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"Dies ist kein
Geschichtsbuch. Es ist das, was in meinem Gedächtnis auftaucht, wenn ich den
zweifelnden Blick der Menschen um mich herum auffange: Warum bist du Kommunistin
gewesen? Warum sagst du, du bist es noch? Was meinst du damit?” So beginnt die
Lebensgeschichte, die Rossana Rossanda, die 1943 in die italienische KP (PCI)
eingetreten ist. Das macht neugierig, in einer Zeit, in der sich in Deutschland die
„68er” nicht nur gegenseitig, sondern auch selbst beschimpfen. Ich
musste das Buch von Deckel zu Deckel lesen. Und es war die Zeit wert.
Rossana Rossanda
führt die Selbstbefragung in einer klaren Sprache. Die kämpferische Frau
des italienischen Kommunismus schreibt damit zugleich ein Stück Geschichte. Aus
mancherlei Zweifeln, die dabei auftauchen, macht sie keinen Hehl. Hatte sie doch
seit 1969 keine Partei und keine Ämter mehr, nur die Zeitung Il Manifesto, der
sie treu blieb, die ihr aber nicht mehr gehörte.
Die Tochter des
20.Jahrhunderts wurde am 23.April 1924 in Pula auf Istrien geborgen, damals
gehörte es zu Italien. Als Tochter aus gutem Hause studierte sie
Kunstgeschichte und Philosophie. Auch nachdem ihre Familie in der
Weltwirtschaftskrise den Ruin erlitten hatte, wusste sie sich in der Welt so zu
bewegen, „wie es sich gehört."
Durch ihren Lehrer
Antonio Banfi kam sie mit Antifaschisten in Kontakt und nahm an Partisanenaktionen
der Resistenza teil. Sie sah die Körper der auf den Plätzen erhängten
Genossen, und was sie sah, das ließ sie nicht mehr los.
Mit ihrem Eintritt
in die PCI 1943 entschied sie sich dafür, das „eigene Land an die Wand zu
stellen” Es waren für sie die Kommunisten, die die Zuverlässigkeit
des Widerstandnetzes am ehesten garantierten. Schließlich wirkten sie im
Nationalen Befreiungskomitee am entschlossensten.
Der Krieg,
„der auch zwischen den Menschen selbst getobt hatte”, konnte nicht
einfach „zu einer bestimmten Stunde vorbei” sein, das stellte ich bald
heraus. Nach „Kriegsende” sie war nun 21 Jahre alt blieb
sie Kommunistin weil „Faschisten und Bosse” nicht auf ihrer Generation
herumtrampeln sollten und ein weiterer Krieg niemals und nirgends wieder stattfinden
sollte. Nach kurzer Zeit wurde sie zur Verantwortlichen für die Kulturpolitik
der PCI ernannt, 1959 in das ZK aufgenommen und ging ab 1963 als Abgeordnete ins
Parlament nach Rom.
Für sie war die
PCI nicht die Partei Lenins, sondern ein soziales Netz, das den Alltag mitgestaltete
und eine Orientierung und einen Halt inmitten einer feindseligen Gesellschaft bot.
Als sie 1949 zum ersten Mal nach Moskau reiste, ging sie ohne Illusionen auf die
Reise, versprach sich nicht das Paradies auf Erden, war aber froh, dass sie keine
Hölle vorfand.
Auch nach der sowjetischen Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 kehrte
sie der Partei nicht den Rücken, wenn die Zeit der Unschuld mit dem
XX.Parteitag der KPdSU 1956 auch vorbei war. Klare Maßstäbe für die
Ungeheuerlichkeiten entwickelte sie damals nicht. Das Erbe der Resistenza wirkte als
bindendes Glied und ließ sie mehr als ein Auge zudrücken. Noch bis in die
60er Jahre glaubte sie daran, dass die Partei die Speerspitze der Kämpfe um
Verbesserung und Verteidigung von sozialen Rechten sei.
Dennoch waren
Konflikte mit der PCI unvermeidlich. Es war deren unentschiedene Haltung
gegenüber Moskau und die reformistische Politik, die zum Bruch führten.
Gemeinsam mit anderen Linksabweichlern trug sie die Duldung des militärischen
Vorgehens der Sowjetunion gegen den „Prager Frühling” nicht mit. In
den Streiks und den studentischen Protesten sah sie keinesfalls nur
„Provokateure” und „Extremisten”, wie die PCI-Führung
das wollte, sondern durchaus Akteure sozialer Proteste.
Die immer
größer werdende Kluft beschreibt Rossana Rossanda so: „Wir
verlangten ein Recht auf Bildung, sie verwarfen die Schule als Instrument der
Anpassung, wir verlangten ein Recht auf Arbeit, sie wollten das Ende der Lohnarbeit,
wir verlangten Verteilungsgerechtigkeit, ihnen war der Konsum
gleichgültig."
