SoZ - Sozialistische Zeitung |
Viele
Tränen sind geflossen, als Nokia ankündigte, seinen Standort in Bochum zu schließen und
stattdessen ein neues Werk in Rumänien zu eröffnen. Aber wie echt sind die Tränen vieler
Politiker der sog. Volksparteien und der Gewerkschaftsführung? Sie empören sich über das
Gebaren der finnischen Geschäftsführung und zeigen große Empathie für die
Beschäftigten. Dabei hat der Konzern nur gemacht, was die EU zum ökonomischen Handlungsprinzip
erhebt: Nokia hat die Vorteile im Wettbewerb der Standorte ausgenutzt.
Um die Rendite weiter zu steigern, spielen
niedrige Arbeitskosten und Steuern eine wichtige Rolle im Kalkül der Konzerne. Subventionen
fördern die Abzockermentalität. Den Wettbewerb um die niedrigsten Sozialabgaben, Löhne und
Unternehmensteuern wollte auch die gescheiterte EU-Verfassung irreversibel festschreiben. In Deutschland
fand sie die Unterstützung von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Gewerkschaftsvorstände. In
Frankreich und den Niederlanden war der freie Wettbewerb der Standorte hingegen ein wichtiges Motiv, gegen
den Verfassungsvertrag zu stimmen. Nun liegt der Reformvertrag vor, er trägt zwar einen neuen Namen,
entspricht aber weitgehend dem alten Verfassungsvertrag einschließlich der "Garantie des
unverfälschten Wettbewerbs" und seiner desaströsen Auswirkungen für alle
Nichtkapitalbesitzer.
Eines ist aber anders als vor drei Jahren,
als noch das Wort vom "Europa der Bürger" oft und gerne im Mund geführt wurde: Damit
die Bevölkerung nicht erneut dazwischenfunkt, soll es diesmal keine Referenden mehr geben, nicht in
Frankreich, nicht in den Niederlanden, nicht in Großbritannien. In Portugal stand Anfang des Jahres
noch eine Volksabstimmung zur Debatte. Berlin, London und Paris haben Regierungschef Socrates jedoch
gedrängt, auf diese Option zu verzichten. Nun bleibt nur noch das Referendum der Republik Irland, die
allerdings noch keinen Termin festgelegt hat.
Immerhin, in Frankreich haben am 4.Februar
181 Kongressabgeordnete gegen eine Änderung der französischen Verfassung gestimmt. Sie wäre
Voraussetzung dafür gewesen, dass der EU-Reformvertrag auch ohne Referendum ratifiziert werden kann.
Die Ja-Stimmen aus dem Lager der Sozialdemokraten haben Nicolas Sarkozy dann aber ausgereicht, das
Parlament hat dem Reformvertrag drei Tage später zugestimmt. Die Mehrheit der "Abgeordneten"
besser, der Plutokraten hat also die Entscheidung der Bevölkerung von 2005 offen
desavouiert.
Dabei haben sich nach Umfragen in
Frankreich mehr als 70% der Franzosen erneut für einen Volksentscheid ausgesprochen. Ein
ähnliches Bild zeigt sich auch in Großbritannien, Spanien, Italien und Deutschland.
Hier treten neben Globalisierungskritikern,
der Friedensbewegung und Linkspartei auch Sozialdemokraten gegen den Reformvertrag an. Mit einem Offenen
Brief wollen einige Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen unter den SPD-
Abgeordneten eine Diskussion über die Inhalte des Vertrags anzetteln. "Ihr müsst mit Nein
stimmen", lautet auch ihre unmissverständliche Botschaft. Ob deswegen im Bundestag und Bundesrat
auch so viele dagegen stimmen werden wie in der französischen Nationalversammlung, darf bezweifelt
werden.
Was in der EU unmöglich scheint, hat
der als Populist und Autokrat vielgescholtene Hugo Chávez möglich gemacht. Er hat über die
bolivarianische Verfassung in Venezuela abstimmen lassen und verloren. Die Vorzeigedemokraten in der
EU wollen das nicht. Sie haben Angst, dass die Bevölkerung ihre Pläne durchkreuzt. Die
Konzernvorstände und Großaktionäre von Nokia, Siemens und Konsorten können sich freuen:
Mit dem EU-Reformvertrag wird der rechtliche Rahmen gefestigt, in dem sie sich weiter rücksichtslos
und unbehelligt bereichern können.
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