SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 07

Bonner Konferenz zur Biodiversität

Wettlauf um Eigentumsrechte statt Artenschutz

von Thadeus Pato

"Was kostet die Natur?”, fragt der regierungsoffizielle Umweltschutz und dominiert mit dieser monetären Fragestellung nicht nur die Debatte über den Klimawandel, sondern auch die über den Schutz der Artenvielfalt. Zuletzt wieder auf der Bonner Konferenz über Biodiversität.

Jeden Tag verschwinden bis zu 70 Arten durch menschliche Eingriffe — mit unabsehbaren Folgen für die Spezies Mensch. Der rapide Verlust an Biodiversität — das ist unter Wissenschaftler kaum umstritten — ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass unsere heutige Gesellschaft die natürliche Umwelt mit ihrer Vielfalt vorrangig als ein unerschöpfliches Reservoir an Reichtümern begreift, die zum Nutzen des Menschen ausgebeutet werden können — ohne Rücksicht auf Verluste.
Mit der Einberufung der Bonner Konferenz zur Biodiversität (genauer: „9.Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt") wollte die Bundesregierung ihr Image als Vorkämpferin gegen den Klimawandel unterstreichen und den Eindruck erwecken, unter ihrer Führung werde das Problem grundsätzlich angegangen. Die Ergebnisse der Konferenz nehmen sich demgegenüber bescheiden aus.
Denn auf dieser Konferenz dominierte die gleiche zerstörerische Herangehensweise an den Verlust von Biodiversität, wie wir sie auch beim Umgang mit dem Klimawandel beobachten können: An oberster Stelle steht das so genannte ABS-System. Das heißt übersetzt „Access- and Benefit-Sharing” und ist eine Vereinbarung „zur gerechten Aufteilung der Vorteile der Nutzung der biologischen Vielfalt” Der ständige Verlust an Artenreichtum führt im Rahmen des kapitalistischen Systems nicht etwa vorrangig dazu, dass Anstrengungen unternommen werden, den Verlust aufzuhalten, sondern zu einem Wettlauf um die „Eigentumsrechte” an den genetischen Ressourcen.

Inseln und Reservate

2007 bestanden etwa 1400 staatlich kontrollierte öffentliche Saatgutbibliotheken, die man heute als „Genbank der Kulturpflanzen” bezeichnet. Derzeit legt z.B. die norwegische Regierung in Kooperation mit einer UN-nahen Stiftung, die unter anderem auch von Microsofteigner Bill Gates gesponsert wird, auf Spitzbergen im Permafrost eine Genbank an, in der Saatgut aus aller Welt eingelagert werden soll. Die Idee ist nicht neu: Die deutsche Genbank für Kulturpflanzen in Gatersleben wurde 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, eingerichtet und sollte dem Schutz und der Erhaltung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzensorten dienen; Saat- und Pflanzgut wurde in Kühlhäusern gelagert und im Freiland und in Gewächshäusern nachgezüchtet.
Daneben gibt es noch eine unbekannte Anzahl privater Genbanken, in der Regel von Großkonzernen betrieben, die bereits seit Jahrzehnten systematisch, z.B. in Mittelamerika, in bedrohten Ökosystemen auf „Gensammeltouren” gehen, um das genetische Material für Weiterzüchtungen zu verwenden. Begünstigt wird dies durch das derzeitige internationale Patentrecht, das es erlaubt, nur leicht künstlich verändertes genetisches Material patentrechtlich zu schützen.
Diese Art von Saatgutsammlung bildet die wesentliche Grundlage für die sog. Biopiraterie. Eine Gruppe aus Kanada deckte schon in den 90er Jahren Fälle auf, in denen Kichererbsensamen aus Indien nach Australien gelangten — prompt meldeten dortige Züchter Sortenschutz an. Eines der nach Ansicht der Veranstalter „wichtigsten Ergebnisse” der Konferenz ist deshalb nicht ein Instrument zur Bekämpfung des Verlusts an Biodiversität, sondern ein Mechanismus, um den stattfindenden Raubbau etwas „gerechter” zu gestalten, was die Beteiligung der Länder betrifft, die den größten Artenreichtum aufzuweisen haben.
Auch die zweite Maßnahme, nämlich die Ausweisung neuer Schutzgebiete, geht in diese Richtung. Stillschweigend wird akzeptiert, dass auf dem größten Teil des Globus die Naturzerstörung ungebremst fortschreiten wird. So hat man sich einige biologische „Hotspots” ausgesucht, in denen eine besonders große Artenvielfalt herrscht und die sozusagen als Inseln erhalten und geschützt werden sollen. Die reichen Industriestaaten stellen hierfür großzügigerweise Mittel zur Verfügung.
Hier kam dann auch Angela Merkel ins Spiel: Sie zauberte einen zusätzlichen Betrag von 500 Millionen Euro aus dem Hut und ließ sich damit in sämtlichen Gazetten als große Umweltschützerin feiern. Es handelt sich allerdings, wie so oft bei Frau Merkel, um schlichte Rosstäuscherei: die Anlegung derartiger Reservate wird am weiteren Verlust von Biodiversität ungefähr soviel ändern wie Hagenbecks Tierpark.

Was kostet die Natur?

Sehr große Zustimmung fand auf der Konferenz der Zwischenbericht einer von Deutschland und der EU- Kommission gesponserten Studie, The Economics of Ecosystems in Biodiversity, die sich mit den „ökonomischen Kosten des Verlusts der biologischen Vielfalt” beschäftigte. Hierzu hat der Forscher Robert Konstanza von der Universität Maryland schon einmal eine Zahl vorgelegt, als er behauptete, die umgerechnete monetäre Leistung der irdischen Ökosysteme läge bei etwa 30 Billionen Euro pro Jahr. Andere Autoren gehen vom „Versicherungswert” der biologischen Vielfalt aus. Ökonomen sprechen auch vom „Optionswert” und meinen damit den möglichen Gehalt an potenziellen Arzneiwirkstoffen oder an Genen für zukünftige landwirtschaftliche Züchtungen, biotechnologische Prozesse usw.
Hinsichtlich des Klimawandels einigte sich die Konferenz auf unverbindliche Floskeln, wobei sich die Teilnehmer nicht entblödeten, generös zu konzedieren, dass „Vertragsstaaten das Recht haben, auf den Einsatz gentechnisch veränderter Bäume zu verzichten” Dies alleine zeigt, dass hier das Problem von den Füßen auf den Kopf gestellt wurde: Die bisherige Anwendung von Gentechnologie ist eine der für die Biodiversität langfristig gefährlichsten Maßnahmen. Der großflächige Anbau gentechnisch veränderter Sorten bzw. geklonter Organismen wurde jedoch nicht etwa angeprangert, geschweige denn verboten, sondern man geht im Gegenteil implizit davon aus, dass der Anbau generell frei sein sollte und nur in Ausnahmefällen zu untersagen sei.
Unter tatkräftiger Mithilfe und Federführung der deutschen Regierung wurde kein Schritt zur Lösung des Problems unternommen, sondern im Gegenteil die menscheinfeindliche und zerstörerische Umweltpolitik der letzten Jahrzehnte fortgeschrieben: Natur wird lediglich als auszubeutende Ressource betrachtet, die nur insoweit zu schützen ist, wie daraus auch Profit generiert werden kann. Kein Wunder, dass auch die Industrie sich tatkräftig an der Konferenz beteiligte. Sie wird mit den Ergebnissen zufrieden gewesen sein.
Worum es ihr ging und geht, wurde im Vorfeld mehr als deutlich, nämlich auf der internationalen Konferenz zum Thema „Biodiversität und Wirtschaft” am 2. und 3.April in Bonn, die von der Umweltstiftung Global Nature Fund (GNF) und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Kooperation mit der Business and Biodiversity Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) organisiert worden war.
Da ging es unter anderem um so schöne Punkte wie „Biodiversität als Unternehmenschance” oder „Biologische Vielfalt als Unternehmensrisiko”, und ausgerechnet der Vertreter des BUND, Brunsmeier, versuchte der Wirtschaft den Artenschutz mit folgendem Satz schmackhaft zu machen: „Ohne Tier- und Pflanzenarten müssten wir viele dieser Dienstleistungen mit technischen Lösungen erbringen. Kostenpunkt: weltweit 33000 Milliarden US-Dollar pro Jahr.” Das Schmeichelhafteste, was man über einen solchen „Naturschützer” sagen kann, ist, dass er offensichtlich nichts begriffen hat.


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