SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 21

Den „Beiträgen” ist die Bewegung abhanden gekommen

Nach 30 Jahren wurde die älteste Zeitschrift der Frauenbewegung eingestellt

von GISELA NOTZ

Die Zeitschrift Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis wurde am 7.März 2008, einen Tag vor dem Internationalen Frauentag, und ausgerechnet im Jahr der vielfältigen Aktivitäten zu „40 Jahre 1968” und zu dem ebenso alten „Tomatenwurf” der aufmüpfigen Frauen, der schließlich zur Gründung oder Entdeckung der Frauenbewegung geführt hatte, offiziell eingestellt. Bis zuletzt hatten sie sich selbst als die größte und älteste Zeitschrift der autonomen Frauenbewegung bezeichnet. 30 Jahre nach Erscheinen ihrer ersten Ausgabe sind sie klammheimlich von der Bildfläche verschwunden.
Entstanden waren die Beiträge auf der Suche nach mehr theoretischer Klarheit in den Frauenbewegungen und aus der Erkenntnis heraus, dass Frauen gemeinsam mehr erreichen können als einzelne Frauen in Universitäten und anderen Institutionen. Insgesamt sieben Hefte wurden zwischen 1978 und 1982 in einem Rotationsverfahren von verschiedenen Redaktionsgruppen im Verlag Frauenoffensive publiziert. 1983 bildete sich eine feste Redaktionsgruppe; herausgegeben wurden die Beiträge nun durch den bundesweiten „Verein sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen” in Köln. Die Beiträge wollten nicht nur feministische Forschung publizieren, sondern ein breites Diskussionsforum für die zahlreichen, im Zuge der Frauenbewegungen entstandenen Frauenprojekte schaffen.
Die insgesamt 69 bunten Hefte enthalten ein breites Spektrum an nationalen und internationalen feministischen Erkenntnissen und Diskussionen. Die Konzeption der Schwerpunkthefte wurde bis zuletzt beibehalten. Die Themen sind vielfältig, sie umfassen alles, was Frauen in besonderer Weise betrifft, aus einer feministischen Sicht: Krieg, Arbeit, Staat, Forschung, Geld, Therapie, Politik, Familie, Fremdenhass, Fundamentalismen, Alter, Gewalt, Utopie, Globalisierung, Lebensweisen, Kultur, Medien — um nur einige aufzuzählen. Die Beiträge griffen nicht nur aktuelle Themen auf, sondern initiierten auch Debatten.
Im Laufe der Jahre haben sich die Beiträge zu einem anerkannten Forum und Arbeitsmittel entwickelt, das sowohl in den Frauenbewegungen als auch in der politischen Bildungsarbeit, in gewerkschaftlichen, kirchlichen und anderen Zusammenhängen sowie an Universitäten vielfältig genutzt wurde. Universitäts- und Fachhochschulprofessorinnen sowie engagierte Frauen aus dem parlamentarischen und vorparlamentarischen Raum — z. B. Frauenbeauftragte, Politikerinnen und Gewerkschafterinnen — gehörten zu den Leserinnen und Autorinnen. Männer abonnierten die Beiträge oder lasen sie regelmäßig. Große Kongresse und Tagungen, öffentliche Veranstaltungen und Vortragsabende gehen auf ihre Initiative zurück, wie etwa die Kongresse „Zukunft der Frauenarbeit”, „Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien”, „Frauen gegen Rassismus” u.a.
Zum FrauenStreikTag am 8.März 1994 übernahmen die Beiträge eine der beiden bundesweiten Koordinierungsstellen und stellten Kontakte zu isländischen und schweizerischen Frauen her, die einige Jahre vorher bereits gestreikt hatten. Aus dem durch den Streiktag erhofften Neuanfang innerhalb der Frauenbewegungen ist leider nichts geworden.

Zwischen den Stühlen

Die Zeitschrift war ein wichtiges Medium zur Vernetzung von Frauenprojekten und -zusammenschlüssen und ein politisches und theoretisches Diskussionsforum der autonomen Frauenbewegung, soweit diese noch existiert. Sie versuchte, feministische Theorien an ihrer Praxisfähigkeit zu messen. Während ihrer Blütezeit war sie fester Bestandteil einer feministischen Gegenöffentlichkeit. Oft saßen die Beiträge zwischen den Stühlen: Den Wissenschaftlerinnen waren sie zu politisch, den Praktikerinnen zu abgehoben und theoretisch.
"Wie der Frauenbewegung die Bewegung abhanden kam, so verloren die Beiträge mit der Ausdifferenzierung der Gender Studies allmählich die diskutierlustige Klientel,” schrieb die Taz in ihrer Ausgabe vom 22.Februar 2008. Der Verlag könne sich nicht mehr tragen, heißt es in einem Schreiben an die Abonnenten: „Die hohen Produktionskosten stehen nicht mehr im Verhältnis zu den Einnahmen.” Die Auflage der Zeitschrift ist von 3000 Exemplaren vor zehn Jahren auf 600 gesunken. Zudem sei es für das ehrenamtlich arbeitende Redaktionsteam „immer schwieriger geworden, Autorinnen zu gewinnen” Schließlich mussten sie, ebenso wie die Redakteurinnen, Gratisarbeit für das politische Projekt leisten, was angesichts der oft unsicheren Beschäftigungsverhältnisse der Schreiberinnen nicht immer leicht, oft unmöglich war. Vom ursprünglichen Kollektiv von 1983 war zuletzt nur noch eine Frau übrig. Trennungen, auch aufgrund inhaltlicher Kontroversen, waren oft schmerzlich.
Eine der Mitbegründerinnen, Brunhilde Sauer-Burghard, sagte gegenüber der Taz: „Jeder Zweig der Genderforschung hat nun seine eigene Zeitschrift.” Auf redaktionellen Nachwachs hofft auch Brunhilde Sauer-Burghard nicht: „Die jungen Frauen sind blind für strukturelle Diskriminierungen.” Sie sieht das Projekt Beiträge an einem natürlichen Ende: „Die zweite Frauenbewegung ist vorbei. Die dritte müssen andere machen. Und die werden dafür sicher andere Formen finden."
Heute scheinen alle Theorien in einen gesellschaftlichen Konsens integrierbar. Gerade in Zeiten des sozialpolitischen Kahlschlags und der Ausdifferenzierung der Gender Studies bis zur Beliebigkeit wären die Beiträge geeignet, den Vereinzelungstendenzen entgegenzuwirken und ein Forum für die Entwicklung politischer Handlungsstrategien zu bieten. Leider wurde ihr Wirkungskreis in den letzten Jahren stark eingegrenzt, weil sie immer unsichtbarer wurden. Das früher täglich besetzte Büro war zuletzt oft nicht zu erreichen. Das verzögerte die Beantwortung von Anfragen und verärgerte Abonnentinnen und potenzielle Käuferinnen. Auf den Büchertischen bei Tagungen und Kongressen waren die bis zuletzt qualitativ hochwertigen Beiträge kaum noch zu finden, das beeinträchtigte die Rezeption der Artikel. Sie hinterlassen nun eine Lücke im ausgedünnten feministischen Blätterwald.

Die Autorin war von 1985 bis 1997 Redakteurin der Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis.



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