SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 12

Nokia - Das Elend der Standortpolitik

Zu europäischer Solidarität sind die Gewerkschaften derzeit nicht in der Lage

von Jochen Gester

Am 28.Februar wird der Nokia-Aufsichtsrat in Helsinki zusammentreten. Nach dem Willen des Managements soll hier offiziell die Schließung des Bochumer Werks abgesegnet werden. Dem Betriebsrat wurde der Entschluss bereits bei seinem letzten Konzernbesuch in Helsinki Anfang Februar klar gemacht.
Kern der Politik des Betriebsrats und der Bochumer IG Metall war und ist es, den Konzernvorstand davon zu überzeugen, dass Bochum dem Unternehmen die gleiche, wenn nicht eine bessere Kapitalverwertung bieten kann als die ausländischen Standorte. Maßnahmen, die das Unternehmen unter Druck setzen, werden als kontraproduktiv gesehen. Schließlich glaubt man an eine konsensuale Lösung des Konflikts. Auf diesem Weg hat die Mehrheit im Nokia-BR der Unternehmensleitung in den vergangenen Monaten und Jahren nicht nur geistige, sondern auch viele geldwerte Argumente geliefert.
Seit vier Jahren habe man, so die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach, Kosten sparende Maßnahmen mitgemacht und mit dem Arbeitgeber an neuen Konzepten gearbeitet, die man jetzt vortragen möchte. Ein Ergebnis bisheriger kostensparender Maßnahmen ist u.a., dass die Zahl der im Betrieb tätigen Leiharbeiter auf 1000 gestiegen ist. Diese Arbeitnehmer zweiter Klasse wurden nach Auskunft von Betroffenen zwar als Vollzeitkräfte eingesetzt, erhielten jedoch Lohn nur für 110, in einigen Fällen sogar nur für 60 Stunden im Monat.
Bei der Effektivierung der Schichtarbeit sei Nokia Bochum Vorreiter gewesen, berichtet ein Betriebsrat. Eine Folge war, dass manche Mitarbeiter 13 Tage am Stück gearbeitet haben. Die Ausnahmegenehmigung für Sonntagsarbeit hat die Betriebsratsvorsitzende gleich selbst bei den verantwortlichen Behörden erwirkt. Zu einem Zeitpunkt, als die Schließung des Werks bereits beschlossene Sache war, wurden in Bochum noch Sonderschichten gefahren. Sicher wurden die Zugeständnisse im guten Glauben gemacht, keine Gründe zu liefern, das Werk dicht zu machen. Aber auch nach Bekanntgabe der beabsichtigten Werkschließung wurde auf dieser Linie weiter gearbeitet.

Hilfloses Co-Management

Der Nokia-BR hat Unternehmensberater errechnen lassen, dass Bochum bei einer Investition von 50 Millionen Euro in acht neue Produktionslinien günstiger arbeiten werde als das geplante rumänische Werk, auch wenn das nur bei drastisch verringerter Belegschaftsgröße machbar ist. Auf der IG-Metall-Nokia-Webseite findet sich ein Link auf einen Artikel im Manager-Magazin, der beweisen will, dass Nokia falsch rechnet.
Auch die Bochumer IG- Metall-Bevollmächtigte Ulrike Kleinebrahm offenbarte der Presse, es sei für sie überhaupt nicht nachvollziehbar, dass ein Unternehmen, das hier so viel Geld verdiene, den Standort schließt. So schwierig ist das jedoch nicht zu begreifen. Woanders lässt sich eben noch mehr Geld verdienen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich der Nokiavorstand bei der Berechnung seiner Renditen von der IG Metall keine Nachhilfestunden geben lassen wird. Auch wenn die neoliberalen Manager vieles nicht begreifen — sie gerade in ihrem „Kerngeschäft” belehren zu wollen, wirkt schon lächerlich.
7,2 Milliarden Euro Gewinn hat Nokia 2007 gemacht. Die deutsche Nokia hatte daran einen Anteil von 246 Millionen Euro. Die Kapitalrendite stieg insgesamt um stolze 67%. Doch in Rumänien locken Löhne, die ein Zehntel der deutschen Verdienste ausmachen, und das auch bei den anzusiedelnden Zulieferern. Der Konzern soll dort 30 Jahre lang von der Grundsteuer befreit werden. Für die Entwicklung Rumäniens bringt seine Ansiedlung kaum einen Vorteil: Den neuen Beschäftigten soll weniger als die Hälfte des dort erreichten Nettodurchschnittslohns gezahlt werden. Deshalb ist ihnen auch verboten worden, darüber mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Gewerkschaften sind unerwünscht.

