SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der historische Tag, den Bundeskanzlerin Merkel euphorisch zum
„Freudentag für Europa” erklärte, war in Wirklichkeit ein „schwarzer Tag”
für die Bürger Europas: Sie wurden nämlich nicht gefragt, ob sie dem sog. Lissabonner
„EU-Reformvertrag” als gültigen Verfassungsersatz für Europa mehrheitlich zustimmten.
Der Bundestag hat am 24.April jedoch seine eigene Unmündigkeit beschlossen und durch eine Art
„Putsch von oben” wesentliche Teile seiner demokratischen Kompetenzen und des Grundgesetzes
verfassungswidrig außer Kraft gesetzt, ohne die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Die EU-Ersatzverfassung bleibt weit hinter
unserem Grundgesetz und der UN-Menschenrechtserklärung zurück und setzt die demokratische
Gewaltenteilung und den Föderalismus mitsamt Subsidiaritätsprinzip außer Kraft laut
Bundestagspräsident Norbert Lammert ist diese Machtverschiebung politisch so gewollt. Mit einem
juristischen Taschenspielertrick hat man zu diesem Zweck hinter verschlossenen Türen unter Mithilfe von
Lobbyisten die gescheiterte EU-Verfassung in einen fast inhaltsgleichen „Reformvertrag”
umgetauft. Diesen will man eiligst noch vor der Europawahl 2009 in Kraft setzen, um Diskussionen mit
kritischen Bürgern zu umgehen, obwohl eine öffentliche Diskussion versprochen worden war. Was hat
man vor den Menschen in einem angeblich „demokratischen Europa” zu verbergen, die man nur als
Stimmvieh an den Wahlurnen benötigt?
Will man verschleiern, dass es wohl das
letzte Mal war, dass die 27 Nationalparlamente der EU-Mitgliedstaaten in Europa-Angelegenheiten oder in
wichtigen nationalen Angelegenheiten, geschweige bei Militäreinsätzen, überhaupt etwas
mitzubestimmen hatten? Denn fortan gilt das höherrangige EU-Recht aus der Brüsseler
Regierungszentrale, die nun für 90% aller Rechtsnormen allein für die Mitgliedstaaten
zuständig ist, nicht zuletzt für die gesamte Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
sowie die Handelspolitik.
Wie in totalitären Staatssystemen
obliegt in der EU die gesetzgebende Gewalt und die Kontrolle der Regierung nicht dem demokratisch
legitimierten EU-Parlament, sondern alle Macht liegt in einer Hand, sprich: bei der allmächtigen EU-
Kommission und dem Ministerrat. Elementare demokratische Grundsätze der Gewaltenteilung werden
verletzt! Dagegen ist Putins Staatssystem eine geradezu „lupenreine Demokratie”
60 Jahre nach Inkrafttreten des deutschen
Grundgesetzes bedeutet das einen demokratischen Rückschritt und zudem einen Systemwechsel im
politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich. Fortan haben die neoliberalen
Wirtschaftsinteressen Verfassungsrang und Vorrang vor den sozialen und bürgerlichen Freiheitsrechten
(siehe auch Seite 10). Diese werden zugunsten von Lohndumping durch unternehmerische Freiheiten ersetzt
Handelsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, freier Waren- und Dienstleistungsverkehr. Alle EU-Staaten
werden zudem per Verfassung zu alljährlichem Aufrüsten statt zu Abrüstung gezwungen,
über sein Einhaltung wacht eine eigene Rüstungsagentur. Künftig sind Wirtschaftskriege
für Rohstoff- und Handelsinteressen zulässig. In Kriegszeiten wird zudem die Todesstrafe wieder
eingeführt und bei „aufrührerischen” Demonstrationen kritischer EU-Bürger der
Todesschuss zugelassen.
Roman Herzog (CDU), Ex-Bundespräsident
und Verfassungsrichter sowie Vorsitzender des Konvents für die EU-Grundrechtecharta, hat Zweifel
geäußert, ob man „unsere Bundesrepublik noch uneingeschränkt als parlamentarische
Demokratie” bezeichnen kann. Sein Unionskollege Gauweiler hat Verfassungsbeschwerde gegen den EU-
Reformvertrag eingereicht. Auch das tschechische Parlament lässt den EU-Vertrag erst vom
Verfassungsgericht kritisch überprüfen. Der Rechtswissenschaftler und Parteienkritiker Herbert von
Arnim spricht von „Pseudodemokratie” und von „Erosion des Rechtsstaats” Europaweit
sammeln kritische Bürger Unterschriften, um eine Volksabstimmung über den umstrittenen EU-
Reformvertrag zeitgleich mit der Europawahl 2009 zu erwirken. Das verdient die Unterstützung aller
Demokraten.
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