SoZ - Sozialistische Zeitung |
Wer nach den Ursachen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise fragt, wird von Befürwortern
der Marktwirtschaft bzw. des Kapitalismus wie auch von linken Kritikern fast einmütig auf Spekulationsblasen und ausufernde
Schulden verwiesen. Sie seien eine Folge unzureichender politischer Kontrolle auf nationaler wie auf internationaler
Ebene. In dieser Diagnose ist die Therapie bereits mit enthalten: Märkte bedürfen der Regulierung, um sie vor
selbstzerstörerischer Instabilität und Ungleichgewichten zu schützen.
Ist der Neoliberalismus damit erledigt? Erleben wir die
Rückkehr der Staatswirtschaft oder den Übergang zu neuen Formen regulierter Märkte? Kritiker des Neoliberalismus
haben dies lange gefordert. In jüngster Zeit haben sich auch Politiker und Wirtschaftsführer in diesem Sinne
geäußert. US-Finanzminister Paulson sowie die Chefs von IWF und Deutscher Bank, Dominique Strauss-Kahn und Josef
Ackermann, fordern nicht nur eine politische Kontrolle über internationale Kapitalflüsse, sondern auch den Einsatz des
Staatshaushalts zur Eindämmung der Krise.
Die Vertreter der reinen Marktlehre haben solche Vorschläge
zwar als systemwidrigen Staatsinterventionismus gegeißelt. Doch der Ton, der bekanntlich die Musik macht, hat sich
geändert. Paulson und Strauss-Kahn, beide Repräsentanten des politischen Systems, fasst die Wirtschaftspresse mit
Samthandschuhen an, Ackermann hingegen wurde als großkapitalistischer Raffke abgekanzelt. Wenig später zeigte sich,
dass letzterer allen Grund hatte, in der Öffentlichkeit für den krisenregulierenden Einsatz von Steuergeldern zu
werben. Er musste nämlich einräumen, dass die Deutsche Bank, die erst im Februar Rekordgewinne vermeldet hatte, auf
einem Berg fauler Kredite hockt.
Damit befindet sie sich in bester Gesellschaft mit anderen
Großbanken (wie Northern Rock oder Bear Stearns), die ohne Staatsknete den Gang zum Konkursrichter hätten antreten
müssen. Die unten wissen natürlich schon lange, dass die oben ihre Hand bei Bedarf im Staatssäckel haben.
Neu und durchaus unerwartet ist allerdings, dass ein solches
Verhalten in der Wirtschaftspresse kritisiert wird. Warum wird Ackermann für seine eigennützigen Motive auf einmal von
den gleichen Journalisten angefeindet, die ihn bis vor kurzem als unternehmerisches Vorbild gepriesen haben?
Eine Antwort auf diese Frage ist nur jenseits der Markt-oder-
Staat-Kontroverse zu finden. In Zeiten des Neoliberalismus wird der Staat erst als wirtschaftsfeindlich an den Pranger gestellt
und dann nach Möglichkeit aus dem Gesichtsfeld der eigentumslosen Klassen verdrängt. Dies erlaubt den besitzenden
Klassen einen weitgehend ungehemmten Zugriff auf Gesetzgebung und Verwendung staatlicher Mittel.
Kurz: Neoliberalismus bedeutet nicht das Absterben des Staates
in einer sich selbstverwaltenden Marktwirtschaft, sondern dessen Inanspruchnahme zur Durchsetzung der Profitinteressen der
Kapitaleigner. Dazu mussten die Interessen der Arbeiterklasse und anderer subalterner Klassen, deren Institutionalisierung den
Sozialstaat hervorgebracht hatte, zurückgedrängt werden.
In den letzten drei Jahrzehnten ist von dem Weg zurück vom
Sozialstaat zum Staat des großen Geldes ein gutes Stück zurückgelegt worden. Diese neoliberalen Erfolge
stoßen inzwischen jedoch an wirtschaftliche und politische Grenzen.
Das neoliberale Wirtschaftsmodell beruhte von Anfang an auf
einer politisch abgesicherten Akkumulation von Schulden und einer spekulativ angeheizten Wertpapierinflation. Die
monetaristische Rhetorik gegen Schulden und Inflation richtete sich ausschließlich gegen Schulden der öffentlichen
Hand und Inflation der Güterpreise. Erstere wurden dem Sozialstaat, letztere einer angeblich von den Gewerkschaften
losgetretenen Lohn-Preis-Spirale in die Schuhe geschoben.
Es ist zwar noch nicht bekannt, wie hoch die uneinbringbaren
Schulden privater Unternehmen und Haushalte sind, die Ackermann und Co. in ihren Büchern verstecken. Die Existenz solcher
faulen Kredite wurde bis vor kurzem geleugnet und deshalb auch kaum zum Gegenstand öffentlicher Kritik. Nun haben sie eine
Bankenkrise ausgelöst. Weil der spekulative Überschwang an den Börsen in erheblichem Umfang kreditfinanziert war,
drückt die Kreditklemme auch auf die Wertpapierkurse.
