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Anfang 2005 hat die Bundesregierung die Regelsätze für 1,4 Millionen Kinder zwischen 7 und 17 Jahren
gesenkt, die von Hartz IV leben. Der Bedarf von 13-Jährigen und darunter wurde mit dem von Säuglingen gleichgesetzt, der von
heranwachsenden Jugendlichen mit dem von erwachsenen Haushaltsangehörigen.
Die Senkung bedeutet: Der entwicklungsbedingte Wachstumsbedarf von Kindern
wird nicht mehr anerkannt. Zweck der Kürzung bei Kindern war, den Druck auf die Eltern zu erhöhen, Arbeit für Armutslöhne
anzunehmen. Die empörende Tatsache, dass Kindern Mittel für Essen und Trinken entzogen werden, um Lohnsenkungen zu
ermöglichen, hat bis jetzt kaum Aufmerksamkeit gefunden. Bisher lag die Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich auf dem Eckregelsatz
von 347 Euro für Alleinstehende.
Mit der Einführung von Hartz IV wurde der Regelsatz der 7- bis 13-
Jährigen von 65% auf 60% des Eckregelsatzes gekürzt.
Der Regelsatz der 14- bis 17-Jährigen wurde von 90% auf 80% des
Eckregelsatzes gekürzt.
Für Kinder unter 7 Jahren wurde der Regelsatz auf 60% des Eckregelsatzes
erhöht. Sie bekommen soviel wie die 7- bis 14-Jährigen.
Der Eckregelsatz wurde im Juli 2007 von 345 Euro auf 347 Euro erhöht. Um nur die Inflationsrate auszugleichen, hätte er um 16 Euro
steigen müssen.
50 Jahre lang galten in der Sozialhilfe für alle seitherigen
Bundesregierungen Altersabstufungen, die sich vor allem durch den unterschiedlichen Energiebedarf begründeten. Seit 2005 ist damit
Schluss. Die Bundesregierung fällt damit in die Zeit vor dem BSHG zurück. Die war geprägt durch den Runderlass des
Reichsinnenministers und des Reichsarbeitsministers vom 31.10.1941, dem sog. Richtsatzerlass. Er wurde bis 1956 angewandt.
Die NS-Regierung setzte 1941 den Bedarf aller Kinder unter 16 mit dem von
Säuglingen gleich, den Bedarf von Heranwachsenden ab 16 mit dem von Erwachsenen. Unter 16-Jährigen standen bis zu 50% des
Richtsatzes zu; Haushaltsangehörigen über 16 Jahren bis zu 80%. Die Bundesregierung nähert sich diesen Sätzen merklich.
Das 1957 eingeführte Bundessozialhilfegesetz (BSHG) begründete die
höheren Regelsätze für 7- bis 13-Jährige mit ihrem höheren Energiebedarf: „Die Höhe des Energiebedarfs
hängt ab vom Geschlecht, Alter, und vom Arbeits(Bewegungs-)einsatz des Einzelnen.” Im Warenkorb von 1970 wurden für unter 7-
Jährige 1270 Kilokalorien (kcal) am Tag zugrunde gelegt, für 7- bis 13-Jährige 2428 kcal. An den Werten hat sich bis heute
wenig geändert. Der Energiebedarf steigt, weil Kinder wachsen, d.h. größer werden und an Gewicht zunehmen.
Am höchsten ist der Energiebedarf von Heranwachsenden, weil sie am
schnellsten wachsen: Er wurde im Warenkorb von 1970 auf 2975 kcal berechnet. Bei Erwachsenen liegt der Energiebedarf dann wieder etwas
niedriger, ihnen wurden damals 2250 kcal zuerkannt.
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund geht davon
aus, dass pro 1000 kcal 2,16 Euro benötigt werden, um sich gesund zu ernähren. Für Kinder unter 7 Jahren ergäbe sich
damit ein Bedarf von 2,74 Euro am Tag nur für Ernährung heute sind dafür 2,57 Euro inkl. Genussmittel vorgesehen.
Vorschulkinder kommen damit in etwa aus, wenn sie die Nahrungsmittel zu 100% verwenden können. Kinder zwischen 7 und 13 Jahren aber
nicht mehr. Sie bräuchten pro Tag 5,25 Euro, monatlich etwa 70 Euro mehr. Tatsächlich ergab die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS), dass die Konsumausgaben von Kinder zwischen 6 und 12 im Jahr 2003 mit 437 Euro mehr als das Doppelte des
Regelsatzes von 208 Euro betrugen.
Die Bundesregierung hat ausgerechnet Heranwachsenden den
Ernährungsanteil drastisch gekürzt. Ihnen stehen heute für Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke nur 3,07 Euro
zu. Mit anderen Worten: „Die Hartz-IV-Parteien haben Heranwachsenden das tägliche Frühstück gestrichen”, schreiben
die Autoren der Broschüre.
Der Kontrast solcher menschenverachtender Maßnahmen mit Kinder- und Familienfreundlichkeit der Bundesregierung könnte nicht
schärfer sein.
Die schlichte Streichung einer Altersklasse orientiert sich an den Vorgaben
der OECD, die dafür allerdings keinerlei „wissenschaftliche” Begründung gibt. Die neue Einteilung wurde einfach
dekretiert jenseits aller tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Bundesregierung behauptet dann frech: „Die
(nach SGB II) vorgesehenen Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen."
Das Ergebnis solcher Dekrete ist, dass jedes sechste Kinder heute in Armut
lebt, der Gefahr der Unterernährung ausgesetzt ist, und damit von vornherein seiner Lebenschancen beraubt wird. Mitte 2007, als
über eine Erhöhung der Regelsätze für Kinder diskutiert wurde, hat sich eine gewisse Öffentlichkeit nicht
entblödet, dagegen zu polemisieren, weil diese Beträge nur in den Taschen der Eltern landen würden. Damit tat sich auch der
Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands, Peter Hahne, hervor. Das ist der Trick: Die Eltern sind schuld, sie sind es, die ihren Kindern
schaden, nicht die Hartz-IV-Parteien.
Aber die Sache hat Methode, sie ergibt einen Sinn. Denn wenn die
Regelsätze der Kinder gesenkt werden, steigt nach Ansicht der wohlernährten Politikerkaste die Bereitschaft der Eltern, durch
Lohnarbeit für ihre Kinder zu sorgen und dafür auch Arbeit zu Armutslöhnen aufzunehmen. Was der Staat uns mit der
Regelsatzkürzung für Kinder sagen will, ist, dass er künftig für die Kinder der Armen nicht mehr aufkommen will.
In dieser Logik steht auch die Anhebung des Regelsatzes für Kinder unter
7 Jahren auf 60%: Der Druck, zu niedrigen Löhnen zu arbeiten, soll vor allem auf die Eltern von Schulkindern ausgeübt werden. Die
Schulpflicht macht zumindest Teilzeitarbeit zumutbar.
"Die Nachfrage des Kapitals nach Arbeit sinkt”, schließen die
Autoren der Broschüre, „damit auch die Nachfrage nach dem entsprechenden Nachwuchs. Die relative Interesselosigkeit an der
zukünftigen Arbeitskraft der Kinder aus Hartz-IV-Famiien zeigt sich darin, dass zwei Drittel der Hauptschüler und die Hälfte
der Realschüler keine Chance auf einen Ausbildungsplatz mehr haben, rund 4050% eines Jahrgang in Warteschleifen kreisen. Der eng
mit der Deutschen Bank verbundene Professor Manfred Pohl erklärte, dass rund 20% der Arbeitskräfte nicht „bildungsfähig
(sind), egal wie viele Millionen für ihre Bildung aufgebracht werden” Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann wies darauf hin,
„dass 1520% der jungen Männer wirtschaftlich nicht einsetzbar seien ... Es geht deshalb auch darum, die Kinder aus
Armutsfamilien billiger abzuschreiben."
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