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Selbst mit der Ankündigungen, die Einnahmen von rund 100000 Euro durch
den sog. „Zug der Erinnerung” zu spenden, schafft die Deutsche Bahn AG (DB) es nicht, sich aus
dem PR-Desaster zu befreien, das sie sich eingebrockt hat.
Am 9.November startete der „Zug der
Erinnerung” in Frankfurt am Main. Er machte an etwa 60 Bahnhöfen halt, am 8.Mai erreicht er
Auschwitz. Die Idee für diese besondere Ausstellungsform wurde in Frankreich geboren. Dort
organisierten Serge und Beate Klarsfeld mit Hilfe der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF eine
Wanderausstellung, die sich auf die vielen deportierten Kinder konzentrierte. Eine Bürgerinitiative
nahm die Idee für Deutschland auf. Leider gab es hierzulande keine Unterstützung vom
Nachfolgeunternehmen der Reichsbahn, der DB. An jedem Bahnhof, in dem Halt gemacht wird, muss die
Ausstellung Gleisgebühren entrichten, die in selber Höhe auch Güterzüge zahlen.
Egal wo der Zug hält, stets ähnelt sich das Bild Hunderte Menschen stehen bisweilen
mehrere Stunden lang Schlange, bevor sie die Ausstellung sehen können. Es lohnt sich. Den Machern ist
eine schwierige Gratwanderung gelungen. Die Konzentration auf Einzelschicksale bindet die emotionale
Aufmerksamkeit des Besuchers bewusst zeigt man die deportierten Kinder „unversehrt”,
verankert in einem deutschen (polnischen, französischen, italienischen, niederländischen...)
Alltag. Eine Landkarte zeigt gleich zu Beginn das ungeheure Ausmaß der Deportationen. Nach den
Einzelschicksalen konfrontiert man den Besucher mit der unheimlichen logistischen Leistung der Deutschen
Reichsbahn.
Die personelle Kontinuität
dokumentieren zweier Täterbiografien die des Reichsbahnchefs und des Verkehrsministers. Beiden
litten nach ihrer Entnazifizierung 1945 an „Gedächtnisschwund” und konnten ihre Karrieren
fortsetzen. Ein besonderes Anliegen der Macher ist es, die Menschen vor Ort einzubeziehen, insbesondere
Schulklassen. Diese werden dazu ermuntert, Einzelschicksale von Kindern in ihren Heimatorten zu
recherchieren. Die Ergebnisse werden ausschnittweise präsentiert. Eine der Grundlagen der Recherche
ist das sog. Gedenkbuch, das auf einer Idee Serge Klarsfelds beruht (www.bundesarchiv.de/gedenkbuch).
Bislang hat der Verein „Zug der Erinnerung” mit Hilfe dieser tatkräftigen
Unterstützung 12089 deportierten Kindern einen Namen und ein Gesicht verleihen und sie dem Vergessen
entreißen können.
In Berlin hielt der „Zug der
Erinnerung” am Ostbahnhof, die Kontroverse um die verweigerte Einfahrt auf den schicken neuen
Hauptbahnhof drohte nahezu das eigentliche Anliegen zu überdecken. Die Zeitung Die Welt warf den
Initiatoren sogar einen „Egotrip mit der Bahn” vor, da die unrühmliche Geschichte ja
bereits im Nürnberger Bahnmuseum, im Deutschen Technikmuseum in Berlin und in anderen
Gedenkstätten aufgearbeitet sei. Der Begriff „Egotrip” charakterisiert wohl eher Mehdorns
DB. Das Angebot, die mit der Ausstellung eingenommenen 100000 Euro an jüdische Organisationen zu
spenden, lehnten diese dankend ab und wiesen auf den Ablasscharakter und antisemitischen Touch einer
solchen Geste hin. Das Eigentor, das die DB sich damit schoss, wird mit jedem der bislang mehr als 160000
Besucher größer.
Die Bedeutung der Ausstellung wird
besonders klar, nachdem man die gut zwei Wartestunden hinter sich gebracht hat und einerseits die vielen
immer noch bestehenden Wissenslücken mitbekommt, andererseits aber auch die tiefe Betroffenheit und
Bereitschaft der Menschen, sich auf das Thema einzulassen und das sind Menschen, die oft nur
zufällig auf den „Zug der Erinnerung” stoßen (in Köln war das einfach, hier
stand der Zug auf Gleis 1, der Dampf der Lok drang fast bis zum Dom).
In Berlin konnte man den Eindruck gewinnen,
dass viele Besucher ein Signal gegen Neonazis und Rassismus setzen wollten, aber auch gegen die sture
Haltung der Bahn. Auch Neonazis fühlten sich durch den Zug gestört, bei Kundgebungen gegen die
Blockadehaltung der DB kam es mit ihnen zu kleineren Zwischenfällen.
Anders als große und hehre Monumente
sind Initiativen dieser Art dazu angetan, das Gedenken zu fördern und anzuregen. Das zeigt das
anhaltende Interesse. Das nachhaltigste Beispiel für solche Initiativen sind wohl die Stolpersteine
des Kölner Künstlers Günter Demnig.
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