SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 10

Nachlese:

Kritische Stimmen zum GDL-Streik

von THOMAS MEESE

Zum 31.Jour Fixe in Hamburg waren zwei Kollegen der Berliner GDL eingeladen, um über ihren Streik und seine Bewertung zu sprechen. Der Saal war mit 30—40 Interessierten voll besetzt.
Bislang hatte ich die GDL in der Presse lediglich vermittelt durch ihre Funktionäre (Chef Manfred Schell und Vize-Chef Claus Weselsky) wahr genommen. Und verglichen mit den üblichen DGB-Funktionärs-Attentisten waren diese Herren meine heimlichen (tarifpolitischen) „Helden” — nach dem Vortrag der Berliner Kollegen von der GDL-Basis sind sie‘s nun nicht mehr.
Zunächst hörten wir, wie die GDL innerhalb der Tarifgemeinschaft der Bahngewerkschaften (mit Transnet und GDBA) zunehmend ins Hintertreffen geraten und schließlich in 2003 ausgestiegen war. Sie nahm fortan nicht mehr an Tarifverhandlungen Teil und führte auch keine eigenen. In 2006 wurde die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag laut, die Zugbegleiter wurden mit ins Boot geholt und es war schnell klar, dass der zu führende Tarifkonflikt auch und zuerst ein Kampf um die Existenzberechtigung als Gewerkschaft überhaupt sein würde.
Die meisten Kollegen, die seit der Gründung der Deutsche Bahn AG realen Lohnverzicht hin nehmen mussten, seien allerdings erst wach geworden, als es um die Forderung nach einer spürbaren Lohnerhöhung ging. Dies hätte zu Neueintritten in die GDL und Übertritten aus den anderen Bahngewerkschaften geführt. So sei die Streikfront größer und größer geworden und die Urabstimmung hätte die Streikbereitschaft der Basis eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Allerdings sei die Streikleitung über weite Strecken sehr zögerlich und damit letztlich der Hinhaltetaktik des Bahnvorstands wahlverwandt gewesen. Die Informationspolitik sei schlecht gewesen und öffentlichkeitswirksame Aktionen der Kollegen seien von der GDL-Spitze zunächst unterdrückt worden. Die Unzufriedenheit an der Basis wuchs und schließlich haben die Kollegen es selbst in die Hand genommen, Kontakte mit der Presse her zu stellen und eine spontane Kundgebung ab zu halten.
Dieser entscheidende Schritt nach vorn, die eigenen Interessen offensiv zu vertreten, so ein Berliner Kollege, habe „den Leuten wirklich eine Befreiung gebracht” Es sei ein Ruck durch die Belegschaft gegangen, „jetzt können wir Flagge zeigen!” Bei der GDL-Leitung sei diese Eigenmächtigkeit allerdings auf Gegenwind gestoßen. Schon machten Titulierungen wie „Anarchisten”, „Radikale” und „Alleingänger”, die nicht in die offizielle Gewerkschaftspolitik passten, die Runde.
Die offizielle Linie der GDL ist es jedoch, die inzwischen bei einem wachsenden Teil der Basis auf Kritik stößt. „Lokführer und Zugbegleiter wurden benutzt”, so ein Berliner Kollege. Der Funktionärsriege sei es einzig und allein um die Eigenständigkeit und damit um den Erhalt der GDL gegangen. Sobald dies erreicht war, hätte man einen starken, bei der Basis vorhandenen, Willen zum Vollstreik „abgewürgt von oben” Während die Kollegen weiterhin für sofortige Arbeitszeitverkürzungen und eine Lohnerhöhung um 31% zu Arbeitskämpfen bereit gewesen seien, hätte es mit der Spitze „überhaupt keine Diskussion darüber, weiter zu kämpfen” gegeben.
Aus der ursprünglichen Forderung eines Einstiegsgehalts von 2500 Euro sind bescheidene 2020 Euro geworden und ein kritisches Hinterfragen des Abschlusses würde von der GDL-Leitung nicht gewünscht. Die Stimmung bei der Basis ist deshalb gedrückt. Nicht einmal eine 2.Urabstimmung zur Beendigung des Streiks wird es geben (eine solche ist nach den Statuten der DBB-Tarifunion, auf die Schell sich berufe, nicht erforderlich). Von einem „Verrat an den Mitarbeitern” war an diesem Abend im Curiohaus die Rede und davon, dass die „Zugbegleiter nur Verhandlungsmasse” gewesen seien, die an einem bestimmten Punkt zu opfern war. Das Vertrauen in die Funktionärsriege sei spürbar gesunken.
Für mich eine Augen öffnende Veranstaltung, die sehr deutlich gemacht hat, dass mit den Kollegen der GDL bei einer weniger attentistischen Gewerkschaftsleitung mehr zu erreichen gewesen wäre als eine „halbe” Eigenständigkeit, die weiterhin in das Gehäuse einer Kooperation mit der Tarifgemeinschaft gezwängt sein wird. Erfreulich, dass sich in Berlin inzwischen eine erstarkende Basisbewegung unter den GDL-Kollegen etabliert hat, die in Zukunft ein Auge darauf haben wird, dass bei Arbeitskämpfen auch tatsächlich die Interessen der Lohnarbeiter im Mittelpunkt stehen werden — und nicht die Interessen der leider anscheinend auch bei der GDL basisfernen Funktionäre.


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