SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 13

Ein angekündigtes Desaster

Die kommunistische Linke ist im italienischen Parlament nicht mehr vertreten

von ANGELA KLEIN

Die chauvinistische Lega Nord macht in Norditalien einen Quantensprung, die nicht-sozialliberale Linke schafft die 4%-Hürde nicht mehr und fliegt aus beiden Kammern. Das ist das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 13./14.April in Italien.
Der Wahlsieger Silvio Berlusconi ist diesmal mit einem Parteienbündnis (das PdL) angetreten, unter dessen Dach sich Forza Italia und die rechtsextreme Alleanza Nazionale sammeln. Das „Volk der Freiheit” (Popolo della libertà — PdL) erzielte 4 Prozentpunkte Vorsprung vor dem sozialliberalen Parteienbündnis unter der Führung Walter Veltronis, die Demokratische Partei (PD). Die PD versammelt die ehemalige DS (die Mehrheit der früheren KP), sowie verschiedene linksbürgerliche Parteien. Erst im Wahlbündnis mit Antonio Di Pietros Partei Italia dei Valori (Italien der Werte) konnte das sozialliberale Bündnis mit der Rechten gleichziehen. Dabei hat das PdL sogar Stimmen verloren.
Was Berlusconi den Wahlsieg verschafft hat war, dass die Lega Nord ihre Stimmenzahl gegenüber 2006 verdoppelt hat. Sie kandidierte fast ausschließlich im Norden. In Regionen wie Lombardei und Venetien erhielt sie zwischen 20 und 30% der Stimmen, vor allem bei den Arbeitern konnte sie punkten. Mehr noch als beim letzten Mal ist die Regierung Berlusconi deshalb diesmal auf die Lega Nord angewiesen.
Erstmals in der Geschichte der italienischen Republik ist die nicht-sozialliberale Linke weder in der Kammer noch im Senat vertreten. Die PD hatte diesmal Wahlabsprachen mit der Regenbogenlinken um die Partei der kommunistischen Neugründung (Rifondazione Comunista — PRC) abgelehnt. Ihr Ziel war, die Regenbogenlinke unter die 4%-Marke zu drücken; das ist ihr gelungen. Die DP konnte ihr Wahlergebnis gegenüber 2006 halten, jedoch nur, weil sie der Regenbogenlinken die Stimmen abgejagt hat. Ihr Hauptargument dabei war „nützlich wählen” Die Hälfte der Stammwähler von Rifondazione ist zur PD übergelaufen. Ein Einbruch in rechte Wählerschichten ist ihr nicht gelungen. Die Regenbogenlinke (ein Bündnis aus Rifondazione, Grünen und PdCI [Partei der italienischen Kommunisten]) hat 2,8 Millionen Stimmen verloren und kommt nur noch auf 3%.
Diese Parlamentswahl, die nur zwei Jahren nach der Bildung der Regierung Prodi stattfand, hat das politische Spektrum klar nach rechts verschoben. Zum rechten Lager muss man noch die 2 Millionen Stimmen für die katholische UDC und die fast 900000 Stimmen für die faschistische Partei La Destra (Die Rechte) hinzuzählen; die UDC gehört der Koalition Berlusconis nicht an, hat den Sprung ins Parlament jedoch geschafft. Das rechte Lager erzielte also fast 20 Millionen Stimmen, während das „linke Lager” lediglich 15 Millionen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die dritte Regierung Berlusconi kann sich auf eine breite Wählerbasis und eine große Mehrheit im Parlament stützen, während die nicht-sozialliberale Linke in einer Existenzkrise steckt.
Rossana Rossanda schreibt in Il Manifesto, auf das politische Erdbeben werde bald ein Systemwandel folgen. Denn die Rechte wie die sozialliberale Linke sind sich einig, dass das Wahlgesetz weiter in Richtung eines Mehrheitswahlrechts geändert werden soll, um die „kleinen”, „extremistischen” Parteien definitiv aus dem Parlament auszuschließen und ein rein bürgerliches Zweiparteiensystem nach US-amerikanischem Muster durchzusetzen. Auch eine Verfassungsänderung im Sinne eines Präsidialsystems ist in der Debatte.

Wie ist es dazu gekommen?

Je nach Parteienstandpunkt fallen die Antworten unterschiedlich aus. Aber die Stellungnahmen aus den sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Land geprägt haben (siehe nebenstehend), sind eindeutig: Rifondazione war in der Regierung Prodi von der sozialliberalen Linken nicht mehr zu unterscheiden. Die Partei ist in drei zentralen Fragen umgefallen: die Kriegseinsätze, die Hochgeschwindigkeitstrasse durch die Alpen sowie die soziale Sicherheit und die Steuererleichterungen für die Reichen. Sie wollte zugleich eine Oppositions- und Regierungspartei sein. Die PRC klebte an der Regierung Prodi wie Sméagol in Der Herr der Ringe am Ring der Macht — und war deshalb nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Wozu war Rifondazione in den letzten beiden Jahren gut? Ihr Spitzenkandidat, Fausto Bertinotti, hat wiederholt erklärt, Rifondazione müsse Teil der Regierungslinken werden, „damit Berlusconi nicht dran kommt” Die Ironie will es, dass die PRC nicht nur Berlusconi die Tür weit auf gemacht hat, sondern sich selber die Tür zum Parlament auf lange Zeit vor der Nase zugeschlagen hat. Mit der schieren institutionellen Präsenz lässt sich eine Rechte, zumal in einer Zeit der tiefen gesellschaftlichen Krise, nicht verhindern. Hätte Bertinotti den Kurs auf das Bündnis mit den außerparlamentarischen Bewegungen, den er in Genua 2001 eingeschlagen hatte, weiter verfolgt, wäre Berlusconi jetzt vielleicht auch Premier, aber Rifondazione mit Sicherheit noch im Parlament.
Der Kurswechsel erfolgte im Jahr 2003, als Rifondazione trotz massiver Mobilisierung eine Volksabstimmung zur Wiedereinführung des Kündigungsschutzes verlor. Sie verlor sie, weil die Wahlbeteiligung zu gering war. Danach verkündete Bertinotti, nun sei es erwiesen, dass soziale Bewegungen nicht zum Erfolg führen. Das Volk wolle Berlusconi aber loswerden; deshalb müsse Rifondazione Teil der Bündniskonstellation werden, die Berlusconi ablösen wolle. Die PRC verlor ihre Eigenständigkeit, ihre Beziehung zu den Bewegungen und somit ihre Rolle. Parlamentarische Fixierung führt eine linksoppositionelle Partei erst recht nicht zum Erfolg.
Nach der Wahl geht das Hauen und Stechen los, jeder gibt jedem die Schuld, und die jetzt bestehenden Organisationen werden sich nochmal zerlegen (siehe dazu die Stellungnahmen auf dieser Seite). Ein Teil der Partei- und Fraktionsapparate wird arbeitslos werden — und damit ein willfähriges Opfer für die PD (es hat bereits Angebote an die Grünen gegeben). Die PdCI hat die Losung von der „Einheit der Kommunisten” ausgegeben — das Projekt Regenbogenlinke ist schon in der Krise.

Zurück auf Los

Die italienische Linke hat das Jahr Null erreicht. Die kommunistische Erneuerung, die nach dem Fall der Mauer dem Projekt der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft neue Glaubwürdigkeit verleihen sollte, ist gescheitert.
Die Stimmen für die Lega Nord zeigen, wieviel soziale Wut sich vor allem unter prekär Beschäftigten aufstaut. Sie kann in eine reaktionäre und fremdenfeindliche Richtung gelenkt werden, sie kann aber auch Schmelztiegel für eine soziale Revolte sein. Entscheidend bleibt der subjektive Faktor — die Präsenz und die Glaubwürdigkeit einer antikapitalistischen Linken, die konsequent und sozial verankert ist.
Es gibt aber auch Raum für die Rekonstruktion einer kohärenten antikapitalistischen Linken. Das lässt sich ablesen am Interesse, mit dem die Entstehung von Sinistra critica (SC) verfolgt wurde. SC hat kandidiert, weil sie der sich ausbreitenden Demoralisierung etwas entgegensetzen und frühzeitig eine Debatte über das abzusehende Debakel eröffnen wollte. Die 160000 (0,5%) Stimmen, die sie erreicht hat, haben nur einen symbolischen Wert. Die Kritik von links hätte konsistenter ausfallen können, wenn die PCL (Partito Comunista dei Lavoratori), die 0,6% bekommen hat, ebenso wie andere Kräfte der radikalen Linken bereit gewesen wären, eine gemeinsame antikapitalistische Liste zu bilden.
Zwei Fragen müssen grundlegend angegangen und programmatisch geklärt werden:
die Unabhängigkeit der antikapitalistischen Linken gegenüber der PD, die nun im Parlament allein die linke Seite einnimmt und deshalb die Tendenz haben wird, den ganzen Raum der sozialen und politischen Opposition einzunehmen, auch über den Umweg ihrer Bindung an die Gewerkschaft CGIL;
und die Frage der Krise der Gesellschaft und der sozialen und gewerkschaftlichen Verankerung der Linken — d.h. die Rekonstruktion einer antikapitalistischen Klassenpolitik.


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