SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2008, Seite 11

Mali

Bürgerkarawane gegen Bahnprivatisierung - Teilnehmer aus Deutschland berichten

Ein Bürgerkomitee für die Rückgabe der Bahn (Cocidirail) hat in Mali vom 3. bis zum 25.November 2007 entlang der Eisenbahnstrecke eine "Bürgerkarawane" organisiert. Ihr Ziel war, den Menschen die Bedeutung der Eisenbahn für ihren Alltag vor Augen zu führen und sie für den Erhalt der Bahn zu mobilisieren. Mit fünf Personen aus Berlin und Köln konnten wir das letzte Drittel der Karawane begleiten. Wir erlebten die Probleme und die Empörung, die Feste, Debatten, die Wut, die Eisenbahn — und die katastrophalen Wege.
Westafrika mit seinem frankophonen kolonialen Hintergrund wird in den letzten Jahrzehnten genauso vom anlagesuchenden Kapital heimgesucht wie andere Regionen Afrikas. So wurde im Oktober 2003 die historische Bahnstrecke von Dakar nach Bamako, die einheimische Sklaven unter französischer Kolonialverwaltung gebaut haben, privatisiert. Einzelne Gewerkschaftsführer in den beiden Anrainerstaaten Mali und Senegal setzten sogar ihre Unterschrift unter den Verkauf. Später stellte dann sich heraus, dass die Gewerkschaftsführer dafür fürstlich belohnt worden waren. Inzwischen haben sich unabhängige und kämpferische Gewerkschaften gebildet.
Die 103 Jahre alte, rund 1200 Kilometer lange Bahnstrecke wurde auf Druck der Weltbank an das franko-kanadische Konsortium Transrail verkauft. Die neuen Betreiber schränkten entgegen aller Zusagen und Versprechungen den Personenverkehr drastisch ein. Sie schlossen 26 von 36 Bahnhöfen und entließen über 600 Eisenbahner, vornehmlich diejenigen, die gewerkschaftlich organisiert waren und gegen die Privatisierung protestierten. So wurde auch der Sprecher des Cocidirail und aktive Eisenbahngewerkschafter, Tiècoura Traoré, wegen Diffamierung des Unternehmens gekündigt.
Die Bahnhöfe sind Hauptumschlagplatz für die an der Strecke von der Landbevölkerung — vorwiegend Frauen und Jugendliche — produzierten Waren. Ihre Schließung führte zu einer völligen Isolation der Dorfbevölkerung und zum Zusammenbruch der Dorfökonomie.
Neben den Eisenbahngewerkschaftern, den aktiven wie den entlassenen, sind es vor allem die Händlerinnen und Bäuerinnen, die sich am Widerstand gegen die Folgen der Bahnprivatisierung beteiligen. Gemeinsam haben sie deshalb Cocidirail — ein Bürgerkomitee für die Rückgabe der Bahn — gegründet. Die Eisenbahner und Cocidirail mit seinen aktiven Bäuerinnen und Händlerinnen aus den Dörfern sind ein aktives Ferment in dieser sich langsam entwickelnden Dynamik des Widerstands. Gerade in Mali hat ihr Beispiel auch Auswirkungen auf andere Teile der armen Bevölkerung, auf die Bauern, die Minenarbeiter und die lohnarbeitenden wie die Handel treibenden Frauen.

Internationaler Widerstand

Der Widerstand geht immer mehr in die Breite und nimmt, insbesondere durch die vielen kleinen, jedoch viel gehörten lokalen Radios, immer mehr Kontur an. Auf dem Afrikanischen Sozialforum in Bamako im Januar 2006 haben vor allem die Eisenbahner um den Eisenbahningenieur Tiècoura Traoré und die Dorffrauen, Mitglieder des Cocidirail, ihre Forderungen nach Wiederherstellung einer öffentlichen Bahngesellschaft, nach regelmäßigem Personenverkehr auf der Schiene und nach Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe lautstark zum Ausdruck gebracht.
Schon 2005 hatten sich Eisenbahner aus Senegal und Mali mit französischen Eisenbahngewerkschaftern von Sud-Rail, der CGT aus Spanien und Eisenbahnern aus Nordafrika in Dakar getroffen, um gemeinsame Strategien im Kampf für die Rücknahme der Bahnprivatisierung zu überlegen. Organisiert und koordiniert wurde das Treffen vom internationalen Bildungswerk TIE-Europe.
Im Juni 2006 kam es zum ersten Mal nach den langen Streiks von 1947/48 zu einem staatenübergreifenden Bahnstreik. Eisenbahner aus Mali und Senegal forderten gleiche Bezahlung, die Absetzung des weißen neokolonialen Managements und den Ausbau des Personenverkehrs. Im Anschluss an diesen Streik wurden eine Reihe von Streikenden vom Dienst suspendiert bzw. entlassen.
Im Dezember 2006 fand in Dakar das zweite große internationale Treffen der Eisenbahner mit den Bürgerkomitees und dem Cocidirail statt. Dabei beschloss man, alle aktiven Gewerkschafter in Westafrika zur Gründung von Bürgerkomitees in ihren Ländern für die Verteidigung einer öffentlichen Bahn aufzurufen.
Während des G8-Gipfels in Heiligendamm führten die in der Internationalen Bauernorganisation Via Campesina zusammengeschlossenen Bauernverbände in Sikasso, einem regionalen Zentrum in Mali, einen "Gegengipfel des Südens" durch. Hier ging es vor allem um die Perspektive des Südens, aus dem auch die Mehrheit der 500 Delegierten stammte.
Eingeladen waren Bewegungen der Landlosen aus Lateinamerika, wie die MST aus Brasilien. Das Veranstaltungsdorf wurde aus den Baumaterialien der Region gebaut, womit Eigenständigkeit symbolisiert werden sollte. Ein zentrales Thema des Gegengipfels war die Frage des öffentlichen Transports und seine Bedeutung für das Leben und die Ökonomie der Dorfbevölkerungen, vor allem für die Frauen als Trägerinnen der lokalen Subsistenzökonomie.

Die Bürgerkarawane

Im September 2007 verknüpfte das Cocidirail die Feiern für sein vierjähriges Bestehen mit der Organisation einer großen Bürgerkarawane, die 23 Tage dauerte. Auf zehn Etappen entlang der Bahnstrecke von Bamako nach Kayes in Mali fuhr sie Orte an, deren Bahnhöfe geschlossen worden waren. Hier gab es Volksversammlungen der betroffenen Bevölkerung, gespickt mit Filmen und Theateraufführungen. Diese Fahrt, die strukturiert war wie eine Karawane, war ein Höhepunkt des Widerstands gegen die Bahnprivatisierung.
Diese Karawane blieb nicht ohne Wirkung. Die private Bahngesellschaft organisierte einige Tage vor der Ankunft der Karawane in Kayes, dem Zentrum der Eisenbahner, das erste Bahnfestival in der langen Geschichte der Bahn, und der Präsident von Mali verkündete den Kauf von neuen Eisenbahnwaggons, die ab Januar 2008 zum Einsatz kommen sollen.
Auf den Versammlungen kam es zu bewegenden Begegnungen zwischen der Bevölkerung und den Akteuren der Karawane. Das rücksichtslose Vorgehen der Bahngesellschaft kam in den Schilderungen der Anwohner immer wieder deutlich zum Ausdruck. Die Betroffenen demonstrierten eindrucksvoll ihren Willen, durch eigenes Handeln und direkte Aktionen etwas zu bewegen, etwa durch Blockaden des Güterverkehrs.
Erklärte Ziele der Karawane waren die Wiedereinstellung aller entlassenen Eisenbahner, die Anerkennung der unabhängigen Gewerkschaften, die Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe, die Rückübertragung der Bahn in die öffentlichen Hände sowie ihre demokratische Kontrolle durch Bürgerkomitees.
Die Organisatoren wollten die betroffene Bevölkerung direkt einbeziehen, die allenthalben vorhandene Ohnmacht und Isolation aufbrechen und Mut machen zum gemeinsamen Handeln. Viele Hoffnungen und Erwartungen konnten geweckt werden. Zu Beginn des neuen Jahres ist eine Versammlung des Cocidirail geplant, die weitere Aktionsvorschläge machen soll.
Aus europäischer Sicht erweisen sich die demokratischen Bewegungen in Westafrika als Teil eines gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses, der die Periode des Kampfes um die staatliche Unabhängigkeit abgelöst hat.
Die Hoffnungen auf Hilfe von oben, auf eine diesen Prozess fördernde staatliche Macht, sind nicht verschwunden, aber sie verbinden sich in diesem Teil des Kontinents nicht mehr mit den aktuellen Regierungen, sondern mit dem Bild von afrikanischen Führern, von einfachen Menschen und historischen Momenten, die diese Hoffnungen symbolisieren.
Prägend für diesen Teil Afrikas sind Ereignisse wie der große sechsmonatige Bahnstreik 1947/48 gegen die französische Kolonialmacht, Menschen wie der Gewerkschafter und Filmemacher Ousmane Sembène aus dem Senegal, oder engagierte politische Führer wie Tomas Sankara aus Burkina Faso. Sie verkörpern die Hoffnung auf ein Leben in sozialer Würde, in Freiheit von Elend und auf soziale Unabhängigkeit. Bei der ein Monat währenden Karawane versuchte man, diese Welten und Geister lebendig werden zu lassen. Die an der Karawane beteiligten europäischen Gewerkschafter, Journalisten und Filmemacher werden versuchen, dieses Anliegen mit ihren Mitteln nach Kräften zu fördern.

Peter Bach, Nico Roth, Willi Hajek


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