SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 13

Kuba:

„Über eine Rückkehr zum Kapitalismus diskutieren wir nicht"

Ende Februar veröffentlichte die linke brasilianische Nachrichtenagentur Brasil de Fato das nachstehende Interview mit dem kubanischen Historiker und Politikwissenschaftler Ariel Dacal. Dacal ist Mitarbeiter am Centro Martin Luther King (CMLK) in Havanna. Sein wissenschaftliches Interesse gilt vor allem der Geschichte der Sowjetunion. (Übersetzung: he.)

Wie hat die kubanische Bevölkerung die Ankündigung Fidel Castros aufgenommen, er werde sich vom Amt des Staatspräsidenten zurückziehen?

In seiner Botschaft wies Fidel darauf hin, er habe schon früher angekündigt, dass er möglicherweise für eine Wiederwahl nicht zur Verfügung stehen werde. Er wusste, dass es notwendig war, das Volk psychologisch vorzubereiten. Und er hat richtig gehandelt. Die Reaktion der Menschen war emotional. Man war sich einig, dass es ein „eleganter” Abgang war, eine sehr gute Entscheidung, die Fidels moralische und historische Größe nur noch deutlicher macht. In Augenblicken wie diesem, in denen das Gefühl stärker ist als die Vernunft, entsteht eine sehr positive Sicht auf das Lebenswerk von Fidel.

Die konservativen Medien benutzten Begriffe wie „harte Hand”, „Fidel Castros Insel”, „der Diktator, der beinahe den Dritten Weltkrieg provoziert hätte” Sieht das kubanische Volk in Fidel einen Diktator?

Ich glaube nicht, dass das Volk ihn als Diktator sieht. Im alltäglichen Bewusstsein der Kubaner sind Diktatoren Mörder, die Schreckensregime errichten, in denen Tausende ihr Leben verlieren. Erinnern wir uns, dass es die kubanische Revolution war, die ein solches diktatorisches Regime beseitigte. Das Werk, das Fidel vollbracht hat, ist das Gegenteil davon. Er hat das Bildungs- und Gesundheitssystem geschaffen, das nationale Selbstbewusstsein gefördert und er stand für Souveränität und Respekt vor dem menschlichen Leben. Richtig ist, dass das kubanische System sehr stark in seiner Figur personalisiert war. Aber das ist weit entfernt vom Begriff der Diktatur, wie ihn das kubanische Volk und auch die Völker Amerikas verstehen.

Die Medien verbreiten auch, Raúl Castro neige stärker dazu, in Kuba Umwandlungen wie in China oder Vietnam vorzunehmen.

Diese Idee ist eine von vielen Veränderungsmöglichkeiten in Kuba. Aber in Wirklichkeit gibt es keine Anzeichen, dass wir im Augenblick in die eine oder andere Richtung gehen. Die Menschen, die diese Vorstellung propagieren, haben das Problem, dass sie nur eingeschränkt verstehen, dass eine antikapitalistische Gesellschaft auch viele andere Möglichkeiten und Wege hat, die weit vom chinesischen Modell entfernt sind, das, nebenbei gesagt, nichts Antikapitalistisches hat.

Können die kommenden Veränderungen zu einer Stärkung der antisozialistischen Opposition führen?

In Kuba diskutiert man nicht über eine Rückkehr zum Kapitalismus. Tatsächlich zeigt der Diskussionsprozess, in dem das Land steckt, eine Unterstützung des Sozialismus. Eines der interessantesten Kennzeichen dieser ganzen Monate ist, dass der prokapitalistische Diskurs, der seit längerer Zeit die einzige Möglichkeit einer oppositionellen Sichtweise zu sein schien, verschwunden ist. Natürlich wird diskutiert „über welchen Sozialismus wir eigentlich sprechen” oder welche Eigenschaften dieser Sozialismus haben soll. In manchen Fällen — und ohne böse Absicht — werden Vorstellungen und Entwürfe reproduziert, die nominell sozialistisch sind, aber viele Widersprüche aufweisen und in sich die hässlichen Züge des Liberalismus tragen.

Fürchten die Kubaner in dieser Zeit des Übergangs eine Intervention der USA? Womit müsste die Regierung Bush rechnen, wenn sie einen solchen Plan durchführen wollte?

Man darf nicht unterschätzen, wozu ein im Verfall begriffenes Imperium in der Lage ist, aber ich glaube, sie werden nicht über Rhetorik hinausgehen. Die Bush-Regierung hat den Belagerungsring um Kuba aufs engste zusammengezogen. Die einzige Möglichkeit, die ihr bleibt, ist die Aggression, für einen solchen Handstreich fehlen aber die Bedingungen. Außerdem kennt das Pentagon die kubanischen Abwehrmaßnahmen sehr gut, und dem CIA ist bewusst, dass solche Aktionsformen das Volk nicht spalten können. Im Gegenteil, sie können es auf durchschlagende Weise zusammen schweißen.

Schon jetzt ist in den konservativen Medien eine Kampagne gegen Fidel Castro und das sozialistische Regime zu beobachten. Was erwarten die Kubaner von der internationalen Solidarität?

Unterstützung, Verständnis und konstante Wachsamkeit, um den Verleumdungskampagnen entgegenzutreten und um Aggressionen jedweder Art gegen Kuba zu verhindern. Das Wichtigste ist zu verstehen und sich bewusst zu machen, dass das kubanische Volk eine enorme praktische und moralische Verantwortung für den Kampf aller unterdrückten Völker trägt. Kubas Kampf ist der Kampf aller Unterdrückten.


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