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Deutsche Soldaten haben schon im Zweiten Weltkrieg in Afghanistan Dienst
getan. Ihr Aufgabenprofil hat sich gegenüber heute wenig verändert. Im KSK werden die Aktionen
von früher kriegsgeschichtlich aufgearbeitet, um aus Erfolgen und Niederlagen Schlussfolgerungen
ziehen zu können.
Die Präsenz der ISAF-Schutztruppen in
Afghanistan ist heute der größte und wahrscheinlich riskanteste unter den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr. 26 ISAF Soldaten kehrten bereits in Zinksärgen aus Afghanistan
zurück. Wieviele Todesopfer die parallel in Afghanistan operierenden Soldaten des Kommandos
Spezialkräfte (KSK) zu verzeichnen haben, wird von der deutschen Regierung als Verschlusssache
behandelt. Angaben über Opferzahlen bei den gegnerischen Kräften in Afghanistan oder gar unter
der Zivilbevölkerung gibt es ebenfalls nicht. Auf dem internationalen Friedhof in der afghanischen
Hauptstadt Kabul gibt es jedoch ein Grab, das viel verrät über die Gegenwart und die
Vergangenheit deutscher Militärpräsenz in Afghanistan.
Der 1941 verstorbene Deutsche Manfred
Oberdörfer war Angehöriger der "Brandenburger", einer Spezialeinheit der Wehrmacht, die
während des Zweiten Weltkriegs in Afghanistan aktiv war. Dieser weitgehend unbekannte Abschnitt
deutscher Kriegsgeschichte spielt jedoch für manche Angehörige des Kommandos Spezialkräfte
noch heute eine besondere Rolle.
Innerhalb der Wehrmacht wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Sondereinheit aufgestellt, die der
Abteilung Abwehr unterstellt wurde. Sie hatte einerseits die Funktion militärische Kommandounternehmen
hinter feindlichen Linien durchzuführen und diente außerdem dazu, im Ausland Spitzel und Agenten
eine Organisationsplattform zu geben. Der Historiker Hans Bentzien erläuterte in seinem Buch "Die
Brandenburger" (Berlin 2004) sehr eindrücklich, wie diese Einheit an Kriegsverbrechen der
Wehrmacht beteiligt war und deren blutige Spuren sich durch Asien, Afrika und Europa zogen. Sie waren
verantwortlich für Sabotageakte, Morde und andere Formen des militärischen Terrorismus. Mit
besonderer Grausamkeit bekämpften sie Partisanen im Balkan und in Griechenland. Sie wurden
"geradezu als Spezialtruppe für den Partisanenkrieg begriffen" (Thomas Menzel, Die
Brandenburger, www.bundesarchiv.de).
Die Brandenburger waren auch in
Afghanistan, im Iran und in vielen Teilen Zentralasiens aktiv. Die Präsenz der
"Brandenburger" in Afghanistan diente vor allem zwei Zielen: Sabotageakte gegen sowjetische
Einrichtungen und Anheizen des Widerstands gegen die britische Kolonialmacht in Indien (also vor der
Gründung Pakistans). Es ging dabei in dieser auch damals schon geostrategisch wichtigen
Region darum, die militärischen Gegner zu schwächen und eigene Allianzen zu schmieden. Auch wenn
es glücklicherweise keine militärische Relevanz mehr erlangte so waren doch Pläne, wie die
Aufstellung einer "Legion freies Indien" bestehend aus Tausenden von indischen Deserteuren,
für die Umsetzung deutscher Großmachtansprüche.
Militärisch erfolgreicher waren
Anschläge gegen sowjetische Grenzposten, Eisenbahninfrastruktur und Kraftwerke. Auch britische
Infrastruktur fiel den terroristischen Kommandounternehmungen zum Opfer. Die Spezialisten der
Brandenburger, die all diese Aktivitäten unterstützten oder selbst durchführten, starteten
1941 die Operation Tiger. Dazu wurde eine Gesandtschaft nach Kabul abgeordnet um dort einen Stützpunkt
für die Abwehr einzurichten, der dann als Basis für geheimdienstliche Operationen gegen Britisch-
Indien dienen sollte. Um geheim agieren zu können, reisten die "Brandenburger" unter
falschen Angaben ein.
