SoZ - Sozialistische Zeitung |
Sonntag, der
15.März. Die Ver.di-Mitglieder der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beschließen mit einem Quorum
von 97% den unbefristeten Streik. Die Verhandlungen waren abgebrochen worden, nachdem der Kommunale
Arbeitgeberverband (KAV) nicht bereit war sein Angebot nachzubessern, das 95% der Beschäftigen von
Lohnerhöhungen ausschließt (siehe SoZ 3/08).
Zum Leidwesen der neoliberalen
Meinungsführer stößt der Streikbeschluss in der Öffentlichkeit nicht auf Ablehnung,
sondern auf eine Sympathiewelle, die schon die Eisenbahner getragen hat. Dem Berliner Tagespiegel schwant
Übles: „Über die Folgen dieses Erfolgs kann man düstere Mutmaßungen anstellen.
Zwar haben in den Jahren zuvor auch schon die Fluglotsen, Piloten und Ärzte ihre eigene Suppe gekocht.
Doch so spektakulär wie die Lokführer hat sich noch keine Gruppe durchgesetzt. Wenn das mal keine
Schule macht. Zweifellos strahlt der Erfolg der Lokführer auch auf die Berliner U-Bahn- und Busfahrer
aus."
Der Streik bringt für die Mehrheit der
2 Millionen Menschen, die die BVG normalerweise am Tag transportiert, viele zusätzliche Belastungen.
Und es ist erstaunlich, wie gelassen und souverän die Mehrheit der Betroffenen damit umgeht. Doch die
anfängliche Sympathie für die Streikenden ist keine sichere Bank. Sie beginnt zu bröckeln,
was viele Gründe hat: Ein langer Streik zermürbt. Einigen, wie den Kiosken im U-Bahn-Bereich oder
in Teilen des Einzelhandels, brechen die Kunden weg. Die Zahl der öffentlich auftretenden
Geschädigten wächst. Auch der rot-rote Berliner Senat ist Partei und lässt über den
Regierenden Bürgermeister erklären, dass der Streik „unfair und
unverhältnismäßig” ist.
In der Linkspartei so der
Tagesspiegel sei das Verständnis noch geringer. Die Berliner Abteilung der „Linken”
stellt demonstrativ unter Beweis, wie sie den neoliberalen Diskurs gegen die Privilegierten am Arbeitsmarkt
beherrscht.
Die Partei sieht eine „Westberliner
Mentalität der Überversorgten” am Werk, die offenbar nicht verstanden habe, wie
privilegiert sie seien. Schuld an diesem Zustand sei auch die BVG-Führung, die diese
„Privilegien” nicht abgebaut habe. „Die Linke” demonstriert damit engen
Schulterschluss mit dem Finanzsenator. Sarrazin hat die BVG-Führung gerade wissen lassen, dass er
nicht bereit ist, ihr Angebot von 3,3% an die Altbeschäftigten und 4,3% an die neu Eingestellten zu
bezahlen.
Mehr noch als Arbeitskämpfe in der
Privatwirtschaft werden soziale Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst durch die öffentliche
Meinung entschieden. Hier lässt sich nicht übersehen, dass Ver.di in diesem Arbeitskampf
zunehmend in eine schwierige Situation gerät. Während die Gegenseite ein mediales Sperrfeuer
für das Ende des Streiks entfacht, bleiben die gewerkschaftlichen Gegenstimmen defensiv und schwach.
Statt Dutzende von Kollegentrupps mit Infomaterial zu bewaffnen und das Gespräch mit der
Bevölkerung zu suchen, werden die Streikenden in den fernab der Stadtzentren gelegenen
Betriebshöfen zusammengezogen und warten ab. Wird doch einmal zu einer gemeinsamen Aktion aufgerufen,
so fehlt dieser die erforderliche Wirkung nach außen.
Auch die nach innen ist mager. Der Autor
dieser Zeilen nahm an einem Aufmarsch teil, bei dem etwa 200 Kolleginnen und Kollegen die Straße vor
dem Betriebshof rauf und runter marschierten. Am Schluss bedankte sich ein Ver.di-Sprecher für die
Teilnahme und lobte die Polizei für die gute Verkehrsregelung. Das wars. Gemeinsame Aktionen mit
anderen Teilen des auch im Tarifkampf stehenden öffentlichen Dienstes sind rar. Beispielhafte
Solidaritätserklärungen wie die der VK-Leiter (siehe Kasten) sind das Ergebnis externer
Initiativen. Nur wenn die Beteiligten diese Arbeitskampfstrategie verändern, wird am Ende etwas
anderes herauskommen als die Fortsetzung jahrelanger Reallohnsenkungen. An diesem Sonntag wurde die
Bestreikung des Fahrbetriebs bis Ostern ausgesetzt.
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