SoZ - Sozialistische Zeitung |
Sie putzen in
vielen deutschen Wohnungen, hüten Kinder, betreuen Alte und Kranke die Frauen aus Polen.
Zusammen mit anderen Frauen aus Osteuropa oder aus weit entfernten Ländern der Peripherie und der
Halbperipherie des Weltkapitalismus halten sie das System der sozialen Reproduktion und Pflege am Laufen.
Sie sind dazu gezwungen, denn Arbeitslosigkeit und Armut treibt sie aus ihren eigenen Ländern.
Für viele, gerade wohlhabendere,
Einwohner Westeuropas verkörpern die billigen polnischen Putzfrauen und Pflegekräfte die
Veränderungen im Osten, auch wenn sich der Zusammenhang mit dem Symbol des „polnischen
Demokratiewunders”, der „Solidarität” und der „Freiheit” dem
Schnauzbart mit der Muttergottes am Jacketaufschlag vielleicht nicht sofort erschließt.
Das Symbol Walesa gerät zwar im
eigenen Land langsam in Vergessenheit, aber der patriarchalisch-katholische Inhalt, den man von Anfang an
aus ihm herauslesen konnte, hat in den gut 15 Jahren der „Transformation” das soziale Gewebe in
Polen durchdrungen. Die „Transformation” hat nicht nur die patriarchalischen und katholischen
Werte gestärkt, sondern auch deutlich die Lebensbedingungen verschlechtert. Gerade das
Landproletariat, dem Walesa selbst entstammt, ist von den Folgen betroffen. Am empfindlichsten aber trifft
es die Frauen.
Die Arbeitslosenquote liegt seit Anfang der
90er Jahre deutlich über 10%, in den Jahren 20022003 erreichte sie sogar 20%. Ein Drittel der
Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, 12% leben mit etwa 90 Euro im Monat sogar unterhalb der
absoluten biologischen Armutsgrenze. Frauen sind stärker von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. Die
Frauenbeschäftigungsquote beträgt 47%, in der Altersklasse zwischen 55 und 64 Jahren sogar nur
19%. Viele ältere Arbeiterinnen werden zwangsweise in Frührente geschickt. Allgemein verdienen
Frauen deutlich weniger als Männer. Sie arbeiten in feminisierten Niedriglohnsektoren, ob im
Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und Pflegebereich, in Produktionsbetrieben oder in niedrig
qualifizierten Dienstleistungen. 22% aller Frauen in Beziehungen haben keine eigenen Einkünfte.
Alleinerziehende Frauen das sind 17%
aller Eltern in Polen sind besonders von Armut betroffen, ebenso ältere, alleinstehende Frauen.
Frauen beziehen durchschnittlich 30% niedrigere Renten als Männer, und diese Diskrepanz wird sich wohl
noch vertiefen. Die Regierung diskutiert derzeit eine Differenzierung der Rentenhöhe nach der
Lebenserwartung von Männern und Frauen. Frauen sollen niedrigere Renten erhalten, weil sie statistisch
gesehen länger leben als Männer und somit ihre Rente über einen längeren Zeitraum
beziehen.
Auch die Kürzung der Sozial-,
Bildungs-, Gesundheits- und Rentenausgaben trägt zur Verschlechterung der Situation von Frauen bei. In
all diesen Bereichen wird Schritt für Schritt der Markt eingeführt und die Verantwortung
individualisiert. So erhalten lediglich 3% der Kinder unter drei Jahren einen öffentlichen Krippen-
oder Kitaplatz.
Die Frau verschwindet hinter der Familie
Wenn es um Frauenfragen geht, reden beide
großen politischen Parteien in Polen (die sich beide als rechts bezeichnen) hauptsächlich von der
Unterstützung der Familie. Konkrete Programme oder Lösungen zur Verbesserung der materiellen
Situation von Frauen haben sie nicht anzubieten. Allheilmittel soll das Wirtschaftswachstum sein. Und dazu
müssen natürlich die Arbeitskosten gesenkt werden.
Die jetzige Regierungspartei sagt in ihrem
Programm ganz offen, „dass die Familie die effektivste Einheit im Bereich der Kinderbetreuung und der
Altenpflege ist” Dass die wirtschaftliche Effektivität der Familie auf der unbezahlten Pflege-
und Hausarbeit von Frauen beruht, sagen die Politiker nicht. Einen Großteil der Arbeit, besonders die
Pflegetätigkeiten, erledigen die Großmütter. Mit der Frührente werden sie gleichzeitig
in die unbezahlte Haus- und Pflegearbeit und teils auch in schlecht bezahlte Putz- und Pflegejobs
gedrängt.
Viele Frauen, die keine Arbeit finden,
gehen ins Ausland. Damit halten sich seit Mitte der 90er Jahre viele Haushalte über Wasser. Die
Lohnunterschiede zwischen Polen und Westeuropa machen es möglich, dass die Frauen vor allem mit Putz-
und Pflegearbeit in Privathaushalten ihre Familien in Polen ernähren und auch die Ausbildung ihrer
Kinder finanzieren.
Die Emigrantinnen erreichen damit zwar eine
relative finanzielle Unabhängigkeit und tragen manchmal den Löwenanteil zum Unterhalt ihrer
Familien bei, aber dafür zahlen sie einen hohen psychischen und sozialen Preis. Auch wenn Arbeit in
Privathaushalten im Ausland besser bezahlt ist als Jobs im Inland, bedeutet sie doch einen beruflichen und
sozialen Abstieg.
Meistens handelt es sich um informelle
Arbeitsverhältnisse, d.h. die Frauen haben keinen arbeitsrechtlichen oder Kranken- und
Sozialversicherungsschutz. Sehr oft werden sie auch schlecht behandelt. Forscherinnen, die polnische
Haushaltshilfen in Belgien untersucht haben, beschreiben ein hohes Risiko von Depressionen und anderen
Krankheiten aufgrund von schwerer körperlicher Arbeit und permanentem Stress.
In Polen selbst sind die Arbeitplätze
unsicher und die Löhne niedrig. Fast nirgendwo in der EU sind so viele Frauen mit befristeten
Verträgen beschäftigt wie in Polen (fast 25%). Wie Untersuchungen in der Textilindustrie und im
Einzelhandel zeigen, begünstigen die hohe Arbeitslosigkeit und die Arbeitsplatzunsicherheit
Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Regelungen über Arbeitszeit, Pausen und Urlaub werden nicht
eingehalten und Überstunden nicht bezahlt. Gleichzeitig wird die Arbeit ständig intensiviert.
Eigentlich stehen einer Frau mit Kindern
Mutterschaftsurlaub, Kur und Krankenschein bei Krankheit eines Kindes zu, aber praktisch hat sie kaum eine
Möglichkeit, diese Rechte wahrzunehmen, im Gegenteil, sie muss besonderen Arbeitseifer zeigen, um zu
beweisen, dass die Familie sie nicht an der Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten hindert.
Die wenigen besser gestellten Frauen in den
großen Städten können sich private Kinderbetreuung und/oder eine Putzfrau leisten. Den Preis
ihrer so gewonnen Freiheit zahlen hauptsächlich ärmere Frauen die übrigens immer
öfter aus der Ukraine kommen.
Missachtete Säulen der Gesellschaft
Zu den schwierigen ökonomischen
Bedingungen kommt das restriktive Abtreibungsrecht. Abtreibung wird kriminalisiert und moralisch
stigmatisiert. Gleichzeitig kommen gerade arme und in der Provinz lebende Frauen nur schwer an
Verhütungsmittel heran: sie können sie sich nicht leisten und haben kaum Zugang zu medizinischer
Beratung. Dazu kommt die Agitation der katholischen Kirche gegen Verhütungsmittel.
Der herrschende Diskurs versteckt die
realen Probleme von Frauen hinter idealisierten traditionellen Mustern von glücklicher Familie und
Mutterschaft. In den Medien werden Frauen ständig als Sexobjekte behandelt: immer jung, schön und
schlank. Auf der anderen Seite gilt schon der bloße Gedanke an sozialpolitische Maßnahmen als
Unterstützung von Versagen und Hilflosigkeit und als Anreiz zum Nichtstun. Stattdessen wird
individuelles Unternehmertum und die Unabhängigkeit von der Hilfe öffentlicher Institutionen
propagiert. Die Polinnen befinden sich also zwischen dem Hammer eines gnadenlosen Marktes und dem Amboss
patriarchalischer Gesetze und Wertvorstellungen.
Die neoliberale Ordnung hat viele Frauen an
den Rand des gesellschaftlichen Lebens gedrängt, besonders die älteren und armen. Da sie keine
Kaufkraft besitzen, kommen sie nicht einmal als Zielgruppe für die Werbung in Frage. Sie sind schlicht
unsichtbar. Viele von ihnen finden sozialen Rückhalt in der fundamentalistischen religiösen
Gemeinschaft um Radio Maryja. Der liberalere Teil der Gesellschaft belegt diese Gruppe von Frauen mit dem
abfälligen Namen „Mohair-Barette” Er bezeichnet eine bestimmte unmodische Kopfbedeckung
und Ansichten, in denen sich radikaler Katholizismus und Fremdenhass mischen.
Es gibt 1015% gut gestellte und gut
ausgebildete Frauen, denen die Marktwirtschaft Vorteile gebracht hat: gut bezahlte Jobs, Luxuskonsum,
Reisemöglichkeiten und die Verwirklichung persönlicher Interessen. Diese Gruppe ist von
patriarchalischen Wertvorstellungen und repressiven Gesetzen noch am wenigsten betroffen. Alle anderen
Frauen sind der brutalen Wirklichkeit des Marktes und dem steifen Korsett der traditionellen Werte
unterworfen.
Angesichts dieser Bedingungen könnten
wir ironisch konstatieren, dass die Frauen in Polen gut zurechtkommen, sehr gut sogar. Sie sind
fleißig, ehrgeizig und mutig. In vielen Haushalten, in denen Langzeitarmut und Arbeitslosigkeit
herrscht, sind es die Frauen, die mit unerhörter Tüchtigkeit jeden Tag dafür sorgen, dass
ihre Familien etwas zu essen und anzuziehen und ein Dach über dem Kopf haben. Letztlich halten sie
ohne entsprechende Bezahlung und ohne gesellschaftliche Anerkennung das ganze System der gesellschaftlichen
Reproduktion aufrecht.
Neoliberalismus und Patriarchat koexistieren
Und doch gibt es Bereiche, in denen Frauen
dieser gesellschaftlichen Reproduktionsfunktion durch ihr individuelles Verhalten Grenzen setzen. Staat und
Kirche gelingt es immer weniger, Frauen als Gebärmaschinen zu behandeln. Trotz des drastischen
Abtreibungsverbots, trotz des beschränkten Zugangs zu Verhütungsmitteln und trotz der
Gebärpropaganda der rechten Regierungen ist die Geburtenrate in Polen unverändert eine der
niedrigsten in der EU.
Zudem steigt das Durchschnittsalter, in dem
Frauen ihr erstes und zweites Kind zur Welt bringen. Natürlich lassen sich diese Daten auch anders
interpretieren: Viele Frauen in Polen können sich aus sozialen Gründen schlicht keine Kinder
leisten, selbst wenn sie eigentlich gern welche hätten.
Der feministische Diskurs in Polen
transportiert eine individualistische Vorstellung von Demokratie und Antidiskriminierung. Seit Beginn der
„Transformation” stellen die polnischen Feministinnen die ökonomischen Veränderungen
kaum in Frage. Einige halten den freien Markt sogar für emanzipationsfördernd. Daher nehmen sie
die Probleme, die sich für die Frauen aus den neoliberalen Veränderungen ergeben, nicht wahr und
finden zu Fragen wie die nach den Arbeitsverhältnissen oder der Abwälzung der gesellschaftlichen
Reproduktionskosten keinen klaren Standpunkt.
Als die jetzt abgelöste rechtsradikale
PiS-Regierung vorschlug, zur Erhöhung der Geburtenzahlen den bezahlten Mutterschaftsurlaub zu
verlängern, gab es Proteste sowohl seitens polnischer Unternehmer als auch feministischer
Organisationen. Arm in Arm mit den Unternehmern argumentierten die Feministinnen, ein längerer Urlaub
würde den ungleichen Zugang zum Arbeitsmarkt verschärfen, weil Unternehmer aus Angst vor
zusätzlichen Kosten keine Frauen mehr beschäftigen wollen würden.
Polnische feministische Organisationen
bezogen damit symbolisch Position für die neoliberale und gegen die traditionelle patriarchalische
Ordnung. Der ideologische Haken daran ist, dass diese Ordnungen in Wirklichkeit gar nicht in Widerspruch
zueinander stehen. Die neoliberale Ordnung des Marktes koexistiert in Polen ganz hervorragend mit einem
patriarchalischen Staat, auf vielen Ebenen verstärken sich beide gegenseitig.
Wie können Frauen dagegen Widerstand
leisten? Das Patriarchat und die neoliberale Ordnung sind Beziehungssysteme, die auf vielen Ebenen unseres
Lebens agieren, sie sind Teil der Alltagskommunikation und wirken auf unsere Körper ein. Wir
können unsere eigene Verstrickung in patriarchalische Beziehungen wahrnehmen und
dekonstruieren. Dazu müssen wir individualistische Standpunkte überwinden und eine breitere
Kritik der ökonomisch-sozialen Ordnung leisten. Dazu brauchen wir auch eine umfassendere Strategie der
Solidarität, ohne die lokaler Widerstand keine großen Erfolgschancen haben kann.
Teresa Swieckowska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Informations- und
Kommunikationswissenschaft an der Universität Warschau und Mitglied der Initiative Feministischer
Think Tank.
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