SoZ - Sozialistische Zeitung |
In der Zeit von November 2007 bis Ende Januar 2008 wurde im Willy-Brandt-Haus in
Berlin die Fotoausstellung „Arbeit und Alltag 19521992” gezeigt. Die Ausstellung umfasste Bilder der
Fotografen Roger Melis, Walter Vogel und Martin Roemers. Gemeinsam dokumentieren sie Unterschiede und Gemeinsames der
deutschen Nachkriegsgeschichte über eine lange historische Periode.
Roger Melis Bilder über die DDR mit dem Titel „In einem stillen Land Fotografien
19651989” umfassen seine besten Aufnahmen aus 25 Jahre Fotografie im Osten. Walter Vogels Ausstellung
„Die frühen Jahre 19511969” beleuchten westdeutsche Geschichte am Beispiel des Ruhrgebiets.
Martin Roemers zeigt Bilder der Wende aus einer anderen Perspektive. In seinem Focus sind die letzten Jahre der
Trabant-Produktion in Zwickau. Die Bilder machen die Lebens- und Arbeitswelt sichtbar, die für die
Nachkriegsrealität in beiden deutschen Staaten prägend war.
Mich als Besucher dieser Ausstellungen haben die
Bilder von Martin Roemers am meisten beeindruckt. Auf dieser Seite ist eine kleine Auswahl seiner Ausstellung zu
sehen. Wir danken dem Ernst Wasmuth Verlag für die Abdruckrechte.
Das Interesse des niederländischen Fotografen
Martin Roemers gilt verschwindenden Zeitaltern. Roemers hat über 30 Jahre immer wieder die DDR besucht und war
mit Land und Leuten vertraut. Zur Wende war schnell klar, dass viele Staatsbetriebe abgewickelt werden. Roemers wollte
diese Wendesituation festhalten. Er entschied sich für die Dokumentation der Produktion der letzten Jahre des
Trabant in Zwickau und hat dort in der Zeit von 1990 bis 1991 eine Fotoserie erstellt, die den Produktionsprozess und
die Arbeitsbedingungen festhalten und vor allem ein authentisch wirkendes Bild der dort tätigen Menschen geben.
Wenige Monate nach der Fertigstellung der Bilder
verschwand die hier sichtbare Arbeitsrealität. Die entlassenen Arbeiter zerstreuten sich und viele zogen auf der
Suche nach Arbeit fort. „Mit diesen Belegschaften”, schreibt der Direktor des Sächsischen
Industrienmuseums, Achim Dresler, „zerfielen soziale Zusammenhänge, das kollektive Gedächtnis einer
ganzen Region unwiderruflich” Dresler beschreibt in einem Geleitwort zur Ausstellung die Probleme, mit denen
diese Belegschaften in der DDR konfrontiert waren:
"So wehmütig die Zerschlagung der
Belegschaften stimmen mag, so wenig leid muss es einem um das Ende der Produktionsanlagen selbst sein. Hier wurde
jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren ... Die veralteten Fabriken bewirkten nicht nur unzureichende
Fertigungszahlen und ausbleibende Fahrzeug-Neuentwicklungen. Es waren die Belegschaften, die versuchen sollten, die
Mängel auszugleichen. 1985 konnte nur noch an knapp der Hälfte der Tage das Plansoll erfüllt werden.
Warte- und Stillstandszeiten aus technischen Ursachen führten zu Sonderschichten an Wochenenden und steigenden
Überstundenzahlen. Die Arbeitsintensität an den Fließbändern stieg, die schweren
Arbeitsgerätschaften blieben aber die gleichen. Die Folge war schon in den 1970er Jahren ein spürbarer
Arbeitskräftemangel. Zum Beispiel gab es an den Duroplast-Karosserie-Pressen Fluktuationen von 30%. Hier war die
Arbeit besonders hart und gefährlich, vom hohen Ausschuss an den 25 Jahre alten Maschinen mal abgesehen. Von den
ausgebildeten Jungfacharbeitern ging in den 1980er Jahren etwa die Hälfte. Ausländische Vertragsarbeiter,
wie 1981 Hunderte von Vietnamesen, füllten einige Lücken. Anwerbekampagnen im industriearmen Norden der DDR
blieben dagegen wenig erfolgreich, weil Wohnungsangebote in Zwickau fehlten. Im Kern zeigt sich hier die Frustration
der Belegschaften aufgrund der fehlenden Reputation des Industriezweigs, der ausbleibenden Neuentwicklungen und damit
der Zukunftsperspektive."
Nachdem Ende der 60er Jahre die letzten Anläufe
der Arbeiter, durch kollektive politische Aktionen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen,
gescheitert waren, konzentrierten sich die Belegschaften auf das Aushandeln von
„Normerfüllungspakten”,
in denen sie ihre Interessen zu wahren suchten. Doch
diese Art von Stillhalteabkommen brach Ende der 80er Jahre zusammen. Die Arbeiter wenden sich von der DDR ab.
„Der durchschnittliche Antragsteller auf Ausreise aus der DDR”, so schreibt Michael Hoffmann in einem
Aufsatz zu den Arbeiterprotesten 1968 in der DDR, „war 27 Jahre alt, männlich und ein gut ausgebildeter
Facharbeiter. Junge Arbeiter setzen auf Auswandern statt Demonstrieren."
Diese Hoffnung auch das kann man den Gesichtern
der porträtierten älteren Arbeiter entnehmen wurde schon damals nicht von allen geteilt. Roemers
Bilder zeigen Menschen, in deren Gesichter zwiespältige Gefühle erkennbar werden. Die Aufnahmen zeigen
Arbeitsstolz und Würde, aber auch Desillusionierung und Skepsis. Vielen Gesichtern ist
die Ahnung von der nahen Zäsur anzusehen, die
ihnen bevorsteht und sie in eine Zukunft katapultieren wird, die ungewiss ist. Gewiss ist nur das Schicksal der vielen
Trabants, die Ergebnis ihrer Anstrengungen waren. Sie landen in der Schrottpresse. Im letzten Bild sieht man schon die
beladenen Güterzüge der neu produzierten VW-Golfs. Das bundesdeutsche Kapital hat das Kommando über die
Arbeit auch im Beitrittsgebiet übernommen.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |