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An den Universitäten und in den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen finden wir seit langem eine Vielzahl verschiedenartiger Arbeitsplätze: vom gut
dotierten C4-Professor bis zur Honorarprofessorin oder Privatdozentin, die umsonst arbeiten muss, um ihre
Lehrbefähigung zu erhalten, und den jungen Wissenschaftlern, die als Praktikanten oder Lehrbeauftragte
ihre Fahrtkosten selbst bezahlen, um in ihren Bewerbungsunterlagen Berufserfahrung vorweisen zu
können.Dass viele erwerbslose Akademiker inzwischen auf dem Niveau der seit dem 1.Januar 2005 nach
Hartz IV staatlich geförderten Arbeitsgelegenheiten (1-Euro-Jobs) angelangt sind, wird wenig
diskutiert. An den Universitäten selbst begegnen sie uns zwar nur selten, umso häufiger aber in
Wohlfahrtsverbänden, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen, sozialen Initiativen und in anderen
Arbeitsbereichen.
Die Übergänge von prekärer
Arbeit zu Gratisarbeit sind gerade im Wissenschaftsbetrieb oft fließend. Zeiten der Unterbrechung,
verbunden mit der Übernahme unbezahlter Arbeit in Haus und Familie, Gratisarbeit durch Schreiben von
Projektanträgen usw. und Wiedereingliederung in die Arbeit, oft in Form von schlecht bezahlter
Teilzeitarbeit, ungeschützter, geringfügiger oder befristeter Beschäftigung bzw. Ausstieg in
arbeitnehmerähnliche „neue Selbstständigkeit” oder „Solo-
Selbstständigkeit” mit kleinen Forschungsinstituten, die keine eigenständige
Existenzsicherung ermöglichen, stellen in der Erwerbsbiografie vieler Wissenschaftler schon lange das
„Normalarbeitsverhältnis” dar. Zwar gehört die Ich-AG der Vergangenheit an, es gelten
andere Programme. Die Philosophie aber: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott”, ist die gleiche
geblieben.
Prekäre Arbeitsverhältnisse sind
solche, bei denen zumindest ein zentrales Element vom „typischen” Normalarbeitsverhältnis
abweicht. In den meisten Fällen fehlt die Sozialversicherung, aber auch die Vertragsdauer, die
Arbeitszeit, die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder die Sonderleistungen können fehlen oder abweichen.
Das Merkmal „ungeschützt” ist bereits dann erfüllt, wenn eines der Kriterien zutrifft.
Je mehr Abweichungen vom „Normalarbeitsverhältnis” vorhanden sind, desto prekärer ist
das Beschäftigungsverhältnis.
"Leiharbeit, geringfügige
Beschäftigung, befristete Beschäftigung, freie Mitarbeit,
Werkvertragsverhältnisse, Kapovaz, Jobsharing und andere Formen von Teilzeitarbeit, Heimarbeit und
Schwarzarbeit.” So bezeichnete die Sozialwissenschaftlerin Carola Möller Anfang der 80er Jahre
diese sich damals bereits ausbreitende Arbeitsform, die vor allem viele Frauen betraf. Sie registrierte
einen extrem hohen Anteil an prekären Arbeitsverhältnissen ("um die 80% und mehr") im
Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in Dienstleistungsbetrieben, die Hausarbeit vermarkten,
in der freien Wohlfahrtspflege, aber auch an den Universitäten. Sie entlarvte sie als „eine der
wichtigsten Kapitalstrategien,” die geeignet sei, die Arbeit von der gutbezahlten über die
schlechtbezahlte zur unbezahlten Arbeit hin umzuverteilen. Und sie stellte schon damals fest, dass diese
Strategie weder neu, noch eine kurzfristige Erscheinung im Rahmen einer Krise sei,
„sondern eine konsequente und notwendige Weiterentwicklung der Kapitalverwertungsform” Und
weiter: „Auch wenn Männer jetzt mehr und mehr ebenfalls in ungeschützte
Arbeitsverhältnisse kommen, so hebt das die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung nicht auf”,
sondern das zeigten ihre Fallstudien „Frauen erhalten in den schlechten
Arbeitsverhältnissen weiterhin die schlechteren Plätze” Das Niveau, auf dem die
Beschäftigten ihre Arbeitskraft verkaufen können, sinkt ab, aber die Hierarchie bleibt. Leider
sollte sie Recht behalten.
Von den ausschließlich geringfügig
Beschäftigten sind noch immer zwei Drittel Frauen. 21% aller abhängig beschäftigten Frauen
betreiben die Tätigkeit als Haupttätigkeit, bei den Männern sind es 8%. So wie die
ungeschützten Arbeitsverhältnisse zunehmen, nimmt auch die Armut der Frauen zu. Und
Einkommensarmut ist die Einbahnstraße in die Altersarmut. Und das betrifft ausgerechnet die best
ausgebildete Frauengeneration, die wir in Deutschland je hatten.
Die Phase der Um- und Neugestaltung und des
Abbaus von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Strukturen und sozialen Sicherungssystemen verstärkt
sich gegenwärtig. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern viele europäische Länder. Und
sie macht auch vor dem öffentlichen Dienst, den Universitäten und den übrigen
Wissenschaftsbetrieben nicht Halt.
Organisatorische Unruhe, ständiger
Wettkampf, zunehmende Konkurrenz und knappe Ressourcen charakterisieren die Situation (nicht nur) an den
Hochschulen. Auch für viele akademisch ausgebildete Menschen führt die Arbeit nicht mehr zur
(längerfristigen) Einkommenssicherung und damit verbundenen sozialen Absicherung. Prekäre
Arbeitsverträge durch Zeit- und Altersbegrenzungen, Mobilitätszwang und Nichtberücksichtigung
von Lebenslagen durch Gleichzeitigkeit von Beruf und Familie treffen Frauen oft anders als Männer.
Viele trösten sich selbst und andere damit, dass es sich lediglich um eine temporärere Lebenslage
handelt, die durch eine Weiterqualifizierung, einen akademischen Titel, das Schreiben von
Veröffentlichungen und von Bewerbungen auf „feste Stellen” aktiv bewältigt werden
kann. Oft erweist sich eine solche Hoffnung als Illusion.
Der Anpassungsdruck, dem die
Beschäftigten ausgesetzt sind oder zu sein scheinen, hat Auswirkungen auf wissenschaftliche Denk- und
Verhaltensweisen. Zukunftsängste, Konkurrenzdruck, Entpolitisierung und Zerfall solidarischer
Strukturen sind die Folge.
Auch wenn wir wissen, dass Männer und
Frauen in der Realität keine klar gegeneinander abgegrenzten, in sich homogenen
Bevölkerungsgruppen sind, ist es nach wie vor die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit,
die die alltägliche Praxis der Arbeitsverteilung bestimmt. Inwieweit die „Empfehlungen zur
Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern” greifen, die der Wissenschaftsrat 2007
vorgestellt hat, um den Frauenanteil im Wissenschaftsapparat zu erhöhen und Gleichstellung zur
Chefaufgabe zu machen, muss offen bleiben, solange Ergebnisse über die Operationalisierung noch
ausstehen.
Prekäre Arbeitsverhältnisse werden
in den Empfehlungen ohnehin nicht problematisiert. Lediglich den Leitungen der Hochschulen und
Forschungseinrichtungen wird empfohlen, verstärkt zu beobachten, wie sich diese auf die Geschlechter
verteilen. Das heißt nicht mehr als die Verteilung des verschimmelten Kuchens im Auge zu behalten.
Ohne bewusste Frauenförderung und
Quotierung werden Frauen auch weiter die schlechteren Karten ziehen. Ohne Allianzen zwischen verschiedenen
gesellschaftlichen Kräften wie Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und
Frauenzusammenschlüssen und ohne Kooperation zwischen verschiedenen AkteurInnen wird es schwer
gelingen, soziale und geschlechterspezifische Ungleichheit zu überwinden auch im
Wissenschaftsbetrieb.
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