SoZ - Sozialistische Zeitung |
Ende Februar veröffentlichte die linke brasilianische Nachrichtenagentur
Brasil de Fato das nachstehende Interview mit dem kubanischen Historiker und Politikwissenschaftler Ariel
Dacal. Dacal ist Mitarbeiter am Centro Martin Luther King (CMLK) in Havanna. Sein wissenschaftliches
Interesse gilt vor allem der Geschichte der Sowjetunion. (Übersetzung: he.)
Wie hat die kubanische Bevölkerung die Ankündigung Fidel Castros aufgenommen, er werde
sich vom Amt des Staatspräsidenten zurückziehen?
In seiner Botschaft wies Fidel darauf hin, er habe schon früher angekündigt, dass er
möglicherweise für eine Wiederwahl nicht zur Verfügung stehen werde. Er wusste, dass es
notwendig war, das Volk psychologisch vorzubereiten. Und er hat richtig gehandelt. Die Reaktion der
Menschen war emotional. Man war sich einig, dass es ein „eleganter” Abgang war, eine sehr gute
Entscheidung, die Fidels moralische und historische Größe nur noch deutlicher macht. In
Augenblicken wie diesem, in denen das Gefühl stärker ist als die Vernunft, entsteht eine sehr
positive Sicht auf das Lebenswerk von Fidel.
Die konservativen Medien benutzten Begriffe wie „harte Hand”, „Fidel Castros
Insel”, „der Diktator, der beinahe den Dritten Weltkrieg provoziert hätte” Sieht das
kubanische Volk in Fidel einen Diktator?
Ich glaube nicht, dass das Volk ihn als Diktator sieht. Im alltäglichen Bewusstsein der Kubaner
sind Diktatoren Mörder, die Schreckensregime errichten, in denen Tausende ihr Leben verlieren.
Erinnern wir uns, dass es die kubanische Revolution war, die ein solches diktatorisches Regime beseitigte.
Das Werk, das Fidel vollbracht hat, ist das Gegenteil davon. Er hat das Bildungs- und Gesundheitssystem
geschaffen, das nationale Selbstbewusstsein gefördert und er stand für Souveränität und
Respekt vor dem menschlichen Leben. Richtig ist, dass das kubanische System sehr stark in seiner Figur
personalisiert war. Aber das ist weit entfernt vom Begriff der Diktatur, wie ihn das kubanische Volk und
auch die Völker Amerikas verstehen.
Die Medien verbreiten auch, Raúl Castro neige stärker dazu, in Kuba Umwandlungen wie in
China oder Vietnam vorzunehmen.
Diese Idee ist eine von vielen Veränderungsmöglichkeiten in Kuba. Aber in Wirklichkeit gibt
es keine Anzeichen, dass wir im Augenblick in die eine oder andere Richtung gehen. Die Menschen, die diese
Vorstellung propagieren, haben das Problem, dass sie nur eingeschränkt verstehen, dass eine
antikapitalistische Gesellschaft auch viele andere Möglichkeiten und Wege hat, die weit vom
chinesischen Modell entfernt sind, das, nebenbei gesagt, nichts Antikapitalistisches hat.
Können die kommenden Veränderungen zu einer Stärkung der antisozialistischen
Opposition führen?
In Kuba diskutiert man nicht über eine Rückkehr zum Kapitalismus. Tatsächlich zeigt der
Diskussionsprozess, in dem das Land steckt, eine Unterstützung des Sozialismus. Eines der
interessantesten Kennzeichen dieser ganzen Monate ist, dass der prokapitalistische Diskurs, der seit
längerer Zeit die einzige Möglichkeit einer oppositionellen Sichtweise zu sein schien,
verschwunden ist. Natürlich wird diskutiert „über welchen Sozialismus wir eigentlich
sprechen” oder welche Eigenschaften dieser Sozialismus haben soll. In manchen Fällen und
ohne böse Absicht werden Vorstellungen und Entwürfe reproduziert, die nominell
sozialistisch sind, aber viele Widersprüche aufweisen und in sich die hässlichen Züge des
Liberalismus tragen.
Fürchten die Kubaner in dieser Zeit des Übergangs eine Intervention der USA? Womit
müsste die Regierung Bush rechnen, wenn sie einen solchen Plan durchführen wollte?
Man darf nicht unterschätzen, wozu ein im Verfall begriffenes Imperium in der Lage ist, aber ich
glaube, sie werden nicht über Rhetorik hinausgehen. Die Bush-Regierung hat den Belagerungsring um Kuba
aufs engste zusammengezogen. Die einzige Möglichkeit, die ihr bleibt, ist die Aggression, für
einen solchen Handstreich fehlen aber die Bedingungen. Außerdem kennt das Pentagon die kubanischen
Abwehrmaßnahmen sehr gut, und dem CIA ist bewusst, dass solche Aktionsformen das Volk nicht spalten
können. Im Gegenteil, sie können es auf durchschlagende Weise zusammen schweißen.
Schon jetzt ist in den konservativen Medien eine Kampagne gegen Fidel Castro und das sozialistische
Regime zu beobachten. Was erwarten die Kubaner von der internationalen Solidarität?
Unterstützung, Verständnis und konstante Wachsamkeit, um den Verleumdungskampagnen
entgegenzutreten und um Aggressionen jedweder Art gegen Kuba zu verhindern. Das Wichtigste ist zu verstehen
und sich bewusst zu machen, dass das kubanische Volk eine enorme praktische und moralische Verantwortung
für den Kampf aller unterdrückten Völker trägt. Kubas Kampf ist der Kampf aller
Unterdrückten.
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