SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 21

Marx‘ Gespenster?

Der SDS wird ein Jahr alt...

von Thomas Goes

SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) hieß die Studentenorganisation, die nach ihrem Ausschluss aus der SPD 1961 zum Kristallisationspunkt der 68er Bewegung und der „Neuen Linken” wurde. Die Linke.SDS nennt sich ein vor zwei Jahren gegründeter Studierendenverband der Partei Die Linke in offensichtlichem Anspruch, die Tradition aufzugreifen und es „besser als 68” zu machen.
Im Jahr 1970 löste sich der zerstrittene SDS auf. Es folgten K-Gruppen, Basisbewegungen, Frauen- und Umweltbewegungen und schließlich Grüne. An den Hochschulen dominierten innerhalb des sozialistischen Milieus bis in die späten 80er Jahre der Sozialistische Hochschulbund (SHB) und der DKP-Verband MSB Spartakus. Aus war der ganze Spuk Anfang der 90er Jahre. Spätestens Mitte des Jahrzehnts war es vorbei mit organisierter sozialistischer Hochschularbeit. Mit der Gründung der Linkspartei sollte sich das ändern. Seit knapp einem Jahr gibt es ihn wieder, den SDS (www.linke-sds.org). Im Mai 2007 gründeten Studierende in Frankfurt einen sozialistisch-demokratischen Verband, der sich mit der Namensgebung bewusst in die Tradition der Neuen Linken stellt. Sie will also wieder da sein, die sozialistische Hochschulpolitik.
Nach rund einem Jahr sieht es gut aus mit dem Organisationsaufbau. Grundsätzlich sucht der Verband noch nach eigenen Positionen, nach Konzepten für eine konkrete Hochschulpolitik, und diskutiert über das richtige Verhältnis zur Linkspartei. Vieles ist noch unbestimmt, das überrascht nicht. Insgesamt ist die Bilanz aber durchaus positiv: An 55 (Fach-)Hochschulen gibt es Gruppen, beim Bundesverband gibt es Arbeitsgruppen zum Krieg in Afghanistan, zu Bildungsarbeit und Theorie sowie zur Hochschulpolitik. Im Herbst 2007 gab es eine Herbstakademie, kritische Theorie soll mit der Kapitallesebewegung an die Unis zurückgebracht werden, und auch an einer neuen hochschulpolitischen Denkschrift wird gearbeitet. Vom 2. bis 4.Mai organisiert der Verband einen 68er-Kongress (www.1968kongress.de, siehe Seite 23). Eine ganze Menge nach einem Jahr.

Eine plurale Linke?

Alles wunderbar also? Nicht ganz. Es gibt zwei grundlegende Probleme, mit denen sich der neue SDS beschäftigen muss. An Themen und Konflikten, die er aufgreifen kann, besteht kein Mangel. Aber erstens bewegt er sich in einem von anderen besetzten Raum. Denn „die Linke” an den deutschen Hochschulen gibt es schon: rechts vom SDS die Jusos und z.T. die grünen Hochschulgruppen, andererseits die grün-alternativen Listen und die autonomen Basisgruppen. Zwar verfügen die nicht über eine feste bundesweite Organisation, wegzudenken sind sie aus der Hochschulpolitik jedoch ganz sicher nicht. Wie stellt sich der Verband also inhaltlich und bündnispolitisch auf? Diese Frage muss praktisch vor Ort beantwortet werden, aber eins ist klar: Die organisatorische Stärke des SDS ist es, lokal, regional und auch bundesweit als Bündnismotor und -plattform agieren zu können.
Das zweite Problem betrifft alle Hochschulgruppen gleichermaßen. Die Studienstrukturreform und die Einführung von Studiengebühren machen freiwilliges Engagement zwar nicht unmöglich, schwieriger und kurzfristiger aber wird es allemal. Die Arbeitsbelastung der Studierenden wird verdichtet, die Frei- und Studienzeit insgesamt verkürzt. Das heißt nicht, dass es kein Interesse mehr für Politik gibt. Allerdings dürfte es nur sehr wenigen Studierenden möglich sein, sich länger und intensiver in die lokale Gruppenarbeit oder gar in die Verbandsarbeit einzubringen. Ohne dies geht es aber nicht. Damit hängen viele Herausforderungen zusammen, von denen hier nur eine angedeutet sei: Verankern kann sich der SDS an den Hochschulen nur dann, wenn er sich ein Milieu schafft. Das setzt beispielsweise voraus, dass es Leute gibt, die sich in Fachschaften und Unigremien engagieren.

