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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 14

Kuba:

Die gemischte Wirtschaft schafft neue Herausforderungen

von Claudio Scaletta

Durch die Wirtschaftsreformen der 90er Jahre ist eine gemischte Wirtschaft entstanden, die ökonomische und soziale Ungleichgewichte geschaffen hat. Die alten ideologischen Parameter reichen nicht mehr.
Der erste Blick auf die kubanische Wirtschaft ist nicht sonderlich erfreulich. Die wenigen Autos auf den Straßen stammen aus den 50er und 60er Jahren, es gibt viele Fahrräder, die Löhne sind sehr niedrig, auch wenn sie von internationalen Unternehmen gezahlt werden, 60% der Wirtschaft befinden sich in den Händen des Militärs, dynamische Sektoren wie Tourismus und Bergbau werden zunehmend von ausländischem Kapital ausgebeutet (wie immer auch dessen Verbindungen zum Staat aussehen mögen). Die Kommunikationsmedien, nicht nur die Presse, sind eingeschränkt, auch das Internet. Es werden hauptsächlich Primärgüter exportiert, und die Wettbewerbsprobleme auf der mikroökonomischen Ebene ähneln sehr stark den Schwierigkeiten, die die Ökonomien des Ostblocks zur Zeit ihres Niedergangs kennzeichneten.
Eine andere Seite offenbart der Blick auf den Zugang zu Bildung und Gesundheit — hier steht die Insel auf Platz 51 des Human Development Index (HDI) der UNO. Auf dieser Liste rangiert Argentinien auf Platz 38 und Brasilien auf Platz 70. Das reiche Nachbarland Mexiko, Mitglied der Nordamerikanischen Freihandelszone, steht eine Stufe tiefer, auf Platz 52. Der HDI vereint Indikatoren wie die Lebenserwartung bei der Geburt, die Alphabetisierungsrate und das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner eines Landes. Letzteres lag 2007 in Kuba bei 6000 Dollar. Der Großteil der Länder um die Insel herum liegt weit abgeschlagen hinter Platz 100, Haiti ganz unten auf Platz 142.
Aber es sind nicht diese Zahlen, die die Kubaner auf der Straße beschäftigen, vielleicht weil es Errungenschaften sind, die bereits verwirklicht wurden. Die Kubaner leben im Alltag mit anderen Entbehrungen: geringen Einkünften, Wohnungsnot, Mängel im öffentlichen Transport. Das Trivialste ist immer noch, dass Fleisch ein Luxusprodukt ist. Gleichzeitig bombardieren US-Medien die Insel und künden von der Existenz einer anderen, vor Waren strotzenden, Welt. Für die neuen Generationen, die nach der Revolution geboren sind, scheint der revolutionäre Impetus eine Sache der Älteren zu sein. Außerdem können sie aus der Nähe die neuen sozialen Unterschiede betrachten, die sich aus der Dualwirtschaft entwickelt haben.

Monokultur und Harmonie

Vom Anbeginn seiner Geschichte an ist Kuba in der internationalen Arbeitsteilung als Exporteur von Primärgütern aufgetreten. In der Kolonialzeit war bis vor der Revolution Zuckerrohr das wichtigste Exporterzeugnis — ein Schlüsselfaktor für das Verständnis der sozialen Organisation des Landes. Die Revolution brachte in ihren ersten Jahren die Beseitigung des privaten Sektors in der Wirtschaft, die zentrale Planung und die Schaffung des „neuen Menschen”, aber sie beseitigte nicht die Devisen bringende Zuckermonokultur. 1989 war Kuba weltweit der zweitgrößte Exporteur. Größtenteils gingen die Exporte in die sog. sozialistischen Länder, aus denen Kuba wiederum Erdöl zu staatlich gestützten Preisen bezog.
Leitbild der Arbeitsorganisation war die Idee der vollen Nutzung der menschlichen Ressourcen und die Vorstellung, Arbeit sei eher eine soziale Pflicht als eine Form, „seinen Lebensunterhalt zu verdienen”, die Entlohnung deshalb primär „moralisch” statt geldlich. Das führte dazu, dass das Militär die Produktion hart reglementierte. Auf diese Weise wurde das Militär zu einem Teil des Produktionsapparats, den es jetzt zu einem guten Teil kontrolliert.
In dem Jahrzehnt, das dem Fall der Mauer vorausging, setzte ein Urbanisierungsprozess ein: öffentliche Dienstleistungen wurden entwickelt, der Bausektor und einige Projekte in der Leichtindustrie. Es gab nicht viel, aber für jeden etwas. Und so trieb der Staat als einzige Quelle von Löhnen und Gehältern die Homogenisierung der Gesellschaft voran.

Der Fall der Mauer

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks verlor Kuba 75% seiner Exportmärkte und den Zugang zu preiswerter Energie. Bei einer auf die internationalen Märkte orientierten Monokultur mit niedrigen Produktpreisen bedeutete das unvermeidlich die Krise. Diese verstärkte sich, als die USA ab 1992 die Blockade intensivierten. Die Regierung versuchte die Lebensmittelpreise zu halten, aber bei einem um 40% schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt und dem Verlust der wirtschaftlichen Unterstützung von außen konnte das Angebot die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Es dauerte nicht lange, bis ein Schwarzmarkt entstand. Die staatlichen Löhne und Gehälter begannen ihre nivellierende Funktion zu verlieren.
Die erste Reaktion der Regierung bestand darin, einen Absturz der sozialen Indikatoren zu verhindern, indem sie die Verteidigungsausgaben reduzierte und die Verschuldung erhöhte. Außerdem begann sie, die Produktionsstruktur zu diversifizieren. Neue Wirtschaftszweige zur Erwirtschaftung von Devisen wurden aufgetan, darunter der Tourismus, der Abbau von Nickel und die Biotechnologie.
Um Devisen mit Gewinn zu erwirtschaften, war es jedoch notwendig, sich Gedanken über die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte zu machen und erneut über die Anreize nachzudenken, die entwickelt worden waren, als es um die Schaffung des „neuen Menschen” ging. Der Weg, den man einschlug, war die gemischte Wirtschaft und Verbindungen zum ausländischen Kapital. Chinesisches Kapital floss in den Bergbau, europäisches und kanadisches Kapital in den Tourismus. Zu Beginn des neuen Jahrtausends begannen die Exporte auch in nichttraditionellen Sektoren wie Biotechnologie und pharmazeutische Industrie zu wachsen — gleichwohl sind sie für die Gesamtstruktur noch nicht relevant. Dasselbe gilt für den Gesundheitsbereich. Die Regierung ist überzeugt, dass die Vorteile, die sich aus der hohen Qualifikation eines bedeutenden Teils der Bevölkerung ergeben, genutzt werden müssen.
Neben den Veränderungen, welche die Krise hervorgerufen hat, gab es auch eine neue Agrarreform. 1993 kam es zu einer Umkehr im System des landwirtschaftlichen Eigentums. 75% der Ländereien gingen in die Hände von Kooperativen und einzelnen Landwirten über, ab September 1994 wurde eine freie Preisbildung eingeführt. Der Staat ist zwar weiterhin der Hauptabnehmer, doch es gibt keine zentrale Planung mehr. 2006 existierten auf der Insel ungefähr 7000 landwirtschaftliche Kooperativen.
Die abrupte Unterbrechung der sowjetischen Erdöllieferungen war einer der traumatischsten Aspekte der Krise. Der gesamte in Kuba existierende Maschinenpark, insbesondere alle Transportmittel sowjetischen Ursprungs oder aus der Zeit vor der Revolution, erwies sich als veraltet, nicht nur technologisch, sondern auch in Hinblick auf den Energieverbrauch. Während der sog. período especial griff man intensiv auf Pferdekraft zurück: im öffentlichen Verkehr auf Fahrräder, auf dem Land auf Tierfuhrwerke.
In den letzten Jahren hat die Handelskooperation mit Venezuela die Lage entspannt. Nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL — Comisión Económica para América Latina) stiegen die kubanischen Exporte nach Venezuela von 500 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 2,5 Milliarden im Jahr 2005. Ein großer Teil dieser Mittel dient dem Kauf von Erdöl zu Preisen unter dem Weltmarktniveau.

Die duale Gesellschaft

Die wirtschaftlichen Reformen haben auch unerwünschte Effekte. Zum einen haben diejenigen, die in den dynamischsten Sektoren der gemischten Wirtschaft beschäftigt sind, Zugang zu einem signifikant höheren Einkommen. Zum anderen bringt der Tourismus Devisen und damit neue Möglichkeiten für diejenigen, die sie nutzen können. So sind zum Beispiel ein Taxifahrer, eine Prostituierte oder ein Straßenverkäufer in der Lage, ein höheres Einkommen zu erzielen als Ärzte, Ingenieure und Wissenschaftler. Damit gerät die alte Struktur der „moralischen Anreize” in die Krise. Verdienste in der Arbeit und in der Politik stellen nicht mehr die einzigen Zugänge zu größeren Privilegien dar — und das hat eine ideologische Spaltung in der Gesellschaft hervorgerufen.
Hinzu kommt, dass die beiden wichtigsten Bereiche der Gesellschaft, die zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, sich aus ganz verschiedenen Quellen speisen: dem öffentlichen Sektor und dem informellen und gemischten Sektor. Aus orthodoxer Sicht schafft letzterer dabei Raum für den Aufstieg einer Bourgeoisie. Eine der Debatten, die in den letzten Jahren auf der Insel geführt wurden, betrifft die Zulassung „unabhängiger Arbeit”, die Formen von verdeckter Lohnarbeit ermöglichen könnte.
Es gibt jetzt eine neue Gruppe von Menschen, die Einkommen beziehen, die nicht mehr dem „Verdienstprinzip” entsprechen. Hinzu kommen jene, die Überweisungen von ihren Familien im Ausland erhalten. Das 2005 verhängte Verbot des Umlaufs von US-Dollars und seine Ablösung durch konvertierbare kubanische Pesos (CUC), auf der Insel auch „Chavitos” oder „Schwindeldollar” (dólar de mentirita) genannt, führte zu einem Vertrauensverlust in die lokale Währung und reproduzierte in der monetären Sphäre die Zweiteilung, die sich bereits in der Realwirtschaft gezeigt hatte. Das ist der Hintergrund, vor dem die Nachfolger Fidel Castros die Zukunft des kubanischen Modells entwickeln müssen.

Gekürzt aus Página/12 (Buenos Aires) (Übersetzung: Harald Etzbach)



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