
engagierte politische Führer wie Tomas Sankara aus Burkina Faso. Sie verkörpern die Hoffnung auf
ein Leben in sozialer Würde, in Freiheit von Elend und auf soziale Unabhängigkeit. Bei der ein
Monat währenden Karawane versuchte man, diese Welten und Geister lebendig werden zu lassen. Die an der
Karawane beteiligten europäischen Gewerkschafter, Journalisten und Filmemacher werden versuchen,
dieses Anliegen mit ihren Mitteln nach Kräften zu fördern.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |