SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 11

Frauen in Polen

Fleißig, ehrgeizig und mutig... aber unsichtbar - Eingeklemmt zwischen Markt und Patriarchat

von Teresa Swieckowska

Sie putzen in vielen deutschen Wohnungen, hüten Kinder, betreuen Alte und Kranke — die Frauen aus Polen. Zusammen mit anderen Frauen aus Osteuropa oder aus weit entfernten Ländern der Peripherie und der Halbperipherie des Weltkapitalismus halten sie das System der sozialen Reproduktion und Pflege am Laufen. Sie sind dazu gezwungen, denn Arbeitslosigkeit und Armut treibt sie aus ihren eigenen Ländern.
Für viele, gerade wohlhabendere, Einwohner Westeuropas verkörpern die billigen polnischen Putzfrauen und Pflegekräfte die Veränderungen im Osten, auch wenn sich der Zusammenhang mit dem Symbol des „polnischen Demokratiewunders”, der „Solidarität” und der „Freiheit” — dem Schnauzbart mit der Muttergottes am Jacketaufschlag — vielleicht nicht sofort erschließt.
Das Symbol Walesa gerät zwar im eigenen Land langsam in Vergessenheit, aber der patriarchalisch-katholische Inhalt, den man von Anfang an aus ihm herauslesen konnte, hat in den gut 15 Jahren der „Transformation” das soziale Gewebe in Polen durchdrungen. Die „Transformation” hat nicht nur die patriarchalischen und katholischen Werte gestärkt, sondern auch deutlich die Lebensbedingungen verschlechtert. Gerade das Landproletariat, dem Walesa selbst entstammt, ist von den Folgen betroffen. Am empfindlichsten aber trifft es die Frauen.
Die Arbeitslosenquote liegt seit Anfang der 90er Jahre deutlich über 10%, in den Jahren 2002—2003 erreichte sie sogar 20%. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, 12% leben mit etwa 90 Euro im Monat sogar unterhalb der absoluten biologischen Armutsgrenze. Frauen sind stärker von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. Die Frauenbeschäftigungsquote beträgt 47%, in der Altersklasse zwischen 55 und 64 Jahren sogar nur 19%. Viele ältere Arbeiterinnen werden zwangsweise in Frührente geschickt. Allgemein verdienen Frauen deutlich weniger als Männer. Sie arbeiten in feminisierten Niedriglohnsektoren, ob im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und Pflegebereich, in Produktionsbetrieben oder in niedrig qualifizierten Dienstleistungen. 22% aller Frauen in Beziehungen haben keine eigenen Einkünfte.
Alleinerziehende Frauen — das sind 17% aller Eltern in Polen — sind besonders von Armut betroffen, ebenso ältere, alleinstehende Frauen. Frauen beziehen durchschnittlich 30% niedrigere Renten als Männer, und diese Diskrepanz wird sich wohl noch vertiefen. Die Regierung diskutiert derzeit eine Differenzierung der Rentenhöhe nach der Lebenserwartung von Männern und Frauen. Frauen sollen niedrigere Renten erhalten, weil sie statistisch gesehen länger leben als Männer und somit ihre Rente über einen längeren Zeitraum beziehen.
Auch die Kürzung der Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Rentenausgaben trägt zur Verschlechterung der Situation von Frauen bei. In all diesen Bereichen wird Schritt für Schritt der Markt eingeführt und die Verantwortung individualisiert. So erhalten lediglich 3% der Kinder unter drei Jahren einen öffentlichen Krippen- oder Kitaplatz.

Die Frau verschwindet hinter der Familie
Wenn es um Frauenfragen geht, reden beide großen politischen Parteien in Polen (die sich beide als rechts bezeichnen) hauptsächlich von der Unterstützung der Familie. Konkrete Programme oder Lösungen zur Verbesserung der materiellen Situation von Frauen haben sie nicht anzubieten. Allheilmittel soll das Wirtschaftswachstum sein. Und dazu müssen natürlich die Arbeitskosten gesenkt werden.
Die jetzige Regierungspartei sagt in ihrem Programm ganz offen, „dass die Familie die effektivste Einheit im Bereich der Kinderbetreuung und der Altenpflege ist” Dass die wirtschaftliche Effektivität der Familie auf der unbezahlten Pflege- und Hausarbeit von Frauen beruht, sagen die Politiker nicht. Einen Großteil der Arbeit, besonders die Pflegetätigkeiten, erledigen die Großmütter. Mit der Frührente werden sie gleichzeitig in die unbezahlte Haus- und Pflegearbeit und teils auch in schlecht bezahlte Putz- und Pflegejobs gedrängt.
Viele Frauen, die keine Arbeit finden, gehen ins Ausland. Damit halten sich seit Mitte der 90er Jahre viele Haushalte über Wasser. Die Lohnunterschiede zwischen Polen und Westeuropa machen es möglich, dass die Frauen vor allem mit Putz- und Pflegearbeit in Privathaushalten ihre Familien in Polen ernähren und auch die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren.
Die Emigrantinnen erreichen damit zwar eine relative finanzielle Unabhängigkeit und tragen manchmal den Löwenanteil zum Unterhalt ihrer Familien bei, aber dafür zahlen sie einen hohen psychischen und sozialen Preis. Auch wenn Arbeit in Privathaushalten im Ausland besser bezahlt ist als Jobs im Inland, bedeutet sie doch einen beruflichen und sozialen Abstieg.
Meistens handelt es sich um informelle Arbeitsverhältnisse, d.h. die Frauen haben keinen arbeitsrechtlichen oder Kranken- und Sozialversicherungsschutz. Sehr oft werden sie auch schlecht behandelt. Forscherinnen, die polnische Haushaltshilfen in Belgien untersucht haben, beschreiben ein hohes Risiko von Depressionen und anderen Krankheiten aufgrund von schwerer körperlicher Arbeit und permanentem Stress.
In Polen selbst sind die Arbeitplätze unsicher und die Löhne niedrig. Fast nirgendwo in der EU sind so viele Frauen mit befristeten Verträgen beschäftigt wie in Polen (fast 25%). Wie Untersuchungen in der Textilindustrie und im Einzelhandel zeigen, begünstigen die hohe Arbeitslosigkeit und die Arbeitsplatzunsicherheit Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Regelungen über Arbeitszeit, Pausen und Urlaub werden nicht eingehalten und Überstunden nicht bezahlt. Gleichzeitig wird die Arbeit ständig intensiviert.
Eigentlich stehen einer Frau mit Kindern Mutterschaftsurlaub, Kur und Krankenschein bei Krankheit eines Kindes zu, aber praktisch hat sie kaum eine Möglichkeit, diese Rechte wahrzunehmen, im Gegenteil, sie muss besonderen Arbeitseifer zeigen, um zu beweisen, dass die Familie sie nicht an der Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten hindert.
Die wenigen besser gestellten Frauen in den großen Städten können sich private Kinderbetreuung und/oder eine Putzfrau leisten. Den Preis ihrer so gewonnen Freiheit zahlen hauptsächlich ärmere Frauen — die übrigens immer öfter aus der Ukraine kommen.

Missachtete Säulen der Gesellschaft
Zu den schwierigen ökonomischen Bedingungen kommt das restriktive Abtreibungsrecht. Abtreibung wird kriminalisiert und moralisch stigmatisiert. Gleichzeitig kommen gerade arme und in der Provinz lebende Frauen nur schwer an Verhütungsmittel heran: sie können sie sich nicht leisten und haben kaum Zugang zu medizinischer Beratung. Dazu kommt die Agitation der katholischen Kirche gegen Verhütungsmittel.
Der herrschende Diskurs versteckt die realen Probleme von Frauen hinter idealisierten traditionellen Mustern von glücklicher Familie und Mutterschaft. In den Medien werden Frauen ständig als Sexobjekte behandelt: immer jung, schön und schlank. Auf der anderen Seite gilt schon der bloße Gedanke an sozialpolitische Maßnahmen als Unterstützung von Versagen und Hilflosigkeit und als Anreiz zum Nichtstun. Stattdessen wird individuelles Unternehmertum und die Unabhängigkeit von der Hilfe öffentlicher Institutionen propagiert. Die Polinnen befinden sich also zwischen dem Hammer eines gnadenlosen Marktes und dem Amboss patriarchalischer Gesetze und Wertvorstellungen.
Die neoliberale Ordnung hat viele Frauen an den Rand des gesellschaftlichen Lebens gedrängt, besonders die älteren und armen. Da sie keine Kaufkraft besitzen, kommen sie nicht einmal als Zielgruppe für die Werbung in Frage. Sie sind schlicht unsichtbar. Viele von ihnen finden sozialen Rückhalt in der fundamentalistischen religiösen Gemeinschaft um Radio Maryja. Der liberalere Teil der Gesellschaft belegt diese Gruppe von Frauen mit dem abfälligen Namen „Mohair-Barette” Er bezeichnet eine bestimmte unmodische Kopfbedeckung und Ansichten, in denen sich radikaler Katholizismus und Fremdenhass mischen.
Es gibt 10—15% gut gestellte und gut ausgebildete Frauen, denen die Marktwirtschaft Vorteile gebracht hat: gut bezahlte Jobs, Luxuskonsum, Reisemöglichkeiten und die Verwirklichung persönlicher Interessen. Diese Gruppe ist von patriarchalischen Wertvorstellungen und repressiven Gesetzen noch am wenigsten betroffen. Alle anderen Frauen sind der brutalen Wirklichkeit des Marktes und dem steifen Korsett der traditionellen Werte unterworfen.
Angesichts dieser Bedingungen könnten wir ironisch konstatieren, dass die Frauen in Polen gut zurechtkommen, sehr gut sogar. Sie sind fleißig, ehrgeizig und mutig. In vielen Haushalten, in denen Langzeitarmut und Arbeitslosigkeit herrscht, sind es die Frauen, die mit unerhörter Tüchtigkeit jeden Tag dafür sorgen, dass ihre Familien etwas zu essen und anzuziehen und ein Dach über dem Kopf haben. Letztlich halten sie ohne entsprechende Bezahlung und ohne gesellschaftliche Anerkennung das ganze System der gesellschaftlichen Reproduktion aufrecht.