Der PCI war eine
Bewegung, die sich gegen das „Fortschrittsdenken” richtete, suspekt.
Ausgeschlossen wurde Rossanda endgültig, als sie 1969 mit gleichgesinnten
Mitgliedern Il Manifesto gründete. Rossanda ermöglichte die Gründung
einer eigenen Zeitung, an vorderster Front politisch aktiv zu bleiben. Zu dem
Dialog, den sie erhoffte, indem die Ideen der 68er und die Weisheit der alten Linken
verbunden werden sollten, kam es nicht, weil die von der Partei ausgeschlossenen
Linken für die neuen Bewegungen zu vorsichtig und zu rational waren.
1953 empfand sie es
noch als Gemeinheit, dass man nach den Wahlen 1953 versuchte, sie „zu den
Frauen abzuschieben”, indem man sie als PCI-Delegierte zum internationalen
Frauenkongress schickte. „Diese militanten Frauen” langweilten sie zudem
unendlich, und sie wandte sich nach der Rückkehr „wieder schnell der
nicht geschlechtsspezifischen Politik” zu, schreibt sie in ihrem Buch.
Vergeblich sucht man
nach einer Erklärung, was denn „nicht geschlechtsspezifische
Politik” sein könnte, oder warum sie später vielleicht anders
gedacht hat. Schließlich hat sie sich ein Leben lang mit der Emanzipation der
Unterdrückten, auch der Frauen, und dem Feminismus auseinandergesetzt.
Auch in dem Buch
beschreibt sie das Gespaltensein von Frauen zwischen Familienmodell, innerer Aufruhr
und Außenwelt „zwischen dem Leben als Frau und dem als
Person” Und sie vergisst nicht zu vermerken, dass es der Feminismus war, der
die Einheit gebracht, zumindest versucht hat. Das politische Lebensprojekt der
Rossanda hat stets versucht, das Private mit dem Politischen zu verbinden, wenn es
auch nicht ohne Widersprüche war.
1971 machte Rossana Rossanda aus der intellektuellen Monatszeitschrift eine
unabhängige kommunistische Tageszeitung, deren politische Linie sie jahrelang
mitprägte und die heute noch existiert. Der Wunsch nach neuer
Parteizugehörigkeit, den sie 1976 mit der Gründung einer neuen politischen
Partei aus der Gruppe um Il Manifesto gemeinsam mit anderen kleineren Gruppen der
Linken zu erfüllen versuchte, realisierte sich nicht.
Nach einer
vernichtenden Wahlniederlage zog sie sich aus der Leitung der linken Tageszeitung
sowie aus der aktiven Politik zurück und widmete sich fortan dem
journalistischen und literarischen Schreiben.
Aber das gehört
schon in ein anderes Buch, das noch geschrieben werden sollte. Den Schwerpunkt der
vorliegenden Autobiografie bildet die Rückschau der über 80-Jährigen
auf ihre Jugendjahre bis zu ihrem Parteiausschluss 1969. Seit etwa zwanzig Jahren
sei sie mit ihrer politischen Tätigkeit gescheitert, schreibt sie. Wie es zu
diesem harten Urteil kam, das sie zwar relativiert, indem sie schreibt:
„gemessen an meiner Lebenszeit ist das nicht viel”, bleibt daher unklar.
Das was sie erreichen wollte, musste, wenn es funktionieren sollte, das Werk vieler
sein, „und wenn sich nicht viele beteiligten, dann heißt das, dass es
nicht funktioniert hat”
Wie soll die Welt
verändert werden, wenn die Massen nicht mitmachen? Die Erkenntnis bildet den
Stoff, aus dem die Kompromisse gemacht werden; oder aus denen sich das Scheitern
speist. Für Rossanda hat „die Sache des Kommunismus und der Kommunisten
im 20.Jahrhundert kläglich geendet”, daraus schließt sie, dass man
sich unbedingt mit ihr auseinandersetzten muss. Das hat sie mit Leidenschaft getan,
denn „ohne Leidenschaft gibt es kein Leben”
Mit dieser Arbeit
gibt Rossanda auch Einblicke in das Innenleben der PCI. Sie nennt viele Namen und
beschreibt die taktischen Manöver des „trägen, intriganten,
männerdominierten Machtapparats” Sie erzählt auch von Gelegenheiten,
in denen sie sich selbst schuldig machte oder die ihr noch Jahrzehnte später
peinlich sind. Vor allem und trotz alledem will sie uns Mut machen, uns weiter
einzumischen.
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