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Der überwiegende Teil des Geldes, das
in Stiftungen in Liechtenstein angelegt wird, liegt auf ausländischen Banken, vor allem in der
Schweiz. Die Eidgenossenschaft ist die größte Steueroase der Welt.
Der Fall Zumwinkel hat auch in der Schweiz
die Titelseiten der wichtigsten Tages- und Wochenzeitungen gefüllt. Erstaunlicherweise wurde die
Aufmerksamkeit dabei jedoch nicht auf die Rolle der Schweiz als Magnet fürs Kapital gelenkt. Eher
wurde die Confœderatio Helvetica als ein Kind dargestellt, das von bösen Steuervögten bedroht
wird und durch noch höhere Mauern beschützt werden muss.
Den kreativsten Titel in dieser Hinsicht
gestaltete die der SVP nahe stehende Wochenzeitung Die Weltwoche: „Dschihad gegen die Reichen”
Mit markigen Worten rechtfertigte der Artikel die Steuerflucht der Deutschen in Nachbarländer damit,
Deutschland habe die höchste Steuerquote im OECD-Raum. Ein weiterer Artikel erklärte, Schweizer
Finanzinstitute könnten beruhigt weiterhin deutsche Vermögen in Höhe von geschätzten
150 Milliarden Euro verwalten, weil die Schweiz den deutschen Kontrollorganen ja bereits mit dem EU-
Zinsabkommen entgegengekommen sei.
Tatsächlich tun die Schweizer
Behörden seit Mitte 2005 das, was sie schon seit Jahrzehnten hätten tun müssen: Sie melden
ausbezahlte Zinsen ans Finanzamt des jeweiligen Anlegers. Dabei erheben sie eine Quellensteuer von derzeit
15%, ab 2011 von 35%, und überweisen die Summe ins Herkunftsland. Was bei dieser Argumentation jedoch
übersehen wird: Die Zinsrichtlinie ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Sie gilt nur für
Privatpersonen, weder für Firmen noch für Stiftungen (auf Letzteren beruht Zumwinkels
Liechtensteiner Steuerhinterziehungsmodell). Des Weiteren gilt sie ausschließlich für
Zinseinkünfte; Dividenden und Kursgewinne werden nicht erfasst.
Das Abkommen besteht nur mit der EU und
wenigen anderen steuergünstigen Ländern, nicht aber mit asiatischen Steueroasen wie Singapur oder
Hongkong, und auch nicht mit den USA. Zudem erwiesen sich die ersten Überweisungen aus den
Oasenländern als kläglich im Vergleich zu den Geldsummen, die dort angelegt sind.
Im Steuerstreit zwischen der Schweiz und der EU ist es wichtig zu verstehen, wie die Schweiz in den
letzten hundert Jahren ihr Steuersystem entwickelt und was sie zum wichtigsten Finanzplatz der Welt gemacht
hat.
Dazu zählt die immer wieder von
lokalen Politikern in Schutz genommene kantonale Steuersouveränität, die den 26 Kantonen erlaubt,
den Steuersatz für die Besteuerung sowohl natürlicher Personen (Individuen) wie auch juristischer
Personen (Unternehmen) selbst zu bestimmen. Dieses föderalistische System hat in den letzten vier
Jahrzehnten den Steuerwettbewerb beschleunigt. Heute belegen die Schweizer Kantone in der Rangliste der
niedrigsten Steuersätze für Unternehmen die oberen Plätze.
Zudem ist die Schweiz ein Standort für
zahllose Holdings. Während die direkte Bundessteuer auf Kapital bei 0,02‰ liegt, zahlen Holdings keine
(!) Gewinnsteuer im Niederlassungsland, weil die Gewinne außerhalb erzielt werden. Nicht zu vergessen
ist zudem die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz
nicht erwerbstätig sind, aber hier ihren Wohnsitz haben. Deren Steuern richten sich nicht nach ihrem
Einkommen oder Vermögen, sondern nach ihren Lebenshaltungskosten.
Das eindrucksvollste Beispiel liefert
Ingvar Kamprad, der Ikea-Gründer. Sein Vermögen wird auf 2136 Milliarden Schweizer Franken
geschätzt, Kamprad zahlt jedoch nur 200000 Franken Steuern pro Jahr, das sind 126536 Euro.
Das Bankgeheimnis bildet die dritte
Säule des Schweizer Steuersystems. Das Bankgeheimnis gilt natürlich nicht nur für
Privatpersonen, auch Regierungschefs profitieren davon. Ein Beispiel: Als in Nigeria in den späten
90er Jahren Sani Abacha das Land regierte, hatte die örtliche Zentralbank den Dauerauftrag,
täglich 150 Millionen Dollar auf Schweizer Bankkonten des Diktators zu überweisen, ohne dass
ausländischen Steuerbehörden Informationen darüber zugestellt wurden. Die Folge: Nigeria
zählt heute zu den ärmsten Länder der Welt, obwohl es begehrte natürliche Ressourcen
besitzt. Dieses Beispiel erhellt die Struktur des europäischen Kapitalismus.
Die vierte Säule des Standorts Schweiz
unterstreicht diese Struktur noch: die juristische Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und
Steuerbetrug. Werden Delikte wie Geldwäsche, Korruption, vermutete Terroristenkonten u.a. als
Straftatbestände definiert, kann laut Schweizerischem Bankgesetz (Art.47) das Bankgeheimnis aufgehoben
werden, und die Schweiz leistet Rechts- und Amtshilfe. Einfache Steuerhinterziehung ist in der Schweiz
jedoch kein strafrechtlich relevantes Delikt. Steuerhinterziehung gilt als „Übertretung”,
sie wird allenfalls von den Steuerbehörden verfolgt und mit Geldbußen bestraft, bleibt jedoch
ohne strafrechtliche Folgen. Ein Steuerbetrug findet nur statt, wenn eine aktive Urkundenfälschung
nachgewiesen werden kann.
Zudem gilt in der Schweiz für die
Rechtshilfe der Grundsatz der doppelten Strafbarkeit. Die Schweiz unterstützt demnach andere
Länder nur dann, wenn dasselbe Delikt auch in der Schweiz strafbar ist. Kurzum: In Steuersachen
gewährt die Schweiz de facto keine Rechts- und Amtshilfe.
Wachsende Ungleichheiten
Die erwähnten steuerpolitischen
Bestimmungen bleiben nicht ohne Folgen. Zunächst leiden darunter Nachbarländer wie Italien. Die
Banca dItalia veranschlagt die unversteuert aus Italien ins Ausland geschaffte Summe auf 500
Milliarden Euro. Ein erheblicher Teil dieser Summen ist in der Schweiz platziert.
Doch auch in der Schweiz selbst sind die
Folgen gravierend. So hat sich zwischen 1977 und 2001 die Steuerlast auf die Lohnarbeiter verschoben: hohe
Einkommen erhielten die Steuerrabatte bis zu 3% des Jahrseinkommens aus, niedere Einkommen lediglich bis zu
1,66%. Die Steuergeschenke sind in Wirklichkeit Danaergeschenke, längst nicht alle profitieren davon,
im Gegenteil. Das niedrige Steuerniveau fördert die sog. „Politik der leeren
Staatskassen”, die dem öffentlichen Haushalt die finanzielle Grundlage entzieht. So gab es in
den letzten dreißig Jahren Angriffe auf den öffentlichen Dienst, durch die eine breite Schicht
der Gesellschaft von der sozialen Sicherheit ausgeschlossen wurde. Infolge jahrelanger Steuersenkungen
mussten Leistungen in den Bereichen Krankenhäuser, Krippenplätze, Sozialversicherungen usw.
abgebaut werden, sodass auch in der reichen Schweiz soziale Ungleichheit Realität ist.
Politik und Medien vertreten in allen Diskussionen über die Position der Schweiz im internationalen
Steuersystem eine erstaunlich einhellige Meinung. Die SVP hat Anfang Februar auf einer Pressekonferenz mit
der Weigerung gedroht, die Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien auszudehnen, sollte
die EU im sog. Steuerstreit nicht nachgeben. Ironischerweise unterhalten auch Banken aus EU-Ländern
Filialen in der Schweiz und profitieren somit von Schweizer Regelungen. Es ist vorhersehbar, dass diese
Banken ihre Politiker bei der Kritik des Standorts Schweiz zurückpfeifen, sobald ihre Position
gefährdet wird.
Die Absicht der SVP liegt auf der Hand: Das
Bankgeheimnis soll gefestigt und die Kapital- und Gewinnbesteuerung für Unternehmen und Holdings
reformiert werden; der Steuerstandort Schweiz soll dadurch attraktiver gestaltet werden. Gleichzeitig
sollen die Grenzen gegenüber der Einwanderung der Roma aus Rumänien und Bulgarien dicht gemacht
werden.
Banken und Economiesuisse, der Verband der
Schweizer Unternehmen, üben ebenfalls Druck auf die helvetische Regierung aus. Sie verlangen, dass der
Bundesrat dem internationalen Druck selbst dann nicht nachgibt, wenn dies der Schweiz Nachteile bringt.
Schließlich toleriert sogar die Sozialdemokratische Partei (SP) solche Aussagen; sie fordert den
Status quo in der internationalen Steuerpolitik. Steuerpolitische Gegenvorschläge der SP reduzieren
sich auf die steuerliche Entlastung von Familien.
Das Argument, dass der
Steuersenkungswettlauf eine gerechte Besteuerung von Kapitaleinkommen nicht möglich macht, findet in
der ganzen Diskussion keinen Platz. Für die Herstellung internationaler Steuergerechtigkeit ist die
Rolle der Schweiz jedoch essenziell.
Durch die vorherrschende protektionistische
Steuerpolitik ist das in der Schweiz liegende Vermögen auf 5 Billionen Franken (3.161.264.800.000
Euro) angewachsen, davon stammen 59% von ausländischen Kunden.
Die aktuelle Steuerdiskussion stellt linke Politikgestaltung vor neue Herausforderungen. Beschränkt
sich eine linke Position auf die Kritik an der Tendenz der Politik, die Steuern auf Vermögenseinkommen
zu senken, und auf die Forderung, die Steueroasen trockenzulegen, kann sie keine gerechte Steuerpolitik
erreichen. Steuerpolitik muss neu und global gedacht werden.
Mindeststeuersätze für Kapital
und Unternehmen weltweit würden den Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze bremsen. Es muss eine
internationale, unabhängige Steuerbehörde geschaffen werden, die von einem automatischen
steuerlichen Informationsaustausch profitiert. Und solange Holdings nicht so hoch besteuert werden wie das
Unternehmen im Mutterland, ist die Konzentration von Reichtum in Steueroasen wie der Schweiz
unausweichlich. Nicht zuletzt sollten internationale Sanktionen ausgearbeitet werden, die im Fall von
Steuerbetrug nicht nur auf Personen und Unternehmen angewendet werden auch die Angebotsseite muss
sanktioniert werden, namentlich Banken und (National-)Staaten.
Eine solche Politik würde noch nicht
den internationalen Reichtum anders verteilen, aber sie wäre ein erster Schritt in eine andere
Richtung. Schlussendlich bleibt dies eine Frage politischer Gegenmacht und erfordert eine breite
gesellschaftliche wie politische Mobilisierung in der Schweiz wie in der EU.
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