Rage against the machine

An Themen mangelt es sicherlich nicht. 1968 — das war eine Kritik an der Verflechtung von Ausbildung und Forschung mit Konzern-, Verbände-, Staats- und Militärinteressen, die sich auch aus bürgerlichen Quellen speiste. Angegriffen wurde die Standardisierung des Studiums bis hin zur Ausbildung von Fachidioten. Eine Quelle der Studierendenproteste war die fordistische Bildungsreform. Die Free-Speech-Movement im US-amerikanischen Berkeley, eine der damals größten staatlichen amerikanischen Hochschulen, symbolisierte diesen Aspekt der Revolte wie kein anderer Konflikt.
Heute muten die damals kritisierten Zustände harmlos an — zumindest dann, wenn man sie mit dem gegenwärtigen Ausmaß an Drittmittelforschung, elitären Hochschuloptimierungskonzepten, disziplinierenden Studienstrukturen und sozial selektiven Gebühren vergleicht. Kaum verhohlen werden Hochschulausbildung und Forschungslandschaft in den Dienst des Wirtschaftsstandorts gestellt. Die Hochschulen sind mehr denn je flexible Zulieferbetriebe ökonomisch und bürokratisch verwertbaren Wissens und Personals. Und doch gibt es einen kleinen Unterschied: Heute wird überproduziert. Und die Studierendenproteste der vergangenen zehn Jahre haben immer wieder thematisiert, dass die Verschulung des Studiums von einer Mehrheit abgelehnt wird. Gemeint ist damit ein einseitig vorgegebener Bildungskanon ohne freie Gestaltungsmöglichkeiten. Er engt die Autonomie der Menschen und ihrer Bildungsprozesse ein und transportiert den Druck des Arbeitsmarkts, der sehr wohl empfunden wird.

Intelligenz und Klassenkampf

Insbesondere sozialistische Studierende diskutierten in den 70er und 80er Jahren über das Verhältnis der Intelligenz zur Arbeiterklasse. Klassentheoretisch ist das eine offene Frage; praktisch ist die soziale Frage in den Hochschulen längst angekommen. Das gilt für die Studierenden ebenso wie für einen teilweise mehr als prekär arbeitenden und lebenden akademischen Mittelbau, der diesen Namen kaum mehr verdient. Studierenden steht längst nicht mehr eine gesicherte berufliche Zukunft bevor. Einem guten Teil wird die Tür zur Mittelschicht vor der Nase zugeschlagen. Das gilt insbesondere für Sozialwissenschaftler, pädagogisch Ausgebildete und Gesellschaftswissenschaftler, kann je nach Konjunktur freilich auch für anwendungsbezogene Studiengänge gelten: die BWLer-Schwemme ist ein bekanntes Phänomen.
Anders als der starke keynesianische schafft der flexible und aktivierende Staat keine umfassenden Beschäftigungsmöglichkeiten mehr. Die Folge sind hochqualifizierte, mobile und nur teilzeitbeschäftigte Arbeitskräfte. Wie die damit verbundenen Erfahrungen verarbeitet werden, ist eine politisch offene Frage, an der sich der SDS abarbeiten sollte.
Selbst wenn sie es wollte, könnte eine radikale Hochschulpolitik also keineswegs vor den Toren der Hochschulen halt machen. Das allein schon deshalb nicht, weil diese Grenzen nur noch schwer erkennbar sind. Das alles ist bekannt und wird von vielen Genossinnen und Genossen diskutiert. Vernehmbare orientierende Antwortversuche gab es im ersten Jahr des SDS jedoch kaum. Die organisatorischen Herausforderungen müssen wohl tastend gelöst werden. Die angesprochenen inhaltlichen Punkte machen durchaus Mut für zukünftige sozialistische Studierendenpolitik. Eine gewerkschaftliche Orientierung, soviel sei abschließend angedeutet, wäre eine durchaus aktualisierbare Strategie angesichts der sozialen und kulturellen Zwänge, die wir heute an den Hochschulen vorfinden.

Der Autor arbeitet im SDS Göttingen.


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