SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2008, Seite 14

Mexiko

Globaler Aktionstag und landesweite Mobilisierung

von Leo Gabriel

Das Weltsozialforum findet in diesem Jahr in Form eines weltweiten Globalen Aktionstags am 26.Januar statt. Umfang und Themen der jeweiligen Aktionen werden vor Ort entschieden. Ein Höhepunkt der Aktionen wird Mexiko sein.
In Wirklichkeit ist der "Día de Acción Global" ein etwas verspätetes 1.Mexikanisches Sozialforum: An die 250 Veranstaltungen finden zwischen dem 22. und 26.Januar allein in Mexiko-Stadt statt. Doch auch die Landbevölkerung ist involviert, sie organisiert zwei Märsche, die beide in die Hauptstadt führen: einen von der Grenze zu den USA, und einen aus dem heißumkämpften Bundesstaat Oaxaca. Die beiden Märsche werden zwar nie aufeinanderstoßen, weil der aus dem Norden erst gegen Monatsende die mexikanische Hauptstadt erreichen wird. Sie verfolgen dennoch das gleiche Ziel: "Sin maíz no hay país" lautet ihre Parole. Sie wendet sich einerseits gegen die am 1.Januar in Kraft getretene letzte Stufe des Freihandelsabkommens NAFTA, andererseits gegen den Export des traditionellen Grundnahrungsmittels Mais zur Herstellung von Ethanol in die USA.
Zum Globalen Aktionstag am 26.Januar wird es in Mexiko eine massive Mobilisierung geben. Das ist aber nicht nur Tlaltecutli, der aztekischen Erdgöttin, zu verdanken, deren blumenumkränztes Standbild bei der Eröffnungszeremonie enthüllt wird. Es ist vor allem auf die innenpolitische Lage in Mexiko zurückzuführen, die sich seit Monaten wie ein Gewitter über den Köpfen der 80 Millionen Mexikaner zusammenbraut.
Fast täglich verschwinden Bauernführer, werden Menschen aus politischen Gründen verhaftet. Zum erstenmal seit 1995 ist die Armee in Chiapas wieder voll einsatzfähig, wobei die Regierung Calderón im Augenblick die Drecksarbeit eher den paramilitärischen Parteigängern der PRI überlässt — jener Partei, die das Land 70 Jahre hindurch im Alleingang beherrschte. Das ist der Grund dafür, dass sich Subcomandante Marcos von den Zapatisten seit etwa einem Monat zusammen mit seiner Gefolgschaft in den Urwald der Lakandonen zurückgezogen hat.
Aus dem gleichen Grund kommt dem Thema Menschenrechte beim Global Action Day ein besonderer Stellenwert zu. Bei der Eröffnung ergreift nicht nur Rosario Ibarra, jahrzehntelang Vorkämpferin für die Angehörigen der Verschwundenen aus der Zeit der PRI-Regierung, das Wort, sondern auch Doņa Trini, die Frau des Anführers der Bauern von Atenco, die sich vor etwa zwei Jahren erfolgreich gegen den Bau eines neuen Flughafens im Umkreis von Mexiko-Stadt zur Wehr gesetzt haben und diesen politischen Sieg mit einer der brutalsten Repressionen in der Geschichte des Landes bezahlen mussten. Ihr Mann, Ignacio Ramírez, wurde nach einem Schauprozess zu sage und schreibe 67 Jahren Haft verurteilt.
Mexiko war auf den Weltsozialforen, die von Porto Alegre bis Nairobi stattgefunden haben, bislang eher schwach vertreten. Warum spielt das Land in diesem Jahr auf einmal für das WSF eine so große Rolle? Dafür gibt es mehrere Gründe:
Die meisten Bewegungen fürchten, dass sie beim großen Krach, der hier im letzten Amtsjahr von George Bush allgemein erwartet wird, allein zu schwach sein werden, um gegen die zu erwartende Repressionswelle erfolgreich Widerstand leisten zu können.
Das WSF stellt für die meisten Aktiven innerhalb der mexikanischen Linken so etwas wie eine supranationale, teilweise etwas imaginäre Kraft dar, die in der Lage sein könnte, eine Brücke zu schlagen zwischen der politischen Bewegung um Andres Manuel López Obrador von der PRD, der im Juli 2006 offensichtlich Opfer eines Wahlbetrugs wurde, und den Organisationen der "Otra Campaņa", die in den Zapatisten ihren Referenzpunkt sehen: beide Strömungen sollen nun ihre politische Basis zu Wort kommen lassen.
Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang, dass der linkspopulistische Bürgermeister von Mexiko-Stadt zwar spät, aber doch auf den fahrenden Zug aufgesprungen ist und das viertägige Event nach Kräften unterstützt.
Und, last but not least, ist der zu erwartende Erfolg dem politischen Geschick der Organisatoren dieses Megaevents von der Universidad Autónoma de la Ciudad de México (UACM) zu verdanken, die von vornherein keine politische Führungsrolle beansprucht haben, sondern vor allem die Schaffung von Netzwerken zur ihrer Handlungsmaxime gemacht haben.
Das in neun Hauptachsen gegliederte Programm ist vielversprechend. Neben "Militarisierung und Menschenrechte", "Erziehung und Gewerkschaft", "Recht auf Kommunikation" werden die "Krise der Zivilisation und das Ende des Neoliberalismus" und die "Rechte der Frauen und Jugendlichen" behandelt. Auf dem Hauptplatz in der Mitte der Stadt, dem Zócalo, wird ein großes Zelt errichtet, in dem verschiedene Foren stattfinden zu Themen wie "Land, Indigene Völker und Autonomie", "Eine andere Umwelt ist möglich", "Das Recht auf die Stadt und ein menschenwürdiges Wohnen", "Solidarwirtschaft". Letzterem kommt ein ganz besonderer Stellenwert zu. All das wird umrahmt von einem populären Kulturprogramm und einem Festival des politischen Dokumentarfilms.
Kurzum: Mexiko kann für den Global Action Day eine große Überrraschung werden.


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