Neoliberalismus und Patriarchat koexistieren
Und doch gibt es Bereiche, in denen Frauen dieser gesellschaftlichen Reproduktionsfunktion durch ihr individuelles Verhalten Grenzen setzen. Staat und Kirche gelingt es immer weniger, Frauen als Gebärmaschinen zu behandeln. Trotz des drastischen Abtreibungsverbots, trotz des beschränkten Zugangs zu Verhütungsmitteln und trotz der Gebärpropaganda der rechten Regierungen ist die Geburtenrate in Polen unverändert eine der niedrigsten in der EU.
Zudem steigt das Durchschnittsalter, in dem Frauen ihr erstes und zweites Kind zur Welt bringen. Natürlich lassen sich diese Daten auch anders interpretieren: Viele Frauen in Polen können sich aus sozialen Gründen schlicht keine Kinder leisten, selbst wenn sie eigentlich gern welche hätten.
Der feministische Diskurs in Polen transportiert eine individualistische Vorstellung von Demokratie und Antidiskriminierung. Seit Beginn der „Transformation” stellen die polnischen Feministinnen die ökonomischen Veränderungen kaum in Frage. Einige halten den freien Markt sogar für emanzipationsfördernd. Daher nehmen sie die Probleme, die sich für die Frauen aus den neoliberalen Veränderungen ergeben, nicht wahr und finden zu Fragen wie die nach den Arbeitsverhältnissen oder der Abwälzung der gesellschaftlichen Reproduktionskosten keinen klaren Standpunkt.
Als die jetzt abgelöste rechtsradikale PiS-Regierung vorschlug, zur Erhöhung der Geburtenzahlen den bezahlten Mutterschaftsurlaub zu verlängern, gab es Proteste sowohl seitens polnischer Unternehmer als auch feministischer Organisationen. Arm in Arm mit den Unternehmern argumentierten die Feministinnen, ein längerer Urlaub würde den ungleichen Zugang zum Arbeitsmarkt verschärfen, weil Unternehmer aus Angst vor zusätzlichen Kosten keine Frauen mehr beschäftigen wollen würden.
Polnische feministische Organisationen bezogen damit symbolisch Position für die neoliberale und gegen die traditionelle patriarchalische Ordnung. Der ideologische Haken daran ist, dass diese Ordnungen in Wirklichkeit gar nicht in Widerspruch zueinander stehen. Die neoliberale Ordnung des Marktes koexistiert in Polen ganz hervorragend mit einem patriarchalischen Staat, auf vielen Ebenen verstärken sich beide gegenseitig.
Wie können Frauen dagegen Widerstand leisten? Das Patriarchat und die neoliberale Ordnung sind Beziehungssysteme, die auf vielen Ebenen unseres Lebens agieren, sie sind Teil der Alltagskommunikation und wirken auf unsere Körper ein. Wir können unsere eigene Verstrickung in patriarchalische Beziehungen wahrnehmen — und dekonstruieren. Dazu müssen wir individualistische Standpunkte überwinden und eine breitere Kritik der ökonomisch-sozialen Ordnung leisten. Dazu brauchen wir auch eine umfassendere Strategie der Solidarität, ohne die lokaler Widerstand keine großen Erfolgschancen haben kann.

Teresa Swieckowska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Informations- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Warschau und Mitglied der Initiative Feministischer Think Tank.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang