SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 04

SPD-Beschluss zur Bahnprivatisierung

Der Wortbruch ist perfekt

von CHRISTOPH BAUTZ

Der Beschluss des SPD-Parteitags vom letzten Oktober war an Eindeutigkeit kaum zu überbieten: „Kapitalinvestoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik der Bahn erhalten.” Kurt Beck hatte nur knapp einen Beschluss verhindern können, welcher der SPD jegliche Privatisierung der Bahn untersagt hätte.
Doch schon drei Tage nach dem Parteitag zauberte Bundesfinanzminister Steinbrück ein „Holding-Modell” aus dem Hut, mit dem der Transportbereich der Bahn zur Hälfte an Kapitalinvestoren verkauft werden soll — eine dreiste Missachtung des Parteibeschlusses.
Seitdem wurde in der Partei um die Privatisierung des letzten noch in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge gerungen. Im März machte Parteichef Beck dann das Thema zu Chefsache und damit zu einem Gradmesser, in wieweit er sich in der Partei noch durchsetzen und die Flügel zusammenhalten kann. Die Sachfrage Bahn wurde zur Machtfrage.
Ende April beschloss der SPD-Parteirat einen Privatisierungsvorschlag, der im Kern dem Steinbrück‘schen „Holding-Modell” entspricht. Offiziell heißt es, ein Kompromiss sei erzielt worden. Lediglich 24,9% des Transportbereichs der Bahn sollten privatisiert werden, die sensible Infrastruktur bleibe beim Staat.

Fast einem Drittel der Schienen droht Stilllegung

Doch was so harmlos daher kommt, ist bei genauer Analyse eine Zäsur für die Bahn und damit für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik. Weder wird der Renditedruck durch eine geringere Beteiligung von Investoren niedriger, noch sind die 24,9% unabänderlich. Mit weiter wachsendem Renditedruck drohen sämtliche unprofitablen Strecken stillgelegt, der Fahrplan ausgedünnt und die Fahrpreise massiv erhöht zu werden.
Wie massiv die Kürzungen besonders im Fernverkehr aussehen könnten, prognostizierte Anfang April ein Gutachten der Beratungsfirma KCW. Nahezu sämtlichen IC-Verbindungen droht die Streichung, weitere 15 Städte sollen vom Fernverkehr abgekoppelt werden. Nach internen Plänen der Bahn sollen nach erfolgter Privatisierung bis zu 10000 Kilometer Schiene stillgelegt werden — von derzeit 34000 Kilometern.
Auch mit einer Beteiligung von „nur” 24,9% haben Kapitalinvestoren erheblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik: Nach dem Aktiengesetz haben sie im Rahmen der so genannten Treuepflicht Anspruch auf die Erwirtschaftung einer höchstmöglichen Rendite. Weicht der Vorstand von dieser Vorgabe ab und erhält unprofitable Verbindungen oder Strecken, dann können ihm die Investoren mit einem „Nachteilsausgleich” drohen. Hierfür ist es egal, ob 49,9%, 24,9% oder auch nur 5% veräußert wurden.
Verschärft wird der Renditedruck noch, wenn der Unternehmensteil an die Börse gebracht und nicht direkt an Investoren verkauft wird. Dann muss Kurspflege und damit maximale Profitabilität betrieben werden, sonst drohen feindliche Übernahmen.
Für FDP und Union ist bereits klar, dass das SPD-Modell nur der Auftakt für eine Vollprivatisierung des Transportbereichs ist. Denn die SPD sieht keine feste Haltelinie vor, die weitere Privatisierungsschritte ausschließt. Bei entsprechenden politischen Mehrheiten wird dem auch nicht der von der SPD-Spitze und Transnet angestrebte Struktursicherungstarifvertrag im Wege stehen.
Doch der SPD-Vorschlag zur Bahnprivatisierung hat noch einige Hürden zu nehmen. Der Bundestag muss ihn noch verabschieden, und auch die Länder wollen noch ein Wörtchen mitreden. Sie befürchten, dass sie für bisherige IC-Verbindungen, die zukünftig vom Nahverkehr bedient werden sollen, zahlen müssen.

Noch ist nicht alles verloren

Immer wieder schien in den letzten Jahren bei der Bahnprivatisierung schon alles ausgemacht zu sein — und dann tauchten wieder neue Hürden auf. Insbesondere die stark gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema verhinderte, dass eine Privatisierung still und leise beschlossen werden konnte. Die neueste vom Bündnis „Bahn für Alle” in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage ergibt, dass 70% der Bevölkerung gegen jede Variante der Bahnprivatisierung sind. Für die große öffentliche Beachtung waren die vielfältigen Aktivitäten des Bündnisses „Bahn für Alle” und auch die Aktionen des Online-Netzwerks Campact wichtig.
Je näher der politische Prozess an die Bundestagswahlen heran rückt, umso mehr scheuen sich die Koalitionsparteien vor unpopulären Entscheidungen. Noch gibt es Chancen, den Ausverkauf der Bahn zu verhindern.

Weitere Informationen unter www.campact.de und unter www.deinebahn.de. Christoph Bautz ist Diplom- Biologe und Politikwissenschaftler. Er baute die Bundesgeschäftsstelle von Attac Deutschland auf, ist Mitinitiator der Bewegungsstiftung und arbeitet nun vollzeit für das Onlinenetzwerk Campact. In den letzten Monaten organisierte Campact vielfältige Aktionen im realen und virtuellen Raum gegen die Privatisierung der Bahn.


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