SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die politische Wende der Jahre 198991 war ein historischer Einschnitt.
Sie besiegelte das Ende eines Gesellschaftssystems, das sich selbst „Realsozialismus” nannte,
eine Etikettierung, die vor allem dazu da war, alternative Vorstellungen von sozialistischer
Vergesellschaftung ins Reich irrealer Ideen zu verbannen. Ergebnis war die Reintegration der RGW-Staaten in
den kapitalistischen Weltmarkt und die dazu passenden bürgerlichen Herrschaftsformen.
Durch die Brille sozialemanzipatorischer
Zielsetzungen lässt sich diese Entwicklung kaum als nur positiv oder negativ beurteilen. Sie ist z.B.
negativ, weil das System des „Realsozialismus” den Handlungsspielraum des kapitalistischen
Weltsystems begrenzt hat und Anteil daran hatte, dass die Eliten des Kapitalismus bereit waren, für
die Integration der Arbeiterklasse in das politische System des Westens einen politischen Preis zu zahlen.
Doch ist damit nur die berühmte eine Seite der Medaille benannt. Die andere verweist auf die Tatsache,
dass der „Realsozialismus” nicht auf gewaltsame Weise und gegen massiven Widerstand zu Grabe
getragen wurde, sondern durch Implosion, durch die völlige Erschöpfung seiner emanzipatorischen
Reserven am Ende war nicht einmal mehr das Herrschaftspersonal bereit, für seine Verteidigung
etwas zu riskieren. Vollzogen wurde eine friedliche Übergabe, die man auch Kapitulation nennen kann.
Vorgeschichte und Ende bewirkten, dass die
Verbindung von Kommunismus und Emanzipation in den Köpfen der meisten Menschen heute als etwas
Unvereinbares gilt. Mit den Gründen für diese Entwicklung befasst sich das neue Buch von
Christoph Jünke, dessen besondere Aktualität er zu recht darin sieht, dass sich auf der Linken
neostalinistische Denkmodelle verstärkt breit machen. Das Buch ist eine politische Intervention gegen
diese Ansätze und umfasst neu überarbeitete Texte, die der Autor in Vorträgen und in Form
von Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen in der Zeit von 2000 bis 2007 verfasst hat, ergänzt um
einen Artikel des im letzten Jahr verstorbenen Manfred Behrend. Im ersten Teil des Bandes werden
antistalinistische Lernprozesse der Vergangenheit dokumentiert. Im zweiten geht es um den aktuellen
Neostalinismus. Im dritten Kapitel werden die Vorstellungen des russischen Intellektuellen Boris
Kagarlitzki vorgestellt. Am Ende des Buches skizziert der Autor Grundzüge für eine Erneuerung der
sozialistischen Linken.
Der historische erste Teil beginnt mit
einer positiven Würdigung der Stalinismusanalyse Isaac Deutschers, dem als negatives Beispiel die
Sichtweise Werner Hofmanns gegenübergestellt wird, dessen 1967 verfasster Aufsatz mit dem Titel
„Was ist Stalinismus?” noch heute viel zitiert wird. Jünke argumentiert überzeugend,
dass Hofmann nicht in der Lage war, die Klassennatur des Stalinismus zu begreifen. Hofmann sah den
Stalinismus lediglich als Machtexzess auf Basis eines sozialistischen Systems und reduzierte so
Jünke letztlich „die emanzipative Logik des Sozialismus auf die Logik bürgerlicher
(Macht-)Politik” Ausgesprochen interessant sind die Kapitel über Georg Lukács und Leo
Kofler. Sie veranschaulichen, wie stark theoretische Positionen durch erfolgreiche oder ausbleibende
soziale Emanzipationsprozesse geprägt und auch wieder infrage gestellt werden.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht das
in der Linken stark begrüßte Buch Eine kurze Geschichte der Demokratie von Luciano Canfora sowie
Texte seines italienischen Kollegen Domenico Losurdo. Jünke gelingt der überzeugende Nachweis,
dass diese Positionen nicht erklären können, warum der Realsozialismus an seinen inneren
Widersprüchen zugrunde gegangen ist. Sie scheitern u.a. daran, dass sie die emanzipatorische Dialektik
von Demokratie und Sozialismus nicht erfassen. Für die Darstellung dieses Zusammenhangs bezieht sich
Jünke auf Lenin, Trotzki und Luxemburg, die gleiche und unterschiedliche Akzente setzen. Jünke
zeigt ein erfreuliches Verständnis für die kritische Position Luxemburgs an der Politik der
Bolschewiki. Eine zentrale These des Buches ist: „Stalinismus war und ist nicht zuletzt eine Art
politisch zu denken und zu handeln, eine politische Theorie und Praxis, die weit über dessen
historische Verkörperung hinausweist und sich von diesem auch ganz lösen kann."
Dem kann ich nur uneingeschränkt
zustimmen. Weiteren Diskussionsbedarf sehe ich an einem anderen Punkt: Trotzki, Lenin und Luxemburg stehen
zweifellos für den Antistalinismus. Aber ob sie auch gemeinsam für eine zukunftsweisende
Verbindung von Demokratie und Sozialismus stehen, darf bezweifelt werden. Die Deformation des
sozialrevolutionären Prozesses in Russland begann nicht erst mit der Entfernung und Ermordung der
trotzkistischen Opposition sondern bereits mit der Niederschlagung des Aufstands der Kronstädter
Matrosen, die Trotzki einmal „die Schönheit und den Stolz der Oktoberrevolution” nannte.
Die gewaltsame Zerstörung dieser demokratischen Arbeiterrevolte durch die Bolschewiki Lenins und
Trotzkis zeigte bereits sehr früh, wie instrumentell und wenig wertschätzend die bolschewistische
Partei Demokratie begriff. In diesem Sinne besteht die Aktualität Lenins auch vor allem darin zu
erinnern, dass ein Begriff von Demokratie, der hinter Rosa Luxemburgs Kritik der russischen Revolution
zurückfällt, für die Emanzipation der Arbeiterklasse nur ein Hindernis sein kann.
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