SoZ - Sozialistische Zeitung |
Zehn Jahre
nachdem die Forschungsarbeitsgemeinschaft „Ethik der Gesundheitsversorgung” in Nordrhein-
Westfalen einen Sammelband mit dem Titel Rationierung im Gesundheitswesen herausgab, hat es die Kassandra
der deutschen Ärzteschaft, Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe, endlich auch
gemerkt: „Es gibt nach langen Jahren der Kostendämpfungspolitik eine verdeckte Rationierung von
Leistungen.” Was er allerdings versäumte war, die Gründe dafür zu benennen. Das
Merkwürdige ist nämlich, dass Studien der Weltgesundheitsorganisation in vergleichbaren
Industrieländern wie z.B. in Finnland ergeben: Bei erheblich geringerem Mitteleinsatz ist die
Patientenzufriedenheit hier weitaus höher und die Krankenversorgung deutlich effizienter.
Aber davon will man nichts wissen. Die
verschiedenen Standesvertreter bringen jeweils Lösungsvorschläge ins Spiel, die an den zugrunde
liegenden Problemen nichts ändern, sondern lediglich eine bessere Alimentierung der Ärzte
gewährleisten. Der ehemalige Vorsitzende des Marburger Bundes (und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit
kommender Präsident der Bundesärztekammer), Ulrich Montgomery, schlug eine
„prämienbasierte Volksversicherung und einen Solidarausgleich über Steuern” vor. Die
Beiträge für Kinder sollten aus Steuermitteln bezahlt und eine „sozialverträgliche
prozentuale Selbstbeteiligung” eingeführt werden, „die beim Versicherten und nicht beim
Arzt erhoben” wird.
Die Mehrheit der Ärzte ist allerdings
der Meinung, dass man sich nicht auf ein konkretes Modell festlegen sollte (man könnte ja für die
Folgen haftbar gemacht werden); sie fordert schlicht, noch mehr Geld ins System zu pumpen. Demgegenüber
vertrat auf dem Ärztetag die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Ansicht, man müsse eine
„konsequente Kosten-Nutzen-Bewertung” von medizinischen Leistungen vornehmen damit sei
das Problem zu lösen.
Das Problem ist aber weder mit der einen
noch mit der anderen Maßnahme zu lösen. Das Manko besteht nämlich nicht darin, dass zu wenig
Mittel im System sind, sondern darin, dass die solidarisch aufgebrachten Mittel für die
Krankenversorgung zu einem immer größeren Teil in private Profite umgewandelt werden.
Die Einführung von Fallpauschalen (das
sog. DRG-System) in den Krankenhäusern, die es erstmals ermöglichten, dass ein Betreiber Profit
machen „darf” und damit den Einstieg privater Konzerne attraktiv machte, war ein weiterer
großer Schritt auf diesem Weg. Und es geht weiter: Inzwischen kaufen manche Konzerne
großflächig freiwerdende Kassenarztsitze auf, um profitträchtige „Medizinische
Versorgungszentren” mit angestellten Ärzten zu eröffnen das ist die kapitalistische
Variante einer Institution, die in ihrer nichtprofitorientierten Ausprägung einmal Poliklinik hieß
und in der Ex-DDR sofort nach der Wende radikal beseitigt wurde.
Auch die exorbitanten Gewinne der
Pharmaindustrie (die im Übrigen ebenfalls beginnt, sich in den Krankenhaussektor einzukaufen) werden an
keiner Stelle thematisiert. Das ist aus der Sicht der Ärzte auch verständlich. Würde
nämlich der gesamte Medizinbereich aus der Sphäre des privaten Profits herausgenommen und
über die Solidarversicherung in Selbstverwaltung betrieben, würde den Ärzten manch
schöne (Neben-)Erwerbsquelle verschlossen.
Montgomerys Vorschlag läuft
letztendlich auf eine Bodensatzversorgung hinaus, und jeder, der der Rationierung medizinischer Leistungen
aus dem Weg gehen will, muss sich dann privat zusatzversichern. Aus dem Bereich der privaten
Versicherungswirtschaft kommen schon die entsprechenden Signale. Und dass die Ärzteschaft selbst emsig
daran beteiligt ist, den Medizinbetrieb endgültig zu einem ganz normalen Geschäft zuzurichten, hat
sie schon vor einigen Jahren gezeigt, als sie in der Berufsordnung das Werbeverbot für Ärzte
aufweichte.
Die Antwort auf die Frage, warum weltweit in
den entwickelten Industriestaaten die teuersten und am konsequentesten privat verfassten
Krankenversorgungssysteme die niedrigste Patientenzufriedenheit und das größte
„Versorgungsgefälle”, also die größte soziale Ungerechtigkeit, aufzuweisen haben,
sind sowohl Hoppe wie auch Ulla Schmidt schuldig geblieben. Ersterer, weil er schlicht mehr Geld für
die Ärzte herausschlagen will, Letztere, weil sie in einer Partei ist, die als Gesundheitsexperten
unter anderem den Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach beschäftigt, einen bekannten
Krankenhauskonzern- und Margarinelobbyisten, der erst neulich wieder einmal herausposaunte, die ganze Misere
läge nur am mangelnden Wettbewerb.
Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen,
geschweige denn eine vernünftige Krankenversorgung.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |