SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 22

Daratt

Tschad/Frankreich/Belgien 2006, Regie: Mahamet-Saleh Haroun, Darsteller: Ali Barkai, Youssouf Djaoro, Aziza Hisseine (bereits angelaufen)

Selten schafft es ein afrikanischer Film, in Deutschland einen Verleih zu finden. Meistens sind Filme aus Afrika nur auf Filmfestivals und in speziellen Filmreihen zu sehen. Der Film Daratt aus dem Tschad ist eine solche Ausnahme. Er ist bereits seit März hierzulande mit wenigen Kopien in Programmkinos zu sehen."Daratt” bedeutet Trockenzeit. Tatsächlich gibt es in Daratt weder Regen noch Pflanzen. Ständig scheint eine unbarmherzige Sonne. Aber auch im übertragenen Sinne dominiert ein Mangel an Worten und an menschlicher Zuneigung.
Der Vater des 16-jährigen Atim ist im Bürgerkrieg ermordet worden. Sein Mörder ist bekannt. Er kommt aber in den Genuss einer Amnestie für alle im Bürgerkrieg begangenen Verbrechen. So wird Atim von seinem Großvater beauftragt, den Mörder des Vaters zu töten. Atim macht sich in die Hauptstadt N‘Djamena auf und trifft auf den Mörder, als der Brot an Kinder verteilt. Er ist Bäcker und nimmt Atim als Lehrling auf.
Das Verhältnis zwischen Meister und Lehrling ist von einer wortlosen Spannung geprägt. Der Bäcker, der nach außen als Wohltäter auftritt, zeigt im Verhältnis zu seiner jungen Ehefrau und zu seinem Lehrling immer wieder seine brutale Seite. Trotzdem bringt Atim es zunächst nicht fertig, ihn zu töten.
Der Film bietet einen kleinen Einblick in ein aus europäischer Sicht nahezu unbekanntes Land, von dem die meisten wohl nur den Namen kennen. Es entsteht der Eindruck, dass die Menschen vor lauter Gewalt die Sprache verloren haben. Der Bäcker und Mörder kann nur noch mit Hilfe eines technischen Geräts sprechen, weil ihm im Krieg die Stimmbänder durchgeschnitten wurden. In seiner Person verdichten sich Gewalt und Sprachlosigkeit. Erklärungen gibt der Film nicht. Wir erfahren nicht, warum der Vater sterben musste und warum der Bäcker seine Stimme verlor. Der Zuschauer wird einfach in diese Geschichte über Gewalt, Sprachlosigkeit, Rache und — Vergebung hineinversetzt, in der er sich dann ohne jedes Hilfsmittel zurechtfinden muss.
Für europäische Zuschauer wird damit auch das Verhältnis Europas zu Afrika thematisiert, dass ebenfalls von europäischer Seite bis heute von Gewaltausübung, Sprachlosigkeit und Verständnislosigkeit geprägt ist. Wir nehmen hier nur die hungernden Kinder mit den großen Augen und vielleicht noch die Flüchtlinge wahr, die unter Lebensgefahr übers Meer fahren, nur um auf eine fast undurchdringliche EU- Außengrenze zu stoßen.
Das Ende des Films ist aber nicht so pessimistisch, wie man vermuten könnte. Vielleicht will der Regisseur damit zum Ausdruck bringen, dass es doch noch Hoffnung für den Tschad, Afrika und Europa gibt.

Andreas Bodden


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