SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 07

Weniger Brot, mehr Spiele

Wer sich auf Parteien und Parlamente verlässt, ist schon verlassen

von Arno Klönne

Seit langem hatten die Massenmedien hierzulande nicht mehr so viel Politisches in ihren Topthemen: „Glaubwürdigkeit”, „neue Beweglichkeit” und „Verlässlichkeit” sind die aktuellen Schlüsselbegriffe.
Die hessische SPD-Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger wurde von Bild zur „ehrlichsten Politikerin” der Gegenwart gekürt, die Vorsitzende derselben Landespartei als „Frau Lügilanti” abgestraft; etwas weniger emphatisch folgten viele Zeitungen und TV-Stationen dieser Sprachregelung. Unglaubwürdig geworden ist demnach, wer sein „Wahlversprechen”, eine andere Partei in die Schmuddelecke zu verbannen, nach dem Urnengang nicht hält.
Praktisch kommt für eine solche Außenseiterrolle nur noch die Linkspartei in Betracht (und auch die nur im Westen der Republik), denn gleichzeitig wird koalitionäre Flexibilität zum neuen Demokratieprinzip erhoben: Die Union darf sich nun auch oberhalb der Kommunalpolitik mit den Grünen verbünden, und die FDP macht auch der SPD wieder schöne Augen. Die parteienpolitische Partnerwahl wird liberalisiert, allerdings unter der Voraussetzung, dass alle Spielteilnehmer sich an die Regeln des Neoliberalismus halten und an die Vorgaben der herrschenden deutschen Militärpolitik.
"Verlässlichkeit” wird dies genannt, und auch die Linkspartei hat möglicherweise die Chance, dieses Zertifikat zu erlangen. In der Berliner Stadtregierung hat sie schon einiges an Vorleistungen dafür erbracht; fürs Mitregieren im Bund müsste sie freilich noch viel Läuterungsarbeit leisten.
Die Linkspartei dahin zu locken, dass sie, um am Spiel mit Regierungskoalitionen beteiligt zu werden, in den Grundzügen der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik „Verlässlichkeit” zeigt, ist von der Systematik des ganzen Unternehmens her notwendig, auch wenn dies Zeit braucht. Eine öffentlich präsente Partei, die der Frage Ausdruck gibt, ob Politik denn so funktionieren muss und Demokratie vielleicht etwas ganz anderes bedeuten könnte, würde allen das Spiel verderben.
Eben deshalb wird über die veröffentlichte Meinung in großer Übereinstimmung ein bestimmtes „Qualitätsmerkmal” für das politische Agieren unters Volk gebracht: Politikeignung von Parteien müsse durch „Regierungsfähigkeit” und damit durch den Drang zum Mitregieren ausgewiesen sein; parlamentarische Opposition dürfe nur als Wartestand begriffen werden, den eine Partei bei nächster Gelegenheit wieder zu verlassen und an eine andere zeitweilig abzugeben hat. Politisch effektvoll sei einzig und allein die regierende „Teilhabe”, auch „Mitverantwortung” genannt.
Einer historisch-empirischen Überprüfung hält diese Abwertung von Opposition nicht stand — aber das zu erkennen setzt voraus, in gesellschaftspolitischen Alternativen zu denken, den Umbruch der Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft zum Ziel zu nehmen...
Unter den herrschenden Bedingungen enthält das Partnerspiel um Regierungsteilhabe für die etablierten Parteien immerhin ein Risiko: Wenn jede Partei im Grundsatz mit jeder anderen koalieren kann, sind die inhaltlichen Differenzen offenbar nicht sonderlich gravierend, was beim wahlberechtigten Publikum das Gefühl erwecken kann, dass unter verschiedenen Kappen gleiche Brüder sitzen und man insofern gar keine Wahl hat.
Die Wahlbeteiligung sinkt dann weiter ab, und nach der Wahl präsentieren die Parteien ihre prozentualen Erfolge, während sie über die absoluten Zahlen tunlichst schweigen.
Allzu drastisch darf aber der Kreditverlust des Parteienbetriebs nicht werden, und deshalb wird, um das Interesse beim Wahlvolk wach zu halten, die spielerische Inszenierung verschärft: Gladiatorenkämpfe zwischen Spitzenkandidaten oder — innerhalb der Parteien — zwischen solchen, die es werden wollen; Verfolgungsjagden auf angebliche Regelbrecher; Fahndungen nach feindlichen Elementen, die sich in die Politikarena einschleichen wollen (da bieten sich Kommunisten an). Und: Abwechslung im Spiel muss sein, Langeweile ist schlecht für die Show.
Von einer Herrschaftsmethode, die den Proleten „panem et circenses” verabreichte, hat altrömisch der Satiriker Juvenal berichtet. Jetzt haben wir es mit einer Variation zu tun: Mehr Spiele, damit es nicht so auffällt, wenn es weniger Brot gibt. In anderen Worten: Um von dem sozialen Niedergang abzulenken, der immer größere Bevölkerungsschichten in der Bundesrepublik betrifft und den im Partnerspiel die Parteien administrativ begleiten, werden Politikspektakel vorgeführt.
Manche Bürgerinnen und Bürger finden diese unterhaltsam, andere eher abstoßend — so oder so stellt sich der Eindruck her, das sei eben „Demokratie”, unvermeidlich mit An- und Abführungsstrich, ein Schaustück, mit einer gar nicht so kleinen Truppe von Profiakteuren, aber der Mehrheit im Zuschauerraum.
Anders kann es auch nicht sein? Da gibt es Gegenbeispiele. Auf eines in der Geschichte verweist die Chiffre „1968” Dass vor, um und nach 1968 Bewegung in unsere Republik kam, war einem Grundimpuls zu verdanken: sich nicht zum Publikum degradieren lassen. Sich einmischen, sich selbst organisieren. Opposition riskieren, außerparlamentarisch. Volkssouveränität beim Wort nehmen.
Selbstverständlich, die politischen Umstände heute sind andere als vor vierzig Jahren. Aber nicht anders als damals gilt: Wer sich als Demokrat auf Parteien und Parlamente verlässt, ist schon verlassen.
Keineswegs enthält dieser Satz die Empfehlung, sich um parteipolitisch-parlamentarischen „Kram” nicht weiter zu kümmern. Wohl aber eine Prognose: Wenn die Linkspartei ohne den Druck außerparlamentarischer Aktivitäten und Initiativen ihre Wege geht, oder wenn sie sich in ihrer Praxis (verbalen Sympathien zuwider) von diesen nicht berühren lässt, wird sie ähnlich wie die Grünen in der Partnerwahlgemeinschaft „ankommen” — und nicht einmal mehr Bild wird dann Gruseliges über sie schreiben.
Der wohlklingende Spruch, in einer Demokratie müsse jede Partei mit jeder anderen koalitionsfähig sein, wäre dann präzisiert: Auf dem Markt neoliberaler Politprodukte muss jede Firma mit jeder anderen Geschäftsbeziehungen unterhalten dürfen.


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