SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 13

Wer kämpft, kann gewinnen!

In Hessen sind die Studiengebühren abgeschafft

von Janine Wissler

Als erstes Bundesland hat Hessen die Studiengebühren wieder abgeschafft, das ist einer der größten realen politischen Erfolge der letzten Jahre.
Die Abschaffung der Studiengebühren ist nicht der Erfolg dreier Fraktionen im Landtag, es ist ein Erfolg der Studierendenbewegung und zeigt: Wer kämpft, kann gewinnen.
"Für Solidarität und freie Bildung” — das war das Motto der hessischen Studierendenbewegung. Unzählige Demonstrationen und Veranstaltungen fanden statt, Bahnhöfe wurden besetzt, Autobahnen blockiert und Institute bestreikt. Doch die Aktionen der Studierenden hätten nicht zum Erfolg geführt, ohne den Rückhalt und die Sympathie in der Bevölkerung. Zehntausende Studierende, Schüler und Eltern sind auf die Straße gegangen für das Recht auf ein gebührenfreies Studium. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und Studierendenvertretungen hat über 80000 Unterschriften im Rahmen einer Verfassungsklage gesammelt.
Nachdem die Proteste in den letzten Monaten abflauten, hat die Weigerung Kochs das Gesetz zu unterschreiben, wieder Hunderte Studierende, Schülerinnen und Schüler auf die Straße gebracht. Die Empörung über das Vorgehen von Koch war groß, denn es ist nicht das erste Mal, dass die geschäftsführende Landesregierung Beschlüsse des Landtags untergräbt. So geschah es auch beim Wiedereintritt in die Tarifgemeinschaft der Länder: Trotz Mehrheit im Landtag weigert sich die Regierung, den Beschluss umzusetzen. Auf Antrag der LINKEN wurde ein Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan beschlossen, Abschiebeminister Volker Bouffier hat erklärt, diesen zu ignorieren...
Ziel von Kochs Verzögerungstaktik bei der Abschaffung der Studiengebühren war, SPD und Grüne vorzuführen und das Urteil des Staatsgerichtshofs zur Verfassungskonformität der Studiengebühren abzuwarten. Der Staatsgerichtshof gab der Landesregierung Recht.
Dieses Urteil wird jedoch dem Geist der hessischen Verfassung nicht gerecht. Hessen ist das einzige Land, das die Unentgeltlichkeit von Bildung in der Verfassung verankert hat. Das Urteil hat den Artikel 59 in sein Gegenteil verkehrt, und das kann nicht im Sinne der Mütter und Väter der Hessischen Verfassung sein.
Das knappe Urteil gibt der Landesregierung jedoch keinerlei Anlass zu Triumphgeheul. 6:5 ist alles andere als eine souveräne Mehrheit und lässt viele Zweifel und Fragen offen. Die Begründung für das Urteil ist ein Beispiel dafür, wie auch in der Justiz ökonomische Sichtweisen den Blick auf die soziale Wirklichkeit verstellen. Studierende sollen eine „langfristige Investitionsentscheidung” treffen. Der Gedanke, dass ein Studium etwas mit Bildung zu tun hat, dass Bildung etwas mit demokratischer und kultureller Teilhabe zu tun hat, kam der Richtermehrheit nicht in den Sinn.

