SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 04

111. Deutscher Ärztetag

Zu wenig Geld im System?

von Thadeus Pato

Zehn Jahre nachdem die Forschungsarbeitsgemeinschaft „Ethik der Gesundheitsversorgung” in Nordrhein- Westfalen einen Sammelband mit dem Titel Rationierung im Gesundheitswesen herausgab, hat es die Kassandra der deutschen Ärzteschaft, Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe, endlich auch gemerkt: „Es gibt nach langen Jahren der Kostendämpfungspolitik eine verdeckte Rationierung von Leistungen.” Was er allerdings versäumte war, die Gründe dafür zu benennen. Das Merkwürdige ist nämlich, dass Studien der Weltgesundheitsorganisation in vergleichbaren Industrieländern wie z.B. in Finnland ergeben: Bei erheblich geringerem Mitteleinsatz ist die Patientenzufriedenheit hier weitaus höher und die Krankenversorgung deutlich effizienter.
Aber davon will man nichts wissen. Die verschiedenen Standesvertreter bringen jeweils Lösungsvorschläge ins Spiel, die an den zugrunde liegenden Problemen nichts ändern, sondern lediglich eine bessere Alimentierung der Ärzte gewährleisten. Der ehemalige Vorsitzende des Marburger Bundes (und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit kommender Präsident der Bundesärztekammer), Ulrich Montgomery, schlug eine „prämienbasierte Volksversicherung und einen Solidarausgleich über Steuern” vor. Die Beiträge für Kinder sollten aus Steuermitteln bezahlt und eine „sozialverträgliche prozentuale Selbstbeteiligung” eingeführt werden, „die beim Versicherten und nicht beim Arzt erhoben” wird.
Die Mehrheit der Ärzte ist allerdings der Meinung, dass man sich nicht auf ein konkretes Modell festlegen sollte (man könnte ja für die Folgen haftbar gemacht werden); sie fordert schlicht, noch mehr Geld ins System zu pumpen. Demgegenüber vertrat auf dem Ärztetag die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Ansicht, man müsse eine „konsequente Kosten-Nutzen-Bewertung” von medizinischen Leistungen vornehmen — damit sei das Problem zu lösen.
Das Problem ist aber weder mit der einen noch mit der anderen Maßnahme zu lösen. Das Manko besteht nämlich nicht darin, dass zu wenig Mittel im System sind, sondern darin, dass die solidarisch aufgebrachten Mittel für die Krankenversorgung zu einem immer größeren Teil in private Profite umgewandelt werden.
Die Einführung von Fallpauschalen (das sog. DRG-System) in den Krankenhäusern, die es erstmals ermöglichten, dass ein Betreiber Profit machen „darf” und damit den Einstieg privater Konzerne attraktiv machte, war ein weiterer großer Schritt auf diesem Weg. Und es geht weiter: Inzwischen kaufen manche Konzerne großflächig freiwerdende Kassenarztsitze auf, um profitträchtige „Medizinische Versorgungszentren” mit angestellten Ärzten zu eröffnen — das ist die kapitalistische Variante einer Institution, die in ihrer nichtprofitorientierten Ausprägung einmal Poliklinik hieß und in der Ex-DDR sofort nach der Wende radikal beseitigt wurde.
Auch die exorbitanten Gewinne der Pharmaindustrie (die im Übrigen ebenfalls beginnt, sich in den Krankenhaussektor einzukaufen) werden an keiner Stelle thematisiert. Das ist aus der Sicht der Ärzte auch verständlich. Würde nämlich der gesamte Medizinbereich aus der Sphäre des privaten Profits herausgenommen und über die Solidarversicherung in Selbstverwaltung betrieben, würde den Ärzten manch schöne (Neben-)Erwerbsquelle verschlossen.
Montgomerys Vorschlag läuft letztendlich auf eine Bodensatzversorgung hinaus, und jeder, der der Rationierung medizinischer Leistungen aus dem Weg gehen will, muss sich dann privat zusatzversichern. Aus dem Bereich der privaten Versicherungswirtschaft kommen schon die entsprechenden Signale. Und dass die Ärzteschaft selbst emsig daran beteiligt ist, den Medizinbetrieb endgültig zu einem ganz normalen Geschäft zuzurichten, hat sie schon vor einigen Jahren gezeigt, als sie in der Berufsordnung das Werbeverbot für Ärzte aufweichte.
Die Antwort auf die Frage, warum weltweit in den entwickelten Industriestaaten die teuersten und am konsequentesten privat verfassten Krankenversorgungssysteme die niedrigste Patientenzufriedenheit und das größte „Versorgungsgefälle”, also die größte soziale Ungerechtigkeit, aufzuweisen haben, sind sowohl Hoppe wie auch Ulla Schmidt schuldig geblieben. Ersterer, weil er schlicht mehr Geld für die Ärzte herausschlagen will, Letztere, weil sie in einer Partei ist, die als Gesundheitsexperten unter anderem den Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach beschäftigt, einen bekannten Krankenhauskonzern- und Margarinelobbyisten, der erst neulich wieder einmal herausposaunte, die ganze Misere läge nur am mangelnden Wettbewerb.
Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen, geschweige denn eine vernünftige Krankenversorgung.


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