SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 04

EU-Reformvertrag:

Ein Nokia, zwei Nokia, viele Siemens

von GERHARD KLAS

Viele Tränen sind geflossen, als Nokia ankündigte, seinen Standort in Bochum zu schließen und stattdessen ein neues Werk in Rumänien zu eröffnen. Aber wie echt sind die Tränen vieler Politiker der sog. Volksparteien und der Gewerkschaftsführung? Sie empören sich über das Gebaren der finnischen Geschäftsführung und zeigen große Empathie für die Beschäftigten. Dabei hat der Konzern nur gemacht, was die EU zum ökonomischen Handlungsprinzip erhebt: Nokia hat die Vorteile im Wettbewerb der Standorte ausgenutzt.
Um die Rendite weiter zu steigern, spielen niedrige Arbeitskosten und Steuern eine wichtige Rolle im Kalkül der Konzerne. Subventionen fördern die Abzockermentalität. Den Wettbewerb um die niedrigsten Sozialabgaben, Löhne und Unternehmensteuern wollte auch die gescheiterte EU-Verfassung irreversibel festschreiben. In Deutschland fand sie die Unterstützung von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Gewerkschaftsvorstände. In Frankreich und den Niederlanden war der freie Wettbewerb der Standorte hingegen ein wichtiges Motiv, gegen den Verfassungsvertrag zu stimmen. Nun liegt der Reformvertrag vor, er trägt zwar einen neuen Namen, entspricht aber weitgehend dem alten Verfassungsvertrag — einschließlich der "Garantie des unverfälschten Wettbewerbs" und seiner desaströsen Auswirkungen für alle Nichtkapitalbesitzer.
Eines ist aber anders als vor drei Jahren, als noch das Wort vom "Europa der Bürger" oft und gerne im Mund geführt wurde: Damit die Bevölkerung nicht erneut dazwischenfunkt, soll es diesmal keine Referenden mehr geben, nicht in Frankreich, nicht in den Niederlanden, nicht in Großbritannien. In Portugal stand Anfang des Jahres noch eine Volksabstimmung zur Debatte. Berlin, London und Paris haben Regierungschef Socrates jedoch gedrängt, auf diese Option zu verzichten. Nun bleibt nur noch das Referendum der Republik Irland, die allerdings noch keinen Termin festgelegt hat.
Immerhin, in Frankreich haben am 4.Februar 181 Kongressabgeordnete gegen eine Änderung der französischen Verfassung gestimmt. Sie wäre Voraussetzung dafür gewesen, dass der EU-Reformvertrag auch ohne Referendum ratifiziert werden kann. Die Ja-Stimmen aus dem Lager der Sozialdemokraten haben Nicolas Sarkozy dann aber ausgereicht, das Parlament hat dem Reformvertrag drei Tage später zugestimmt. Die Mehrheit der "Abgeordneten" — besser, der Plutokraten — hat also die Entscheidung der Bevölkerung von 2005 offen desavouiert.
Dabei haben sich nach Umfragen in Frankreich mehr als 70% der Franzosen erneut für einen Volksentscheid ausgesprochen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Großbritannien, Spanien, Italien und Deutschland.
Hier treten neben Globalisierungskritikern, der Friedensbewegung und Linkspartei auch Sozialdemokraten gegen den Reformvertrag an. Mit einem Offenen Brief wollen einige Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen unter den SPD- Abgeordneten eine Diskussion über die Inhalte des Vertrags anzetteln. "Ihr müsst mit Nein stimmen", lautet auch ihre unmissverständliche Botschaft. Ob deswegen im Bundestag und Bundesrat auch so viele dagegen stimmen werden wie in der französischen Nationalversammlung, darf bezweifelt werden.
Was in der EU unmöglich scheint, hat der als Populist und Autokrat vielgescholtene Hugo Chávez möglich gemacht. Er hat über die bolivarianische Verfassung in Venezuela abstimmen lassen — und verloren. Die Vorzeigedemokraten in der EU wollen das nicht. Sie haben Angst, dass die Bevölkerung ihre Pläne durchkreuzt. Die Konzernvorstände und Großaktionäre von Nokia, Siemens und Konsorten können sich freuen: Mit dem EU-Reformvertrag wird der rechtliche Rahmen gefestigt, in dem sie sich weiter rücksichtslos und unbehelligt bereichern können.


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