SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 09

CDU-Bildungspolitik am Beispiel NRW

Mit Schwarz-Gelb zurück in die 50er Jahre

von Larissa Peiffer-Rüssmann

Selten hat eine Regierung in der Bildungspolitik in so kurzer Zeit so viel Unsinniges auf den Weg gebracht wie Schwarz-Gelb in NRW.
Sie setzt schon Vierjährige einem unverantwortlichen Prüfungsstress aus, erweitert die Aufgaben der Kindertagesstätten und will gleichzeitig Geld sparen. Sie lässt zentrale Prüfungen und Qualitätsanalysen an allen Schulen durchführen und bestimmt, was richtig und was falsch ist. Sie führt Kopfnoten für alle, auch die Kleinsten, ein und zwingt den Lehrkörper zu unendlichen Konferenzen, die nichts bringen. Sie schafft die Schulbezirksgrenzen für Grundschulen ab, erhöht damit die soziale Selektion und verschärft die Ghettoisierung. Sie setzt auf Ranking vom Kindergarten bis zur Hochschule, dafür wird getestet auf Teufel komm raus. Sie hebelt das Personalvertretungsgesetz aus und spart durch den Abbau von Freistellungen für Personalräte. Sie verkürzt die Schulzeit an den Gymnasien, ohne andere Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie führt an den Hochschulen Studiengebühren ein und verstärkt damit die soziale Selektion. Und nicht zuletzt fördert sie die Privatisierung von Bildung, denn infolge dieser „Reformen” schießen Nachhilfeinstitute und Privatschulen wie Pilze aus dem Boden.
Mit dem neuen Schulgesetz sollte ein „Rahmen für eines der modernsten und leistungsfähigsten Schulsysteme in Europa” gesetzt werden. Das Ziel sollte ein „gerechtes Schulwesen” sein, es war von „individueller Förderung” und „sozialer Gerechtigkeit” die Rede — alles leere Worte, die Halbzeitbilanz ist erschreckend.
Tatsächlich hat die Schulpolitik in NRW die ohnehin schon geringe Durchlässigkeit weiter verschlechtert und die Segregation ausgeweitet. Das Gesetz geht von der Vorstellung aus, dass Kinder Hohlköpfe mit unterschiedlichem Fassungsvermögen haben und entweder für die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium geeignet sind.
Ungeachtet aller wissenschaftlichen Erkenntnisse hängt diese Regierung immer noch der Begabungsvorstellung aus den 50er Jahren nach, mit denen die Dreiteilung in höhere Schulen, Volksschulen und Mittelschulen begründet wurde. So wird die jeweilige Schule von der Aufgabe entbunden, sich um jedes Kind intensiv zu kümmern. Dann stellt sich nur noch die Frage. „Gehört dieses Kind an diese Schule?” und nicht „Welche Unterstützung braucht dieses Kind?” Zehn Abstiegen steht nur ein Aufstieg gegenüber. Meist wandern die Schüler in eine niedrigere Schulform oder landen an einer Sonderschule.

