SoZ - Sozialistische Zeitung |
Mit Kirche verbindet man gewöhnlich ein Gebäude und die
dazugehörige Gemeinde und natürlich eine gehörige Portion Weltanschauung. Dass nach
dem dramatischen Rückgang industrieller Arbeitsplätze die Kirchen und vor allem ihre
Wohlfahrtsverbände, Diakonie und Caritas, zu den größten Arbeitgebern in der Republik
gehören, fällt erst bei genauerem Hinschauen auf.
Etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiten hier,
davon etwa 70% Frauen. Die Diakonie zählt rund 450000 Beschäftigte, die Caritas gut 500000. Beide
Wohlfahrtsverbände zusammen kommen auf knapp 1 Million Beschäftigte und dominieren damit den
Sozial- und Gesundheitssektor. Bundesweit stellen beide Verbände etwa 60% dieser Dienste bereit (bei
starken regionalen Unterschieden).
Ökonomisch betrachtet
repräsentieren sie einen relevanten Teil der sog. Dienstleistungsgesellschaft. Einen Teil, der aber
noch nicht restlos der Profitmaximierungslogik unterworfen ist.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich,
dass die Kirchen in den letzten Wochen im Kontext der Debatte um Mindestlöhne für den Pflegesektor
öffentlich in die Kritik geraten sind. Weil die Kirchen keine Tarifverträge haben, sondern auf der
Basis von Art.140 GG auf einem arbeitsrechtlichen Sonderweg bestehen, kann für die Pflegebranche nicht
die sog. Halbdeckung erreicht werden, es sei denn, die Beschäftigten der Kirchen werden bei der
Ermittlung der Halbdeckung nicht berücksichtigt.
Halbdeckung bedeutet, dass mindestens 50%
der Beschäftigten einer Branche unter einen Tarifvertrag fallen müssen, sonst kann nach geltendem
Recht der entsprechende Branchentarif nicht in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden.
Teile der Diakonie wehren sich gegen einen
Mindestlohn, insbesondere der radikal-neoliberale, 1998 gegründete, Verband diakonischer Dienstgeber in
Deutschland (V3D), der seit 1999 auch Mitglied des BDA ist. Aber auch Dachverbände von Caritas und
Diakonie stehen einem Mindestlohn zurückhaltend bis ablehnend gegenüber.
Der Grund ist nicht ganz
unverständlich. Im Zuge der Agenda 2010 hat die rot-grüne Bundesregierung einen gnadenlosen
Wettbewerb im Sozial- und Gesundheitssektor durchgesetzt (der durchaus der neoliberalen EU-
Dienstleistungspolitik entspricht), um die sog. Lohnnebenkosten zu senken. Seitdem sind die Sozialkassen
nicht mehr verpflichtet, bei der Aushandlung von Pflegesätzen die Tariflöhne zu
berücksichtigen.
In einer Branche, in der die Personalkosten
den höchsten Ausgabenanteil ausmachen, hat das einen enormen Druck auf die Löhne zur Folge. Das
trifft natürlich nicht nur die kirchlichen, sondern alle Wohlfahrtsverbände. Den kirchlichen
Verbänden kommt hier aber aufgrund ihrer Größe eine Schlüsselrolle zu.
Bisher haben sie auf diesen politisch
erzeugten Wettbewerbsdruck (der oft fälschlicherweise als Sozialmarkt bezeichnet wird, obgleich hier
von Markt nicht die Rede sein kann) nur betriebswirtschaftlich reagiert, eben in Form von Lohnsenkungen und
Arbeitsverdichtung. Die Kirchen haben ihren eigenen arbeitsrechtlichen Weg dabei als Wettbewerbsvorteil zu
nutzen gelernt.
Die Kirchen stehen damit im Widerspruch zu
ihrem 1997 herausgegebenen Sozialwort, in dem sie fordern, dass der Markt nicht oberster Maßstab sein
darf, in dem sie gerechte und auskömmliche Löhne und die Bekämpfung der politischen Ursachen
sozialer Ungerechtigkeit einfordern. Im Sinne einer Selbstverpflichtung heißt es sogar,
Lohnkürzungen dürften in der Kirche nur im mittleren und oberen Einkommensbereich in Frage kommen,
denn „gute Arbeit verdient ihren gerechten Lohn”
Den Kirchen ist deshalb heute eine klare
Aussage zugunsten von gesetzlichen Mindestlöhnen abzufordern, aber auch, dass sie sich mit dem
politisch erzeugten Ökonomisierungsdruck auf soziale und Gesundheitsdienstleistungen politisch
auseinandersetzen und im Bündnis mit anderen gesellschaftlichen Gruppen eine ausreichende
Finanzierung dieses Sektors einfordern.
Wichtig ist dies auch deshalb, weil es eine
dringend nötige Verteidigung dieser Dienste gegen eine drohende Privatisierungswelle in diesem Sektor
darstellt. Kirchen und Wohlfahrtsverbände sind zwar keine öffentlich-kommunalen, sondern
zivilgesellschaftliche Dienstleister.
Entscheidend ist aber, dass sie noch nach
dem Non-Profit-Prinzip arbeiten, also nach Bedarfsgesichtspunkten und nicht nach
Profitmaximierungsgesichtspunkten. Dies gilt es zu verteidigen und im zweiten Schritt zu einem Sektor
auszubauen, der nicht privatwirtschaftlich, sondern gesellschaftlich im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie
organisiert ist.
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