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An einem kalten Mittwochnachmittag, dem 10.März 1948, arbeitete eine
Gruppe von elf erfahrenen zionistischen Führern mit jungen jüdischen Offizieren an den letzten
Punkten eines Plans zur ethnischen Säuberung Palästinas. Noch am selben Abend gingen
Militärbefehle an die Einheiten vor Ort, um die systematische Vertreibung der Palästinenser aus
weiten Gebieten des Landes vorzubereiten.
Die Befehle enthielten detaillierte
Beschreibungen der anzuwendenden Methoden für die zwangsweise Vertreibung des Volkes: umfassende
Einschüchterung; Belagerung und Bombardierung der Dörfer und der Siedlungen; Brandstiftung an
Häusern, Hab und Gut; Vertreibung der Bewohner; Zerstörung der Häuser und schließlich
Verminung der Ruinen, um eine Rückkehr der Bewohner zu verhindern. Jede Einheit bekam eine eigene Liste
von Dörfern oder Stadtteilen, die sie sich nach dem Gesamtplan vornehmen sollte. Der Deckname war Plan
Dalet.
Es war die vierte und letzte Version der
Pläne, die sich mit dem Schicksal der einheimischen Bevölkerung Palästinas befassten. Die
vorausgegangenen drei Pläne hatten sich noch sehr unklar darüber ausgedrückt, was die
zionistische Führung mit der Anwesenheit so vieler Palästinenser in dem Land vorhatte, welches die
jüdische Nationalbewegung für sich selber wollte. Dieser vierte und letzte Entwurf sagte sehr klar
und eindeutig: Die Palästinenser haben zu verschwinden.
Der Plan Dalet war die unvermeidliche Folge
der zionistischen ideologischen Kampagne für eine ausschließlich jüdische Präsenz in
Palästina und eine Reaktion auf die Entwicklungen nach der britischen Entscheidung im Februar 1947, das
Mandat abzugeben und an die UNO zurückzugeben.
Zusammenstöße mit lokalen
palästinensischen Milizen, besonders nach der UN-Teilung im November 1947, lieferten den perfekten
Vorwand für die Erfüllung der ideologischen Vision eines ethnisch gesäuberten Palästina.
Nach Abschluss des Plans dauerte es noch
sechs Monate, bis die Mission erfüllt war. Am Ende waren über 750000 Menschen mehr als die
Hälfte der Bevölkerung Palästinas entwurzelt, 531 Dörfer zerstört und elf
Städte von ihren Bewohnern „befreit” Der Plan, über den am 10.März 1948
entschieden wurde, war ein klarer Fall für das, was man heute ethnische Säuberung nennt.
Das Potenzial für eine Übernahme des Landes durch Juden und die Vertreibung der einheimischen
Bevölkerung war von Anfang an in den Schriften der Gründungsväter des Zionismus angelegt.
Doch erst in den späten 30er Jahren 20 Jahre nach der Balfour-Erklärung von 1917, in der
die britische Regierung versprach, Palästina in eine nationale Heimstätte für die Juden zu
verwandeln begannen die zionistischen Führer damit, ihre abstrakte Vision in konkretere
Pläne zu übersetzen.
1937 empfahl die königlich-britische
Peel-Kommission die Teilung des Mandatsgebiets in zwei Staaten. Obwohl das für den jüdischen Staat
bestimmte Gebiet für die zionistischen Ambitionen zu klein ausfiel, reagierte die Führung positiv,
weil ihr die Bedeutung einer offiziellen Anerkennung des Prinzips eines jüdischen Staates wenigstens in
einem Teil Palästinas bewusst war. 1942 schlug sie schon eine maximalistische Strategie ein: Bei einem
Treffen im Biltmore-Hotel in New York legte der zionistische Führer David Ben Gurion Forderungen nach
einem jüdischen Reich im gesamten Mandatsgebiet Palästina auf den Tisch.
Der von der zionistischen Bewegung begehrte
geografische Raum hat sich je nach Umständen und Möglichkeiten geändert, aber das Hauptziel
blieb immer dasselbe: in Palästina einen rein jüdischen Staat zu schaffen, eine sichere
Zufluchtstätte für Juden und Wiege für einen neuen jüdischen Nationalismus. Dieser Staat
sollte nicht nur seiner soziopolitischen Struktur nach, sondern auch seiner ethnischen Zusammensetzung nach
ausschließlich jüdisch sein.
Dass der zionistischen Spitze die
Auswirkungen solcher Ausschließlichkeit vollkommen bewusst war, wird aus ihren internen Debatten, aus
ihren Tagebüchern und aus ihrer privaten Korrespondenz deutlich. Ben Gurion schrieb 1937 z.B. in einem
Brief an seinen Sohn: „Die Araber werden gehen müssen, aber man benötigt einen passenden
Moment, z.B. einen Krieg, damit dies passiert.” Während die meisten seiner Kollegen darauf
hofften, ihr Ziel durch den Kauf von Land und Häusern hier und dort erreichen zu können, hatte Ben
Gurion längst begriffen, dass dies nicht reichen würde. Er erkannte früh, dass der
jüdische Staat nur mit Gewalt gewonnen werden konnte, dass es aber notwendig war abzuwarten, bis der
geeignete Moment dazu gekommen war.
Die von Ben Gurion angeführte
zionistische Bewegung ging unverzüglich daran, sich auf eine gewaltsame Landnahme vorzubereiten, sollte
sie auf diplomatischem Wege nicht möglich sein. Die Vorbereitungen schlossen den Aufbau einer
effizienten militärischen Organisation sowie die Suche nach größeren finanziellen Mitteln ein
(die sie in der jüdischen Diaspora fanden).
Die hauptsächlich paramilitärische
Organisation der jüdischen Gemeinde in Palästina war 1920 aufgebaut worden, vor allem um
jüdische Siedlungen zu verteidigen, die zwischen palästinensischen Dörfern errichtet worden
waren. Sympathisierende britische Offiziere halfen mit, sie in eine richtige Armee zu verwandeln, die
schließlich in der Lage war, die Pläne des zionistischen Militärs zu erfüllen.
Als das Ende des Zweiten Weltkriegs nahte, wurden die Vorstellungen der zionistischen Bewegung, wie sie
einen Staat erreichen könnte, langsam klarer. Zu jener Zeit wurde deutlich, dass die Palästinenser
kein wirkliches Hindernis darstellten. Sie stellten zwar die überwiegende Mehrheit im Lande und
insofern ein demografisches Problem, aber sie wurden nicht mehr als militärische Bedrohung empfunden.
Die Briten hatten die palästinensische Führung und Verteidigungsfähigkeit schon 1939
vollkommen zerstört, als sie den arabischen Aufstand 19361939 unterdrückten. Letztere war
sich auch über die zögerliche Haltung der arabischen Staaten in der Palästinafrage im klaren.
Als nach der Schlacht von El-Alamein die Gefahr einer Nazi-Invasion gebannt war, wurde ihr bewusst, dass das
einzige verbleibende Hindernis für die Übernahme des ganzen Landes die Präsenz der Briten
war.
Nach dem Ende des Krieges und angesichts
einer Labourregierung, die nach einer demokratischen Lösung in Palästina suchte was bei
einer arabischen Bevölkerungsmehrheit von 75% den Untergang des zionistischen Projekts bedeutet
hätte war klar, dass die Briten gehen mussten.
Das Hauptproblem für die zionistischen
Pläne, der Kampf gegen die Briten, löste sich 1947 mit deren Entscheidung, Palästina zu
verlassen und die Frage an die UNO zu übergeben.
Schon Ende 1946 noch vor der
britischen Entscheidung war Ben Gurion klar geworden, dass die Briten abziehen würden. Mit
seinen Mitarbeitern begann er, an einer Strategie zu arbeiten, wie gegen die palästinensische
Bevölkerung nach dem Abzug der Briten vorgegangen werden könnte. Dies wurde der Plan C.
Genau wie die anderen Pläne sollte Plan
C die jüdischen Streitkräfte für eine Offensive gegen das ländliche und städtische
Palästina vorbereiten. Die palästinensische Bevölkerung sollte davon abgeschreckt werden,
jüdische Siedlungen anzugreifen, Angriffe auf jüdische Häuser und Straßen hingegen
gerächt werden.
Plan C erklärte deutlich, wie
Strafaktionen auszusehen hatten: Vergeltungsaktionen gegen die politische Führung; gegen Aufwiegler und
ihre finanziellen Unterstützer; gegen Araber, die Juden angriffen; gegen ranghohe arabische Offiziere
und Angestellte der Mandatsregierung; gegen das palästinensischen Transportsystem; gegen die Quellen
des Lebensunterhalts und wichtige wirtschaftliche Ziele (Wasser, Mühlen); gegen Dörfer und
Stadtteile, die bei künftigen Angriffen mitmachen konnten; gegen Clubs, Kaffeehäuser,
Versammlungsstätten...
Einzelheiten der Operation fehlten im Plan.
So wurde innerhalb weniger Monate ein neuer Plan aufgestellt, der Plan Dalet. Im Gegensatz zum Plan C
enthielt er direkte Hinweise auf geografische Parameter (78% auf der Karte der jüdischen Agentur von
1946) und auf das Schicksal von einer Million Palästinensern, die in diesem Gebiet lebten. Kein Dorf
innerhalb des geplanten Operationsgebiets wurde von den Befehlen ausgenommen. Ähnliche Instruktionen
zuweilen mit demselben Wortlaut gab es für Aktionen in palästinensischen
Städten.
Die Order, die direkt an die Einheiten vor
Ort gingen, waren genauer. Das Land war nach der Zahl der Brigaden in Zonen eingeteilt, wobei die vier
ursprünglichen Brigaden der Haganah (der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation)
in zwölf aufgeteilt wurden, um die Ausführung des Plans zu erleichtern. Jeder Brigadekommandeur
erhielt eine Liste der Dörfer oder Stadtteile seiner Zone, die zu einem bestimmten Zeitpunkt besetzt
und zerstört und deren Bewohner vertrieben werden sollten. Einige Kommandeure waren beim Ausführen
der Order übereifrig und fügten im Eifer des Gefechts weitere Örtlichkeiten hinzu.
Die israelischen Dokumente aus den
Armeearchiven, die in den 90er Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, zeigen
deutlich entgegen den Behauptungen von Historikern wie Benny Morris , dass der Plan Dalet
für die Brigadekommandeure keine vage Richtlinie waren, sondern klarer, eindeutiger Befehl zum Handeln.
In dem den Militärkommandeuren ausgehändigten Plan waren keine Maßnahmen vorgesehen, wie
Dörfer ihrem Schicksal entgehen konnten, z.B. durch bedingungslose Kapitulation.
Und es gab noch einen Unterschied zwischen
dem Plan, der den Politikern, und dem, der den Militärs gegeben wurde: Ersterer sollte erst nach dem
Ende des britischen Mandats in Kraft gesetzt werden, die Offiziere vor Ort aber erhielten den Befehl, mit
seiner Durchführung wenige Tage nach Erhalt der Order zu beginnen. Diese Doppelzüngigkeit ist
typisch für die Beziehungen, die in Israel zwischen Armee und Politik bis heute bestehen. Die Armee
informiert die Politik falsch über ihre wirklichen Absichten so taten es Moshe Dayan 1956, Ariel
Sharon 1982 und Shaul Mofaz 2000.
In meinem neuen Buch (Die ethnische Säuberung Palästinas) wird der Mechanismus der ethnischen
Säuberung von 1948 dargelegt und das kognitive System erklärt, das es ermöglichte, dass die
Welt (dies alles) vergessen und die Täter die von der zionistischen Bewegung begangenen Verbrechen
gegen das palästinensische Volk leugnen konnten. Ich möchte das Paradigma des Krieges durch das
Paradigma der ethnischen Säuberung ersetzen als Grundlage für die wissenschaftliche
Forschung und die öffentliche Debatte über 1948.
Es ist nicht so, dass die zionistische
Bewegung, indem sie den Nationalstaat gründete, einen Krieg begann, der „tragischerweise, aber
unvermeidlich” zur Vertreibung von Teilen der einheimischen Bevölkerung führte. Es ist eher
umgekehrt: Die ethnische Säuberung des Landes war das Ziel, wonach die Bewegung trachtete, um den Staat
zu gründen. Der Krieg war die Folge, das Mittel, um sie auszuführen. Am 15.Mai, einen Tag nach dem
offiziellen Ende des Mandats und dem Tag, an dem der Staat Israel proklamiert wurde, schickten die
benachbarten Staaten eine kleine Armee klein im Vergleich zu ihren militärischen
Fähigkeiten. Sie sollte versuchen, die ethnische Säuberung, die schon seit über einem Monat
in vollem Gang war, aufzuhalten. Der Krieg mit den regulären arabischen Armeen bewirkte an keiner
Stelle, dass die fortschreitende ethnische Säuberung verhindert wurde. Sie wurde erfolgreich bis in den
Herbst 1948 fortgesetzt.
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