Abgehängt

Obwohl immer weniger Eltern ihre Kinder auf die Hauptschule schicken — in den letzten fünf Jahren verlor diese Schulform 14% — hält die CDU starrköpfig an ihr fest. Die Schulministerin baut weiter Luftschlösser und macht Versprechungen, die Taten lassen auf sich warten. Sie verspricht für den Ganztagsbetrieb 100 zusätzliche Lehrer. Bei 700 Hauptschulen brächte das pro Schule nicht einmal vier Stunden in der Woche. Schon in Klasse fünf soll die Orientierung auf die spätere Berufswahl beginnen, später sollen ehrenamtliche Helfer und „Seniorenexperten” bei der Lehrstellensuche helfen. Angesichts der Lehrstellenkrise mutet das an wie das berühmte Pfeifen im Walde.
Inzwischen geht selbst die NRW-Regierung davon aus, dass ein kompletter Ausbildungsjahrgang — etwa 100000 Jugendliche — noch auf Lehrstellensuche ist, während der neue Jahrgang schon in den Startlöchern steht.
Unter Schwarz-Gelb stieg der Anteil der Förderschüler trotz rückgängiger Schülerzahlen weiter an. Die meisten von ihnen (87%) werden in Sonderschulen unterrichtet, abgesondert und nicht integriert. Wo sie an Grundschulen unterrichtet werden, wurde die Zuteilung der Förderstunden drastisch verschlechtert. Deutschland hat eine der niedrigsten Integrationsquoten europaweit.
Der Bedarf an Gesamtschulplätzen kann bei weitem nicht gedeckt werden, 15000 Kinder mussten abgewiesen werden. In manchen Gebieten lag der Prozentsatz der Abgewiesenen bei über 50%.
Ein Viertel aller Viertklässler wird inzwischen an einer Gesamtschule angemeldet. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Eltern ihrem Kind den Stress eines Turbo-Abiturs ersparen wollen, denn die Gesamtschule führt wie bisher in neun Jahren zum Abitur. Doch die Landesregierung diffamiert die Gesamtschulen, indem sie vom „Billig-Abitur” spricht, und ignoriert damit den Elternwunsch. Obwohl Gesamtschulen einen Ausländeranteil von 16,5% gegenüber 4,8% an den Gymnasien haben, haben sie hervorragende Ergebnisse beim Zentralabitur erreicht. Es ist ein Skandal, dass die Regierung Neugründungen von Gesamtschulen nur zustimmen will, wenn diese auf den Ganztagsbetrieb verzichten; das ist ein Unding. Aber es soll offenkundig alles verhindern werden, was in Richtung gemeinsame Erziehung geht.

Test, Test, Test

Noch nie hat es an NRW-Schulen eine Prüfungswelle dieses Ausmaßes gegeben. In jedem Frühjahr müssen rund 800000 Kinder und Jugendliche zeigen, was sie können: Sprachtests für Vierjährige, Lernstandserhebungen in den Klassen drei und acht, Prognoseunterricht für die „richtige” weiterführende Schule, zentrale Prüfungen nach Klasse 10 und Zentralabitur.
Im März 2007 mussten sich alle vierjährigen Kinder einem Sprachtest unterziehen. Dieses viel kritisierte Testverfahren degradiert das Kind zum Testobjekt, es macht aus fröhlichen Kindern gehemmte, stumme oder unsichere Kinder. Die suggerierte Spielsituation ist künstlich — eine Grundschullehrerin sitzt dabei, die akribisch alles aufschreibt. Hier geht es nicht um einen entspannten Umgang mit Kindern, sondern um den stringenten Vollzug einer Prüfung, die bis zu einer Stunde dauern kann. Viele Kinder verweigern sich und, was schwerer wiegt, sie machen ihre ersten negativen Erfahrungen mit „Schule” Von 145000 Kindern sind im Frühjahr des letzten Jahres 95000 „durchgefallen”, für sie wurde eine zweite Testrunde angesetzt. An den Kölner Grundschulen fielen deshalb 5000 Förderstunden aus — ersatzlos.
Der Druck an den Gymnasien hat sich drastisch erhöht. Da kommen die Schüler schnell auf eine 35-Stunden-Woche plus Hausaufgaben. Viele Eltern fürchten, dass ihre Kinder den Stoff nicht schaffen. Und gleich wittern private Anbieter auf dem Nachhilfe-Markt Morgenluft. Der Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN) bietet sich als „idealer Partner der Schulen” an, mit „Komplettpaket für den Nachmittag” Geschätzte 2 Milliarden Euro geben Eltern aus, damit ihre Kinder Stoff nachholen und Wissenslücken schließen.
Je schlechter das öffentliche Schulwesen funktioniert, umso mehr werden Anbieter auf den Markt gerufen, für die Bildung eine Ware ist. Die Schulpolitik der CDU verstärkt diesen Prozess in unerträglicher Weise. Das öffentliche Schulwesen muss so attraktiv sein, das sich mit Schule kein Profit machen lässt.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang