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"Jede direkte Begegnung hat eine die Empathie stärkende Wirkung." Und diese Empathie zu stärken ist ein wesentlicher
Kern der Lebensschule Fromms. Das "produktive Ich" soll hier gestärkt werden durch das Ansprechen von Konflikten, durch
gezieltes Alleinsein, durch unmittelbare Bezogenheit auf andere Menschen. Das "starke Ich" kann die eigene Wirklichkeit und die uns
umgebende klar unterscheiden. Es trennt, anders als das "unproduktive Ich", die Vorstellungswelt von der konkreten Wirklichkeit.
Rainer Funk, der in diesem Buch von den direkten Begegnungen mit seinem
Lehrer Erich Fromm ausgeht, die seinen eigenen Blick für die menschliche Wirklichkeit verstärkten, hält, wie bereits in seinem
Buch Ich und Wir. Psychoanalyse des postmodernen Menschen, den Ich-Orientierten, wie den Marketing-Orientierten Menschen, die in unserer
Gesellschaft die Norm sind, nicht nur einen Spiegel vor, sondern er vermittelt seinen Lesern, dass er sich selbst vor diesem Spiegel sieht,
aber täglich daran arbeitet, nicht der gesellschaftlichen Charakterorientierung auf den Leim zu kriechen, die von uns verlangt, unsere
produktiven Fähigkeiten zugunsten eines abstrakten Marktes und eines brutalen Konkurrenzkampfes aufzugeben.
Das Buch ist ein Plädoyer für das "produktive Ich", das
die Fähigkeit beherrscht, sich selbst zum Objekt der Erkenntnis machen zu können und das nicht im eitlen Wettkampf des Marktes
Fehler gern bei anderen geißelt, aber sich selbst sentimental verherrlicht. Produktive Vernunft nennt der Autor diese Fähigkeit.
Diese Vernunft ermöglicht den Blick auf die Totalität des gesellschaftlichen Seins.
Wo sind hier die prägenden Kategorien dieses Seins? Kann diese Vernunft
fragen. "Wer einen Aspekt des Objekts isoliert und nur diesen erkennen möchte", schreibt Funk, "ohne das Ganze noch im
Auge zu behalten, wird nicht einmal diesen einen Aspekt richtig verstehen." Die 68er Generation, so der Autor, traute sich noch, an dem
Ganzen, an der Gesellschaft, zu leiden und wollte sie deshalb verändern. Dies "ist in einer Gesellschaft, die vor allem positiv
denken und fühlen will und erlebnishungrig ist, nicht erwünscht." Funk kritisiert den Neopositivismus, der heute in fast allen
Wissenschaftsbetrieben und Medien die Herrschaft übernommen hat. Das verdient in dem eher auf Marketing und Ich-Orientierung angelegten
Psychologiebetrieb besondere Anerkennung. Funk vertritt eine Psychologie der Rebellion.
Die Lebensschule Fromms blickt anders als Marx in das Ganze des
gesellschaftlichen Seins. Fromm, mit ihm Funk, wollen nicht das Fundament der bürgerlichen Gesellschaft analysieren, sondern zeigen, wie
dieses Fundament jeden von uns prägt. Wie können wir, trotz kapitalistischer objektiver Gesetze, in die wir als Verkäufer oder
Käufer der Ware Arbeitskraft, als Schüler, Student, Rentner oder Hausfrau eingebunden sind, trotz dieser Entfremdungen von echter
menschlicher Bezogenheit, dennoch unser Ich stärken? Das sind die Fragen der Lebensschule Fromms, die kein kritischer Mensch mit dem
Hinweis auf Fromms buddhistische Neigungen verdrängen sollte.
Zur Stärkung des Ichs könne die Selbstanalyse beitragen, so Funk.
Aber auch die Traumdeutung sei wichtig, versteckt sich doch in jedem Traum, wie in der freien Assoziation, der Fehlleistung und
Übertragung, eine persönliche Botschaft die es ganz ohne Schönfärberei zu entschlüsseln gilt. Wer sich nur, sei es
noch so kritisch, mit der ihm äußeren Welt beschäftigt, wird ohne Selbstanalyse leicht zu einem Spielball fremder Mächte
und eigener unproduktiver Ich-Orientierungen, die sich als Eitelkeiten, Rechthabereien hinter klugen oder revolutionären Thesen nur gar
zu leicht verstecken können. In diesem Sinne betrachte ich Rainer Funks Buch als ein wichtiges Warnsignal für alle kritischen
Geister, die sein Buch lesen sollten, um auch mit sich selbst kritischer sein zu können.
Diese Differenzierung der Bedürfnisse ist wichtig, wenn die produktive
Ich-Stärke, wie sie Fromm und Funk anstreben, gelingen soll. Die "zwei Seelen in einer Brust", von denen Rainer Funk spricht,
wo die eine "will, was den Menschen gelingen lässt, und eine, was die Gesellschaft und ihn als gesellschaftliches Wesen gelingen
lässt", gibt es nicht als wählbare Alternative. Wir können uns nicht entscheiden, ob wir gesellschaftlich orientierte
Charaktere oder produktive Ich-Typen werden wollen. Wir sind als gesellschaftliche Wesen stets in der Einheit dieses Widerspruchs. Also
müssen wir gegen die Entfremdungen aktiv agieren, die unser gesellschaftliches Leben auf existenzielle Bedürfnisse reduzieren
wollen, um uns zu unproduktiven, marketingorientierten Ich-Idioten zu degradieren, die den kapitalistischen Marktgesetzen treu und brav
folgen, wie die Schafe zur Schlachtbank.
Natürlich lassen sich die existenziellen Bedürfnisse nicht
mechanisch von den nichtentfremdeten isolieren. So ist das Verhältnis der Frau zum Mann ein existenzielles, also natürliches
Bedürfnis, auf dem allerdings ein menschliches gedeihen kann, das als solches sowohl ein entfremdetes als auch ein nichtentfremdetes
sein kann. Nichtentfremdet ist es dann, wenn qualitative und nicht quantitative Bedürfnisse dominieren. Wenn der andere als Mensch zu
einem Bedürfnis wird. "Nur wer sich traut zärtlich zu sein", schreibt Funk ganz in diesem Sinne, "und eine
absichtslose Nähe zu praktizieren ist zärtlich, das heißt, für den wird Zärtlichkeit zu seiner Eigenschaft oder
Eigentümlichkeit." Das gelingt in dieser Gesellschaft nur, wenn gegen den Mainstream der quantitativen Bedürfnisse, Fromm
sprach von "Haben-Orientierung", geschwommen wird. Mann und Frau!
Der Autor schreibt mit seinem Hinweis, dass die Gesellschaft bestimme, welche
Gedanken und Gefühle ins Bewusstsein des Einzelnen gelangen dürfen, jenen ins Stammbuch, die stets mit schärferen Gesetzen
drohen, um Gewalttaten zu verhindern, statt die alltägliche Gewalttat der kapitalistischen Ökonomie als Ursache zu erkennen.
"Fühlt der Mensch nur noch seine ‹Ohn-Macht›, irgendetwas bewirken zu können, dann liegt der Ausweg nahe, das
Leben selbst vereiteln zu wollen, indem man sich und/oder andere zerstört."
Hoffen wir auf viele produktive Ich-Starke, deren menschliches Bedürfnis
es ist, die Entfremdungen der Gesellschaft, aber auch deren Narben und Wunden im eigenen Selbst interpretieren und menschlich verändern
zu wollen!
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