SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 02

Eine neue Agrarreform

ist fällig

von ANGELA KLEIN

Die Chicago Mercantile Exchange ist die größte Rohstoff- und Terminbörse der Welt. Hier werden die Preise für die Rohstoffe der ganzen Welt gemacht. Was hier ausgehandelt wird, bestimmt das Leben von Farmern im Mittleren Westen der USA, von Reisbauern in Vietnam, von Bäckern in Deutschland.
Die Broker verwahren sich jedoch gegen die Unterstellung, sie seien verantwortlich für die Teuerung bei den Lebensmitteln. Sie kaufen und verkaufen „nur” im Auftrag der Getreidehändler, Plantagenbesitzer und Lebensmittelkonzerne.
Der Teufel steckt im „nur” Denn dieses Nur impliziert eine Produktionsordnung für Nahrungsmittel, die es bis vor kurzem in der Geschichte nicht gegeben hat. Sie zwingt Bauern und Landwirte auf allen Kontinenten, nicht mehr für ihre Region, sondern für den Weltmarkt zu produzieren. Deshalb werden die Preise für das Brot, das in Brandenburg verkauft wird, nicht in der Uckermark und auch nicht in Berlin gemacht, sondern in Chicago.
Im Gegensatz zum lokalen Handel ist der Fernhandel immer ein hochkonzentrierter und monopolisierter Handel gewesen. Allein die Zulassung an die Börse setzt eine bestimmte Größe und Kapitalkraft voraus. Der Produzent sieht die Börse nie, immer nur der Kaufmann.
Zwischen den Erzeugerpreisen, die der Landwirt erhält, und den Preisen, die an der Börse gemacht werden, klafft eine riesige Kluft: Vom Zentner Kaffee, der die Plantage verlässt, leben nicht nur der Kaffeepflanzer und seine Erntehelfer, nicht nur die Verpackungsindustrie und die Transportgesellschaft, davon leben vor allem die Handelsgesellschaften, die ihn vermarkten.
Früher ging es so mit den „Kolonialwaren”, das waren Luxusgüter. Heute, seit IWF und WTO Freihandelsabkommen und Strukturanpassungsprogramme durchgesetzt haben, geht es so mit den Grundnahrungsmitteln: Reis, Weizen, Soja...
Es würde sich lohnen, einmal die Rechnung aufzumachen, wie viel von dem Geld für ein Pfund Mehl, das wir im Supermarkt kaufen, beim Erzeuger landet und wie viel beim Zwischenhandel. Der Zwischenhandel (Transportunternehmen ausgenommen) ist der Parasit an der Stelle: Außer dass er von der Arbeitskraft des Produzenten auf dem Land und des Konsumenten in der Stadt lebt, trägt er zum Produkt nichts Produktives bei.
Die Ökonomen sind sich nicht einig darüber, ob der Preis in Chicago von der Nachfrage oder vom Angebot gesteuert wird. Gegen beide Theorien kann man etwas einwenden. Die Essgewohnheiten in China haben sich denen der Industrieländer angeglichen, aber China ist heute ein Nettoexporteur von Nahrungsmitteln.
Der Anstieg der Bevölkerung entspannt sich; die UN-Welternährungsorganisation FAO erwartet, dass sich die Nachfragekurve abflacht — von einem Plus von 2,2% in den letzten 30 Jahren auf 1,5% in den nächsten Jahren. Die FAO sagt auch, dass die weltweite Anbaufläche auf 2,8 Milliarden Hektar Land verdoppelt werden könnte, vor allem im Süden Afrikas und in Lateinamerika. Wir essen unsere Erde noch nicht auf.
Auf der Angebotsseite sieht es etwas anders aus. Ein Viertel bis ein Drittel der Teuerung geht auf das Konto des Agrosprits, sagt der Generaldirektor des International Food Research Institute in Washington. 100 Millionen Tonnen Getreide gehen in die Ethanol- Erzeugung — das entspricht ziemlich genau der Lücke am Weltmarkt, rechnet er vor. 30% der US- Maisernte landen heute schon im Tank (weltweit sind es 13%); bleibt es bei den Plänen Washingtons, könnten es bis zum Jahr 2017 100% sein.
Die EU will den Anteil von Agrosprit bis 2020 von 2% auf 10% heben. Und Kanzlerin Merkel fährt nach Brasilien, um diesen Trend noch zu unterstützen.
Diese Art der Angebotsverknappung hat aber nichts damit zu tun, dass die Erde für uns zu klein würde, oder dass der Klimawandel verhindert, dass alle Menschen ernährt werden könnten. Noch ist es nicht soweit. Knappheit ist hier ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass Agrarflächen zweckentfremdet werden, weil die industrielle Nutzung mehr Profit verspricht. Agrosprit ist dabei nur eine Form der industriellen Nutzung, eine andere, nicht weniger zerstörerische, ist der Bergbau.
Die Erde hält einen weiteren Bevölkerungsanstieg ohne weiteres aus. Sie erträgt auch Dürren und Überschwemmungen, solange sie sich im bisherigen ökologischen Gleichgewicht bewegt. Was sie nicht aushält, ist die Konzentration von bebaubarem Land in den Händen von Großkonzernen und dessen Ausbeutung nach den Regeln des schnellen Profits. Das macht die Erde unfruchtbar und treibt die Menschen in Hungersnöte.
Im Konkreten haben die Preise auf dem Weltmarkt mit den lokalen Anbaubedingungen deshalb herzlich wenig zu tun. „Das Problem in dieser Krise ist, dass die Weltbank die Subsistenzlandwirtschaft vernachlässigt hat”, erklärt Jean Ziegler gegenüber der österreichischen Tageszeitung Der Standard (10.5.08).
"Beispiel Mali: Das Land deckt seinen Reisverbrauch über den Weltmarkt, der Reispreis ist in den vergangenen Monaten um 53% gestiegen, die Tonne kostet 1000 Dollar. Den Entwicklungsländern wurde die Exportlandwirtschaft aufgezwungen.” Ziegler weist auch daraufhin, dass die Menschen hungern, weil sie nicht genug Geld haben, Lebensmittel zu kaufen, und nicht weil es nicht genug davon gäbe.
Dieser Nahrungsmittelkrise kommt man nur mit einer Agrarreform bei, die das bebaubare Land wieder in Bauernhand gibt. Dabei kann erstmals erstmals eine direkte Interessenverbindung zwischen den Armen in den Metropolen und den Armen in den Ländern des Südens hergestellt werden. Denn dort wie im Norden gibt es jetzt Gegner, die dieselben Namen tragen: Monsanto, Unilever, Nestlé, Danone, Kraft, aber auch Rio Tinto Zinc u.a. Dort, wo es Industrie gibt, stehen Arbeiter an der Spitze der Hungerrevolten. Die Forderung nach Mindestlöhnen ist mittlerweile weltweit zu hören.
Globale soziale Rechte — das Recht des Bauern, die örtliche Bevölkerung zu ernähren; das Recht des Arbeiters und Angestellten, für die Arbeit mindestens einen Lohn zu erhalten, der mit Abstand über der Armutsgrenze liegt; und das Recht eines jeden Menschen, auch ohne Erwerbsarbeit soviel zum Leben zu haben, dass er nicht unter die Armutsgrenze fällt — das sind Forderungen, die eine weltweite solidarische Gegenbewegung anfeuern können.


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