Zentralbanker und Finanzminister stellen sich nun die Frage, ob
sie Geld in den Markt pumpen sollen und damit die Schuldenspekulationsmaschine noch einmal in Gang setzen sollen, wie sie
es schon in den Rezessionen zu Beginn der 90er Jahre und 2001 getan haben; das würde gegebenenfalls den Einsatz
öffentlicher Gelder zur Übernahme privater Schulden bedeuten. Oder ob sie den Markt sich selbst überlassen und
nur durch die Bankenaufsicht und die Markttransparenz stärken sollen.
Die reine Lehre sagt, dass die Wirtschaftspolitik in der
Vergangenheit zu übermäßiger Kreditaufnahme und spekulativen Übertreibungen eingeladen hat, weil private
Investoren im Verlustfall auf staatliche Schuldenübernahme rechnen konnten. Diesem Übel sei beizukommen durch bessere,
von der Politik festgelegte und durchgesetzte Spielregeln.
Hinter wohlklingenden Worten verbirgt sich ein harter
Standpunkt: Wer gewinnen will, muss auch bereit sein, die Verluste zu tragen. Wer dazu nicht in der Lage ist, hat Pech gehabt
und muss aus dem finanzkapitalistischen Spiel ausscheiden.
Das klingt nach Fairplay und deshalb immer noch ganz positiv.
Tatsächlich ist es eine Kampfansage an all jene, die mit geringem oder, schlimmer noch, geborgtem Einsatz in das Spiel
eingestiegen sind. Großbanken können Verluste zur Not auch ohne staatliche Unterstützung wegstecken, im
schlimmsten Fall müssen sie bei einem anderen Geldhaus unterkriechen, wie jüngst und sehr wohl mit staatlicher
Unterstützung Bear Stearns bei JP Morgan Chase. Sie bleiben aber doch meist im Spiel.
Wer dagegen als Kleinsparer vor einigen Jahren den Lockungen
„privater Vorsorge” als sichere Alternative zur politisch heruntergewirtschafteten Sozialversicherung erlegen ist,
darf sich bei einem solchen wirtschaftspolitischen Kurs auf die soziale Rückstufung zum eigentums- und ersparnislosen
Proletarier einstellen. Ob es dazu kommt, ist keine wirtschaftliche, sondern eine politische Frage.
Die Polemik gegen die Sozialisierung der Verluste, ist, von
dieser Seite vorgetragen, ein Angriff auf die sozialstaatliche Absicherung der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Zentren.
Vor gut drei Jahrzehnten sind die herrschenden Klassen dort ein Bündnis mit den alten und neuen Mittelklassen eingegangen,
die sich vom Sozialstaat übervorteilt fühlten oder diesen nicht länger als sozialen Aufstiegshelfer
benötigten. Sie konnten sich nun als Juniorpartner des Finanzkapitals fühlen und auf die gleichermaßen verachtete
wie gefürchtete Arbeiterklasse herabschauen.
Sollte sich nun in den herrschenden Klassen die Ansicht
durchsetzen, dass die eigene Position besser konsolidiert werden kann, wenn massive Verluste zugelassen werden, als wenn der
Schuldenspekulationszyklus neu aufgelegt wird und möglicherweise am Ende politisch aus dem Ruder gerät ,
ist es mit der Rolle mittelklassiger Juniorpartner vorbei. Ein fast vollständig auf „die Mitte” geeichtes
politisches System dürfte dann rapide seine Wählerbasis verlieren. Die Wirtschaftskrise, die gegenwärtig noch
sehr milde ist, würde dann zur politischen Krise.
Damit die Arbeiterbewegung die Antwort auf die dann entstehende
Situation nicht schuldig bleibt, bedarf es jedoch noch ganz erheblicher Vorarbeiten. Beispielsweise ist deutlich zu machen, dass
nicht jede Alternative zum Neoliberalismus, wie wir ihn kennen, einen Fortschritt für ausgebeutete und unterdrückte
Klassen darstellt. Wenn sich deren Ränge mit sozial abgestürzten Angehörigen der Mittelklasse auffüllen,
wird die Vorstellung einer sozialstaatlichen Eingrenzung der Wirtschaftskrise immer mehr zu einer politischen und
wirtschaftlichen Illusion. Denn ein radikalisierter Neoliberalismus hat kein Interesse an sozialem Ausgleich, dem
„Sozialismus in einer Klasse” sind jedoch Grenzen gesetzt, wenn sie massiv unter Lohndruck steht.
Um die Umverteilung von den wirklich Reichen zu den
tatsächlich Armen zu organisieren, bedarf es dann mehr als eines auf sozialstaatlichem Kompromiss beruhenden Steuerstaates
es bedarf der Einschränkung der Verfügungsgewalt der Reichen über die Produktionsmittel.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |