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Lateinamerika befindet sich in einem umfassenden
politischen Wandel. In vielen Ländern des Subkontinents sind nach einer langen
Phase neoliberaler Hegemonie und US-amerikanischer Dominanz in den letzten Jahren
Regierungen gewählt worden, die eine linke Politik zumindest proklamieren und
die ihre Wurzeln nicht im traditionellen Parteienspektrum, sondern in sozialen
Bewegungen haben.In ihrem Buch über Lateinamerika stellen Herbert Berger und
Leo Gabriel die zentrale These auf, dass es sich hierbei nicht um eine kurzfristige
Konjunktur, sondern um eine historisch tief greifende strukturelle Veränderung
handelt.
Dieser historischen
Dimension aktueller lateinamerikanischer Politik gehen die Autorinnen und Autoren
dabei in sechs Länderberichten nach.
Herbert Berger
liefert einen gut strukturierten Überblick über die politische Entwicklung
Chiles seit 1970. Er zeigt u.a. auf, dass die Basisbewegungen zwar die Hauptlast im
Kampf gegen die Pinochetdiktatur trugen, dann aber in der Zeit der
Scheindemokratisierung ab 1990 zunehmend von politischen Parteien verdrängt
wurden. Trotzdem ist der Autor optimistisch, denn die sozialen Spannungen im
neoliberalen Musterland Chile ließen die sozialen Bewegungen zunehmend wieder
an Bedeutung gewinnen.
Viktor Sukups
Beitrag über Argentinien skizziert noch einmal die Entwicklung vom
wirtschaftlichen Kollaps des Landes 2001 mit der Herausbildung der Bewegung der
Piqueteros bis zur linksperonistischen Regierung Nestor Kirchners. Unter Kirchner,
so der Autor, sei Argentinien dabei zu einem relativ selbstständigen
politischen Akteur aufgestiegen, was sich in der zunehmenden wirtschaftlichen
Orientierung auf den Mercosur und die Länder Ostasiens manifestiere.
Der Brasilienbeitrag
von Bernhard Leubolt konzentriert sich auf die Entwicklung der Arbeiterpartei (PT)
bis 2002 und die Analyse der Politik der Lula-Regierung. Soziale Bewegungen wie die
der Landlosen oder der Gewerkschaften kommen dabei allerdings etwas zu kurz.
Ein ähnliches
Problem ergibt sich im Beitrag von Birgit Zehetmayer zu Venezuela, die die Person
Chávez ins Zentrum stellt, andererseits aber gewerkschaftliche Bewegungen z.B.
fast gar nicht erwähnt.
Ein ongoing process
ist nach Robert Lessmann die Entwicklung Boliviens nach dem Erdrutschsieg von Evo
Morales bei den Präsidentschaftswahlen 2005. Zwar sei im ärmsten Land
Südamerikas nun die soziale Bewegung an der Macht, doch seien die
Herausforderungen immens (enorme soziale Ungleichheit, Autonomieforderungen,
Rohstoffsouveränität, Landreform) und die Regierung neige zu pragmatischen
Ad-hoc-Maßnahmen. Dennoch bedeute der Aufstieg von Unterprivilegierten und
Indígenas in die Regierung tatsächlich so etwas wie eine Revolution.
In Mexiko
schließlich ist es seit den Wahlen von 2006, die von der Rechten gewonnen
wurden, zum Aufbau einer wirklichen Gegengesellschaft gekommen. Gilbert López y
Rivas und Luís Hernández Navarro gelingt es in ihrem Beitrag, ein
spannendes Bild der hieran beteiligten Bewegungen zu vermitteln.
Ergänzt werden
die Länderberichte durch Kapitel zu drei zentralen Prinzipien der neuen
sozialen Bewegungen in Lateinamerika: Solidarökonomie, pluriethnische Autonomie
und partizipative Demokratie.
Ingesamt bietet der
Band einen kenntnisreichen und historisch fundierten Überblick über die
aktuellen Entwicklungen der Region. Eine in manchen Beiträgen etwas zu sehr auf
die „offizielle Politik” verengte Perspektive stört dabei nur
wenig.
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