Eklat im Euro-Betriebsrat

Viel sinnvoller als dieses hilflose Co-Management wäre es, öffentlich darüber zu reden, wer bei der Kalkulation des Nokiakonzerns und anderer, auch deutscher, Unternehmen Kasse macht, und wer dafür aufkommen muss. Erste Adresse dieser Öffentlichkeitsarbeit von unten sind die verschiedenen Belegschaften in den Standorten des Konzerns selbst. Gelänge es, die Belegschaften zumindest der wichtigsten europäischen Standorte zu einer gemeinsamen Aktion gegen die drohende Werksschließung zu bewegen, wäre das ein wichtiger Schritt vorwärts. Doch danach sieht es nicht aus.
Das Treffen des Euro- Betriebsrats von Nokia am 30.Januar in Brüssel endete mit einem Eklat. Die Vertreter des Bochumer Betriebsrats verließen die Sitzung vorzeitig, nachdem die finnische Delegation dort um Verständnis für die Schließung des deutschen Werks geworben hatte. Ins gleiche Horn blies auch Sture Fjäder, Chefunterhändler der finnischen Gewerkschaft Akava für Beschäftigte mit höherer Bildung, die auch einen Teil der Nokia—Belegschaft vertritt. In einem Spiegel-Interview erklärte Fjäder, der Umzug in „billigere Länder” sei eine ökonomische Notwendigkeit. Gewerkschaften sollten sich nicht in die Geschäftspolitik einmischen. Sie könnten höchstens dafür sorgen, dass Schließungen so rücksichtsvoll wie möglich abliefen.
Doch die deutschen Belegschaftsvertreter dürfen sich über diese Solidaritätsverweigerung nicht übermäßig ereifern. Schließlich ließ es sie in der Vergangenheit auch kalt, wenn andere europäische Nokia-Standorte dichtgemacht wurden. Es zeigt sich daran nur, dass Beschäftigte einen hohen Preis zahlen, wenn Gewerkschaften im Unterbietungswettbewerb der Konzerne aktiv mitmachen: sie werden unfähig gemeinsam zu handeln.
Noch vor der Sitzung hatte der Generalsekretär des Europäischen Metallarbeiterbunds, Peter Scherrer, über die Möglichkeit punktueller Streiks gesprochen. Diese Option ist nach dem 30.Januar wohl begraben. Geeinigt hat man sich auf eine gemeinsame Erklärung gegen die Schließung, gegen „die Art und Weise der Ankündigung der Schließung des Bochumer Werks” und für „schnellstmögliche konstruktive Gespräche mit dem Nokia- Management” Dazu erklärte der Vorsitzende des Euro-BR von Nokia, Mika Paukkeri: „Die Ankündigung der Schließung des deutschen Werks ist derzeit ein deutsches Problem.” Vom geplanten europäischen Aktionstag wurde Abstand genommen. Lediglich auf eine außerordentliche Sitzung des europäischen Gesamtbetriebsrats wollte man sich einigen.
So wenig wirksame Aktionen auf europäischer Ebene zu erwarten sind, so wenig sind solche bis jetzt in Bochum selbst zu erkennen. In einem Bericht des Berliner Tagesspiegels gab die BR- Vorsitzende Gisela Achenbach Auskunft auf die Frage, was zu erwarten ist, wenn es bei der geplanten Schließung bleibt. Antwort: „Es gibt keinen Streik, aber Aktionen und Informationsveranstaltungen.” Bleibt es bei dieser wenig beeindruckenden Drohkulisse, wird man sich nach dem 28.Februar wohl nur noch um die Höhe der Abfindungen im Sozialplan und die Zeitdauer des Verbleibs in Transfergesellschaften unterhalten können.

