SoZ - Sozialistische Zeitung |
Polen, Irland und Malta sind die letzten Länder
Europas, in denen ein Schwangerschaftsabbruch noch verboten ist mit
verheerenden Folgen für die Frauen und ohne erkennbar positive Auswirkungen auf
das Bevölkerungswachstum. Dass es hauptsächlich darum geht, Frauen zu
knechten, zeigt der nachstehende Bericht.
Zu der Vielzahl von
Gesetzen, die tagtäglich in Polen von den Institutionen, die eigentlich
dafür da wären, ihre Beachtung zu überprüfen, nicht eingehalten
werden, gehört vor allen Dingen das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch
von 1993. Über viele Jahre hat die katholische Kirche in unzähligen
Regierungen alles dafür getan dass diejenigen, die für die Einhaltung dieses
Gesetzes sorgen müssten, es nicht kennen, damit die Frauen in Unwissenheit
über ihre Rechte gehalten werden und nicht darauf pochen können.
Wie sieht das Gesetz
aus? Es trifft nur Frauen und Mädchen, die kein Geld haben. Eine Frau, die ihre
Garage mit einer Fernbedienung öffnet, wird natürlich nicht vergewaltigt
aber dafür eine, die nachts zu Fuß von der Arbeit zurückkehrt. Wenn sie
bei der Polizei oder im Krankenhaus eine Vergewaltigung anzeigt, bekommt sie keine
„Pille danach” Für einen Schwangerschaftsabbruch hat sie kein Geld,
und sie bekommt auch vom Staatsanwalt innerhalb der für einen Abbruch
vorgesehenen Frist keine Bescheinigung über die Vergewaltigung.
Im Allgemeinen wissen
die Polen, dass das bestehende Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch in drei
Fällen gestattet:
wenn die
Schwangerschaft Leben und Gesundheit der Mutter gefährdet;
wenn schwere und
irreversible Schäden an der Frucht sehr wahrscheinlich sind bzw. eine unheilbare
Krankheit ihr Leben bedroht;
wenn die
Schwangerschaft die Folge eines Verbrechens ist (Vergewaltigung, Inzest,
Minderjährigkeit).
Andererseits herrscht
in Polen aber die irrige Auffassung, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur bis zur
12.Schwangerschaftswoche erlaubt sei. Das gilt allerdings nur für
Schwangerschaften infolge eines Verbrechens. Eben diese Bedingung ist ein Skandal.
Nehmen wir zum Beispiel eine 14-Jährige, die womöglich in den ersten
zwölf Wochen gar nicht auf die Idee kommt, sie könnte schwanger sein. Jahr
für Jahr gibt es in Polen 12-jährige Mädchen, die gezwungen sind,
Kinder zu gebären. Dabei gilt laut Gesetz jede Schwangerschaft einer unter 15-
Jährigen als Verbrechen, sogar dann wenn der Geschlechtsakt ohne Gewalt vollzogen
wurde.
In der Praxis weigern
sich Staatsanwälte auch dann, Frauen eine Bescheinigung für den Arzt
auszustellen, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass die Schwangerschaft
durch eine verbrecherische Handlung entstanden ist. Das Gesetz sieht aber vor, dass
eine Schwangerschaft, die durch ein Verbrechen verursacht wurde, in einer Privatpraxis
unterbrochen werden darf welch ein Hohn! Schließlich sind es zumeist
Frauen ohne Geld, die den Verbrechern zu Opfer fallen.
In den beiden erstgenannten Fällen kann die Schwangerschaft kostenlos in einer
Klinik abgebrochen werden.
Im Fall einer
Gefährdung von Leben und Gesundheit der schwangeren Frau sieht das Gesetz keine
Zeitbegrenzung für einen Schwangerschaftsabbruch vor. Das ist logisch, kann doch
diese Gefahr zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft auftreten, ja sogar während
der Geburt. Allerdings wird diese Vorschrift in Polen nicht eingehalten.
