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Im Herzen des europäischen Stahlreviers im Dreiländereck zwischen
Frankreich, Belgien und Luxemburg sollen bis 2009 die Elektrohochöfen und die meisten Walzstraßen
stillgelegt werden; rund 700 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Das International Iron and Steel Institute
liefert alljährlich den exklusiven Rahmen für ein Forum der Stahlbarone. Über alle
Widersprüche hinweg werden hier die Entwicklungen am globalen Markt für Stahlprodukte analysiert.
Und die sind mehr als gut. „Eine solch lange Aufschwungphase hat es für unsere Branche noch nicht
gegeben”, frohlockte Thyssen-Krupp Chef Ekkehard Schulz im Oktober 2007 auf dem 41.Weltstahlkongress
in Berlin. Auch danach streifte die Panik an den Börsen die Aktienkurse der Stahlriesen nur am Rande:
sie bleiben trotz äußerst negativem konjunkturellem Umfeld stabil.
Arcelor-Mittal-Vorstand Michel Würth
behauptete damals in seiner Euphorie sogar, die früheren Pläne, unrentablere Werke im
europäischen Binnenland herunterzufahren und die Reste der Produktion an die Küste in die
Nähe von Häfen, oder aber in Billiglohnländer zu verlegen, seien erst einmal vom Tisch.
Nun boomt der Stahlsektor immer noch, zum
Teil wegen der enormen Nachfrage aus China. Aber es drängen auch Erzeuger aus Indien, Russland und
Brasilien auf den Markt. In China gehen laufend neue Hochöfen und Walzwerke in Betrieb; dieses Jahr
exportiert China erstmals mehr Stahl, als es importieren muss.
Die Angst der Stahlarbeiter vor einer
weltweiten, tiefgreifenden Umwälzung der Stahlbranche ist deshalb mehr als berechtigt. Rund um den
Globus rollt die Konsolidierungswelle bereits, der Startschuss für eine noch viel radikalere
Neuaufteilung des Stahlmarkts ist abgefeuert. Ihr Ziel ist, die Preise für Stahlprodukte so hoch wie
möglich zu halten und die Gier nach immer größeren Profitraten zu befriedigen. Dafür
kommt ein weiterer Konzentrationsprozess in Gang: Abbau von Überkapazitäten durch
Werkschließungen, Auslagerung von Produktionsabläufen in Billiglohnländer, verstärkter
Einsatz von Leiharbeitern und Verschärfung des Wettkampfs zwischen den verschiedenen
Personalkategorien, Leistungsverdichtung und Verschärfung des Arbeitstempos.
Der Trend zeichnete sich bereits Anfang 2006 ab, als der indische Milliardär Lakshmi Mittal eine
sog. feindliche Übernahme gegen Arcelor lancierte. (Der Konzern entstand 2002 aus der Fusion zwischen
der französischen Usinor, der luxemburgischen Arbed und der spanischen Arceralia. Der luxemburgische
Staat war mit 5,6% Arcelors größter Einzelaktionär.) Im Hintergrund zogen bei dieser
Elefantenhochzeit einige berüchtigte Hedgefonds die Fäden. Dieser enormen Kapitalkonzentration
konnten und wollten die politischen Oberhäupter Luxemburgs und Frankreichs nichts entgegensetzen, um
die Interessen der betroffenen Metallarbeiter zu schützen. Geeint in einem Anflug von ökonomischem
Patriotismus verkündeten sie lediglich „Bedenken” gegenüber der geplanten feindlichen
Übernahme.
Teil dieser Heiligen Allianz waren auch die
sozialdemokratischen Gewerkschaftsbosse, die Arcelor zum Symbol eines „menschlichen
Industriekapitalismus” emporhoben, während sie Mittal als schändlichen Vertreter eines
„inhumanen Finanzkapitalismus” abstempelten. Doch zu keinem Moment machten die Gewerkschaften
gegen die feindliche Übernahme mobil, ihre Proteste beschränkten sich auf Pressemitteilungen.
Vergessen waren die Tausende
Arbeitsplätze, die ab dem Ende der 70er Jahre im Zuge der damaligen Restrukturierung der Stahlindustrie
in der europäischen Großregion Saar/Lor/Lux/ Rheinland-Pfalz/Wallonie vernichtet worden waren.
Vergessen war auch die Tatsache, dass Arcelor kurz nach seiner Gründung einige „unrentable”
Betriebe und Hütten in Luxemburg und Frankreich verhökert hatte, und zwar an ... Mittal-Steel!
Die Arbeitsbedingungen bei Arcelor Mittal
sind grausam. Es klebt Blut an den Profiten des Multis: Mitte Januar wurden 30 Bergarbeiter in Kasachstan in
einer Erzmine lebendig begraben. Doch man muss nicht unbedingt im Kasachstan leben, um bei Arcelor Mittal
durch einen Arbeitsunfall sein Leben zu verlieren. 2007 kamen wenigstens vier Beschäftigte in der
europäischen Großregion ums Leben. In Arbeitssicherheit wird nur dann investiert, wenn sie der
Imagepflege dient und ein paar Extragewinne einfährt.
Drei Monate nach dem Weltstahlkongress wurde den Stahlarbeitern im französischen Gandrange,
südlich von Thionville, schlagartig bewusst, was die Aussagen eines Managers wert sind. Würth
hatte mit seinen Aussagen lediglich die deutschen Belegschaften beruhigen wollen; Gandrange war vom
Verwaltungsrat bereits als erster Standort ausgesucht, der auf dem Altar der Profitakkumulation geopfert
werden sollte.
Hier, im Herzen des Reviers im
Dreiländereck zwischen Frankreich, Belgien und Luxemburg, sollen bis 2009 die Elektrohochöfen und
die meisten Walzstraßen stillgelegt werden; rund 700 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Damit ist die Schließung
angekündigt, obwohl Lakshmi Mittal selbst das Werk gerne als Vorzeigeobjekt für seine
Geschäfte in Europa nutzt. Soll das Werk 2005 noch 16 Millionen an Gewinn erwirtschaftet haben, so
stand es bereits zwei Jahre später angeblich mit 30 Millionen Euro in der Kreide. Zudem, so
argumentiert die Geschäftsleitung, seien die CO2-Emissionswerte der Anlage absolut nicht mehr tragbar.
Eine gefährliche Entwicklung bahnt sich
an: Einmal entfesselt, wird der Sog aus Rationalisierungen und Abbau von Überkapazitäten auch die
deutsche Stahlindustrie mitreißen. Nicht nur weil Arcelor Mittal wichtige Interessen in Deutschland zu
verteidigen hat (Eisenhüttenstadt, Hamburg, Bremen). Auch Thyssen und Co. werden in diesem Reigen der
Haie mittanzen, wenn sie ihre Positionen verteidigen wollen. In Brasilien baut Vorstandschef Ekkehard Schulz
Hochöfen und Hafenanlagen im Wert von fast 3 Milliarden Euro, eine Milliarde mehr als ursprünglich
geplant. Außerdem bereitet er den Neubau eines Stahlwerks in Nordamerika im Wert von mindestens 2
Milliarden Euro vor, um den Großteil der brasilianischen Brammen weiterzuverarbeiten.
ThyssenKrupp wird zudem immer wieder als
Übernahmekandidat genannt. Die ersten Teilbereiche des Konzerns wurden bereits verkauft: Das
Ravensburger Zulieferwerk für die Automobilbranche, Drauz Nothelfer, hat mit 400 Beschäftigten den
Besitzer gewechselt, seine Zukunft ist unsicher.
Seit der großen Stahlkrise Ende der
70er Jahre haben sich weder die französischen noch die belgischen oder luxemburgischen Gewerkschaften
von den zahlreichen Niederlagen erholt. Der vom Management ausgearbeitete Restrukturierungsplan „Lux
2010” ist seit Mitte 2007 bekannt, aber der europäische Betriebsrat hüllt sich in
lähmendes Schweigen. Das Vertrauen in die meist sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften in der
Großregion ist stark geschrumpft.
Am 4.Februar sprach Nicolas Sarkozy in
Gandrange vor einer handverlesenen Gewerkschaftsdelegation. Der französische Präsident versprach
massive staatliche Finanzspritzen, um die Produktionsanlagen zu modernisieren und die zum Teil sehr junge
Belegschaft besser auszubilden. Zu keinem Zeitpunkt kam die Rede auf die Verantwortung der Aktionäre,
die seit Jahren bewusst keinen Euro in die Hütte investieren, Mensch und Produktionsanlagen bis zum
Anschlag strapazieren und dabei Traumprofite einfahren.
Nur einen Tag später entpuppte sich
Sarkozys Versprechen als eines seiner typischen Manöver. Die wütende Belegschaft sollte abgelenkt
und verunsichert werden. Seine Wirtschaftsministerin relativierte sie mit Hinweis auf die EU-Gesetzgebung,
die die staatliche Einmischung in den freien Markt doch arg beschränke.
2007 haben sich diese Aktionäre satte 2,15 Milliarden Euro Gewinn geteilt. Das regt den Appetit an.
Nach einem lukrativen Exkurs in den Eisenbahnsektor treibt es Arcelor Mittal nun ins nicht weniger rentable
Geschäft mit der Energie. (2005 schluckte Arcelor den Frachtbereich der luxemburgischen Staatsbahn CFL
bzw. dieser wurde dem Multi vom luxemburgischen Staat geschenkt. Die Arcelor-Mittal-eigene Stromgesellschaft
Soteg soll mit dem mehrheitlich staatlichen luxemburgischen Strommonopolisten Cegedel und mit SaarFerngas
[Hauptaktionär: Arcelor Mittal] zu einem der größten Anbieter in der Region zusammengelegt
werden.)
Seit Anfang Februar kontrolliert der Konzern
überdies 90% des Stahlkonzerns China Oriental und wird noch in diesem Jahr 20 Milliarden Euro in den
Bau von zwei Stahlwerken in Indien stecken. Die Stahlarbeiter in Gandrange aber werden in den
frühzeitigen Ruhestand geschickt oder in andere Werke verfrachtet, während Hunderte von Teilzeit-
und Leiharbeitern auf der Straße landen.
Gandrange ist der erste Dominostein, der bei
dieser Umstrukturierung kippt. Viele weitere werden folgen. Gerade jetzt wäre es enorm wichtig, den
Widerstand gegen die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen auszudehnen und ihm eine
internationalistische Dimension zu geben.
Derzeit spielt der Konzern noch geschickt
mit der leider nicht nur geografischen Aufsplitterung der Belegschaften. Die Metall- und Stahlarbeiter haben
ihren Kampfgeist, ihre Energie, ihren Mut und ihre Fähigkeit zur Solidarität noch lange nicht
verloren, aber die französischen Gewerkschaftsführungen haben einen ernsthaften Widerstand gegen
die Schließung der Hütte bisher verhindert.
Vor Ort machen sich die Gewerkschaften
gegenseitig Konkurrenz bei der Vorstellung von Gegengutachten. Wirtschaftsanalytiker mühen sich, mit
reichlich Zahlenmaterial zu belegen, dass das Werk in Gandrange rentabel sein könnte. Vergebens wartet
man auf den „guten” Kapitalisten, der das Werk kaufen will, und degradiert die Belegschaft zu
reinen Statisten. Dieser Kampf kann nur gewonnen werden, wenn die Belegschaften den Privatbesitz von
Produktionsmitteln in Frage stellen.
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