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"Es ist möglich: Wir produzieren, wir verkaufen, wir
werden bezahlt!” Unter diesem Motto nahmen die Arbeiterinnen und Arbeiter im
Juni 1973 die Produktion in der Uhrenfabrik LIP in Besançon im Nordosten Frankreichs
in die eigenen Hände. Sie besetzten den Betrieb, wählten eine Leitung, die
von regelmäßig tagenden Vollversammlungen kontrolliert wurde und
produzierten in eigener Regie.
Seit der Bewegung in
Argentinien 2001 hat die Idee der Arbeiterselbstverwaltung wieder etwas mehr an
Aktualität gewonnen. Dadurch haben sich vielleicht auch die Macher des Films
Les LIP oder die Macht der Phantasie inspirieren lassen. Hinzu kommt, dass sich das
Experiment LIP in diesem Jahr zum 35.Mal jährt.
Ursprünglich
ein Familienunternehmen fiel LIP 1973 an das Schweizer Unternehmen Ebauches. Die
entließen zunächst 1300 Arbeiterinnen und Arbeiter und wollten die Fabrik
dann ganz schließen. Dagegen wehrten sich die Arbeiter, besetzten die Fabrik
und nahmen einige leitende Angestellte als Geiseln. Als die nach kurzer Zeit von der
Polizei befreit wurden, nahmen die Beschäftigten die Uhren als
„Geiseln”, die an einem geheim gehaltenen Ort versteckt wurden. Nach
mehreren Monaten wurde die Fabrik dann sogar vom Militär besetzt, was zu
Solidaritätsstreiks und Demonstrationen führte.
Als das Militär
im April 1974 abzog, hatten die Gewerkschaften CGT und CFDT ausgehandelt, dass die
Selbstverwaltung in der Fabrik unter dem Dach des Konzerns BSN weiter bestehen
sollte. Claude Neuschwander, ein Mitglied der linkssozialistischen PSU (Parti
Socialiste Unifié), wurde als Manager eingesetzt. 1976 wurde das Experiment
durch eine politische Entscheidung der rechtsliberalen Regierung Giscard
dEstaing/Chirac beendet, die u.a. alle Staatsaufträge an LIP
zurückzog. Nach weiteren Konflikten existierten kleinere Kooperativen bis 1990,
die Uhrenproduktion von LIP wird heute wieder privat betrieben.
Führende
politische Kräfte bei LIP waren die Gewerkschaft CFDT (Confédération
Française Démocratique du Travail) und die bereits erwähnte
linkssozialistische PSU. Charles Piaget, die führende Persönlichkeit des
Streiks, gehörte beiden Organisationen an. Daneben spielten
„linkskatholische” von der Arbeiterpriesterbewegung und der
Befreiungstheologie beeinflusste Strömungen in der Action Catholique
Ouvrière eine größere Rolle. Radikal linke Gruppen versuchten
einzugreifen, blieben aber eher am Rande.
Dass die heute
relativ rechte CFDT damals diese Rolle spielte, wird mach einen wundern. Aber die
1964 als säkularisierte Version der christlichen Gewerkschaft CFTC
gegründete CFDT stand in den 70er Jahren in vielen Fragen links von der CGT.
Unter anderem propagierte sie sehr vehement die Idee der Selbstverwaltung.
Die
„zentristische”, also politisch zwischen Sozialdemokratie und
Kommunistischer Partei stehende PSU, war Anfang der 60er Jahre aus der Opposition
gegen den Algerienkrieg und gegen den gaullistischen Staatsstreich von 1958
hervorgegangen. Auch in ihrer Propaganda spielte die Selbstverwaltung eine
große Rolle.
Der Film lässt
alle Protagonisten der damaligen Bewegung und auch der Gegenseite zu Wort kommen.
Dadurch wird der Film sehr informativ und authentisch. Filmisch hat das den
Nachteil, dass der größte Teil des Films aus redenden Köpfen besteht.
Man fühlt sich wie in einem bebilderten Hörspiel. Nur wenige
Originalaufnahmen von damals vermitteln einen Eindruck von der Stimmung und der
Atmosphäre in der besetzten Fabrik. Die Möglichkeiten des Mediums Film
werden so nicht optimal ausgenutzt. Trotzdem ist der Film aufgrund der
ausführlichen Erzählungen der Zeitzeugen ein sehr wertvolles Dokument.
Andreas Bodden
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