Alternativen

In welche Richtung ließen sich Alternativen entwickeln? Auch wenn ein gemeinsames Handeln der west- und nordeuropäischen Nokia-Standorte gegenwärtig blockiert scheint und eine direkte Unterstützung von den Gewerkschaften der südosteuropäischen Länder aktuell nicht erwartet werden kann, muss man sich doch nicht den vermeintlichen Zwängen der neoliberalen Globalisierung beugen. Von Entlassung betroffene Belegschaften können bei der Bevölkerung ihres Landes um Unterstützung werben. Alle Umfragen der letzten Monate dokumentieren, dass in der Bundesrepublik die Kritik und der Zorn über das maßlose und verantwortungslose Verhalten der Konzerne groß ist und Widerstand dagegen populär wird.
Dies war die Erfahrung auf dem Marsch der Solidarität der Berliner BSH-Belegschaft, und das wurde auch beim Streik der Lokführer wieder sichtbar. Statt nationalistische Töne anzuschlagen, wie dies beim AEG-Streik mit der Losung „AEG ist Deutschland” versucht wurde, und wie es der DGB-Vorsitzende Schneider in NRW gerade wieder praktiziert (O-Ton: „Wir sind keine Bananenrepublik — bei uns herrschen Ethik und Moral"), sollten Gewerkschaften die Verantwortungslosigkeit „der Wirtschaft” gegenüber den Produzenten und der Gesellschaft insgesamt zum Thema machen.
Auch dem IG-Metall- Vorstand scheinen solche Gedanken nicht fremd. So hat Bertold Huber Anfang Februar in einem Interview erklärt: „Wir müssen die ganze Shareholder-Philosophie in Frage stellen. Bis hin zu den Gehältern der Manager und deren Orientierung auf Profit und Aktienoptionen. Ein Unternehmen hat — übrigens auch nach dem Grundgesetz — Pflichten gegenüber der Bevölkerung und den Menschen, die im Unternehmen beschäftigt sind."
Doch welche Konsequenzen werden aus dieser Einsicht gezogen? Wäre es nicht an der Zeit, die Kritik am Shareholder-Kapitalismus und das Eintreten für eine Ökonomie mit gesellschaftlicher Verantwortung durch eine Besetzung des Bochumer Nokia-Werks zum öffentlichen Thema zu machen? Die dadurch losgetretene Diskussion enthielte auf jeden Fall mehr Druckpotenzial als sämtliche Gesprächsrunden zwischen Vorstandsvertretern und Bundes- und Landespolitik. Das Schrecken erregende Faustpfand der NRW-Landesregierung, die Forderung auf Rückzahlung von 41 Millionen Euro wegen nicht erfüllter Auflagen — ohnehin noch völlig offen — enthält ein solches sicher nicht. 41 Millionen Euro sind gerade 1 Promille des Konzernumsatzes, ein halbes Prozent des letztjährigen Gewinns. Mit beißendem Spott heißt es deshalb auch in der Süddeutschen Zeitung: „Das Land will die Daumenschrauben so weit anziehen, bis der Konzern mit zittriger Hand einlenkt."
Derweil wartet der IG- Metall-Vorstand auf das Einlenken aus Finnland. Vorstandsmitglied Jürgen Ulber: „Ich hoffe weiter, dass wir noch vor dem 28.2. Signale aus Helsinki bekommen, dass man bereit ist, konsensual, im Dialog diesen Konflikt anzugehen.” Das erinnert stark an das berühmte „Warten auf Godot” Bleibt die IG Metall bei dieser Orientierung, kann sie nur noch den Konkursverwalter begrüßen und ihm eine frustrierte Belegschaft übergeben.


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