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Der Beschluss des SPD-Parteitags vom letzten Oktober war an Eindeutigkeit
kaum zu überbieten: „Kapitalinvestoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik
der Bahn erhalten.” Kurt Beck hatte nur knapp einen Beschluss verhindern können, welcher der SPD
jegliche Privatisierung der Bahn untersagt hätte.
Doch schon drei Tage nach dem Parteitag
zauberte Bundesfinanzminister Steinbrück ein „Holding-Modell” aus dem Hut, mit dem der
Transportbereich der Bahn zur Hälfte an Kapitalinvestoren verkauft werden soll eine dreiste
Missachtung des Parteibeschlusses.
Seitdem wurde in der Partei um die
Privatisierung des letzten noch in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmens der öffentlichen
Daseinsvorsorge gerungen. Im März machte Parteichef Beck dann das Thema zu Chefsache und damit zu
einem Gradmesser, in wieweit er sich in der Partei noch durchsetzen und die Flügel zusammenhalten
kann. Die Sachfrage Bahn wurde zur Machtfrage.
Ende April beschloss der SPD-Parteirat
einen Privatisierungsvorschlag, der im Kern dem Steinbrückschen „Holding-Modell”
entspricht. Offiziell heißt es, ein Kompromiss sei erzielt worden. Lediglich 24,9% des
Transportbereichs der Bahn sollten privatisiert werden, die sensible Infrastruktur bleibe beim Staat.
Doch was so harmlos daher kommt, ist bei genauer Analyse eine Zäsur für die Bahn und damit
für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik. Weder wird der Renditedruck durch eine geringere
Beteiligung von Investoren niedriger, noch sind die 24,9% unabänderlich. Mit weiter wachsendem
Renditedruck drohen sämtliche unprofitablen Strecken stillgelegt, der Fahrplan ausgedünnt und die
Fahrpreise massiv erhöht zu werden.
Wie massiv die Kürzungen besonders im
Fernverkehr aussehen könnten, prognostizierte Anfang April ein Gutachten der Beratungsfirma KCW.
Nahezu sämtlichen IC-Verbindungen droht die Streichung, weitere 15 Städte sollen vom Fernverkehr
abgekoppelt werden. Nach internen Plänen der Bahn sollen nach erfolgter Privatisierung bis zu 10000
Kilometer Schiene stillgelegt werden von derzeit 34000 Kilometern.
Auch mit einer Beteiligung von
„nur” 24,9% haben Kapitalinvestoren erheblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik: Nach dem
Aktiengesetz haben sie im Rahmen der so genannten Treuepflicht Anspruch auf die Erwirtschaftung einer
höchstmöglichen Rendite. Weicht der Vorstand von dieser Vorgabe ab und erhält unprofitable
Verbindungen oder Strecken, dann können ihm die Investoren mit einem „Nachteilsausgleich”
drohen. Hierfür ist es egal, ob 49,9%, 24,9% oder auch nur 5% veräußert wurden.
Verschärft wird der Renditedruck noch,
wenn der Unternehmensteil an die Börse gebracht und nicht direkt an Investoren verkauft wird. Dann
muss Kurspflege und damit maximale Profitabilität betrieben werden, sonst drohen feindliche
Übernahmen.
Für FDP und Union ist bereits klar,
dass das SPD-Modell nur der Auftakt für eine Vollprivatisierung des Transportbereichs ist. Denn die
SPD sieht keine feste Haltelinie vor, die weitere Privatisierungsschritte ausschließt. Bei
entsprechenden politischen Mehrheiten wird dem auch nicht der von der SPD-Spitze und Transnet angestrebte
Struktursicherungstarifvertrag im Wege stehen.
Doch der SPD-Vorschlag zur
Bahnprivatisierung hat noch einige Hürden zu nehmen. Der Bundestag muss ihn noch verabschieden, und
auch die Länder wollen noch ein Wörtchen mitreden. Sie befürchten, dass sie für
bisherige IC-Verbindungen, die zukünftig vom Nahverkehr bedient werden sollen, zahlen müssen.
Immer wieder schien in den letzten Jahren bei der Bahnprivatisierung schon alles ausgemacht zu sein
und dann tauchten wieder neue Hürden auf. Insbesondere die stark gestiegene öffentliche
Aufmerksamkeit für das Thema verhinderte, dass eine Privatisierung still und leise beschlossen werden
konnte. Die neueste vom Bündnis „Bahn für Alle” in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage
ergibt, dass 70% der Bevölkerung gegen jede Variante der Bahnprivatisierung sind. Für die
große öffentliche Beachtung waren die vielfältigen Aktivitäten des Bündnisses
„Bahn für Alle” und auch die Aktionen des Online-Netzwerks Campact wichtig.
Je näher der politische Prozess an die
Bundestagswahlen heran rückt, umso mehr scheuen sich die Koalitionsparteien vor unpopulären
Entscheidungen. Noch gibt es Chancen, den Ausverkauf der Bahn zu verhindern.
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