Der oben erwähnte Manfred
Oberdörfer reiste als Mitglied einer "Lepra-Studiengruppe" ein. Er trug damit, wie viele
seiner Kollegen, dazu bei, dass Kombattanten und Zivilisten nicht mehr unterscheidbar waren. Ein Problem,
dass es auch heute bei Einsätzen von (US-amerikanischen und anderen) Sondereinheiten in Afghanistan
gibt. Sie sind häufig in neutralen Geländefahrzeugen unterwegs und dadurch zumindest aus der
Entfernung nicht von Fahrzeugen der Hilfsorganisationen zu unterscheiden. Manfred Oberdörfer
überlebte seinen Einsatz nicht. Die Aktivitäten der "Brandenburger" konnten dennoch
Erfolge verzeichnen. Sie rekrutierten etwa weißgardistische Emigranten für Sabotageakte gegen die
Sowjetunion oder halfen bei der Ausbildung von Guerillatruppen im indisch-afghanischen Grenzgebiet.
Das Aufgabenprofil der Brandenburger damals und des KSK heute ist zwar nicht unbedingt vergleichbar, es
gibt aber Elemente, die Traditionslinien aus Sicht mancher Kommandosoldaten offensichtlich attraktiv
machen. Die Parole der Kommandosoldaten lautet: "Klagt nicht, kämpft!" Diese Haltung als
entschlossene und zähe Kämpfer ist ein wichtiger Teil der Identität der KSK-Soldaten. Die
Brandenburger waren hinter feindlichen Linien aktiv, heute redet man von Aktionen "in der Tiefe des
feindlichen Raumes".
Vergleichbare Aktivitäten damals wie
heute sind etwa das Ausspähen und die Durchführung von Operationen gegen feindliche Stellungen.
Das "Eindringen" in feindliches Territorium ist auch heute fester Bestandteil des Berufsbilds
eines Kommandosoldaten, z.B. durch Fallschirmsprung, über Gebirge oder über diverse maritime
Techniken, wie das Tauchen in feindlichen Häfen oder das Anlanden mit Schnellbooten.
Wenn ein Kommandosoldat "in der Tiefe
des feindlichen Raumes" unterwegs ist, um etwa herauszufinden, wo gekidnappte Kollegen versteckt
gehalten werden, dann ist jeder Zivilist, der den Soldaten dabei entdeckt, ein möglicher Gegner. Der
Kommandosoldat kann nie wissen, ob er einen einfachen Hirten getroffen hat oder es sich um jemanden
handelt, der zum organisierten Widerstand gehört. Aber selbst wenn es "nur" ein Hirte ist,
wird dieser wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt anderen Personen begegnen und diesen von seinem
Zusammentreffen mit den feindlichen Soldaten erzählen. Dadurch wäre der Auftrag des
Kommandosoldaten gefährdet.
Jeder Zivilist ist also ein potenzieller
Feind, wobei es dabei durchaus wahrscheinlich ist, dass ein solcher eliminiert wird. Dies findet
natürlich nicht in jedem Fall statt. Immer wieder werden Kommandounternehmen auch abgebrochen.
Kommandosoldaten beschließen durchaus immer wieder, ihre potenziellen Gegner nach einem sog.
"soft compromise" nicht zu eliminieren, sondern die Aktion abzubrechen. Ein "soft
compromise" ist die (vermutete) Entdeckung durch feindliche Kräfte, ein "hard
compromise" hingegen ein potenziell tödliches Gefecht mit den feindlichen Kräften. Dennoch
stehen die Soldaten regelmäßig im Zwiespalt zwischen erfolgreicher Durchführung ihrer
Operation und moralischen (und völkerrechtlichen) Erwägungen. Jenseits der Frage nach
individueller Schuld und Verantwortung stellt es ein gravierendes politisches Problem dar, wenn Soldaten
vor solche Entscheidungssituation gestellt werden.
Es gibt Berichte darüber, dass
innerhalb des KSK die Aktionen der Brandenburger kriegsgeschichtlich aufgearbeitet werden, um aus deren
Erfolgen und Niederlagen Schlussfolgerungen für eigene Taktiken ziehen zu können. Das spezielle
Traditionsbewusstsein mancher KSK-Soldaten führte gelegentlich auch zu offenen Skandalen. So brachten
KSK-Soldaten während der Vorbereitung auf den Afghanistaneinsatz in Masirah im Oman auf einem Jeep
Rommels Afrikapalme an. Dabei wurde lediglich das Hakenkreuz durch das Bundeswehremblem ersetzt der
Positivbezug auf die Wehrmachttradition war dennoch eindeutig.
Von 2000 bis 2003 war Reinhard Günzel
Kommandeur des KSK. Er wurde entlassen, da er einen Brief zur Unterstützung des CDU-Abgeordneten
Hohmann verfasst hatte, der in einer Rede "die Juden" als "Tätervolk" bezeichnet
hatte. Anfang 2007 veröffentlicht Günzel das Buch Geheime Krieger gemeinsam mit dem GSG9-
Gründer Ulrich Wegener und dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Wilhelm Walther. In diesem Buch
erläutert Günzel:
"Die Kommandosoldaten wissen genau, wo
ihre Wurzeln liegen ... Die Einsätze der Brandenburger ... gelten der Truppe geradezu als
legendär ... Das Selbstverständnis der deutschen Kommandotruppen hat sich seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht geändert." All das sind Äußerungen des Mannes, der drei Jahre Chef der
Kommandosoldaten in Calw war, genau während der Zeit, in der die ersten Afghanistaneinsätze und
auch die möglichen Übergriffe gegen Murat Kurnaz stattfanden.
Es gibt viele Hinweise darauf, dass diese
Einstellungen "Papa Günzels" (wie in vielen Kommandosoldaten anerkennend nannten) im KSK
bekannt waren und von einigen geteilt wurden. Da die Brandenburger nicht Teil der SS sondern Teil der
Wehrmacht waren, wurde auch an dem Mythos gearbeitet, dass dieser Truppenteil "kein Blut an den
Händen" gehabt hätte und deswegen ein positiver Bezug möglich sei. Es ist Aufgabe der
Bundeswehr dieses gefährliche Traditionsverständnis zu korrigieren.
Die Brandenburger waren direkt integriert in die Abwehr und hatten damit erklärtermaßen
nachrichtendienstliche Aufgaben. Aufgrund des Trennungsgebots zwischen Polizei, Militär und
Nachrichtendiensten ist diese direkte Kooperation heute nicht mehr möglich. Es gibt dennoch eine
Grauzone zwischen der Bundeswehr im Einsatz (besonders dem KSK) und den Nachrichtendiensten. Der
Arbeitsalltag der Eliteeinheit im Auslandseinsatz besteht häufig aus Aufklärung und
Informationsbeschaffung.
Ähnliche Aufgaben haben auch die
Nachrichtendienste. Im Jahr 2002 arbeitete etwa das KSK in Kandahar eng zusammen mit einem
Verbindungselement des ZNBw/ANBw (Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr; bis 2002 Amt für
Nachrichtenwesen der Bundeswehr), einem Bundeswehr internen quasi Nachrichtendienst, der Ende 2007 wegen
seiner strittigen rechtlichen Konstruktion aufgelöst werden musste. Die Mitarbeiter des ZNBw/ANBw
arbeiteten während ihres Einsatzes in Afghanistan meist mit den BND-Repräsentanten in den
gleichen Räumlichkeiten.
Wie sich die Zusammenarbeit der KSK-
Soldaten in den Jahren 20012003 in Afghanistan mit den Nachrichtendiensten gestaltete, wird nur noch
schwer nachvollziehbar sein, da durch die sog. Jasmin-Panne wesentliche Aufzeichnungen des Zentrums
für Nachrichtenwesen der Bundeswehr angeblich versehentlich zerstört wurden. Durch
Veröffentlichungen des DSO-Kommando-Soldaten Achim Wohlgethan (Endstation Kabul, 2008) wurde immerhin
dokumentiert, dass es 2002 in Afghanistan Kooperationen zwischen dem Militärischen Abschirmdienst
(MAD) und der Bundeswehr gab obwohl der MAD überhaupt erst seit 2004 im Ausland eingesetzt
werden durfte und das auch nur innerhalb von Bundeswehrliegenschaften. Von einer Trennung zwischen Armee
und Geheimdiensten kann wohl definitiv nicht die Rede sein.
Das Grab von Manfred Oberdörfer gibt
es heute noch, es wird regelmäßig gepflegt von Angehörigen der ISAF-Truppe und von KSK-
Soldaten. Je mehr in der Bundeswehr Krieg- und Besatzung zur Normalität wird, umso verlockender wird
es für deutsche Soldaten und auch manche ihrer Vorgesetzten, sich auf Traditionen früherer
Einsätze zu besinnen. Dieses gefährliche Wiederaufleben deutscher Militärtraditionen ist ein
wichtiger Grund für die Forderung nach einem sofortiger Abzug deutsche Truppen aus dem Auslandseinsatz
ganz besonders aber für die Auflösung des Kommandos Spezialkräfte. Militärische
Einsätze lösen keine Probleme sie sind selbst Teil des Problems.
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