Mehr als fragwürdig

Die Begründung, die der Staatsgerichtshof geliefert hat, ist teilweise mehr als fragwürdig. Das Gericht begründet die Zumutbarkeit der Studiengebühren damit, die Studierenden könnten sich ja verschulden. Sie würden ihre wirtschaftliche Lage damit verbessern. Nach allgemeinem Verständnis bedeutet Verschuldung aber ganz im Gegenteil eine Verschlechterung. Menschen leihen sich Geld, weil sie keins haben, und müssen dieses mit Zinsen zurückzahlen.
Für die Fraktion DIE LINKE ist die Frage der Studiengebühren jedoch primär eine politische und keine juristische. Studiengebühren sind sozial ungerecht, gerade für Kinder aus einkommensschwachen Familien und Arbeitnehmerhaushalten sind sie eine enorme Hürde, die ihnen die Aufnahme eines Hochschulstudiums erschwert.
Die Koch-Regierung wurde gerade wegen ihrer Bildungspolitik abgewählt. Als „Auslesen statt Fördern” hat die Gewerkschaft GEW diese Politik treffend bezeichnet; in der Bevölkerung stieß sie auf große Ablehnung. Der Rückzug der beiden für Bildung zuständigen Minister Karin Wolff und Udo Corts sprechen Bände darüber.
Von Hessen geht ein Signal aus an die Studierenden in ganz Deutschland. Es gab bereits erste Demonstrationen in NRW und Baden-Württemberg. In Düsseldorf fand die Demo unter dem Motto statt: „Was Hessen kann, können wir schon lange."
Die bundesweite Studierendenbewegung muss den Kampf gegen die Gebühren bundesweit wieder aufnehmen, gerade in den Bundesländern, in denen Wahlen anstehen.

Hessen vorn?

Die hessische FDP kündigt nun vollmundig an, die Studiengebühren wieder einzuführen, wenn sich die parlamentarischen Mehrheiten ändern. Vermutlich wird sich jede neue Landesregierung dreimal überlegen, ob sie das Eisen wieder anfasst, an der sich die Koch-Regierung derartig die Finger verbrannt hat. Wichtig für die Nachhaltigkeit dieses Erfolges ist die gesellschaftliche Stimmung.
Im Hessischen Landtag ist die Situation im übrigen verfahren: Die Regierung hat keine Mehrheit und die Mehrheit kriegt keine Regierung zustande. Doch das hat auch sein Gutes: Durch die wechselnden Mehrheiten werden die Inhalte in der Öffentlichkeit stärker diskutiert.
Die Fraktion DIE LINKE hat immer erklärt, sie werde Andrea Ypsilanti wählen, wenn sie zur Wahl als Ministerpräsidentin antritt — ohne Bedingungen, aber mit der Erwartung, dass es nicht bei einem Regierungswechsel bleibt, sondern auch ein Politikwechsel stattfindet. Das macht die Fraktion u.a. daran fest, dass es in Hessen keine weiteren Privatisierungen gibt, dass die Ein-Euro-Jobs in reguläre Beschäftigung umgewandelt werden, dass eine grundsätzliche Veränderung in der Schulpolitik in Richtung Gemeinschaftsschule eingeleitet wird und dass Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehrt.
DIE LINKE im Hessischen Landtag ist aber nicht Teil eines rot-grünen Lagers. Sie tut SPD und Grünen auch nicht den Gefallen, die Bundesthemen auszuklammern. Die Hartz-Gesetze, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan und der Lissabon-Vertrag werden von der LINKEN zur Sprache gebracht. Aber auch innerhalb der hessischen Politik sind die Differenzen spürbar — mit den Grünen in Fragen der Schulpolitik, mit der SPD beim Ausbau der hessischen Flughäfen.
Der derzeitige Aufschwung der LINKEN bei Wahlen und in Umfragen geht nicht mit einem Aufschwung von gesellschaftlichen Kämpfen einher. Die Menschen hoffen auf die Partei, aber sie werden nicht selbst aktiv. Das zeigt sich auch daran, dass sich die guten Umfragen zahlenmäßig nicht in Neueintritten widerspiegeln. Deshalb gilt es die Partei vor Ort aufzubauen und zu verankern.
Letztlich wird sich der Erfolg der LINKEN und ihrer Parlamentsfraktionen daran messen lassen müssen, ob sie dazu beiträgt, Menschen zu aktivieren und auf diese Weise gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern.
Die Autorin ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag und hochschulpolitische Sprecherin der LINKEN.


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