SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 09

Green IT

Mehr Schein als Sein

von ROLF EULER

"Grüne Informationstechnologien” werden anscheinend immer mehr nachgefragt, aber auch angeboten — so auch auf der diesjährigen Informationstechnologiemesse Cebit in Hannover. Was verbirgt sich dahinter?
Der Stromverbrauch aller installierten Computer hat sich innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Schließlich stehen nicht nur große Computerzentralen in allen Unternehmen, sondern es gibt riesige Serverfarmen, die den weltumspannenden Internetbetrieb ermöglichen, und es gibt die vielen privaten PCs und Laptops, deren Anteil am persönlichen Stromverbrauch ebenfalls deutlich gestiegen ist.
Man rechnet, dass weltweit zwanzig Großkraftwerke — mit 20000 Megawatt installierter Leistung — nur fürs Internet benötigt werden. Wegen des weltweiten Suchbetriebs über viele Knoten und wegen der in Dauerbetrieb laufenden Server soll der Stromverbrauch einer einzigen Anfrage bei Google dem einer 11-Watt-Sparbirne in einer Stunde entsprechen. Das Öko-Institut hat errechnet, dass der CO2-Ausstoß des Internets damit den des Flugverkehrs erreicht hat.
T-Systems, der IT-Betreiber der Telekom, protzt in einer Anzeige, über seine „Backbones” (die Hauptübertragungsleitungen zwischen den nationalen Knotenpunkten in Europa und Amerika) würden pro Tag Daten von ausgedruckt 1,2 Billionen DIN-A4-Seiten geschaufelt. Auch diese Daten müssen am Anfang erstellt und am Ende verarbeitet werden, der Stromverbrauch lässt sich da nur schätzen.
Allein von daher gibt es einen Druck auf energiesparende Techniken, die von den Unternehmen sowohl für Server als auch für Arbeitsplatz-PCs gefordert werden. Demgegenüber stehen steigende Software-Anforderungen, etwa durch neue Betriebssysteme, oder durch immer neue Spiele, die eine technische Aufrüstung verlangen. Da wird der Heim-PC schnell von einem 200-Watt-System zu einem 800-Watt-Verbraucher hochgerüstet.
Aber nicht erst der Energieverbrauch der Nutzenden, schon die Herstellung der Informationsmaschinen bedeutet eine immer stärkere ökologische Belastung; das Problem verschärft sich bei der Entsorgung. Computer bestehen aus einer großen Menge von Kunststoffen, Metallen und Edelmetallen, Verbindungen und Chips (Siliziumverbindungen). Der Abbau dieser Rohstoffe — Kupfer, Gold, seltene Metalle — erzeugt Umweltschäden aller Art in den Abbaugebieten. Ihr „ökologischer Rucksack” bedeutet oft tonnenweise Abraum und Gewässerbelastung.
Hinzu kommt die Entsorgung, ein inzwischen millionenfaches Problem. Der normale Nutzungszyklus eines Büro- oder Heimcomputers beträgt in den entwickelten Ländern rund drei Jahre. Technische Entwicklungen haben eine noch kürzere Laufzeit und erfordern anscheinend immer neue Ausrüstung. Allein in den USA wurden innerhalb der letzten zehn Jahre 500 Millionen Computer ausgemustert. Elektronikschrott ist der am stärksten wachsende Abfallbereich. Oft wandert er illegal nach Asien oder Afrika. Bilder von Kindern, die über offenen Feuern aus Platinen Kupfer „recyclen”, gehen um die Welt, die Verpflichtung der Firmen zur Rücknahme ihrer Produkte ist noch relativ neu und kann umgangen werden — etwa wenn Elektronikschrott als „Gebrauchtgeräte” deklariert und dann exportiert wird.
WEED und Germanwatch haben eine Informations- und Bildungs-CD herausgegeben, Der Weg eines Computers. Hier wird die weltweite Problematik der Informationstechnologien dargestellt. Die CD geht nicht nur auf die ökologischen Folgen, sondern vor allem auf die sozialen Probleme der IT ein: den Rohstoffabbau unter schwierigen und unmenschlichen Bedingungen, die Schwitzbuden zur Teileherstellung,den Zusammenbau in China bei niedrigsten Löhnen, die Entsorgung der gebrauchten Teile oft gegen die Vorschriften in Afrika und Asien. Der IT-Sektor beschäftigt weltweit Hunderttausende von Menschen, oft unter prekären und unsozialen Bedingungen.
Es scheint, dass sowohl die Verbraucher als auch die Beschäftigten in den IT-Industrien eine Verantwortung für die Entwicklung haben, die allerdings gegen die Interessen der Industriekonzerne eingesetzt werden müsste. Eine längere Nutzung der Geräte, stromsparende Techniken und reparaturfreundliche Komponenten müssten beim Kauf eine Rolle spielen. Freie Software mit auf den Nutzeranspruch begrenzten Komponenten kann ebenfalls dazu beitragen. Den Entsorgern muss auf die Finger gesehen werden, ob sie dem Recycling zuführen.
Das größere Problem ist aber die Gewinnung der Rohstoffe und die Herstellung der Computer in Billigländern, wo Löhne und Arbeitsbedingungen vom Endverbraucher fast nicht mehr zu entscheiden sind. Der Druck der Hersteller auf die kostengünstigste Fertigung, der schnelle Produktwechsel und die riesigen Mengen an IT-Geräten verursachen erhebliche soziale und ökologische Schäden. Das profitable Dumping ist an der Tagesordnung. Arbeitsplatzverlegung in Billigländer und Erpressung bei Rohstoffpreisen gehlren ebenso zu den Herstellungsbedingungen der Informationstechnologien wie der problematische Ressourcenverbrauch.
So gibt es vorerst bei einigen Herstellern zwar ein „Green-PC"-Angebot, nicht jedoch eine nachhaltig umweltschonende Informationstechnologie, ganz zu schweigen von ausreichenden Sozial-, Arbeitsschutz- und Politikstandards jenseits des Profits.
Weitere Informationen: www.pcglobal.org, www.oeko.de.


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