In der
Öffentlichkeit wurde der Fall von Alicja Tysic bekannt. Für sie bestand die
Gefahr blind zu werden, die Schwangerschaft hätte aus therapeutischen
Gründen abgebrochen werden müssen. Viele Jahre kämpfte sie ergebnislos
vor polnischen Gerichten; erst der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg sprach ihr eine Entschädigung durch den
polnischen Staat zu. Ich fragte Alicja, ob sie wusste, dass sie das Recht hatte, die
Schwangerschaft zu jedem Zeitpunkt abzubrechen. Sie wusste es nicht. Sie war
überzeugt davon, dass ihr nach dem 12.Schwangerschaftsmonat kein Arzt eine
Bescheinigung ausstellen würde. Niemand hat sie über ihre Rechte
aufgeklärt. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte Alicja
um ihre Rechte gewusst? Der Europäische Gerichtshof hat dem polnischen Staat
bescheinigt, das Gesetz zuungunsten von Alicja gebrochen zu haben. Vor allem, weil es
keine Möglichkeiten gibt im Fall einer Verweigerung des Schwangerschaftsabbruchs
Einspruch zu erheben.
Gesundheitsgefährdend können auch psychische Probleme sein. Es besteht kein
Zweifel, dass eine tragische persönliche Situation fehlendes Einkommen,
fehlende Wohnung, Verlassen durch den Partner u.ä. zu Depressionen und
Verzweiflung führen kann. Dem Gesetz nach muss der Arzt in solchen Situationen
entscheiden, ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird. Leider kümmern sich die
Ärzte in Polen nicht um den psychischen Zustand dieser Frauen. Wegen dem Druck
der Kirche verweigern sie sogar vergewaltigten Frauen den Schwangerschaftsabbruch,
obgleich diese dadurch immer in eine psychische Krise geraten. Im Allgemeinen berufen
sie sich auf ihre Gewissensfreiheit. Jedoch ist dieses Gewissen offenbar recht
elastisch, haben sie doch kein Problem, bei derselben Frau die Schwangerschaft in
ihrer Privatpraxis abzubrechen gegen Geld, versteht sich.
Im Fall einer Schädigung der Frucht schreibt das Gesetz ebenfalls keine Frist
für den Abbruch vor. Es beschreibt nur sehr ungenau, dass ein Abbruch bis zum
Zeitpunkt der selbständigen Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes
möglich ist. Man geht davon aus, dass dies in der 22.Schwangerschaftswoche der
Fall ist. Wenn die Frucht Anzeichen aufweist, dass ein selbständiges Leben
außerhalb des Mutterleibes nicht möglich ist, kann die Frau sich jederzeit
für einen Abbruch entscheiden. Dabei reicht schon die große
Wahrscheinlichkeit einer Entwicklungsstörung oder eines genetischen Defekts
es bedarf keiner absoluten Gewissheit.
Leider wird auch hier
das Gesetz nicht eingehalten. Die geschätzte Zahl der pränatalen
Untersuchungen welche die Kirche missbilligt ergibt, dass in Polen im
Vergleich zu anderen Ländern relativ mehr Kinder mit physischen und psychischen
Schäden geboren werden. EU-Untersuchungen zufolge sind es viermal so viele. Dabei
werden in Polen 19 mal weniger pränatale Untersuchungen durchgeführt als im
benachbarten Tschechien.
Trotz alledem sind
polnische katholische Fundamentalisten der Auffassung, dass das Gesetz die Rechte oder
gar die Würde des Ungeborenen nicht ausreichend schützt. Sie fordern, den
Schutz des Lebens von der Zeugung an in die Verfassung, aufzunehmen. Proteste haben
dies bisher verhindert. Vor kurzem ging auch der Beauftragte für
Bürgerrechte mit einem ähnlichen Vorschlag an die Öffentlichkeit. Er
möchte das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch vor dem
Verfassungsgericht anfechten, weil es seiner Auffassung nach das ungeborene Leben
nicht ausreichend schützt. Wir haben also einen Beauftragten für
Bürgerrechte, der den Schutz des Lebens und der Gesundheit bei Ungeborenen, nicht
aber bei Frauen für schützenswert hält. In allen zivilisierten
Ländern ist es umgekehrt: Der Schutz von Leben und Gesundheit der Frau
genießt Vorrang gegenüber dem Recht des Ungeborenen, und das bis zum
Zeitpunkt der Geburt.
Es fehlt in Polen an
sachlich kompetenter Sexualaufklärung, von Verhütungsmitteln wird
unzureichend Gebrauch gemacht die Kirche verbietet sie, und für
Mädchen und Frauen aus ärmeren Familien sind sie teuer. Dies hat zur Folge,
dass jährlich offiziell etwa 200000 Schwangerschaften illegal abgebrochen werden.
Bei einer Bevölkerung von 38 Millionen ist das lachhaft. Es ist aber auch das
beste Beispiel dafür, dass das Recht nicht eingehalten wird. Der
Schwangerschaftsabbruch wird zumeist „pharmazeutisch” praktiziert, d.h.
über das Internet werden die entsprechenden Medikamente besorgt und ohne
ärztliche Aufsicht eingenommen. Das ist eine zusätzliche Gefahr, denn im
Internet sind auch Betrüger am Werk. In den Arztpraxen verwendet man die
veraltete Methode der Ausschabung, weil sich eine Vakuumpumpe bei einer
Polizeikontrolle leichter identifizieren ließe. Auch das gefährdet die
Gesundheit der Frauen.
Der Fall von Alicja
Tysic hat zu einer Prozesswelle geführt. Frauen, denen ein
Schwangerschaftsabbruch abgelehnt worden war, obwohl die Voraussetzungen gegeben
waren, haben Klage auf Schadensersatz geführt. Vielleicht zwingt dies das
medizinische Personal in staatlichen Kliniken zu einer Änderung seines
Verhaltens.
Das Gesetz sollte sich gegen einen Rückgang des Bevölkerungswachstums
richten. Dieses Ziel hat es verfehlt, Polinnen bringen EU-weit die wenigsten Kinder
zur Welt. Zu Anfang dieses Jahrtausends gab es sogar vier Jahre hintereinander mehr
Todesfälle als Geburten; erst 2006 gab es wieder ein Plus von 6000 Personen. Die
Tendenz hielt auch 2007 an.
Dies haben wir dem
Bevölkerungswachstum der 80er Jahre zu verdanken. Aber hier spielte wohl auch das
Geburtengeld von 2000 Zloty (etwa 570 Euro) eine Rolle seine Auswirkungen sind
allerdings abschreckend. Zwar hören wir nichts mehr von Babys, die im Müll
landen, dafür werden Neugeborene oft in den Kliniken zurückgelassen. Es gibt
die 2000 Zloty nämlich nur für die Geburt. So gibt es einen Geburtenanstieg
unter den Randschichten der Gesellschaft. Dort wird die Geburtenbeihilfe als
„Schnapsgeld” bezeichnet. Bei einem Neugeborenen wurde schon einmal ein
Alkoholpegel von 2‰ gemessen also an der Grenze von Leben und Tod. Wenn diese
Neugeborenen überleben, tragen sie einen lebenslangen Gehirnschaden davon. Darauf
wurde schon vor der Verabschiedung des Gesetzes hingewiesen, aber die Abgeordneten
stellten sich taub. Sie interessierten sich nicht für die tragischen Folgen des
Geburtengelds der Kaczynski-Regierung. Die Verantwortungslosigkeit für das
Schicksal des Landes ist grenzenlos.
Die
Öffentlichkeit ist über diese Dinge nicht informiert, Statistiken werden
nicht geführt. Bekannt ist nur, dass trotz einer geringen Geburtenrate die Anzahl
der Kinder in staatlichen Kinderheimen nicht geringer wird und auf einem Niveau von
25000 verharrt. Diese Kinder haben alle Eltern! Und die Kirche? Je mehr Unwissenheit,
Armut und menschliches Leid, umso mehr Menschen strömen in die Kirche.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |